Willkommen, Welcome, Bienvenue…

…ein neues Jahr erwartet Sie. So, mein Herz, ich und hoffentlich auch die britischen Synthiepopper von Hurts haben das alte Jahr überlebt und sind irgendwie im neuen angekommen, and we proudly present: 2011. Klingt jetzt noch nicht so wahnsinnig spektakulär, aber das kann ja noch kommen.

Mein Jahrestarot habe ich in Form des Keltischen Kreuzes vorgestern gelegt, insofern ist mein Jahr bereits gelaufen. Ich habe gezogen: den Gehängten, den Tod und den Mond (der ungefähr so ätzend ist wie der Gehängte und der Tod zusammen). Aber man soll ja nicht immer alles so schwarz sehen, schließlich hätte es noch schlimmer kommen können, ich hätte noch dazu den Turm, den Untergang und die Grausamkeit erwischen können, habe ich aber nicht, ich alter Glückspilz. Zusammenfassend lässt sich über das mir bevorstehende Jahr 2011 sagen: Ich werde innerlich und äußerlich steinreich, soll Altes abschließen, soll Altes abschließen und soll Altes abschließen. Darüber hinaus soll ich Altes abschließen, um frei zu sein für all die wunderbaren Dinge, die da auf mich zukommen. Immer vorausgesetzt, ich überlebe das alles.

„Meine Güte, Aktuelle!“

Meine Wachstumskarte für dieses Jahr ist „Der Wagen“, der im Übrigen auch meine Persönlichkeitskarte ist, am Ende komme ich möglicherweise doch noch irgendwie bei mir an. Passend dazu entfuhr es meiner Mutter neulich, als ich mich mal wieder über das Leben als solches, und welche Haken es doch immer wieder schlägt, wunderte: „Meine Güte, Aktuelle! Du bist jetzt 35 Jahre alt, Du müsstest doch langsam mal kapiert haben, wie dieses Leben funktioniert!!“ Mama! So energisch und entnervt ob meiner gelegentlichen Naivität und Fassungslosigkeit dem Leben gegenüber habe ich sie in den letzten 35 Jahren selten, wenn nicht gar nie, erlebt. Ich muss ihr wirklich auf den Keks gegangen sein oder sie hat sich aus irgendeinem Grund total vergessen. (Ich muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass meine Mutter die Zurückhaltung in Person und Contenance ihr zweiter Vorname ist.)

Zurück zu 2011: Wunderbra wünscht seiner stetig wachsenden Fangemeinde (es dürften inzwischen 10 sein) aus tiefstem Herzen ein großartiges, glückliches und wunderbrares neues Jahr!

die aktuelle

One of those days oder: Anna Chronismus

'Anachronism' von Gerhard Gepp, Lizenz: cc

Es fängt schon damit an, dass das Wochenende vorbei ist. Dann klingelt der Wecker und es liegen 10 Meter Tiefschnee, was zwar die bezaubernde Steilvorlage für einen romantischen Winterspaziergang mit dem Liebsten wäre, eine Autofahrt auf der 1234567 allerdings schlicht unmöglich macht, es sei denn, man hat 5 Thermoskannen Punsch, 13 Butterbrezeln, 4 Nusshörnchen, 25 Hörbücher, 30 Schlafsäcke und mindestens zwei Heizdecken dabei. Und einen Fernseher. Oder wenigstens mobiles Internet, was ich aber, als ich mir vor eineinhalb Jahren ein neues Handy kaufte, noch als völlig unnötigen Nerd-Schnickschnack erachtete und daher das einfachste und preisgünstigste Modell erwarb, mit dem man zwar ganz bodenständig telefonieren, Kurznachrichten verschicken und sich wecken lassen kann, dessen Unterhaltungsfaktor abgesehen von diversen Klingeltönen und Farbeinstellungen jedoch recht begrenzt ist, aber das führt jetzt zu weit.

