Schußlogern Sie folglich

Der Test beginnt um 13.00 Uhr. Bereits um 12.20 ist der Audimax einer Baden-Württembergischen Universität bis auf den letzten Platz besetzt. Und da passen immerhin über 500 Leute rein. Deshalb ja AudiMAX! Die Luft kann man jetzt schon in jede gewünschte Form schneiden und Nachzügler, die erst eine halbe Stunde vor Beginn eintreffen, kriegen nur deshalb einen Sitzplatz, weil es etwa alle 2 Minuten irgendwo einen dumpfen Schlag tut und wieder jemand kollabiert ist. Ein Blick in diesen Raum beweist: Ja, es gibt sie – die viel prophezeite Studischwemme. Aber wohl nicht mehr lange sagt der Blick nach draußen, wo entnervte Rotkreuzler vor der Tür Behandlungszelte aufbauen wie bei einem Konzert von Michael Jackson. Mein Blick fällt auf junge Männer, die von Helfern aus dem Saal in die Zelte getragen werden und ich denke mitfühlend: Hätten se Dich doch noch ein Jahr Behindis rumfahren lassen, dann wär Dir das hier erspart geblieben! Wenn die Kollapsfrequenz indirekt proportional zum Absinken des Sauerstoffgehalts im Raum ansteigt hat sich das Problem wohl in ca einer halben Stunde erledigt. Mir kommt der Gedanke, daß der Mief hier drin bereits ein Teil des Ausleseverfahrens ist. Auch ne Art! Aber kommen wir zum eigentlichen Test. Ja, es gibt einen Test. Es genügt nicht mehr, ein Abitur vorweisen zu können, dessen Durchschnittsnote bitte vor dem Komma eine 1 haben sollte. Man darf jetzt noch einen Studierwürdigkeitstest machen. Da wird dann geprüft, ob Du vielleicht einer von diesen Schlawinern bist, die es immer wieder schaffen, acht oder neun Jahre an einem Gymnasium zu überleben, ein Abitur zu machen und TROTZDEM nicht in der Lage sind, logisch schlußfolgernd zu denken. Und wo kämen wir denn da hin, wenn so jemand dann einen wertvollen Studienplatz belegt, um dann in der ersten Vorlesung festzustellen, daß er eigentlich blöd im Kopf ist? Die Universität begegnet diesem Horrorszenario entschlossen mit einem charmanten Potpourrie aus elementaren Fragestellungen. Da haben wir zunächst als Apperitiv Gleichungen mit 4 Unbekannten, die der würdige Anwärter im Kopf lösen kann (Notizen sind verboten und führen zum Ausschluß). Dann folgen Reihen aus Geometrischen Figuren, die logisch fortzusetzen sind, aber leider auch nach 5 Minuten draufstarren noch aussehen wie ein Wurstsalat und richtig Lust auf mehr machen. Der Hauptgang appeliert an das sprachliche Verständnis: Wenn das rote Lämpchen blinkt läuft das Zahnrad oder die Kette spannt sich. Die Feder rotiert nicht, obwohl die Sirene ertönt, oder der Hebel sich auch nicht absenkt. Der Leser wird ziemlich wütend, während sich entweder der Greifer schließt oder irgendeine Scheißlampe leuchtet. Der Motor beschleunigt, weil die Sirene ertönt und es macht BUMM – zuerst explodiert mein Gehirn und dann diese dämliche Maschine. Vom Nachtisch, der angeblich etwas mit dem angestrebten Studienfach zu tun haben sollte (Diskussion einer pädagogischen Frage) will ich lieber schweigen, weil ich noch nicht in der Lage bin, diesen Albtraum schon wieder zu durchleben.
Würde man abschließend diesen Test als Ressource betrachten wollen, so könnte man feststellen, daß er einem eine Vielzahl von extremen Gefühlszuständen beschehrt, die man ohne ihn wohl nicht hätte erleben dürfen. Und daraus logisch schlußfolgern, daß angehende Pädagogen davon sicher irgendwas haben.

Ma Baker

Plötzlich Scheidungskind

Man soll die Leute ja nicht unterschätzen, am wenigsten die eigenen Eltern. Als ich am Samstagmorgen nach einigen Wochen mal wieder meine Mutter anrufen wollte, um mich aus einem unsäglichen Urlaub an der französischen blauen Küste zurückzumelden, war da unter der alten Nummer plötzlich nicht mehr der normale Telefonanschluss eben meiner Mutter, sondern die Mailbox meines Vaters. Weil ich den schon seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen habe, legte ich auf, leicht irritiert, aber nicht alarmiert. Als ich dann eine Stunde später zum Briefkasten schlappte, lag da ein blauer Brief meiner Mutter, in dem sie mir mitteilte, dass sie vor einigen Wochen bei meinem Vater ausgezogen sei und dass sie nun in der Kurzstr. 88 wohne, die aber immer noch die gleiche Postleitzahl habe. Ah ja. Ich meine, die Nichtänderung der Postleitzahl finde ich jetzt nicht ganz so gravierend, den Auszug meiner Mutter dann schon eher, zumal es bei unserem letzten Gespräch wenige Wochen zuvor zwar um Hotti, Lotti, den Garten, Autos und das Leben als solches ging, nicht aber um neue Wohnungen und größere Lebensveränderungen.

Das Ganze traf mich auch insofern ein bisschen unvermittelt, weil ich mir seit 36 Jahren den Mund fusselig rede, dass Trennungen unter gewissen Umständen durchaus von Vorteil, und zwar für alle Beteiligten, sein könnten, und ich mir mit meinem altklugen Dahergequassel in dieser Familie nicht besonders viele FreundInnen gemacht habe. Und dann, mal eben so ein kleiner blauer Brief, Kurzstr. 88, gleiche Postleitzahl, soso, nach 38 Jahren das elterliche Ehe-Aus. Da wird man ja als Kind plötzlich stockkonservativ und superegoistisch und denkt Sachen wie: Nach all den Jahren?? Oder: Und ICH?! Nicht, dass man sich als 36jähriges Scheidungskind noch Sorgen macht, ob man jetzt alle zwei Wochenenden beim Papa ist, den Hamster behalten darf und am Ende noch die Schuld an der Scheidung trägt oder so, nein, aber wenn man sein Leben lang hart an einer Identität als schwarzem Familienschaf mit notorischem Hang zum Therapieren und Rebellieren gearbeitet hat, dann steht man auf einmal doof da, so ohne Aufgabe. Man braucht nicht mehr zu sagen, dass die Eltern sich nicht guttun, dass man heutzutage doch als Frau in unseren Breitengraden für eine Scheidung nicht mehr gesteinigt wird, dass die Kinder (ich) jetzt schließlich groß seien, mehr oder weniger, und dass man das Ganze anstrengend finde, wollte ja eh noch niemand hören. Man braucht nichts mehr besserzuwissen, man muss niemandem mehr auf die Nerven gehen, man kann einfach die Klappe halten und die Leute machen lassen. Ganz in Ruhe. Vielleicht wissen sie ja am Ende doch, was sie tun. Und wenn man mich hier als Berufstrotzkopf und Schwarzschaf nicht mehr braucht, dann suche ich mir halt einen anderen Job. Nur welchen? Vorschläge gerne wie immer an die wunderbra-Redaktion.

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