Aschenbrödel

Von Aschenbrödel lernen heißt fürs Leben lernen. Denn Aschenbrödel ist nicht nur ein großartiger 70er-Jahre-Weihnachtsschinken mit entzückender Klimpermusik, sondern auch echtes Vorbild in Sachen Lässigkeit und damit beinharte Lebenshilfe. Wir erinnern uns kurz: Die tschechische Cinderella reitet auf ihrem Schimmel Nikolaus immer wieder und verbotenerweise durch den weißen Winterwald und stößt dabei wiederholt auf den Prinzen, der dort ebenfalls unerlaubt unterwegs ist. Während der Prinz versucht, die Identität der schönen Unbekannten herauszubekommen und sich dabei zudem einigermaßen ungeschickt anstellt, entschwindet die angehende Prinzessin ein ums andere Mal erhobenen Hauptes auf weiter, weißer Winterflur, ohne mit der Wimper zu zucken. Außerdem hatte sie ja auch noch ein paar Zaubernüsse sowie eine weise Eule am Start, insofern konnte sie ohnehin unbesorgt ihrer Wege reiten. Der Rest ist Geschichte.

Doof vorm Schloss stehen ist auch keine Lösung

Allein: Was tut man, wenn der Prinz nicht tut, was im Skript steht? Wenn er, anstelle von Aschenbrödel, aus dem Ballsaal stürmt, nur um auf der Treppe seinen gläsernen Schuh zu verlieren und dann, ganz ladylike, auf dem Pferd der künftigen Prinzessin in die Nacht zu entfliehen? Und er sich nicht die Bohne dafür interessiert, wer da eigentlich im Ballkleid vor ihm steht? Dann steht man erst einmal ziemlich doof da, so allein vorm Schloss, mitten in der Nacht, im Ballkleid, ohne Gaul und fragt sich, wer hier eigentlich das Skript nicht gelesen hat. Und warum eigentlich immer alles so kompliziert sein muss, wo es doch, rein theoretisch, so einfach sein könnte. Wenn man dann noch zu einem halbwegs temperamentvollen Charakter neigt, fängt man ab einem bestimmten Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an, sich aufzuregen und ein Tourette-Syndrom zu entwickeln. In diesem emotionalen Bermuda-Dreieck ist vermutlich schon so manch eine von uns verlorengegangen.

Aber weil doof Dastehen, sinnlos Grübeln und Sichaufregen dauerhaft auch keine wirklich abendfüllenden Veranstaltungen sind, stellt sich noch einmal die Frage: Was macht man als herausgeputzte Küchenmagd, Mutter, Arbeitnehmerin und angehende Prinzessin ohne Zaubernüsse, wenn sich der Prinz als schnöder Pferdedieb entpuppt? Man erhebt sein Haupt, richtet, einmal mehr, sein Krönchen, macht sich ein Radler auf und gibt niemals (niemals!) den Gaul aus der Hand. Und dann reitet man lässig weiter.