Ich beschließe mit dem Fahrrad zum Bahnhof, von dort aus mit dem Zug in die Landeshauptstadt und von da weiter mit der U-Bahn zur Arbeit zu fahren, wobei es mich zunächst mitten auf der Straße aufs Glatteis legt und ich mir die Beine blau schlage, was mich nicht nur in Zeitnot, sondern auch in eine Riesenwut versetzt, ich DANN, nach 5 Minuten Schlangestehen, auf ein neues Fahrkartenautomatensystem stoße, bei dem ich mir in der Hektik dämlicherweise eine viel zu teure Fahrkarte rauslasse, aber immerhin, so dass ich es GERADE noch (7 Uhr 57!!!) auf das richtige Gleis schaffe. In dem Moment fährt der Zug ab. Ich bilde mir ein, die Leute hinter den Scheiben im davonfahrenden Zug über mich lachen zu sehen.

Wer war das?

Doch damit nicht genug, weil, wie wir spätestens seit dem letzten Silvester wissen, schlimmer geht immer. Auf der Arbeit angekommen möchte ich nur eins bzw. zwei: 1. Kaffee, 2. Arbeiten. In Ruhe. Ungestört. Ich möchte einfach nur meine Arbeit machen, aber aus irgendwelchen Gründen geht das seit Wochen schief, weil jedes Mal, wenn ich zu Wochenanfang mit dem bescheidenen Wunsch EINFACH NUR ZU ARBEITEN in mein Büro komme, eine andere Hiobsbotschaft auf mich lauert. Heute lauert sie in Form der Nachricht, dass aus dem Projekt, in das Frau Dr. Sprite, Mr. Sonic und ich seit elf Monaten Zeit, Energie und Herzblut pumpten und dessen Realisierung eigentlich zum Greifen nah war, schlicht: nichts wird. Schade Scheiße.

Wieder Zuhause: Rolladenschnur fatzt durch, Wohnzimmer jetzt halb dunkel, Lotti hat Halsschmerzen und kann morgen nicht in den Kindi (schwarzer Tag), Yoga fällt aus, Kehrwoche. Wer, zur Hölle, denkt sich solche Tage aus?

War’s das jetzt?

Die lieben Kleinen.

Früher dachte ich, wenn ich mal groß bin, habe ich zwei süße kleine Kinderchen, arbeite in einer Bücherei, fahre ein lustiges Schrottauto und führe ein spaßiges, wenn auch chaotisches Leben, in dem ich hektisch, aber glücklich zwischen Job und Familie pendle und mich beim einen vom anderen erhole. Ich hatte Respekt vor den meisten Erwachsenen und der Arbeitswelt und stellte mir vor, dass alles irgendwann einen Sinn ergebe. Kurz, ich dachte: Später wird alles besser.

Heute habe ich Hotti und Lotti, zwei entzückende kleine Kinderchen, die glauben, ich sei groß, und die mir jeden Tag den wirklich allerletzten Nerv rauben, von dem ich dachte, den hätten sie mir bereits gestern zerrüttet, befülle eine Online-Bibliothek mit medienpädagogisch wertvollen Texten, fahre einen weniger lustigen als betagten Kleinwagen und führe ein einigermaßen strukturiertes, aber äußerst hektisches Leben, das ich zu großen Teilen auf der Bundesstraße 12745637392 verbringe, wo ich mich wiederum von meinem Job und meiner Familie erhole. Ich bin dabei, den letzten Rest Respekt vor den so genannten Erwachsenen zu verlieren, und auch die Berufswelt finde ich nur mäßig witzig.

Drama statt Rama

Das bisschen Haushalt? Kein Problem!

Früher unterstellte ich gestressten Müttern Missmanagement und eine überzogene Anspruchshaltung, Mutter-Kind-Kuren waren etwas für Weicheier. Außerdem fand ich, dass Mütter mehr Quatsch mit ihren Kindern machen und sich generell mehr von ihrem Partner verwöhnen lassen sollten. Vor Augen hatte ich: Blühende Landschaften des Familienlebens, das Rama-Idyll auf der Sommerwiese. Heute winde ich abends Adventskränze mit einer Freundin, an deren Namen ich mich vage erinnern kann, räume spätabends die Spülmaschine aus, hetze frühmorgens mit dem Gelben Sack drei Stockwerke die Treppe runter, und unter perfekt läuft gar nichts. Ich habe alle zwei Wochenenden kinderfrei und will pausenlos zur Kur. Wenn eins meiner Kinder mit mir Quatsch machen will, nehme ich schreiend Reißaus. In echt habe ich: die Nase voll.

