Krebs kostet

Million Euro Baby

Million Euro Baby

Chronische Krankheiten sind ein teures Vergnügen. Sie kosten, und zwar nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch Nerven, Zeit und Geld. Der gallische Zaubertrank Paclitaxel, den ich seit zwei Wochen bekomme, macht es da auch nicht besser, nur anders. Er gehört zur Gruppe der sogenannten Taxane, und die verursachen unter anderem gerne Hautprobleme. Aufgrund dieser „Tumortherapie-induzierten Hauttoxizität“ trocknen nun zahlreiche meiner Häute und Schleimhäute aus und machen an allen möglichen Ecken und Enden Sperenzchen: Es spannt, es juckt, es brennt, es blutet, es nervt, und ich möchte buchstäblich aus meiner Haut fahren.

Money, money, money

So verbringe ich aktuell einen nicht unerheblichen Teil meines Tages im Bad mit Gurgeln, Spülen, Sprayen, Tropfen, Tupfen, Wärmen, Salben, Cremen und noch mehr Mundhygiene als sonst. Über diesem neuen Hobby darf ich nicht vergessen, die diversen Tabletten, Pillen, Pulver und Zäpfchen gegen Magenprobleme, Harnwegsinfektionen oder bakterielle Vaginose sowie für eine gesunde Darmflora und ein stabiles Immunsystem einzunehmen und meine Hände und Füße bezüglich anfänglicher Missempfindungen (Kribbeln und Brennen) zu versorgen. Zudem gilt es, den ganzen Tag über literweise Tee zu trinken, alles gut durchzuspülen und sich regelmäßig zu bewegen. Aber was hadere ich, schließlich habe ich sonst nichts zu tun (#Emotionen Pause machen).

Die Sache mit dem Geld ist da schon existenzieller. Einen Teil der Spezialausrüstung übernimmt zwar die Krankenkasse, den Rest zahlt man jedoch höchstselbst. Dazu kommen die schier zahllosen Zuzahlungsbeträge: nicht nur für die verschiedenen Medikamente gegen Übelkeit, Erbrechen, Thrombose, Verstopfung, Schmerzen, Stomatitis, polyneuropathische Sensibilitätsstörungen oder zur Bildung weißer Blutkörperchen, sondern auch für die Zytostatika selbst sowie für die Antibiotika, die zur Behandlung einiger Nebenwirkungen erforderlich sind. Bei den regelmäßigen Taxifahrten in die Tagesklinik und zurück wird ebenfalls ein Eigenanteil fällig, zumindest bei der ersten und der letzten Tour der Serienfahrt; beim Jahreswechsel wird von vorne gezählt. Summa summarum läppert es sich. Natürlich gibt es die Möglichkeit, bei der Krankenversicherung einen Befreiungsantrag für Zuzahlungen zu stellen, wenn diese die persönliche Belastungsgrenze überschreiten – vorausgesetzt, man kann alle entsprechenden Nachweise vorlegen, das kostet dann eben wieder Zeit und Nerven.

Ab in die Sofortrente

Weitere monetäre Kosten verursachen die aktuell benötigten FFP2-Masken (auch für die Brut), da man immunsupprimiert zur Risikogruppe zählt und von zusätzlichen Infektionen derzeit eher absehen sollte, Betäubungspflaster gegen den Port-Anstech-Schmerz, auf die ich allerdings aus Allergie- und Kostengründen künftig verzichten werde, und nicht zuletzt die Anschaffung mehrerer Schlafanzüge wegen nächtlicher Entgiftungsorgien. Menschen, die auf eine Haarattrappe Wert legen, müssen zudem noch ihre Perücke mitfinanzieren, da sparen mir mein Pragmatismus und die Zwergenmützen von Frau Zirkus bares Geld.

Damit ich mir den ganzen Spaß und noch viel mehr leisten kann, hat Chéri sich jüngst etwas ganz Besonderes einfallen lassen und mich mit einem Mega-Jahreslos beglückt, mit dem ich mindestens eine monatliche Sofortrente gewinnen werde, wenn nicht gar wöchentlich eine Million. Sollte dieser Plan nicht aufgehen, werde ich es mit ABBA halten und beim Glücksspiel in Las Vegas oder Monaco ein Vermögen machen. Denn wie sagte schon der Milliardär Aristoteles Onassis, der es schließlich wissen musste? „Dem Geld darf man nicht nachlaufen, man muss ihm entgegengehen.“

Chemo 2.0 oder: Der neue Stoff

Trastuzumab, Paclitaxel und Pertuzumab

Trastuzumab, Paclitaxel und Pertuzumab unterstützen nach Kräften.

