Luxus, verdammt!

Schade scheiße eigentlich, wenn sich die Realität mal wieder um Klassen schnöder gestaltet als das eigene rosaglitzer Wunschdenken und sich Superhelden bei näherer Betrachtung als Otto-Normal-Frösche mit allzu menschlichen Pferdefüßen entpuppen. Nun gut, man selbst ist zugegebenermaßen auch nicht Hello Kitty, und was ist schon normal, denn, wie die weise Whoopi Goldberg bereits anmerkte: „Normalität liegt im Auge des Betrachters.“ Jetzt sind sie also weg (WEG!) und ich bin wieder allein, allein, denn wir sind hier leider noch immer nicht bei Wünsch Dir was, sondern weiterhin bei So isses. Als entscheidenden Vorteil bei wiederholter Herzscheiße gilt es festzuhalten, dass die einstige Angst, auf der Stelle zu verrecken, sich im Laufe der Jahre als unbegründet erwiesen hat, denn Herzen kann man erstens reparieren, und zweitens verfügt man mittlerweile neben einer gewissen Routine auch über ein nicht unerhebliches Repertoire an Gegenmaßnahmen. Wir machen das hier ja nicht zum ersten Mal.

Kopf hoch, sonst fällt die Krone runter

So ist es einmal mehr an der Zeit, die Contenance zu wahren, sich mit Bergen von Schnapspralinen vollzustopfen, tonnenweise Schmuck zu shoppen, den ortsansässigen Baumarkt leerzukaufen, das eigene Schlösschen mit Brimborium aufzuhübschen, Abende lang stupide Glitzerkringel an die Klowände zu pinseln, dabei viel ABBA, Bier und Zigaretten zu konsumieren und mit Freundinnen kilometerlange Youtube-Playlists zu erstellen, schließlich ist Liebeskummer immer noch Luxus und großes Kino, verdammt. In diesem Zusammenhang sind Horny Tawny, Mr. Matrix und ich im Supermarkt unseres Vertrauens übrigens auf, jawohl, die Pralinenedition von Harald Glööckler gestoßen, die folgerichtig den Namen „Pralinöös“ trägt mit dem Untertitel „Jede Frau ist eine Prinzessin. Und so sollten Sie sich auch fühlen“. Stilblüten des Kapitalismus. Unbedingt Erwähnung finden sollten an dieser Stelle nicht zuletzt auch der Elektroswinger Parov Stelar, sein extrem hotter Catgroove sowie ein sehr begabter junger Mann mit Gummibeinen, welche Dr. Sprite, Horny und ich inzwischen als musikalisches Koffein in Reinform einsetzen und die Horny im Übrigen ekstatisch Britney Spears‘ Zeilen „Don’t you wanna dance upon me?“ zitieren ließen. Und danach bitte auf mir!

Wie gesagt, Herzscheiße gilt es zu zelebrieren, und zwar nach Strich und Faden und mit dem gebührenden Pathos und Glamour. Ebenso arschcool wie konsequent wäre es in diesem Kontext auch beispielsweise, sein Ehebett in mannshohen Lagerfeuern zu verbrennen oder das Schaufenster im eigenen Haus an einen Leichenbestatter zu vermieten. Aber wer macht schon so was?

Plötzlich Scheidungskind

Man soll die Leute ja nicht unterschätzen, am wenigsten die eigenen Eltern. Als ich am Samstagmorgen nach einigen Wochen mal wieder meine Mutter anrufen wollte, um mich aus einem unsäglichen Urlaub an der französischen blauen Küste zurückzumelden, war da unter der alten Nummer plötzlich nicht mehr der normale Telefonanschluss eben meiner Mutter, sondern die Mailbox meines Vaters. Weil ich den schon seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen habe, legte ich auf, leicht irritiert, aber nicht alarmiert. Als ich dann eine Stunde später zum Briefkasten schlappte, lag da ein blauer Brief meiner Mutter, in dem sie mir mitteilte, dass sie vor einigen Wochen bei meinem Vater ausgezogen sei und dass sie nun in der Kurzstr. 88 wohne, die aber immer noch die gleiche Postleitzahl habe. Ah ja. Ich meine, die Nichtänderung der Postleitzahl finde ich jetzt nicht ganz so gravierend, den Auszug meiner Mutter dann schon eher, zumal es bei unserem letzten Gespräch wenige Wochen zuvor zwar um Hotti, Lotti, den Garten, Autos und das Leben als solches ging, nicht aber um neue Wohnungen und größere Lebensveränderungen.