Ist das jetzt der scheiß November, die Midlife Crisis, der super Kapitalismus oder einfach nur die schnöde Realität? Und geht das jetzt immer so weiter?!

Fragt sich und Euch
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Der Unk und der Shaman

Ich weiß seit einer Weile schon, daß ich neben vielen anderen über eine äußerst vielschichtige Teilpersönlichkeit verfüge. Ich spreche von dem Teil, der immer mit hundertprozentiger Sicherheit das Schlimmste ( also ich meine wirklich DAS Schlimmste ) erwartet und kommen sieht. Der Teil, der friedlich in irgendeiner Bauchfalte schlummert und nur auf den Moment wartet, in dem man sich an irgendetwas Neues rantraut und was riskieren muß. Dann springt er aus seinem hinterhältigen Versteck und bläst sich und das ganze Szenario in Sekundenschnelle zu einem riesigen drohenden Desaster auf, bevor man “ Ich könnte ja vielleicht…“ zuende gedacht hat. Kommt irgendjemand das bekannt vor? Nun, nachdem man diese wilden Teilpersönlichkeitsgesellen nicht einfach los wird, indem man ihnen ihre Existenz ableugnet oder sich die Augen zuhält, bleibt nur eines: If you can’t beat them, join them! Man muß sich mit ihnen zusammentun, sie akzeptieren, erst dann gelingt es einem vielleicht, sie hin und wieder in ihre Schranken zu verweisen. Als Zeichen meines guten Willens habe ich meinem Berufspessimisten einen Namen gegeben. Ich nenne ihn liebevoll den Unk!

Bild: gonc._a, Lizenz:CC

Im Zuge meiner persönlichen und therapeutischen Weiterbildung habe ich mich nach längeren Umwegen durch verschiedene Hirnwindungen dazu entschlossen, an einem Seminar in der Schweiz teilzunehmnen, wo es um körperorientierte Heiltechniken geht, die aus einem schamanischen Hintergrund kommen. Der Unk hat genau die erste Silbe des Wortes schamanisch gebraucht, um aus seiner Bauchfalte zu hüpfen und mich mit Bildern von wallenden Gewändern, Seidenschals, Federn im Haar, ernsthaften Sprüngen in der Kosmosschüssel, Mantras mit klemmender Repeatfunktion und Armeen von Esofloskeln ( Na, du bist auch ganz schön im Prozeß, gell?) zuzuschütten. Der Unk meint, die wollen alle nur in meinen Herzensraum und dann Spirificken. Mit viel Geduld konnte ich ihn davon überzeugen, daß man sicher einfach mal schauen darf und einen niemand mit Gewalt zwingen wird, zu bleiben, wenn man doch nur seine Sachen packen und bei Nacht und Nebel türmen möchte. Woher er die Idee hat, daß Schamanen die ganze Zeit und immer wild durcheinander vögeln wollen, konnte er mir bisher auch nicht schlüssig erklären.
Wir haben uns also nach längeren Diskussionen angemeldet. Morgen geht’s los.
So ein Unk kostet manchmal ganz schön viel Kraft und Durchhaltevermögen. Andererseits hat er mich heute im Supermarkt daran erinnert, daß man auf keinen Fall zu vertrauensselig zu so einer Veranstaltung fahren darf. Am Ende ist das Haus irgendwo in der Wildnis. Genau, Schamanen wohnen doch nicht in der Stadt! Und schon garnicht neben einem Zigarettenautomat. Ich erinnere mich dunkel, daß ich bei einem vergleichbaren Seminar, das eine Woche ging, mindestens so verzweifelt wie trotzig mitten in der Nacht 5 Kilomter durch den Wald ins nächste Dorf marschiert bin, weil ich keine Zigaretten mehr hatte und überzeugt davon war, daß ich das ohne Kippen nicht durchstehe. Wir kaufen also vorsorglich eine Stange von unseren Lieblingsfluppen. Man weiß ja nie. Dann wirft der Unk die berechtigte Frage ein, ob ich mir denn sicher sei, daß es dort auch Kaffee und nicht nur Yogitee gäbe. Ich muß zugeben, daß ich mir nicht sicher bin. Wir wissen ja beide, wie das so ist mit mir ohne Kaffee. Also schnell noch das Instantmodell Kaffee eingeladen. Ach ja, und Milchpulver! Heißes Wasser werden se ja wohl haben. Schokolade? Ok, Kekse und Schokoriegel für den Notfall. Es gibt Momente im Leben, da kann man sich nicht mit einem Äpfelchen zufrieden geben. Und weil es ja in der Schweiz sicher kalt genug ist, nehme ich noch einen großen Pack Landjäger mit, kann ich ja dann auf dem Fensterbrett verstecken. Hat bei den Buddhisten vor zwei Jahren auch astrein funktioniert. Viellicht muß ich ja mein Krafttier oder mich mit irgendwas Vernünftigem füttern.
Unk sei Dank bin ich immer glänzend vorbereitet.

