Meine erste Chemo

Sechs Tage im zytostatischen Vollrausch.

Sechs Tage im zytostatischen Vollrausch.

Vier Tage nach der Implantation meines Super-Ports ist es soweit: meine erste Chemo! Das Abenteuer beginnt mit einer Taxifahrt. Da ich unter dieser Art von Drogen nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen kann, verfüge ich ab sofort über ein entsprechendes Rezept („Verordnung einer Krankenbeförderung“ für „hochfrequente Behandlung“). Um sieben Uhr dreißig steht die royale Kutsche vor der Tür, um mich durchs morgendliche Lingendingen zu chauffieren und in der onkologischen Tagesklinik der Frauenklinik abzuladen. Dort tummeln sich im Wartebereich die verschiedensten Frauen: mit Haaren, Perücken, Tüchern oder Mützen, dick, dünn, schick, in Jogginghose, mit Buch, Handy, Kreuzworträtsel oder Strickzeug, in jeder Altersgruppe, zwischen zwanzig und neunzig ist alles dabei. Dennoch stellt sich recht schnell ein Community-Feeling ein – der Krebs macht alle gleich.

Beim Eingangsgespräch mit zwei Ärztinnen und einer Krankenpflegerin werde ich direkt auf dem Stuhl gewogen, auf dem ich sitze (fancy!), und man bohrt mir eine kapitale Nadel in den Port. Dann bekomme ich eine Führung durch die heiligen Hallen: Es gibt drei Räume mit jeweils etwa fünf Plätzen. Die gepolsterten Liegen sehen sehr bequem aus, dank geheimer Top-Informationen der Huberin weiß ich auch schon, dass diese individuell verstellbar sind. Für die Gemütlichkeit gibt es Kuscheldecken. Neben jeder Liege wiederum steht ein mobiler Infusionsständer, mit dem frau bei Bedarf auf Tour gehen kann (viel trinken = viele Toilettengänge). Es gibt einen großen Balkon, und da wir uns im sechsten Stock befinden, eröffnen sich mir buchstäblich königliche Aussichten in Richtung Osterberg und Schloss Hohenlingendingen.

Vergiftung mit Ansage

Dann geht es los. Insgesamt werden mir nacheinander etwa zehn verschiedene Flaschen, Päckchen und Tabletten verabreicht: Kochsalzlösung, Epirubicin (Pfleger: „So, jetzt gibt’s Aperol Spritz!“), Zuckerwasserlösung, Cyclophosphamid sowie irgendwas gegen Blasenentzündung, Übelkeit und anderes drohendes Ungemach. Ich unterhalte mich mit ein paar Frauen, zu meiner Überraschung schimpfen alle wie die Fuhrknechte: „So ein Scheiß!“ – „Braucht kein Mensch!“ – „Wem sagen Se des?!“ Ich fühle mich sofort zu Hause. Um zehn Uhr rollt eine Stewardess mit Snackwägelchen herein und verteilt Käsebrötchen, Joghurt, Äpfel und Tee. Dann löse ich ein paar Kreuzworträtsel, klinke mich mit Hottis Kopfhörern vom Weltgeschehen aus und widme mich meinen Playlists. Um zwölf ist alles vorbei, meine Kutsche fährt vor und bringt mich heim.

Zu Hause ist zunächst auch noch alles ok, Schlag drei Uhr geht es dann rund: Kopfschmerzen, Übelkeit, Wackelbeine, Schwäche. Ich vegetiere und stiere vor mich hin, trinke gefühlte zehn Liter am Tag und döse immer wieder weg. Die nächsten fünf Tage fühlen sich an wie eine üble Alkohol- oder Lebensmittelvergiftung inklusive heftigem Kater. Nachts verschwitze ich jeweils zwei komplette T-Shirts, die stinken wie Sondermüll. Meine Leber und Nieren arbeiten auf Hochtouren, derartige Strapazen mussten sie seit meiner Pubertät nicht mehr bewältigen. Ein Gedanke hält mich unterdessen bei der Stange: Mir geht es vielleicht dreckig – dem Tumor geht es dreckiger. Mit dem will gerade wirklich niemand tauschen.

