Lernen für’s Leben

Eine so vielschichtige Universität wie Tübingen bietet dem wissensdurstigen Studierenden beinahe unberenzte Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Sie ist eine Welt der Wunder, des Wissens und auch des Wahnsinns, und um sich in ihr zurecht zu finden sind verschiedene Tools von Nöten. Nach circa 2 Monaten kann ich sagen, daß diese Tools meiner Meinung nach der eigentliche Lernerfolg bei der ganzen Sache sind. Beruhigend wäre an dieser Stelle, wenn die Verantwortlichen das beabsichtigt hätten. Haben sie nicht, das Potpourri an Entwicklungschancen, das jeden Studientag neben einer halben Bibliothek um die Ecke kommt, ist sozusagen ein geniales und zufälliges Nebenprodukt. Aber das macht nichts, Albert Hofmann hat LSD ja auch entdeckt, als er eigentlich auf der Suche nach einem Mittel gegen Kreislaufprobleme war. Und wurde 102 Jahre alt! So ergeht es auch dem Standart-Bätschlerstudierenden. Er möchte erziehungswissenschaftlich vor sich hin bätschlern, Humboldt und Bordieu in sein Leben lassen und erwirbt statt dessen verschiedenste andere Kompetenzen, von denen er noch nicht mal geträumt hat. Der kompetente Studierende lernt zum Beispiel schon in den ersten Semesterwochen, 90 Minuten mit einem Minimum an Sauerstoff auszukommen, weil er es einfach satt hat, jede Vorlesung ohnmächtig zu werden. Falls es mit der Uni nix wird könnte man damit problemlos umsatteln auf Apnoetauchen und statt Bücher Muscheln erforschen. Man bekommt sozusagen ein zweites Standbein so ganz nebenher.
Darüber hinaus erwirbt man im Strudel der 20 aktuell geltenden Prüfungsordnungen einen unschätzbar wertvollen Pragmatismus. Seit JAHREN! hängt über meinem Bett der Serenity Prayer in der Hoffnung, dass sich etwas davon irgendwie im Schlaf implantiert und ich endlich aufhören kann, mich wie ein Berserker über genau die Sachen aufzuregen, die ich verdammt noch mal nicht ändern kann. Ohne Erfolg, bis ich angefangen habe, zu bätschlern. Jetzt entrollt sich vor mir jeden Tag eine Welt voller komischer Dinge, die ich nicht ändern kann und ich lerne, den Energiesparmodus anzuwerfen, bis es wieder etwas gibt, wofür es sich lohnt, eine Schlacht vom Zaun zu brechen, die auch eine Chance auf einen glorreichen Sieg hat. Ich glaube, man nennt das Anpassungsfähigkeit. Anpassungsfähigkeit ist wichtig, wenn man nicht jeden Tag sein ganzes Pulver schon vor der zweiten Zigarette in 5 inneren Duellen verschossen haben will, ohne, dass irgendwer irgendwas davon hat.
Damit hängt dann auch der meiner Meinung nach größte Gewinn eines Studiums zusammen. Man wird eine Meisterin des Reframings. Man lernt, das Gute in den Dingen zu sehen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht danach aussehen, als gäbe es auch nur ein einziges gutes Haar an ihnen. Komilitonen, denen nicht klar ist, dass sie nicht der Dozent sind und die deshalb 300 Leute mit einem zehnminütigen Monolog über die janusgesichtige Dialektik der sozialen Moderne beglücken, sind keine Plage, sondern eine liebevoll drapierte Aufforderung, sich einfach nicht alles bieten zu lassen. Humboldt war eigentlich ein Schamane und mit ein wenig gutem Willen findet man auch an 50 Seiten Theodor Abgrund Adorno etwas, das das eigene Leben auf eine Art bereichert.
Ich studiere gern 🙂

Ma Baker

Ein Gedanke zu „Lernen für’s Leben

  1. Hey Ma, herzlichen Glückwunsch zum 100. Artikel (der im Übrigen großartig ist)! Außerdem haben wir voll unseren 2. Geburtstag verpasst. Darauf gehen wir jetzt erst mal frühstücken. Bis gleich, l’aktuelle

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