Der Albtraum nach Weihnachten

Nach maximal lässigen Feiertagen in Neukamerun streckt uns die Realität zurück in Lingendingen erbarmungslos zu Boden. Als erstes geben die Wasserrohre in unserem Mehrfamilienhaus den Geist auf, literweise ergießt sich über die einst von Dr. Sprite und Santa Claus geerbte Traditionsspülmaschine Dreckbrühe in Küche und Wohnzimmer. Ich organisiere den zuständigen Klempnernotdienst, der Retter naht bald, ich schicke ihn unter die Spüle. Als nächstes gibt Hotti den Geist auf, sie läuft zwar nicht aus, dafür klappt ihr Kreislauf zusammen, sie bekommt hohes Fieber und klagt über Halsschmerzen und Übelkeit. Ich schicke sie mit dem neuen MP3-Payer aufs Sofa, Lotti schreit, ihr sei langweilig und sie wolle jetzt The Nightmare before Christmas schauen, gedanklich schicke ich sie auf den Mond. Für meinen Geschmack ist der Albtraum nach Weihnachten schon jetzt perfekt, aber Kinder haben ja eine ganz eigene Vorstellung von Wahnsinn.

Ölverklebte Wasservögel verenden in meiner Küche

Jetzt meldet sich der Heilsbringer in der Küche mit seiner Diagnose zu Wort. Er verkündet, dass über all die Jahre Öl, Fett, Essensreste und sonstiger Schlonz die Wasserrohre im Haus verstopft haben, so dass sich das Abwasser der oberen vier Stockwerke ab heute aufgrund des Rückstaus durch meine Spülmaschine Bahn bricht. Mit einer sieben Meter langen Metallspirale bohrt der Gute den Schlonz aus den Leitungen, allerdings ohne einen Eimer unterzustellen, schwallartig schießt die klebrige, teerähnliche Masse aus dem Rohr in meine Küche. Vor meinem inneren Auge erscheinen sterbende Wasservögel, die einer Ölpest zum Opfer gefallen sind. Lotti schreit, sie wolle jetzt den Film sehen.

Das Gerät ist zu kurz

Nach zwei Stunden jammert der Klempner, sein Gerät sei leider zu kurz, er schicke morgen den Kollegen mit dem längeren Gerät vorbei. Er tut mir leid, ich denke, für einen Mann und Handwerker ist es nicht schön, Derartiges einzugestehen. Deprimiert zieht er ab. Lotti schreit, sie wolle verdammt noch mal jetzt den Film sehen, Hottis Fieber überschreitet mittlerweile die 39°-Celsius-Marke, sie sieht inzwischen selbst aus wie die Hauptfigur in Tim Burtons Weihnachtsgruselfilm. Da wir uns jedoch im infrastrukturellen Vakuum zwischen den Jahren befinden, haben sämtliche Lingendinger Kinderarztpraxen geschlossen, und die diensthabende Notärztin ist derart mit kollabierenden Erwachsenen überlastet, dass sie uns unmöglich konsultieren kann. Also lagere ich Lotti zu einer Freundin aus und fahre zwanzig Kilometer über Land zum nächsten Kindernotdienst, wo wir uns während zwei Stunden Wartezeit etwa fünfzig neue Krankheitserreger einkaufen. Wir tauschen mit Streptokokken, Hotti hat Scharlach. Damit sind Lottis Kindergeburtstag übermorgen sowie die geplante Silvesterparty gestorben. Als ich spätabends Lotti von der vermutlich nun ebenfalls infizierten Gastfamilie abhole, schreit sie, sie wolle noch heute Abend den Film sehen. Ich traue mich nicht, sie über die gestrichenen Festivitäten zu informieren.

Endlich: Praxisgebühr entfällt!