die aktuelle

Leaving the Dead Horse 2011

Das Jahr 2011 stand ganz im Zeichen des Toten Pferdes. So wie die aktuelle permanent Altes abgeschlossen hat, um dann noch Altes abzuschließen, bin ich etwa 5000 Mal vom Toten Pferd abgestiegen. Bereits am Anfang des Jahres war meine Arbeit als ausgebeuteter Gutmensch im Gesundheitswesen zu DEM Toten Pferd 2011 gekührt worden. Trotzdem bin ich noch ein Weilchen verbissen sitzen geblieben (man will ja nix überstürzen), hab ihm und mir wahrweise gut zugeredet, HüüüAAH geschrien oder auf uns beide eingeprügelt. Der Gaul hat sich einfach nicht mehr gerührt. Ein paar Mal bin ich fast abgestiegen. Doch jedes Mal, wenn ich kurz davor war, hätte ich schwören können, daß doch noch irgendwo ein Röcheln zu hören war. Ich habe eine wichtige Erfahrung mit toten Pferden gemacht, nämlich die, das schlimmer immer geht. Wer sich weigert, abzusteigen, der wird im Sattel keine Freude haben. Das Leben kreiert, was es fordert. Jedes Mal, wenn man den obersten Toleranzbereich der persönlichen Leidensfähigkeit noch ein Stückchen weiter ausgedehnt hat, damit sich bloß nichts verändert, wird einfach erbarmungslos noch eins draufgesetzt. Das Leben gibt alles, um einem die eigene Feigheit gründlich zu vermiesen und das Pferd fängt auch an zu stinken.
Bis man schließlich am Rande des 5. Nervenzusammenbruchs endlich aus dem Sattel rutscht und feststellt, daß eigentlich garnichts Schlimmes passiert, sondern es einfach irgendwo weitergeht. Grade noch handfeste Burnout-Kandidatin, jetzt schon auf unserer Showbühne!
Neben dem Wechsel von Schwester zu Studentin gab es auch noch einige andere interessante neue Dinge und Erfahrungen. Ich habe zum ersten Mal erfolgreich einen körpertherapeutischen Workshop an der VHS gegeben, OHNE vorher vor Angst zu sterben. Und ich werde das nächstes Jahr wieder tun. Interessierte Frauen dürfen hier klicken, ich habe nämlich ebenfalls gelernt, dass Werbung nichts Böses ist und überzogene Schüchternheit auch ein totes Pferd.
Ich bin barfuß über glühende Kohlen gelaufen, habe Adorno gelesen, täglich mit Materie gekämpft und meistens gesiegt, die hohe Kunst des Raframings erlernt, an zauberhaften Feuern mit der aktuellen Altes abgeschlossen. Ich habe begriffen, dass Scheiße, auch wenn man versucht, sie in Geschenkpapier einzuwickeln, trotzdem stinkt und dass ein Donner aus tiefem Herzen mehr nützt als harmonisches Gutgemeine. Und ich habe eine Riesenladung Neues eingeladen.
In diesem Sinne HÜÜÜAAAH

Ma Baker

3-2-1-0 Ein notwendiger Abgesang

Bild: DoctorWho, Lizenz: CC

Schon seit Anfang September lief der Countdown langsam aber sicher Richtung Krankenhaus-Glastür, die sich bald für immer hinter mir schließen sollte – ich draußen und der Rest bitte DRINNEN!! Die Schwester war angezählt, ein totes Pferd. Agent Elliot Panty hat ihre letzte Mission erfüllt – sie hat nach ausgiebigem Bebrüten des Eis, wie das so ihre Art ist, kühn und präzise zugeschlagen und gekündigt. Eigentlich sollte dies ein Artikel in bekannter Wunderbramanier werden, ein humoristisch aufbereiteter Abgesang auf 11 Jahre Fencheltee, Schichtwechsel, Kreuzschmerzen, Waschlappen, Lebenretten und Paradiespunkte. Seit meinem finalen Spätdienst letzten Dienstag warte ich darauf, daß sich irgendein wuchtiges Gefühl einstellt – riesengroße Erleichterung, Wehmut wegen den Kollegen, neue Freiheit – irgendwas muß doch jetzt von mir abfallen wie eine Geröllawine. Oder? Die Wahrheit ist eine sehr verhaltene Mischung aus allem gleichzeitig, die auch nach lägerem Nachdenken keinen lustigen roten Faden hergeben will. Also heute mal weniger witzig, dafür mehr wahr.
Hier ein kleiner Blick in meinen Kopf, den seit Tagen Erinnerungen durchwandern. Der Backstagebereich eines Krankenhauses ist eine sehr eigene Welt, die sich von Serien wie Emergency Room im Wesentlichen dadurch unterscheidet, daß man sich in der Realität immer fragt, wo denn die ganzen Leute mit der kleinen Rolle sind, die auf Abruf bereit stehen und ständig rufen: Ich kümmer mich drum! Um die Anlage einer Thoraxdrainage (weil der Patient keine Luft mehr kriegt), oder um eine Notfallcomputertomographie (weil alles den Anschein hat, als wären mal eben einige Liter Blut irgendwo im Patient verloren gegangen, die man dringend wiederfinden sollte, oder zumindest das Loch, durch das sie entwischt sind). Dort, wo in der Glotze einfühldsame Ärzte einfühlsame Gespräche mit Angehörigen führen findet sich in der Realität oft niemand, und der hat für sowas auch keine Zeit. Was hätten wir für einen aufblasbaren George Clooney gegeben, der immer im richtigen Moment mit seinen Rehaugen zur Stelle gewesen wäre und die richtigen Worte gefunden hätte.
Es ist eine Welt, in der einem Seiten des Menschseins begegnen, die man im Leben draußen nicht zu Gesicht bekommt. Vor allem ältere Menschen produzieren nach einer Narkose oftmals einen vorübergehenden Verwirrungszustand. Man bekommt Teetassen an den Kopf und im nächsten Moment eindeutige Avancen, man wird vergöttert, verflucht, gestreichelt, angespukt und dann wieder von vorn.
Und egal, ob sie nun verwirrt sind, Schmerzen haben, bei jedem Handgriff auf Hilfe angewiesen sind oder im Sterben liegen, den meisten Patienten kommt man sehr nahe – so nah, wie man ihnen im normalen Leben nie kommen würde. Man erfährt etwas über das Menschsein an seinen Grenzen. Und über das Sterben, den Tod, den man dann hastig in Kühlfächern verschließt oder versucht, wegzudesinfizieren, obwohl er einfach in der Luft liegt. Manchmal begegnet man ihm in Frieden, winkt mit einem weißen Taschentuch, welches sagt: Du darfst kommen! Aber meistens zieht man in eine Schlacht, bewaffnet mit Beatmungsgeräten, Defibrillator und allem, was pharmazeutisch gut und teuer ist, und erst nach Wochen wird endlich kapituliert. Man fühlt sich wie der Weihnachtsmann und der Osterhase gleichzeitig, der jemandem nach 3 Tagen Nüchternsein den ersten Schluck Wasser anbietet oder ist die gute Fee mit dem hochpotenten Morphinderivat im Anschlag, das grausige Schmerzen in einer weichen weißen Wolke auflöst. Man erfährt tiefe Dankbarkeit und weiß, daß einem etwas sehr Wichtiges anvertraut ist.
Neben dem jahrelangen berechtigten Klagen und Schimpfen wollte ich das nochmal ausdrücklich erwähnen.
Und jetzt bye bye Schwester, es war auch schön mit Dir!