Heulen und Zähneklappern

Auch mein Geschmackssinn läuft ziemlich aus dem Ruder, Reminiszenzen an die beiden Schwangerschaften werden wach. Super sind: Sauerkonserven, Colamix, Gurke, Zwiebel, Brokkoli, Salat, Kräutertee, Pizza Napoli, purer Reis, Döner. Chéri sowie der Hotti-Lotti-Papa (HLP) karren abwechselnd Limo, Säfte, eingelegten Selleriesalat und vieles mehr heran. Geht doch nichts über guten Service und eine ausgewogene Ernährung!

Am zweiten Abend soll ich mir eine Spritze geben, die die Bildung der roten Blutkörperchen anregt. Dies wiederum passiert im Knochenmark und kann mit ziemlichen Schmerzen in den Knochen verbunden sein. Ich sterbe vor Angst und bestelle die Ex-Schwester ein. Unter Heulen und Zähneklappern werfe ich prophylaktisch eine Schmerztablette ein, während Ma Baker mir professionell die vermeintliche Untergangsinjektion in ein Bauchspeckröllchen spritzt. Darüber hinaus muss Chéri zum Übernachten kommen, ich befinde mich in äußerster Alarmbereitschaft. Um es abzukürzen: Es passiert so gut wie nichts. Beruhigt halte ich fest, dass offenbar nicht jede angekündigte potenzielle Nebenwirkung eintreten muss.

Wir schaffen das!

Stattdessen blüht mir andere Unbill. Da bei einer Chemotherapie nicht nur die Krebszellen, sondern auch alle möglichen anderen Zellen, die sich schnell teilen (Haare, Nägel, Schleimhäute, rote Blutkörperchen…), zum Teufel gehen, verabschiedet sich nach drei Tagen meine Mundschleimhaut: Ich habe Zahnfleischbluten und jede Menge kleine Entzündungen. Bei jedem Bissen gehe ich vor Schmerzen die Wände hoch, sodass ich mir schließlich Müslibrei kaufe und das restliche Essen püriere. In der Apotheke erstehe ich ein regenerierendes Gurgelgel, „von Onkologen empfohlen“. Der Apotheker nutzt meine aktuelle Labilität, um mir direkt noch einen Packen Darmbakterien anzudrehen. Nach sechs Tagen im zytostatischen Vollrausch ist der Spuk schließlich vorbei. Ich bin sehr beeindruckt von der Ausnüchterungsleistung meines Körpers und überzeugt: Wir schaffen das!

Die inneren Werte

Bei unserem zweiten Termin verpasst Professor Huhn mir eine fancy Clipmarkierung in die linke Brust. Dort sitzt ja bekanntlich der Tumor-Drecksack auf ein Uhr. Wie bereits in Krebs ist ein Arschloch grafisch dargestellt, besitzt dieser quasi die Form einer Kaulquappe mit zwei Schwänzen: ein fetter Bobbel in der Mitte, der zwischen meinen Milchgängen mittlerweile Fäden von insgesamt zehn Zentimetern Länge nach oben und unten ausgebildet hat. Um den ursprünglichen Anfangs- und Endpunkt des Tumors zu verorten, werden bei der Clipmarkierung nun zwei Metallkügelchen (oder -drähte?) in die Brust geschossen. So kann man wunderbar dabei zusehen, wie der Drecksack unter der anstehenden Chemotherapie schrumpfen wird, und bei der Operation schließlich das ursprüngliche Tumorareal lokalisieren und entfernen. Lotti fragt mich zu Hause ungläubig, ob ich jetzt Metalldinger im Busen habe, und ich antworte lässig: „Das ist der neue heiße Piercing-Scheiß. Außen und sichtbar kann jede*r.“

Um zu überprüfen, ob meine neuen Piercings auch richtig sitzen, werde ich zur Mammografie in die Radiologie geschickt. Für diese Röntgenaufnahme der Brust verrenkt frau sich zu vollkommen widernatürlichen Körperhaltungen, während die anwesende Fachfrau für das Fotoshooting professionell die gepiercte Brust hart zwischen zwei Plexiglasscheiben in Form presst. Ich frage sie, ob sie das den ganzen Tag mache. Sie bejaht. Was für ein Job. Sehnsüchtig und erleichtert denke ich an mein harmloses kleines Zirkusbüro. Luft anhalten, lächeln, Foto, fertig. Meine Innen-Piercings sitzen perfekt.