Hurra, heute wird geschallt! Offenbar wissen meine neuen Freund*innen in der Onkologischen Tagesklinik mittlerweile schon im Vorfeld, wie es um meine tagesaktuelle Befindlichkeit bestellt ist, und richten den Behandlungsplan an dieser jeweiligen Bedürfnislage aus. Denn wie schon vor drei Wochen verspüre ich auch heute keinerlei Lust auf zytostatische Abenteuer, zumal ein neues Kapitel im Wunderkrebs aufgeschlagen wird, das mich bereits seit Wochen in Unruhe versetzt: Es gibt neuen Stoff, und was ich bis jetzt davon gehört habe, klingt nicht verheißungsvoll. Und so winken sie auch heute wieder mit der Aussicht auf eine Drecksack-Vermessung per Ultraschall am Ende eines langen Chemo-Tages, nur um mich bei Laune zu halten, und damit ich überhaupt noch wiederkomme. Aber der Reihe nach.

Pest oder Cholera

Nach vier Doppelpack-Dröhnungen Epirubicin und Cyclophosphamid im Zweiwochentakt, die hoffentlich nie wiederkommen, gibt es ab sofort jeden Dienstag Paclitaxel und das zwölf Wochen lang. Was klingt wie ein Zaubertrank bei Asterix, ist Pazifische Eibe und im Global harmonisierten System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien mit den Symbolen für „Ätzwirkung“, „Gesundheitsgefahr“ und „Reizend“ versehen. Nach Aussage der Ärzt*innen sei dieses ganz reizende Zeug aber „besser verträglich“ als das vorige, löse eher keine Übelkeit aus, dafür aber möglicherweise bleibende Polyneuropathien, also Empfindungsstörungen und Lähmungserscheinungen in Händen und Füßen. Vor die Wahl gestellt, kann man sich schier gar nicht entscheiden. Seite an Seite mit dem ätzenden gallischen Zaubertrank kämpfen zudem neuerdings zwei mexikanische Gottheiten gegen den Drecksack, nämlich die Antikörper Trastuzumab und Pertuzumab. Diese beiden können nicht nur Tumorzellenwachstum verhindern, sondern auch Herzschädigungen und Durchfall hervorrufen. Aber wie schrieb Doc Huhn ebenso beruhigend wie lakonisch aus dem Off? „Keine Angst.“ Na, dann los!

Spaß mit der Relax-Funktion!

Der Ultraschall ist hart verdient. Zunächst gilt es, fünf öde Stunden mit Infusionen hinter mich zu bringen, die mich in eine Art Halbdämmer versetzen und mein Gehirn für den Rest des Tages komplett vernebeln. Ich döse vor mich hin, nicht mal meine Weihnachtsheft-Kollektion reißt mich aus meiner Apathie. Gegen Mittag jedoch kommt Leben in die Bude. Da die Tagesklinik plant, neue Chemo-Liegen anzuschaffen, wurden zwei verschiedene Modelle zum Testen aufgebaut (ein altes Modell sei laut Schwester mal samt Patientin umgekippt). Mit dem besseren soll langfristig nachgerüstet werden, und nun ist die Meinung der Patientinnen gefragt. In diesen fragwürdigen Genuss, das neue Möbel testen zu dürfen, kommt heute die recht betagte Dame neben mir.

Chemoliege mit Relaxfunktion.

Chemoliege mit Relaxfunktion.