Ma Aura

Wie war die Woche, Liebling?

Es ist zwar erst Donnerstag, innerlich habe ich diese Woche allerdings bereits abgehakt und würde gerne zur nächsten übergehen. Zeit also für einen kleinen Rück- und Ausblick.

Montag: Tschüss Auto
Die Woche beginnt mit einer qualmenden und nach Schwefel stinkenden Autobatterie (vier Monate alt) und das einen Tag, bevor ich mit meinen werten KollegInnen Frau Dr. Sprite und Mr. Sonic zu einem Workshop im Siebenzwergegebirge fahren soll. Leider kann mir keiner der vier Autohelden, die ich zur Rettung von R2D2 (mein Auto, 17 Jahre alt) bemühe, spontan wirklich weiterhelfen. Die Ferndiagnosen reichen von Kurzschluss über Marder bis hin zum Lichtmaschinenregler. Mein Haus- und Hofmechaniker ist leider für die nächsten zehn Tage verhindert, also gibt mir eine Freundin die Nummer ihres Haus- und Hofmechanikers. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um denselben.

Dienstag: Ein Käfig voller Narren
Wir fahren also mit einem anderen Auto zum Workshop ins Siebenzwergegebirge. Offizielles Thema ist „Laubsägearbeiten – früher und heute“, aber darum geht es nicht. Man fragt sich, warum man sich inhaltlich vorbereitet hat und nicht psychisch und kampftechnisch. Der Raum ist voll von Profilneurotikern, die den Mund nicht zubekommen, das Seminar eine Plattform für lauter kleine Egomanen. Ich komme mir vor wie zu Hause: ICH!! Nein, ICH!! IIIIICH!!!!!! Willichnicht!!! Willnichtwillnichtwillnicht!!!!!!! Dagegendagegendagegen!!! Du bist sooo blöööd!! Ich mach nicht mehr mit!!!! 55jährige Männer, die sich aufführen wie Dreijährige, das ist nicht schön.

Mein persönlicher Tiefpunkt ist erreicht, als der Seminarleiter mich beiseite nimmt und fragt, ob diese Augen lügen könnten. Erschrocken drehe ich mich um, möglicherweise steht jemand neben mir, den ich übersehen habe, ich sehe aber niemanden, er muss meine Augen meinen, aber wieso sollten diese lügen können, mir ist der Sinn seiner Worte überhaupt nicht klar, also stammele ich eine Antwort, die irgendwo zwischen „Auf gar keinen Fall!“ und „Gar keine Frage!“ angesiedelt ist, und flüchte mich zu meinen KollegInnen in die Raucherecke (nachträglicher Vorsatz für 2010: Dringend wieder mit Rauchen anfangen!!!). Nach einem Tag unter hochgradig psychisch Auffälligen möchte ich nur noch schlagen.