Das Ganze traf mich auch insofern ein bisschen unvermittelt, weil ich mir seit 36 Jahren den Mund fusselig rede, dass Trennungen unter gewissen Umständen durchaus von Vorteil, und zwar für alle Beteiligten, sein könnten, und ich mir mit meinem altklugen Dahergequassel in dieser Familie nicht besonders viele FreundInnen gemacht habe. Und dann, mal eben so ein kleiner blauer Brief, Kurzstr. 88, gleiche Postleitzahl, soso, nach 38 Jahren das elterliche Ehe-Aus. Da wird man ja als Kind plötzlich stockkonservativ und superegoistisch und denkt Sachen wie: Nach all den Jahren?? Oder: Und ICH?! Nicht, dass man sich als 36jähriges Scheidungskind noch Sorgen macht, ob man jetzt alle zwei Wochenenden beim Papa ist, den Hamster behalten darf und am Ende noch die Schuld an der Scheidung trägt oder so, nein, aber wenn man sein Leben lang hart an einer Identität als schwarzem Familienschaf mit notorischem Hang zum Therapieren und Rebellieren gearbeitet hat, dann steht man auf einmal doof da, so ohne Aufgabe. Man braucht nicht mehr zu sagen, dass die Eltern sich nicht guttun, dass man heutzutage doch als Frau in unseren Breitengraden für eine Scheidung nicht mehr gesteinigt wird, dass die Kinder (ich) jetzt schließlich groß seien, mehr oder weniger, und dass man das Ganze anstrengend finde, wollte ja eh noch niemand hören. Man braucht nichts mehr besserzuwissen, man muss niemandem mehr auf die Nerven gehen, man kann einfach die Klappe halten und die Leute machen lassen. Ganz in Ruhe. Vielleicht wissen sie ja am Ende doch, was sie tun. Und wenn man mich hier als Berufstrotzkopf und Schwarzschaf nicht mehr braucht, dann suche ich mir halt einen anderen Job. Nur welchen? Vorschläge gerne wie immer an die wunderbra-Redaktion.

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Latte Leben

Neulich habe ich in einem Artikel der TAZ folgendes gelesen: Wenn man in ein StarZack Cafe geht und dort 87.211 Sorten Kaffee zur Auswahl hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß man wie immer ne Latte nimmt sehr viel höher, als wenn man nur 5 Sorten zur Auswahl hat. Ein Überangebot an Wahlmöglichkeiten scheint sich negativ auf die Bereitschaft, mal was Neues auszuprobieren, auszuwirken. Was ziemlich blöde ist, denn wenn ich mich vor 87.211 Sorten Kaffee derartig erschrecke, daß ich meine Latte wie immer zum Anlehnen brauche, um Überleben zu können, was zum Geier will ich dann mit 87.211 Sorten Kaffee? Das einzige, was die eine halbe Bibliothek füllende Karte bewirkt ist, daß ich dann mit meiner Latte wie immer dasitze und damit auch nicht zufrieden bin, weil ich ja die anderen 87.210 Varianten verpaßt habe. Und vielleicht ist da was viel Leckereres drunter. Am Ende bin ich ein langweiliger Mensch? Ein Spießer, der nur noch aus Dingen besteht, die schon immer so gewesen sind? Mein letzter Gedanke auf meinem Sterbebett wäre womöglich: Hätte ich doch einmal was anderes gesoffen als Latte! Man sieht, auch ein unschuldiger Abstecher in ein Cafe eignet sich bestens zum Auslösen einer Midlifecrisis. Zugegeben, Probleme bei der Auswahl des richtigen coffeinhaltigen Heißgetränks sind jetzt ein vergleichsweise kleines Desaster. Aber es liegt die Vermutung nahe, daß es uns mit größeren Vorhaben in unserem Leben nicht anders geht. Fragen nach beruflicher Weiterentwicklung steht ein sintflutartiger Möglichkeitsstudel gegenüber. Was soll ich nur machen, wenn ich doch sovieles könnte??! In Starre verfallen und ne Latte bestellen! Die Anzahl der Menschen, die von dieser chronischen Hirnerstarrung betroffen sind steigt täglich, weshalb wir der Meinung sind, daß dieses Phänomen einen eigenen Namen verdient. Wir nennen es das Freedom Overkill- kurz FOKS-Syndrom. Betroffen sind vor allem junge Erwachsene bis etwa 40 Jahre. Hauptsymptome sind mentale Bewegungslosigkeit und eine typische Unausgewogenheit der Gedankeninhalte. Man befaßt sich zu ca. 2% damit, was man tun könnte und zu etwa 98% damit, was man alles gerade verpaßt. Absurderweise herrscht darüber hinaus in unseren Köpfen immernoch das Denken vor, daß man von A nach B mit Hilfe einer Geraden zu kommen hat. Aber wie bitteschön kriegt man diese Vielfalt an Auswahl in eine Gerade? Das geht höchstens mit Latte, Latte, Latte! Oder doch nicht, weil man dann garnicht vorwärts kommt. Viel Auswahl und ein zügiges geradliniges Vorankommen scheinen nicht gut zusammen zu gehen. Und nachdem wir gegen Vielfalt eigentlich nichts haben empfehlen wir allen FOKS-Betroffenen, an ihrer Vorstellung von Zielstrebigkeit zu arbeiten. Zur Illustration haben wir unten 2 Skizzen  angeführt. Bitte betrachten Sie erst die eine und achten dabei auf die Gefühle, die in Ihnen dabei entstehen. Und dann wenden Sie sich der anderen zu und beobachten ebenfalls, was das Bild in Ihnen auslöst.