Strahlende Schönheit

Zurück bei Professor Huhn stellt sich heraus, dass mir in den nächsten Monaten eine steile polytoxikomane Karriere bevorsteht und meine diesbezüglichen Parameter damit durch die Decke gehen werden. Der Therapieplan sieht nämlich Folgendes vor: 24 Wochen Chemotherapie, drei Wochen Pause, Operation, vier Wochen Pause, sechs Wochen tägliche Bestrahlung, danach fünf Jahre Hormontherapie. Mir blüht eine hohe Infektanfälligkeit, was mich in Corona-Zeiten zur Risikopatientin macht. Einmal in der Woche wird ein Blutbild fällig werden, alle drei Monate ein EKG und Herz-Echo.

Danach geht es zu Frau Professor Fischke, der Onkologin im sechsten Stock. Sie offenbart mir die Implantierung des Portsystems für die Chemo in den nächsten Tagen, klärt mich über potenzielle Nebenwirkungen inklusive Haut- und Haarproblemen auf und versorgt mich mit einem Stapel Rezepte gegen Übelkeit, Verstopfung und Schmerzen samt Erläuterungen. Als letztes händigt sie mir in diesem Zusammenhang noch ein Rezept für eine Perücke aus. Meine Befremdung nimmt kein Ende. Lotti hingegen zeigt sich zu Hause begeistert: „Cool, wir holen Dir eine in pink!“ Ganz meine Tochter: Wir machen die Krücke zum Zepter!

Ausflug in die Nuklearmedizin

Ich hab' Uran im Urin, da hilft kein Aspirin.

Ich hab‘ Uran im Urin, da hilft kein Aspirin.

Mit der Diagnose Krebs bekommt man so richtig zu tun. Noch bei unserem ersten Treffen scheucht mich Professor Huhn zur Magnetresonanztomographie (MRT), um über Magnetfelder meinen Körper nach Metastasen zu durchsuchen. In der Radiologie lege ich mich, nackt bis auf die Unterhose und ein vorne offenes Flügelhemdchen, bäuchlings auf eine Liege, die dann in die Röhre fährt. Dabei bietet die Liege nicht nur eine Öffnung fürs Gesicht, damit man bei potenziellen Panikattacken überhaupt noch Luft bekommt, sondern auch zwei kleinere Öffnungen auf Brusthöhe, durch die die Brüste baumeln. Als Krönung werden diese zusätzlich zwischen Plexiglasscheiben fixiert, vermutlich auch, damit sie bei dem Höllenlärm, Geruckel und Gewummer der nun einsetzenden Großbaustelle schön stillhalten und so vorteilhaft wie möglich abgelichtet werden können. Nach zwanzig Minuten in dieser unwürdigen Haltung bei kakophonischer Beschallung wanke ich verstört im Flügelhemdchen zurück in die Umkleide, ziehe mich an und lasse mich von Chéri ins sichere Zuhause chauffieren.

Date in der KRÖNA-Klinik

Ein paar Tage später geht es ins CT. Als erstes verlaufe ich mich im Labyrinth der KRÖNA-Klinik, komme zu spät und werde von der diensthabenden MTA barsch zurechtgewiesen. Als sie mir das Kontrastmittel in meine lädierten Venen spritzt, platzt ein Blutgefäß. Es tut ziemlich weh und ich breche in Tränen aus. Die MTA schaut mich verständnislos an und meint: „Das ist nur ein Blutgefäß, das ist nicht schlimm.“ Beim CT selbst gibt es einen metallischen Geschmack auf der Zunge, und meine Blase wird plötzlich so warm, dass ich fürchte, in die Hose gemacht zu haben. Ma Baker holt und rettet mich mit Himbeertorte, und ich gelobe, beim nächsten Date in der KRÖNA-Klinik deutlich mehr Zeit einzuplanen.

Richtig aufregend wird es dann in der Nuklearmedizin, deren Name an sich schon Abenteuer und Adrenalin verspricht. Dort soll mithilfe eines Knochenszintigramms ermittelt werden, ob sich Metastasen in meinen Knochen niedergelassen haben (Spoiler: haben sie nicht). Bevor ich zu Hause aufbreche, meint Lotti: „Hey, voll cool – bring unbedingt ein Bild von Deinem Skelett mit!“

„Das ist mir noch nie passiert, ich schwöre!“

Für so ein Szintigramm bekommt man erst einmal eine Ladung radioaktives Kontrastmittel injiziert. Im Aufklärungsbogen befinden sich u.a. folgende Hinweise:

„Die Ausscheidung der Substanzen erfolgt über den Urin. Beschränken Sie am Untersuchungstag den Umgang mit Kindern und Schwangeren auf Notwendiges.