Abgesehen davon, dass die Polsterung, die gleich drei poppig-schrille Quietschfarben in sich vereint, eine ästhetische Zumutung ist, findet die Testerin den Stuhl spontan „unbequem“. In diesem Zusammenhang wird sie von der Schwester auf die Fernbedienung hingewiesen, mithilfe derer sie sich in eine bequemere Position bringen könne. Dabei, so die Schwester, müsse sie, die Dame, jedoch aufpassen, da sich der am Stuhl festmontierte Tisch gleichzeitig mit der Liege neige. Die Patientin solle also ihre Tasse beim Runterfahren der Rückenlehne in die Hand nehmen und dann, in der gewünschten Position angekommen, die Tasse wieder auf das Tischchen stellen. Allein, das Tischchen verharrt – ebenso wie die Rückenlehne – in einem 45-Grad-Winkel, sodass sich beim besten Willen gar nichts darauf abstellen lässt. Die Test-Omi schimpft: „So ein Schwachsinn! Und wo soll ich jetzt mit meiner Tasse hin?“ Aber sie gibt nicht auf, und durch meinen Chemo-Nebel höre ich, wie sie stoisch mit ihrer Testreihe fortfährt. Plötzlich tut es einen Schlag, erschrocken fahre ich von meiner Liege hoch. Neben mir sitzt die Dame mit weit aufgerissenen Augen senkrecht auf dem topfebenen Höllengerät, die Rückenlehne ist ruckartig und mit einem Riesenlärm gegen die Steckdosenleiste an der Wand gekracht. „Was war jetzt des?“, will sie wissen. Die Schwester erklärt: „Oh – das ist die Relax-Funktion!“ Das Urteil der Test-Omi steht: „Also, des is nix.“

Blühende Landschaften

Nach dieser Slapstick-Einlage und zwei weiteren öden Stunden darf ich endlich zum Ultraschall. Routiniert erklimme ich die Liege, die Ärztin (eine andere als beim letzten Mal) sucht mit dem Sonoding den Drecksack in meiner linken Brust, und wie ihre Kollegin vor einigen Wochen fragt auch sie schließlich ratlos: „Wo ist der denn?!“ Immerhin findet sie einen der Clips, die Doc Huhn mir als Marker der ursprünglichen Tumorgrenzen eingepflanzt hat. Dann sagt sie: „Hm, also ich sehe hier so eine Strukturauffälligkeit, das müsste er sein…“ Sie nimmt großzügig Maß und kommt auf schlappe sieben mal sieben Millimeter. Ja Donnerwetter noch eins, das nenne ich mal einen steilen Abstieg: von einem aprikosengroßen Geschwür hin zu einer „Strukturauffälligkeit“, die sich zudem kaum noch ausmachen lässt! Wenn das so weitergeht, werden sie bei der nächsten Sonografie blühende Landschaften an der Stelle finden, wo einst der Drecksack hauste.

Endlich darf ich heim, mittlerweile fühle ich mich annähernd wie auf K.o.-Tropfen. Zu Hause falle ich direkt ins Bett und schlafe bis zum Abend. In den nächsten Tagen sind Paclitaxel, Trastuzumab und Pertuzumab meine ständigen Begleiter: Ich kann Großteilen von Konversationen nicht folgen, alles geht viel zu schnell, ich drifte immer wieder weg und werde zur intellektuellen Schnecke. Ansonsten brennt und juckt die Haut an meinen Händen und Füßen, in den Händen kribbelt es, und ich habe Durchfall. Insgesamt jedoch ist der neue Stoff weniger verheerend als der erste: Mir ist nicht mehr den ganzen Tag schlecht, sodass ich endlich aufhören kann, Sauerkraut, Salami und Senf zu essen. Und bekanntlich sind es ja die kleinen Dinge im Leben, die Freude machen.

Resilienz rules oder: Emotionen Pause machen

Corona und Krebs sind eine ätzende Kombination. Besonders für Hotti und Lotti ist der derzeitige Zustand eine ziemliche Zumutung: Sie sind Teenager*innen und wollen raus, feiern und Spaß haben. Statt Leichtigkeit und Unbeschwertheit heißt es jedoch: Rücksicht, Zurückhaltung, Vernunft und Kontrolle. Doch auch jenseits der speziellen Lage im Hause aktuelle dürften wir uns wohl alle darin einig sein, dass 2020 nicht das glanzvollste aller Jahre ist. Umso wichtiger ist es, die eigene mentale und psychische Grundkonstitution regelmäßig auf Vordermann zu bringen und so langfristig zu stählen. Um also in der gegenwärtigen Krise, die sich mutmaßlich noch eine ganze Weile ziehen wird, wenigstens einige unserer Tassen im Schrank zu behalten, habe ich als hauseigene Bundesregierung ein entsprechendes Maßnahmenpaket geschnürt, das ich seit Wochen sukzessive umsetze und gerne der Allgemeinheit als Basis für die persönliche Glücksforschung zur Verfügung stellen möchte.