Bleiben Sie jetzt ganz bei sich und dem zweiten Gefühl, lassen Sie es richtig groß werden in Ihrem Inneren und trinken Sie von nun an soviel und solange Latte, wie Sie möchten. Sie verpassen nichts!

Ma Baker

War’s das jetzt?

Die lieben Kleinen.

Früher dachte ich, wenn ich mal groß bin, habe ich zwei süße kleine Kinderchen, arbeite in einer Bücherei, fahre ein lustiges Schrottauto und führe ein spaßiges, wenn auch chaotisches Leben, in dem ich hektisch, aber glücklich zwischen Job und Familie pendle und mich beim einen vom anderen erhole. Ich hatte Respekt vor den meisten Erwachsenen und der Arbeitswelt und stellte mir vor, dass alles irgendwann einen Sinn ergebe. Kurz, ich dachte: Später wird alles besser.

Heute habe ich Hotti und Lotti, zwei entzückende kleine Kinderchen, die glauben, ich sei groß, und die mir jeden Tag den wirklich allerletzten Nerv rauben, von dem ich dachte, den hätten sie mir bereits gestern zerrüttet, befülle eine Online-Bibliothek mit medienpädagogisch wertvollen Texten, fahre einen weniger lustigen als betagten Kleinwagen und führe ein einigermaßen strukturiertes, aber äußerst hektisches Leben, das ich zu großen Teilen auf der Bundesstraße 12745637392 verbringe, wo ich mich wiederum von meinem Job und meiner Familie erhole. Ich bin dabei, den letzten Rest Respekt vor den so genannten Erwachsenen zu verlieren, und auch die Berufswelt finde ich nur mäßig witzig.

Drama statt Rama

Das bisschen Haushalt? Kein Problem!

Früher unterstellte ich gestressten Müttern Missmanagement und eine überzogene Anspruchshaltung, Mutter-Kind-Kuren waren etwas für Weicheier. Außerdem fand ich, dass Mütter mehr Quatsch mit ihren Kindern machen und sich generell mehr von ihrem Partner verwöhnen lassen sollten. Vor Augen hatte ich: Blühende Landschaften des Familienlebens, das Rama-Idyll auf der Sommerwiese. Heute winde ich abends Adventskränze mit einer Freundin, an deren Namen ich mich vage erinnern kann, räume spätabends die Spülmaschine aus, hetze frühmorgens mit dem Gelben Sack drei Stockwerke die Treppe runter, und unter perfekt läuft gar nichts. Ich habe alle zwei Wochenenden kinderfrei und will pausenlos zur Kur. Wenn eins meiner Kinder mit mir Quatsch machen will, nehme ich schreiend Reißaus. In echt habe ich: die Nase voll.