Am Untersuchungstag ist Ihr Urin radioaktiv. Sie sollten bei Toilettengängen vorsichtig sein, achten Sie auf Ihre Kleidung [was bedeutet das?, Anmerk. die aktuelle].“

Die Injektion übernimmt eine sehr junge Ärztin, die offensichtlich bemerkt, wie hasig und weinerlich ich bin, und gleich beruhigend auf mich einredet: „Kein Problem, da müssen Sie keine Angst haben, es wird alles gut!“ Ich klammere mich an ihre Worte und die Hoffnung, dass sie weiß, was sie tut. Zunächst weiß sie das auch, legt mir einen Zugang, holt die Spritze aus dem kleinen James-Bond-Metallköfferchen und legt los. Ich schaue weg, Spritzen kann ich nicht sehen. Plötzlich verliert die Ärztin die Nerven und schreit los: „Oh mein Gott! OH MEIN GOTT! Oh nein, das ist mir noch nie passiert, ICH SCHWÖRE, wirklich!!!“ Ich schaue zu meinem rechten Arm, aus dem kleine Blutfontänen spritzen, schnappe mir einen Wattebausch und halte den Zugang dicht, während die arme Frau kreideweiß die Hände ringt. Ich frage sie, was denn passiert sei. „Nichts“, sagt sie, „mit Ihnen ist alles in Ordnung!“ Dann beteuert sie nochmals, dass ihr sowas wirklich noch nie passiert sei („Ich schwöre!), verklebt meinen Arm mit unzähligen Pflasterstreifen und verabschiedet mich hektisch.

„Ich hab‘ Uran im Urin“

Alarmiert und irritiert verlasse ich die Nuklearmedizin für eine dreistündige Pause, da sich das Zeug jetzt erst mal in meinem Körper verteilen muss. Ich treffe Chéri auf ein Schokocroissant, und er fragt mich, ob ich eigentlich den Achtziger-Jahre-Hit „Ich hab‘ Uran im Urin “der Band Wiederwillen kenne – bisher noch nicht.

Als ich später zur Nuklearmedizin zurückkehre, um endlich mein Skelett-Foto zu machen, schlurft die arme junge Ärztin mit hängendem Kopf über den Campus. Ich frage sie, ob wieder alles in Ordnung wäre. Sie schaut mich aus tiefen Augenringen an und sagt leise: „Ich bin so müde.“ Ich hoffe nur, dass sie nicht auf dem Weg zur nächsten Schicht ist. Das Rätsel um den Vorfall kann ich nicht lösen, Ma Baker als ehemalige Schwester mutmaßt jedoch, dass die Gute womöglich radioaktives Zeug verläppert und damit den Raum kontaminiert habe, was ja in Kliniken nicht so gerne gesehen wird, und bringt so immerhin ein bisschen Licht ins Dunkel.

Die Bildgebung selbst verläuft dann verhältnismäßig ereignisarm. Dennoch ist mein Nervenkostüm für diesen Tag derart zerrüttet, dass ich mich dringend mit dem Kauf einer supercoolen Boombox belohnen muss. Eine weise Entscheidung, danach geht es mir deutlich besser. Ich beschalle die Wohnung mit meinen Lieblingsplaylists, und Hotti und Lotti sind blass vor Neid.

Die Geschichte eines Alarms

Jeden Tag beim Zeitunglesen werde ich alarmiert. Mal sind Gurken die Bösewichter, mal Tomaten und jetzt die Sprossen. Irgendwo in Japan schmilzt ein Atomkraftwerk vor sich hin und keiner weiß so genau, was das eigentlich bedeutet. Aber man informiert sich fleißig, ARD-Brennpunkte werden zum social event. Während man Biosteaks auf dem Grill wendet und sich an einer Flasche Bier festhält läßt man sich im trauten Freundeskreis ALARMIEREN und genießt den wohligen Schauer des hormonellen Outputs gemeinsam, ohne irgendeinen Plan davon zu haben, was denn jetzt eigentlich zu tun ist. Vielleicht hat der Alarm inzwischen einfach auch einen Selbstzweck und es geht garnicht mehr um konkretes Handeln. Vielleicht war das auch noch nie anders. Gewarnt zu sein ist jedenfalls ein gutes Gefühl, der Rest ist Nebensache. Und es ist sichér auch für diejenigen, die in unserem Land Verantwortung tragen einfach wichtig, gewarnt zu haben. Da hat man später, wenn die Scheiße dann dampft nicht den Kittel in der Tür.