Mittwoch: Tschüss Computer
Mein Laptop verabschiedet sich. Immer, wenn er sich anhört wie ein Staubsauger, weiß ich, er raucht gleich ab, spätestens in zwei Minuten. Ich hasse diesen Sound. Organisiere Auto, um am nächsten Tag zur Arbeit zu fahren.

Donnerstag: Tschüss Gesundheit
Habe mit Fanta ein hochdiffiziles Autoarrangement ausgetüftelt inklusive Kinderbetreuung und -logistik, um entspannt (HA!) arbeiten zu können. Nach zehn Minuten auf der B 12784563 stelle ich fest: Ich bin krank. Hatte ich komplett ausgeblendet. Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, dröhnende Kopfschmerzen, ich drehe um, fahre heim, lege mich ins Bett und stehe erst wieder auf, als ich Hotti und Lotti von ihren Freundinnen holen muss.

Donnerstagabend: Hallo Außerirdische
Habe fremde Lebensformen in meinem Badezimmer entdeckt. Sie benehmen sich unflätig, grölen lautstark Lieder (klingt nach AC/DC) und haben Klorollen-Rüssel im Gesicht. Es entbrennt ein Machtkampf darum, wer zuerst aufs Klo darf. Sie rüsseln sich gegenseitig weg von der Toilette hin zur Badewanne, schließlich gewinnt das mit dem stärkeren Rüssel. Lese den Extraterrestrianern Schneeweißchen und Rosenrot vor („Ich bin Schneeweißchen!“ „Nein, ICH!“), nicke dabei weg, werde unsanft in die Rippen gestoßen, frage mich, was so schlecht an Rosenrot ist, lese fertig, Stimme verabschiedet sich. Zeit für mich ins Bett zu gehen.

Freitag bis Sonntag: Wünschdirwas
Schlafe durch bis Sonntag. Zwei brave, gekämmte, stille Mädchen bringen mir um 12 Uhr mittags leise eine große Tasse Milchkaffee ans Bett, dazu ein Hörnchen, frisch vom Bäcker, und schleichen auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer zurück, um dort ruhig, gesittet und friedlich bis zum Abendessen zu spielen, das selbstverständlich sie anrichten. Ich lese mein Buch fertig (Working Mum, HA! Liest sich wie mein eigenes Tagebuch.), schaue eine DVD nach der anderen und träume vom Sommer.

Winterblues

Die Leute können einfach nicht mehr.

Ist dieser Winter ätzend. Nie kam mir ein Winter auch nur ansatzweise so laaaaaaaaang, so troooostlooooooos und so äääääätzend vor wie dieser. Er ist definitiv der Schlimmste, an den ich mich erinnern kann, nicht objektiv wegen ungewöhnlich häufig auftretender Schneestürme, Lawinenunglücke und ähnlicher Katastrophen, nein, rein subjektiv. Plötzlich verstehe ich, warum die Menschen vor allem im Winter sterben, warum sie sich vor allem im Winter das Leben nehmen, und warum sie vor allem gegen Ende des Winters komplett durchdrehen, nämlich an Fasching. Pure Psychohygiene. Sinn und Zweck dieses seltsamen Festes hatten sich mir bis heute nie erschlossen, rein verstandesmäßig schon, Winter austreiben und so, aber so richtig war der Groschen nicht gefallen. Bisher wertete ich dieses Ritual als wilden Ausdruck eines primitiven Mittelalteraberglaubens, jetzt denke ich: Die Leute können einfach nicht mehr!

Der Osterhase steht noch lange nicht vor der Tür.

Die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Ostern ist einfach zu lang, um sie psychisch unbeschadet durchzustehen. Weihnachten ist gefühlte Ewigkeiten her, der Osterhase steht noch längst nicht auf der Matte, draußen ist es nass, kalt und ekelhaft, man möchte endlich wieder ohne hochgezogene Schultern, blaugefrorene Lippen, fünf Lagen Kleidung und Mundwinkel wie unsere Kanzlerin herumlaufen und sehnt sich nach Leben, Lust und Leichtigkeit, nach Jubel, Trubel, Heiterkeit, ja sogar nach der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft.