Gönn Dir!

Millionen Chines*innen können nicht irren, wenn sie sagen „Es ist besser, ein Licht zu entzünden, als über die Dunkelheit zu klagen“, und so zünden Hotti, Lotti und ich nicht nur ab nachmittags allerorten Kerzen an, sondern arbeiten neuerdings auch hart mit dem Belohnungsprinzip. Für schulische Glanzleistungen bekommen die beiden regelmäßig Mandelhörnchen oder Quarkteig-Fledermäuse/-Nikoläuse vom Lieblingsbäcker, für erledigte Haus- und Haushaltsaufgaben winkt ein Einkaufsausflug in den geliebten Flohmarktladen, für ein Abenteuer in der Nuklearmedizin eine Boombox. Bis zum Lockdown gingen wir mit Fanta und deren Brut montags fett essen, alleine schon, weil wir den Montag geschafft hatten. Mittlerweile bestellen wir mittwochs Pizza, um die bewältigte Wochenhälfte zu feiern, und unterstützen so auch noch die hiesige Gastronomie. Darüber hinaus cheerleaden wir uns natürlich alle ständig gegenseitig: „Sagenhaft, wie Du Dich aufs Abi vorbereitest!“, „Wahnsinn, Du kapierst das amerikanische Wahlsystem!“, „Hammer, schon die vierte Chemo und Du lebst noch!“ Um mein eigenes Nerven- und Immunsystem und das meiner Freund*innen nicht bei unnötigen Einkaufstouren zu verschleißen, gönne ich mir selbst ein wöchentliches Gemüsekistenabo. Lotti hingegen, die aufgrund der lockdownbedingten Schließung des Zirkus Cannelloni Schwarz trägt, spendiere ich ein paar Gitarrenstunden bei der Nachbarin.

Erbauungsmediensammlung

Schließlich ist auch der passende Soundtrack in Krisenzeiten eine nicht zu unterschätzende Größe. Als Durchhaltehymnen empfehle ich Eye of the Tiger (von Survivor, sic!), Immer wieder kommt ein neuer Frühling und ganz besonders Emotionen Pause machen. Literarisch rate ich zu Tomte Tummetott, den dadaistischen Kurzgeschichten von Erwin Moser oder wahlweise Vogonengedichten. Resilienzratgeber dagegen, die momentan Hochkonjunktur haben, lassen wir schön im Regal stehen, zu groß ist der Optimierungsdruck, zu gering der Spaßfaktor: „Resilienz – Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“, „Machen Sie sich krisenfest!“, „Das Hindernis ist der Weg“, „Die sieben Säulen der Resilienz“, „Ab heute stresst mich gar nichts mehr“, um nur einige zu nennen. Auch herkömmliche Nachrichten sind wohldosiert einzusetzen, am besten alternierend mit Good News, einem Nachrichtenkanal zur Unterstützung des körpereigenen Optimismussystems.

In der Sektion Bewegte Bilder geben Tatortreiniger, Mord mit Aussicht, Lucifer oder Terminator (Sarah Connor beim Durchhalten zusehen) viel her, Tiervideos gehen ohnehin immer. Hier einige unserer Top-Favoriten:

Die unglaublichsten Freundschaften zwischen Tieren

Kakadu tanzt „What is love“

Paradiesvogel beim Balzen

Japanese Puffer Fish baut ein Mandala

Um Hottis und Lottis Serotoninspiegel stabil zu halten, plane ich für die kommenden Wintermonate – Gipfel der Dekadenz – zudem ein Streaming-Abo, mein lokaler Videothekdealer, zu dessen letzten Kund*innen ich vermutlich gehöre, möge es mir angesichts der außergewöhnlichen Umstände nachsehen.

