Von Schimmel und der Freiheit, einfach immer wieder den gleichen Mist zu machen

Beim Blick in den Kühlschrank heute morgen starrte mich eine sich langsam grünlich verfärbende Masse vorwurfsvoll aus dem obersten Regal an. “Mein Gott, was bist du denn,” fragte ich erschrocken. Die Antwort kam schnell und mit einem zutiefst beleidigten Unterton. “Ich bin der Käse!” Ein dicker Kloß formte sich in meinem Hals und bevor ich diesen erfolgreich hinunterschlucken konnte fuhr die Stimme aus dem Kühlschrank fort: ” Der VERDAMMT – TEURE – KÄSE!” Jedes einzelne Wort kam angeschossen wie ein Kreuzigungsnagel und traf einen verwundbaren Punkt irgendwo tief in meinem Stimmungsgefüge. Einer meiner zahlreichen Verdrängungsgeneratoren ging in die Knie und ich erinnerte mich. Wir hatten den wirklich teuren Käse (und zwar ziemlich viel davon) am Ende unseres Urlaubs gekauft, um verschiedenen Leuten etwas davon mitzubringen. Weil wir ja so nett sind. Bedauerlicherweise hat nicht ein Stück davon unseren Kühlschrank seit 2 Wochen verlassen. Es blieb bei der hübschen Idee. Gut gemeint, aber echt mal nicht gut gemacht. Soviel zum Faktor Mensch Teil eins: Käse vergammelt – echt blöde Sache – fertig. Richtig spannend wird es dann bei Teil zwei: Schlechtes Gewissen und der absurde Versuch der Wiedergutmachung! Weil der Käse ja so teuer war kann man ihn jetzt unmöglich wegwerfen. Also läßt man ihn, wo er ist und schaut ihm jeden Tag beim Grünerwerden zu. Und fühlt sich ein bißchen schlecht und dann auch wieder ein bißchen gut, weil man ihn ja noch nicht weggeworfen hat und damit noch keinerlei endgültige Tatsachen geschaffen sind. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht geht der Schimmel ja in eine spontane Remission, das tun Tumore hin und wieder auch, weiß die Krankenschwester. Doch eine unheilvolle Parallele zieht sich von der Käsesituation zu der Sache mit den Hühnerherzen letzten Sommer (Wunderbra berichtete). Es wird keine Wunderheilung geben, ich weiß es. Trotzdem lasse ich den Käse nochmal  für ne Woche weitersiechen. Wir sind damit endgültig in der schrägen Welt des schlechten Gewissens angekommen. Um mit meiner Scham über dieVerschwendung von Lebensmitteln (in Uganda verhungern immerhin Kinder) irgendwie klarzukommen, vollziehe ich einfach einen Akt der

Bild: Hühnerauge, Lizenz: CC

Selbstquälerei. Ich lasse es zu, daß der Schimmel gewordene moralische Zeigefinger jeden Tag mehrmals anklagend auf mich zeigt und dann fühl ich mich wieder ein bißchen schlecht und je besser das mit dem Schlechtfühlen klappt, desto erleichterter  bin ich hinterher. Früher gab es für solche Gelegenheiten Bußgürtel, mit denen man sich Schmerzen zufügen konnte, wann immer das innere Gleichgewicht danach verlangte. Heute quälen wir uns mit dem Gestank von vergammeltem Käse. Und es geht uns wunderbar schlecht damit und wir können es sogar ein wenig genießen. Schuldgefühle sind die überflüssigsten Gefühle, die es auf dieser Welt gibt, aber sie haben einen Vorteil. Ein richtig gut zelebriertes schlechtes Gewissen hält zuverlässigdie Hintertür auf, und auf der steht groß:

Das nächste Mal mach ich’s vielleicht einfach wieder!

Ma Baker

Ein Gedanke zu „Von Schimmel und der Freiheit, einfach immer wieder den gleichen Mist zu machen

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