Winterblues

Die Leute können einfach nicht mehr.

Ist dieser Winter ätzend. Nie kam mir ein Winter auch nur ansatzweise so laaaaaaaaang, so troooostlooooooos und so äääääätzend vor wie dieser. Er ist definitiv der Schlimmste, an den ich mich erinnern kann, nicht objektiv wegen ungewöhnlich häufig auftretender Schneestürme, Lawinenunglücke und ähnlicher Katastrophen, nein, rein subjektiv. Plötzlich verstehe ich, warum die Menschen vor allem im Winter sterben, warum sie sich vor allem im Winter das Leben nehmen, und warum sie vor allem gegen Ende des Winters komplett durchdrehen, nämlich an Fasching. Pure Psychohygiene. Sinn und Zweck dieses seltsamen Festes hatten sich mir bis heute nie erschlossen, rein verstandesmäßig schon, Winter austreiben und so, aber so richtig war der Groschen nicht gefallen. Bisher wertete ich dieses Ritual als wilden Ausdruck eines primitiven Mittelalteraberglaubens, jetzt denke ich: Die Leute können einfach nicht mehr!

Der Osterhase steht noch lange nicht vor der Tür.

Die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Ostern ist einfach zu lang, um sie psychisch unbeschadet durchzustehen. Weihnachten ist gefühlte Ewigkeiten her, der Osterhase steht noch längst nicht auf der Matte, draußen ist es nass, kalt und ekelhaft, man möchte endlich wieder ohne hochgezogene Schultern, blaugefrorene Lippen, fünf Lagen Kleidung und Mundwinkel wie unsere Kanzlerin herumlaufen und sehnt sich nach Leben, Lust und Leichtigkeit, nach Jubel, Trubel, Heiterkeit, ja sogar nach der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft.

Man ist fett, unzufrieden und unbeweglich

Man ist fett gefressen von Weihnachten, unzufrieden mit der eigenen Nichtbewegung und entsprechendem Nichtkörpergefühl, man erträgt das Pisswetter nicht mehr, zu Hause fallen einem die Kinder und die Decke auf den Kopf, vom Eise befreit sind Strom und Bäche noch lange nicht, vielmehr hängen einem Schnee, Matsch und Eis zum Hals heraus. Das Auto springt wegen der Kälte nur sporadisch an, das Autoradio mittlerweile ebenfalls, die Bundesstraße 12784563, auf der ich einen Großteil meines Lebens verbringe, um zur Arbeit zu gelangen, ist mit seinen zugeschneiten Kerosinkohlfeldern noch deprimierender als ohnehin schon, mein vorderes rechtes Licht ist kaputt, ich muss zum Baumarkt oder zur Tankstelle und eine neue Glühbirne kaufen, aber das ist wieder etwas anderes.

Helau!!

Die Kinder hauen einem bereits morgens Schneeanzüge und gefütterte Matschhosen um die Ohren, weil sie im dünnen Sommerkleidchen in den Kindergarten wollen, ja glauben die denn, ich hab mir die Scheiße ausgedacht?? Wenn das so weitergeht, sehe ich mich zu Fasching als kreischendes Funkenmariechen Krawatten abschneiden, Bonbons werfen und schunkelnd und zotenreißend über Tische springen. Helau!!

4 Gedanken zu „Winterblues

  1. Liebe KommentatorInnen!
    Ich bin beeindruckt – Winterdepressionen haben bis jetzt die größte Resonanz hervorgerufen, ein offensichtlich brandaktuelles Thema. Wenn ich zusammenfassen darf: FASNET besser weiträumig umfahren, stattdessen auf Nahrungsergänzungspräparate aus der nächstgelegenen Drogerie ein- und um sich werfen sowie Defizite aufpeppen. Letzteres gefällt mir besonders gut, es inspiriert mich 1. zur Teilnahme am vhs-Kurs Hütlebaschtln für Neigschmeckte, im übrigen mit meiner sehr verehrten Kollegin Frau Dr. Sprite ;), und 2. zu einem sagenhaften Eigenlob-Blog, der Euch in den nächsten Tagen mal zeigt, was ich sonst noch so alles drauf habe! Schnallt Euch an, da

  2. Liebe Aktuelle
    Ich würde die Winterdepressionstheorie noch um eine Dimension erweitern. In dieser finsteren Zeit fällt einem dann so richtig auf, was man so alles nicht ist. Zum Beispiel NICHTlustig, KEINPoet, KEINstarkerMann, NICHTsexy….! Und dann sucht man sich das entsprechende Kostüm, um sich auf der defizitären Seite etwas aufzupeppen. Man schlüpft in ein Ringelshirt, wird zum Clown und hat plötzlich Humor oder verwandelt sich in einen Gängsta und ist der große Macker. Als Büttenredner findet auch der unbegabteste Dichter eine Aufgabe und die über die Maßen aufreizend angezogenen Menschen können so tun, als würden sie sich auch so fühlen. Saufen und Schunkeln muß man dann, weil man die neue Rolle halt doch nicht so ganz ausfüllt, was aber keiner bemerken darf.
    Wenn man auf dieser Projektionsebene bleiben will stellt sich nur die Frage, was es mit diesen komischen spitz zulaufenden und glöckchenbehängten Hüten aufsich hat.

    der Doktor

  3. Theoretisch kann ich auch sehr gut verstehen, warum im Februar ein bisschen Froh- und Wahnsinn durchaus angemessen ist. Aber wie so oft sieht die Praxis anders aus und wenn ich die Wahl habe, 15-Jahre-Moschthexen-Piefingen in der örtlichen Mehrzweckhalle zu feiern oder weiter meine Winterdepression zu pflegen werde ich mich wie immer für Letzteres entscheiden. Und für Johanniskraut-Dragees.

  4. Liebe Aktuelle,

    als professioneller Besserwisser kann ich Dir nur raten: lass mal das Funkenmariechen zu Hause und das „Helau“ im Halse stecken. Sonst fühlst Du dich bald so fremd wie beim Jahresendfest der trinkfreudigen Abiturienten. Karneval ist nämlich im Einzugsgebiet der Kerosinkrautköpfe sehr verpönt. Als Schlachtruf empfehle ich „Narri – Narro“ und für alles weitere den Wikipedia-Eintrag der schwäbisch-allemanischen Fasnet.

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