„Vier Schlangen beten ein Emoji an“

Jenseits des Medienkonsums gibt es natürlich noch etliche weitere Betätigungsfelder, um sich selbst robust, durabel und widerstandsfähig zu halten. Hier eine wilde Sammlung, die unter anderem auf Umfragen im Freund*innenkreis zurückgeht: unvernünftig viel Nachtisch essen; Bratäpfel mit Vanillesoße machen, dazu Kakao mit Sahne reichen; Kekse backen; Schlafanzüge kaufen; Sonnenuntergänge anschauen und danach direkt ins Bett gehen; elementare Dinge wie Bewegung, frische Luft, Plaudereien mit Freund*innen, schlafen, schnuckeln; sich eine Katze auf den Bauch binden; puzzeln; aufhören zu hadern (inschallah); eine Kakteensammlung anschaffen und ihrem Beispiel an Anspruchslosigkeit und Ausdauer folgen; Ausflüge mit Paarhufern unternehmen (Artikel folgt); Wunderbra lesen; Wunderbra schreiben; eine Reha machen und sich mal nur um sich selbst drehen; eine Feuerschale im Garten installieren; Wartungsberichte von Flugzeugen lesen; sich an eine laufende Waschmaschine kuscheln (Polyvagaltherapie); eine Weltkarte aufhängen und sich darüber kaputtlachen, wo die Kinder (und man selbst) bestimmte Orte vermuten; töpfern; Specksteinskulpturen mit abgefahrenen Titeln kreieren („Vier Schlangen beten ein Emoji an“, „Trump in Zwangsjacke“); an der Work-Life-Balance feilen und die Gilmore Girls schauen (besser spät als nie); umziehen; reiten; in der Werkstatt abtauchen; Frühlingszwiebeln versenken; eine halbe Stunde glasig gucken; Pläne für das nächste Jahr schmieden (HA!).

Die wichtigsten Aphorismen

Ansonsten gelten die oben genannten Maßnahmen selbstverständlich auch sämtlich für Teenager*innen, können allerdings für diese Zielgruppe noch erweitert werden um beispielsweise stundenlange Badezimmersessions, Haarkuren mit Apfelessig-Minze-Tinkturen, Gesichtspackungen mit Apfelessig-Heilerde („FÜHL mal, wie WEICH!“), jeden Finger- und Fußnagel in einer anderen Farbe lackieren, noch mehr Musik hören, noch mehr Serien glotzen, noch mehr Nachtisch essen, auch und gerade zum Frühstück.

Den ganz Abgeklärten unter uns, die die oben zum besten gegebenen Ratschläge bereits selbst und mehrfach erfolglos angewandt haben und sich nach wie vor die Haare raufen, möchte ich abschließend noch folgende tröstliche Aphorismen ans Herz legen:

The difference between fiction and reality is that fiction has to make sense.

Don’t despair at the absurd – go with it.

Das Leben ist eine Phase.

Und nun, liebe Gemeinde, lasst uns gemeinsam die Raute machen und inbrünstig ins Universum schmettern: WIR SCHAFFEN DAS!

Pyjamaparty

To sleep c'est chic.

To sleep c’est chic.

Da mein Körper mittlerweile jede Nacht entgiftet wie der Teufel und ich daher mindestens einmal klatschnass geschwitzt aufwache und meinen Schlafanzug wechseln muss (ja, ich trage Schlafanzüge und liebe es!), komme ich mit dem Waschen nicht mehr hinterher, und die Schlabberteile werden knapp. Zudem befinden sich darunter Modelle, die ich zu Hottis Babyzeiten angeschafft habe, und genau so sehen sie auch aus. Zeit für neue Nachtwäsche!

To sleep c’est chic

Da wir einen wahnsinnig nachhaltigen und finanziell nicht allzu breit aufgestellten Haushalt betreiben, shoppen Hotti, Lotti und ich am liebsten Second Hand, sowohl analog als auch digital. Es ist Sonntag, mir ist schlecht, außerdem sind wir drei erkältet und es gibt nichts zu tun, also auf zur Flohmarkt-Plattform Kleiderkreisel. Ich gebe „Schlafanzug“ und meine Größe ein und bin auf der Stelle überwältigt ob der angezeigten Treffer. Als deformierte Mutter, die ich bin, denke ich natürlich nicht nur an mich, sondern sofort auch an die Brut und ihre potenziellen Schlafbedarfe, und bestelle Hotti und Lotti in meine hoheitlichen Gemächer ein. Gemeinsam sichten wir das Angebot, das dominiert wird von lollipoppigen Kitschkostümen mit Schleifchen, Rüschchen, Tierchen und geisteskranken Slogans auf der einen und knappen, rotlichtverdächtigen Plastikfummeln auf der anderen Seite. Wer wie wir auf der Suche ist nach grundsoliden, ehrlichen Schlafanzügen ohne Tiermotive und Mottos, dafür aber in moderaten Formen und Farben sowie naturnahen Materialien, hat es hier erst einmal schwer.