Dazu eine kleine Geschichte aus einem süddeutschen Uniklinikum. In Zeiten der Terrorhysterie nach 9/11 befürchtete man ja an allen Ecken und Enden Anschläge auf das Herz der freien Welt. Dieses Herz schlägt sicher auch in Krankenhäusern, weshalb sie wie viele anderen öffentlichen Gebäude besonderer Obhut bedurften. Versorgt mit einer zentral gesteuerten Klimaanlage schienen sie für mögliche Terroristen besonders lukrative Anschlagsbedingungen zu bieten. Was auch immer das konkret bedeuten sollte! Pockenviren durch die Gegend blasen oder gleich Giftgas? Jedenfalls gab es Handlungsbedarf und das Gebäudemanagement begegnete der drohenden Gefahr mit der Montage eines roten Lämpchens, auf dem das Wort GASALARM zu lesen war. Auf die Frage, was denn zu tun sei, sollte das Lämpchen einmal blinken wurde man auf die Telefonnummer hingewiesen, die unter dem Lämpchen mit Thesa an die Wand geklebt war. Da anrufen und dann alles Wichtige erfahren. Die Wochen gingen ins Land und nach der ersten Aufregung war das Lämpchen bald vergessen. Bis es eines Tages  tatsächlich anfing hektisch zu blinken und ein schrilles Warnsignal von sich zu geben. Tapferes Pflegepersonal schritt beherzt zur Tat und wählte besagte Nummer, um dort irgendeine Leitstelle an der Strippe zu haben, die weder von dem Lämpchen, noch von ihrer vermeintlichen Zuständigkeit irgendetwas wußte. Immerhin wurde uns eine andere Nummer gegeben, unter der man es ja mal probieren könne. Inzwischen hatte sich auf dem Flur eine aufgeregte Menschentraube aus Besuchern und bekrückten Patienten versammelt, die sehr erpicht darauf war, Instruktionen zu erhalten. Wer auch immer der Inhaber zweiten Nummer war, er machte es spannend, indem er garnicht abhob. Die beherzte Pflegekraft verlor schon langsam die Lust an der Sache, doch das schrille Signal gab einem doch irgendwie das Gefühl, daß man das Ganze nicht einfach ignorieren konnte. Also wieder bei der ersten Nummer angerufen und das Problem geschildert, untermalt mit einzelnen panischen Schreien aus der Besuchermenge, was zumindest dazu führte, daß eine weitere Nummer herausgerückt wurde. Die Sache bekam so langsam den Flair einer Schnitzeljagd. Und wir kamen voran! Das nächste Telefonat wurde mit einem Zivi geführt, der irgendwie auch nicht wußte, sich aber ungemein verantwortlich fühlte und versicherte, er würde das Problem seinem Chef mitteilen, der in etwa einer halben Stunde aus der Mittagspause käme. Also warten und Ruhe bewahren. Um die Gemüter bei Laune und beschäftigt zu halten wurden vom Pflegepersonal frisch gewaschene Mullbinden verteilt, die man von Hand sauber aufrollen mußte, was ein hohes Maß an Koordinationsfähigkeit verlangt. Außerdem zeigte sich langsam auch, daß Panik nicht unbegrenzt lange aufrecht erhalten werden kann. Irgendwann setzt Gewöhnung an die neue bedrohliche Situation ein und es war ja außer dem Alarm bisher auch nix passiert. So war es garnicht mehr nötig, daß uns der Haustechniker, der sich dann eine Stunde später meldete anwies, ruhig zu bleiben. Waren wir eigentlich schon und wickelten begeistert weiter Mullbinden auf. Etwa drei Stunden später (inzwischen ging der Stationsalltag schon längst wieder seinen gewohnten Gang und auch die Sirene hatten wir schon unter Normal integriert) kam dann ein zuständiger Elektriker, der uns fragte, was er denn jetzt tun solle. Wir boten ihm eine Mullbinde an. Und nachdem er etwa 5 Minuten vor dem blinkenden Lämpchen meditiert hatte packte er eine große Zange aus und brachte unseren liebgewonnenen Gasalarm rüde zum Schweigen, indem er mit den Worten “ Herrgottsack!“  das Kabel durchtrennte. Einige Wochen hing der Alarm noch ohne Saft an der Wand rum, dann entschloß er sich, einfach abzufallen und sich von irgendeiner Kehrmaschine entsorgen zu lassen.