Ist das jetzt der scheiß November, die Midlife Crisis, der super Kapitalismus oder einfach nur die schnöde Realität? Und geht das jetzt immer so weiter?!

Fragt sich und Euch
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Waterloo

Abfahrt ins Nordhaus!

In einer Leistungs-gesellschaft wie der unseren unterliegen gesellschaftliche Festi-vitäten wie Geburtstage, Weihnachten, Ostern und bald vermutlich auch der Buß- und Bettag streng dem Leistungsdiktat und müssen entsprechend erfolgreich und dynamisch, mindestens aber glücklich und harmonisch begangen werden. Das gilt natürlich erst recht für Silvester. Unter einer knackig-krachenden Fete mit 100 gutgelaunten Leuten, einem exklusiven Urlaub in einem exotischen Feriendomizil oder auch einem gediegen-idyllischem Jahreswechsel auf irgendeiner Waldlichtung mit Lagerfeuer und entferntem Feuerwerk am Horizont läuft gar nichts. Wer das nicht auf die Reihe bekommt, ist ein Versager.

Ich habe versagt

Umso mutiger zuzugeben, wenn ein Fest, nennen wir es aus gegebenem Anlass Silvester, so richtig in die Hose geht. Um einem meiner Lieblingsmottos (Jeden Tag eine mutige Tat) auch 2010 die Treue zu halten, beginne ich dieses blütenreine, taufrische und erfolgversprechende neue Jahr mit dem Bekenntnis, dass der hinter mir liegende Jahreswechsel mit Abstand der katastrophalste und erfolgloseste meines bisherigen Silvester-Lebens war. Ein Desaster.

Das kam so: Ich hatte Hotti und Lotti erfolgreich zu ihrem Vater organisiert, um mal wieder ein Silvester richtig abfeiern zu können. Dabei hatte ich leider übersehen, dass sich sämtliche meiner FreundInnen ebenfalls erfolgreich wegorganisiert hatten: zum Hops-Kurs nach Bayern, mit Freunden nach Italien (2x), zur Schwitzhütte nach Buxtehude, mit Schnucki zu Kollegen und der Rest „ganz gemütlich zu Hause mit der Familie“. Super Sache. Macht nichts, denke ich, Du bist groß, Du bist erwachsen, Du bist mutig und zu allem entschlossen, gehst Du eben alleine tanzen. Zur Silvesterparty ins Nordhaus, einer beliebten Kulturstätte mit Tanz und Kneipe. Dort triffst Du vermutlich eh Hinz und Kunz, Abfahrt!

Ein Obdachloser steht vor mir: Coole Frisur!

WEIT gefehlt. Ich treffe weder Hinz noch Kunz, sondern nur 150 20jährige und 20 150jährige inklusive mir. Das Flair einer Abi-Party. Um die Situation zu entemotionalisieren, bemühe ich mein Heilig-Abend-Mantra: Es ist einfach nur Donnerstag (nicht Silvester), und ich will einfach nur tanzen. Und um zwölf werde ich mich, dem Rat meiner weisen Freundin Giannini folgend, auf dem Klo verbarrikadieren und danach weitertanzen.

Doch es kommt anders. Als ich mich um zwölf auf dem Klo verbarrikadieren will, bittet mich die Security freundlich, aber bestimmt in den Hof, sie schlössen jetzt ab, und zwingt mich, mir Horden von blendend gelaunten, glücklichen, knutschenden, sich in den Armen liegenden 20jährigen beim Silvesterfeiern zuzuschauen.

Es kann nur besser werden - oder?

Als ich denke, schlimmer kann es nicht mehr kommen, steht plötzlich ein 150jähriger Obdachloser vor mir und sagt: Coole Frisur! Schlimmer geht immer, auch 2010. Den Todesstoß versetzen mir schließlich drei Mädels eine Stunde später, indem sie mich in der Warteschlange vor dem Klo anstrahlen: Wir müssen gar nicht, gehen Sie ruhig vor! Frohes neues Jahr. Nach diesem Silvester kann es eigentlich nur besser werden – oder?