Waterloo

Abfahrt ins Nordhaus!

In einer Leistungs-gesellschaft wie der unseren unterliegen gesellschaftliche Festi-vitäten wie Geburtstage, Weihnachten, Ostern und bald vermutlich auch der Buß- und Bettag streng dem Leistungsdiktat und müssen entsprechend erfolgreich und dynamisch, mindestens aber glücklich und harmonisch begangen werden. Das gilt natürlich erst recht für Silvester. Unter einer knackig-krachenden Fete mit 100 gutgelaunten Leuten, einem exklusiven Urlaub in einem exotischen Feriendomizil oder auch einem gediegen-idyllischem Jahreswechsel auf irgendeiner Waldlichtung mit Lagerfeuer und entferntem Feuerwerk am Horizont läuft gar nichts. Wer das nicht auf die Reihe bekommt, ist ein Versager.

Ich habe versagt

Umso mutiger zuzugeben, wenn ein Fest, nennen wir es aus gegebenem Anlass Silvester, so richtig in die Hose geht. Um einem meiner Lieblingsmottos (Jeden Tag eine mutige Tat) auch 2010 die Treue zu halten, beginne ich dieses blütenreine, taufrische und erfolgversprechende neue Jahr mit dem Bekenntnis, dass der hinter mir liegende Jahreswechsel mit Abstand der katastrophalste und erfolgloseste meines bisherigen Silvester-Lebens war. Ein Desaster.

Das kam so: Ich hatte Hotti und Lotti erfolgreich zu ihrem Vater organisiert, um mal wieder ein Silvester richtig abfeiern zu können. Dabei hatte ich leider übersehen, dass sich sämtliche meiner FreundInnen ebenfalls erfolgreich wegorganisiert hatten: zum Hops-Kurs nach Bayern, mit Freunden nach Italien (2x), zur Schwitzhütte nach Buxtehude, mit Schnucki zu Kollegen und der Rest „ganz gemütlich zu Hause mit der Familie“. Super Sache. Macht nichts, denke ich, Du bist groß, Du bist erwachsen, Du bist mutig und zu allem entschlossen, gehst Du eben alleine tanzen. Zur Silvesterparty ins Nordhaus, einer beliebten Kulturstätte mit Tanz und Kneipe. Dort triffst Du vermutlich eh Hinz und Kunz, Abfahrt!

Ein Obdachloser steht vor mir: Coole Frisur!

WEIT gefehlt. Ich treffe weder Hinz noch Kunz, sondern nur 150 20jährige und 20 150jährige inklusive mir. Das Flair einer Abi-Party. Um die Situation zu entemotionalisieren, bemühe ich mein Heilig-Abend-Mantra: Es ist einfach nur Donnerstag (nicht Silvester), und ich will einfach nur tanzen. Und um zwölf werde ich mich, dem Rat meiner weisen Freundin Giannini folgend, auf dem Klo verbarrikadieren und danach weitertanzen.

Doch es kommt anders. Als ich mich um zwölf auf dem Klo verbarrikadieren will, bittet mich die Security freundlich, aber bestimmt in den Hof, sie schlössen jetzt ab, und zwingt mich, mir Horden von blendend gelaunten, glücklichen, knutschenden, sich in den Armen liegenden 20jährigen beim Silvesterfeiern zuzuschauen.

Es kann nur besser werden - oder?

Als ich denke, schlimmer kann es nicht mehr kommen, steht plötzlich ein 150jähriger Obdachloser vor mir und sagt: Coole Frisur! Schlimmer geht immer, auch 2010. Den Todesstoß versetzen mir schließlich drei Mädels eine Stunde später, indem sie mich in der Warteschlange vor dem Klo anstrahlen: Wir müssen gar nicht, gehen Sie ruhig vor! Frohes neues Jahr. Nach diesem Silvester kann es eigentlich nur besser werden – oder?

2 Gedanken zu „Waterloo

  1. Lieber Kollateralschaden!
    Vielen Dank für diesen heißen Tipp. Die Notaufnahme ist ja nicht nur super wegen potenzieller neuer Geschichten, sondern auch weil da keine Horden von aufdringlich-glücklichen Menschen herumspringen. Möglicherweise bleibe ich auch einfach zu Hause: ganz gemütlich, mit der Familie!
    die aktuelle

  2. Nächstes Jahr würde ich den Aufenthalt in der Notaufnahme eines größeren Krankenhaus empfehlen. Macht zwar nicht so viel Spaß wie tanzen, ist aber immer noch besser wie Fernsehen. Und es gibt Geschichten für ein Dutzend weiterer Artikel aufzuschnappen…

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