Man ist fett, unzufrieden und unbeweglich

Man ist fett gefressen von Weihnachten, unzufrieden mit der eigenen Nichtbewegung und entsprechendem Nichtkörpergefühl, man erträgt das Pisswetter nicht mehr, zu Hause fallen einem die Kinder und die Decke auf den Kopf, vom Eise befreit sind Strom und Bäche noch lange nicht, vielmehr hängen einem Schnee, Matsch und Eis zum Hals heraus. Das Auto springt wegen der Kälte nur sporadisch an, das Autoradio mittlerweile ebenfalls, die Bundesstraße 12784563, auf der ich einen Großteil meines Lebens verbringe, um zur Arbeit zu gelangen, ist mit seinen zugeschneiten Kerosinkohlfeldern noch deprimierender als ohnehin schon, mein vorderes rechtes Licht ist kaputt, ich muss zum Baumarkt oder zur Tankstelle und eine neue Glühbirne kaufen, aber das ist wieder etwas anderes.

Helau!!

Die Kinder hauen einem bereits morgens Schneeanzüge und gefütterte Matschhosen um die Ohren, weil sie im dünnen Sommerkleidchen in den Kindergarten wollen, ja glauben die denn, ich hab mir die Scheiße ausgedacht?? Wenn das so weitergeht, sehe ich mich zu Fasching als kreischendes Funkenmariechen Krawatten abschneiden, Bonbons werfen und schunkelnd und zotenreißend über Tische springen. Helau!!

Hinten oder: Bleibt alles anders

Bild: QuiXOs³, Lizenz: cc

Ist 34 wie 17? Wenn nein, was ist dann anders, und wenn ja, wie hoch liegen dann die eigenen Entwicklungschancen? Die Wahrheit liegt mal wieder irgendwo dazwischen. Nein, 34 ist nicht 17. Das Bindegewebe ist nicht mehr dasselbe, das Nervenkostüm auch nicht, und wenn man eine Nacht lang feiern geht, muss man drei Tage lang dafür bezahlen. Man träumt nicht mehr ungetrübt vom Weltfrieden, besetzte Häuser und alternative Wohnprojekte sind nicht mehr die ultimative und einzig vorstellbare Lebensform, Arbeiten und Geldverdienen tun auch weniger weh als man mal dachte, man weiß, dass Tübingen und Thüringen nicht identisch sind, und sagt Sätze wie „Du machst das jetzt, WEIL ICH ES SAGE, VERSTANDEN?!“

Und ja, manche Dinge ändern sich offensichtlich nie. Nazis findet man noch genau so doof wie früher, man weigert sich weiterhin hartnäckig zu glauben, Atomkraft sei die beste Energiegewinnungsmethode, und man hegt nach wie vor die angesichts der Realität absurde Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird. Und warum sonst sitzt man in betrieblichen Versammlungen, Elternabenden und ähnlich spannenden Veranstaltungen noch immer in der letzten Reihe? Genau wie damals, in der Schule. Hinten: befremdet, angeödet, der Sinn will sich einem nicht erschließen. Man lacht noch immer an den falschen Stellen und ist betroffen, wenn von vorne Witze kommen. Man denkt daran, dass man aufs Klo muss, und man wünscht sich mindestens in die Raucherecke.

Zurück zur Ausgangsfrage, nämlich, ob sich manche Dinge niemals ändern und wir am Ende alle nur große Teenager sind. Ob die Rolle, die man einmal hatte, an einem klebt wie Pech und Schwefel, Teer und Federn. Wenn ja, dann werden wir vermutlich auch noch in der Seniorenresidenz, wenn die Pflegeleitung die Marschrichtung für das neue Jahr verliest, hinten sitzen, in der letzten Reihe, wie damals in der Schule, befremdet, angeödet und fassungslos angesichts der Gehirnwäsche, die von vorne kommt. Während wir darauf warten, dass uns der Zivi hoffentlich bald in die Raucherecke schiebt.