Ma Baker

Den Mutigen gehört die Welt

Mut ist, wenn du Todesangst hast und dich trotzdem in den Sattel schwingst.
(John Wayne)

Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass es diesen Blog überhaupt gibt. Ma Baker und die aktuelle mussten es nicht nur mit chronischem Zeitmangel, latenter Technikfeindlichkeit, äußeren Umständen, Außerirdischen und anderen Ausreden aufnehmen, nein, es galt vor allem auch Chancen und Risiken abzuwägen (Was, wenn uns nichts einfällt? Oder, schlimmer: Was, wenn uns jemand liest?), weibliche Selbstzweifel zu überwinden (Wier könen gah nich schraibn.) und männliche Zweifel am weiblichen Informationsgehalt zu ignorieren (Boar, voll selbstreferenziell, langweilig ey!) .

Peinlich, nicht putzig
Leider mussten wir feststellen, dass ab einem bestimmten Punkt auch und gerade die weiblichen Minderwertigkeitskomplexe einfach nicht mehr putzig, sondern nur noch peinlich und darüber hinaus hochgradig hinderlich sind. Diese bittere Erfahrung mache ich, als mir an ein und demselben Tag von zwei durchaus wohlmeinenden männlichen Mitmenschen die Frage nach dem Gedeihen unseres Blogs gestellt wird. Beim ersten Mal stammele ich etwas wie: „Ääääh, technisch ist alles fertig, nur trauen wir uns jetzt nicht was reinzustellen. (Pause.) Äääääh, das ist so’n Mädchending.“ Ich ernte einen ratlosen Blick, eine hochgezogene Augenbraue und der wohlmeinende Mann verlässt den Raum. Beim zweiten Mal sage ich nur: „Ich möchte nicht darüber reden.“ In dem Moment wird mir klar, dass es sich mit Selbstsabotage nicht länger kokettieren lässt und auch keine Blumentöpfe mehr zu gewinnen gibt. Im Gegenteil. Irgendwann werden Ichkanndasnicht und Ichtraumichnicht a) unsexy, b) albern, c) sinnlos, d) Energie- und e) Zeitverschwendung. Und irgendwann kann man es auch selbst nicht mehr hören.

Move your ass!

Also bissen wir in saure Äpfel, schluckten Kröten, brachen uns Zacken aus der Krone, sprangen über Schatten, schwangen uns in den Sattel und fingen an zu schreiben, um über den Tücken des Alltags nicht komplett den Verstand zu verlieren, den letzten Dingen auf den Grund zu gehen und damit auch noch uns und unser wertes Publikum zu bespaßen. Dass das schließlich doch noch geklappt hat, finden wir ganz wunderbra!