Am nächsten Tag habe ich Hals- und Kopfschmerzen und bin schlapp, Lotti ist übel. Der Klempnerkollege mit dem längeren Gerät kommt und veranstaltet eine neuerliche Ölpest in meiner Küche. Als er geht, ist das Wasserrohr wieder frei und die Spülmaschine kaputt. Dafür tropft es nun auch unter der Spüle. Hotti vegetiert weiter mit dem MP3-Payer auf dem Sofa vor sich hin und verteilt Streptokokken, Lotti ist bleich, will aber trotzdem den Film sehen und ich weiß nicht, ob ich töten oder sterben will. Ich entscheide mich für einen Kompromiss und verdonnere den Hotti-Lotti-Papa dazu, gefälligst den Geburtstagskuchen für seine Zweitgeborene zu übernehmen. Abends schauen wir den Film, Lotti findet ihn doof.

Am Tag vor Silvester sitzt ein in Tränen aufgelöstes Geburtstagskind vor einem geschmückten Tisch ohne Kuchen, Vater und Gäste. Lotti wird süße sieben, der HLP hat mit dem Kuchen verschlafen, wir alle sind krank, so einen bescheuerten Geburtstag hat es im Hause aktuelle selten gegeben. Und am letzten Tag dieses glorreichen Jahres hat dann schließlich doch noch die diensthabende Notärztin ihren großen Auftritt bei uns, sie überreicht uns zwei Rezepte für Antibiotika und sagt, dass es ihr herzlich leid tue, aber heute müsse sie uns noch die zehn Euro extra Notarzt-Praxisgebühr berechnen. Ab nächstem Jahr komme sie dann kostenfrei. Da bin ich aber froh.

6 Gedanken zu „Der Albtraum nach Weihnachten

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  2. Werte Ma, werte Dr. Sprite!
    1. Nein, mit Weihnachten ist das Jahr noch lange nicht zu Ende, da kann es noch mal richtig zeigen, was es drauf hat! 2. Ja, vor meinem geistigen Auge ziehen nicht nur Palmen, Strand und Longdrinks vorüber, sondern auch rosarote Büroräume mit glitzernden KollegInnen, die sich NIE streiten und mir auch NIE sagen, dass ich an allem schuld sei, und die sich morgens die Zähne ganz alleine geputzt haben. So viel zur Verdrängung. Als knallharte Realistin und Frau der Tat habe ich allerdings nach der finalen häuslichen Volleskalation am gestrigen Tage heute drastische Maßnahmen zu meiner Stabilisierung eingeleitet:

    1. Ich habe die Brut zum HLP ausquartiert, soll er sich mit ihnen rumschlagen. Ob ich sie alle hier noch mal rein lasse, weiß ich noch nicht.
    2. Ich habe die Brut bei der Betreuung für die Faschingsferien angemeldet. Den HLP wollten sie leider nicht nehmen.
    3. Die ganzen entzückenden Kinderbildchen in meinen vier Wänden fliegen raus, ich werde mindestens räuchern, wenn nicht voodooen.
    4. Ich lasse den Klempner (den mit dem kleinen Gerät) noch mal antanzen, der soll gefälligst die Spüle fixen.
    5. Ich werde die Hauseigentümer heimsuchen, die sollen gefälligst für die neue Spülmaschine blechen.
    6. Ich werde nachher Kaffee trinken gehen, zu einer Freundin, ganz alleine, und dann rauche ich ganz viele Zigaretten!!!
    Danach sollte ich 7. auch wieder zu einem Radler mit Ihnen, werter Ma, in der Lage sein!

    Für weitere Anregungen im Sheng-Fui-Terrorcamp bin ich ebenso offen wie verbunden.

  3. Erwäge gerade diese These: Das häusliche Leben setzt dir gerade derart übel zu, damit du nächste Woche wirklich frohen Gemutes den grauen Büroalltag enterst und alles rosarot und toll findest.

  4. Liebe aktuelle
    Mit Weihnachten ist das Jahr offensichtlich noch nicht zu ende, auch wenn man das vorher fleißig glaubt. Von diesem Ausgangspunkt am Ende des alten Jahres kann das neue ja nur besser werden.
    Beste Genesungs- und Aufwärtswünsche
    Ma

  5. Ja, das längere Gerät. …So etwas Schönes könnte man sich nie ausdenken, solche Dinge schreibt allein das Leben….

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