Coffee, Croissants and your Boyfriend

So sehen wir uns auf den ersten Blick nicht nur konfrontiert mit wahlweise schrillen oder bonbonfarbenen Herzchen, Blümchen, Sternchen, Bärchen, Kätzchen, Weihnachtsbäumen, Elchen und Eulen, sondern auch mit deepen Aufdrucken wie „Love“, „Honey“, „Wild Thing“, „Happy happy happy happy happy happy happy happy“, „Sweet Home“, „Sweet dreams“, „Once upon a dream“ (alles gerne in Kombination mit Snoopy, Miffy, Tweety oder Hello Kitty) oder Imperativen für die Nacht wie „Dream sweetly, sleep peacefully, wake up happily“ oder „Live, dream and be happy“. An Einfallsreichtum und Tiefsinn nicht zu überbieten sind auch „Born to sleep“, „To sleep c’est chic“, „Love is full of surprises“ (wie wahr!) oder „Coffee, Croissants and your Boyfriend“. Lotti postuliert: „Sowas kommt uns nicht ins Haus, das Ganze muss ja irgendwie noch Stil haben.“ „This moment should last forever“ scheint mir bezüglich meiner gegenwärtigen Lebenslage nicht ganz passend, für „This is the beautiful flowers stupend love“ hätte ich gerne eine Übersetzung, und bei „Collect moments not things“ möchte man ergänzen „… and hässliche Schlafanzüge“. Faszinierend auch die Drohung „What if i dream about you?”. Bei „Oh deer!“, einem Modell mit Reh, ist Lottis Toleranzgrenze erreicht, streng hält sie fest: „Keine Wortwitze auf meinen Schlafanzügen!“

Keep the Standard. Strong finish. Original. Extend the lead.

Der Vollständigkeit halber werfen wir noch einen kurzen Blick in die Männerabteilung, um zu sehen, was die nächtliche Herrenmode so hergibt. Erwartungsgemäß stoßen wir hier auf freche Karos und Streifen in fröhlichem Dunkelblau, -grün oder -rot sowie frischem Anthrazit und Schwarz; hübsche Motive wie Dinosaurier, Flugzeuge, Panzer oder Superhelden (außer Iron man, Homer Simpson und Papa Bear) sind jedoch Mangelware. Auch Mottos sind hier eher rar gesät: Außer „Keep the Standard. Strong finish. Original. Extend the lead.”, „Life is better at the beach“, „Winter Legend“ und „Gasoline – power 79“ finden wir nur „BVB“, „NASA“, zwei Modelle mit asiatischen Schriftzeichen, bei denen wir uns gar nicht vorstellen wollen, was die bedeuten, und „Sometimes you have to ride the wave you’re given“. Immerhin steht da nicht „wife“.

Alles richtig gemacht

Nach unserem Ausflug in die nächtliche Unterwelt gelingt es uns dann doch noch, eine stattliche Anzahl passabler Teile zu ergattern, die unseren hohen Ansprüchen genügen, und wir sehen mit Vorfreude der kommenden Paketflut entgegen. Die nächsten Tage sind wie Weihnachten: Mehrmals täglich klingeln berittene Boten und werfen Maxibriefe und kleine Päckchen vor unsere Haustür, wir packen aus, probieren an und sind im Glück, um nicht zu sagen „Happy happy happy happy happy happy happy happy“. Zugegebenermaßen findet sich dann doch die eine oder andere Eule oder Katze auf den guten Stücken (keine Rentiere!), und Lotti ist auch mit Hottis Bestellung von zwei doch etwas halbseidenen und bauchfreien „Schlafis“ nicht ganz zufrieden: „Die halten aber nicht die Nieren warm!“ Aus pandemiestrategischer Perspektive jedoch legen wir eine Punktlandung hin: Exakt zum neuen Lockdown sind wir gerüstet für den sich nun aufdrängenden Winterschlaf. Wo wir sind, ist wieder einmal vorn.