Doch wir werden ihn nie vergessen und veranstalten seitdem jedes Jahr eine Gasalarm-Party!

Ma Baker

Der vierte Advent: Bug-Busting

Kopflaus (Pediculus humanus capitis)

Kopflaus (Pediculus humanus capitis)

Nach einer Woche schlafloser Nächte, in denen Euch nur die Frage umgetrieben hat, welche Katstrophen sich wohl am letzten Sonntag vor Weihnachten im Hause Aktuelle ereigneten, hier nun die letzte Folge unserer launigen Adventsreihe O Du Fröhliche. An diesem Wochenende habe ich es nicht nur geschafft, fünf Weihnachtspäckchen rechtzeitig zur Deutschen Post und ihren Rentieren zu schleppen sowie letzte Geschenke zu besorgen, nein, ich war auch auf einem sehr geilen Konzert, Frühstücken mit Ma Baker, habe mit Robbie (Williams) geputzt und geduscht sowie mit meiner Freundin Fanta und einem gepflegten Gläschen Sherry die dritte Staffel Sex and the City genossen. Eine Erfolgsgeschichte. Diesmal ungelogen!

Läuseeier überstehen mühelos Atomkatastrophen

Eine Entlausungskur und der Tag ist gelaufen.

Eine Entlausungskur und der Tag ist gelaufen.

Aber das Leben wäre natürlich nicht das Leben, wenn es nicht selbst am harmonischsten Vorweihnachtswochenende einen Knaller auf Lager hätte. Da sitze ich also Samstagabend gemütlich mit Fanta auf dem Sofa, trinke Sherry und schaue Carrie und ihren Freundinnen beim Sex in der City zu, da meint Fanta: „Wir haben Läuse.“ „Wir“ sind in dem Fall Fanta und ihre drei Kinder, Mulle, Rulle und Wulle, Läuse dagegen ekelhafte Mistviecher, die ihre Eier auf anderer Leute Köpfe ablegen, und es ist eine Drecksarbeit, sie wieder loszuwerden. Man muss nicht nur Betten abziehen und tonnenweise Wäsche waschen, sämtliche Stofftiere und andere Textilien eintüten und tagelang tiefgefrieren, man muss vor allem auch die befallenen Köpfe einer stinkigen und giftigen Entlausungskur unterziehen. Das erfordert Zeit, Geduld und Nerven, der Tag ist gelaufen.

Wir fallen in einen kollektiven Vollrausch

Am nächsten Tag, es ist, natürlich, der vierte Advent, rückt das Sondereinsatzkommando Bug Busters den Parasiten mit Chemikalien zu Leibe, deren Geruch uns sofort in einen kollektiven Vollrausch versetzt. Wir kämmen riesige Läuse aus den Haaren, die wir mit Tesafilm fixieren und zu Forschungszwecken an die strahlend weißen Badezimmerkacheln kleben, da kommen sie besonders gut zur Geltung, und wir kämmen Nissen aus den Haaren, die dort von den Läuseeltern mit Superläusespezialkleber derart liebevoll befestigt wurden, dass sie ohne Not eine Atomkatastrophe überstehen würden, ohne abzufallen. Das Ergebnis: Bei Mulle zählen wir 55 Tierchen, bei Fanta 32, bei Rulle lediglich eine Nisse, bei Wulle gar nichts, er hat verloren, aber es stört ihn nicht sonderlich. Als eine Nachbarin klingelt, um einen festlichen Eisstern mit Kerze vorbeizubringen, wird sie an der Tür von Mulle und Rulle abgefangen: „Wir haben ganz viele Läuse an die Wand im Bad geklebt! Willst Du sie mal sehen?“ Mich juckt es auch schon überall.