Mein 26. Geburtstag

Dank Klimawandel ist es Ende März schon warm wie früher nur zu Pfingsten, und im Radio geben die Moderatoren bereits Tipps zur Höhe des Lichtschutzfaktors durch. Das ist toll, weil ich so mittlerweile verlässlich meinen Geburtstag bei strahlendem Sonnenschein zelebrieren kann, ohne Sonnenbrand zu bekommen, und das, obwohl ich ursprünglich und irgendwie auch passenderweise mitten in einem Schneesturm das Licht dieser seltsamen Welt erblickte.

Die Welt ist groß und Rettung lauert überall

Auch ansonsten wird es, abgesehen von der Zeitumstellung, die mir morgens um halb sieben die Tränen in die Augen treibt, ein recht schöner Tag. Hotti und Lotti stehen auf, ohne dass ich sie aus dem Bett sprengen muss, und als ich nach 15 Minuten Totenstille mal einen beunruhigten Blick ins Bad werfe, stehen da Hand in Hand zwei ordentlich angezogene, hübsch aufgereihte Mädchen in Kleidchen, die sich nicht wie sonst prügeln, kneifen und die Haare ausreißen, sondern wie aus der Pistole geschossen ein Happy Birthday schmettern, das sich gewaschen hat. Zum Frühstück gibt es selbstgekauften Schokokuchen und Geschenke: Von Hotti bekomme ich erst mal gar nichts, von Lotti eine angemalte Pappschachtel, von Fanta kiloweise tolle Musik und vom Herrn Nachbar, der mir für den heutigen Grillausflug freundlicherweise seinen Bollerwagen zur Verfügung gestellt hat, einen Film mit dem vielversprechenden Titel: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. Den ersten Teil unterschreibe ich sofort, was die allgegenwärtigen Rettungskräfte im Dauereinsatz betrifft, bin ich noch nicht ganz so sicher.

Meine Lieblingsredaktion ruft an, um mir zu gratulieren, und ich erzähle dreimal nacheinander, wie toll freie Tage sind, und dass wir alle eigentlich überhaupt nicht arbeiten, sondern viel mehr Blumen säen und andere nette Dinge tun sollten. Dr. Sprite, Mr. Matrix und Madame Elle lachen artig und machen sich dann auf den Weg zur nächsten Sitzung.

Bügelperlenmama

Nachmittags fliegen Frau Blocksberg und ich mit den Kindern zum Grillen auf den Brocken, und auch dort ist alles fein. Abgesehen davon, dass Frau Blocksberg sich einen Splitter in den Hexenfinger rammt und ein Würstchen nach dem anderen ins Feuer fällt, ereignen sich keine nennenswerten Katastrophen. Niemand sticht sich mit dem Taschenmesser die Augen aus, niemand schlägt sich Platzwunden an den Hinkelsteinen, die rund um die Grillstelle stehen, und keiner verbrennt. Hotti findet ein Stück Holz mit schönen Holzwurmmaserungen, das sie mir schenkt, und Frau Blocksberg einen tollen großen Stein mit Loch, den ich mir um den Hals hängen kann, sollte ich mal wieder Gefahr laufen, abzuheben.

Von Hotti bekomme ich abends noch ein Bügelperlenbild mit dem Schriftzug „Mama“, wahrscheinlich denkt sie, dass ich ohnehin nicht mehr die Jüngste bin und dringend eine Erinnerungshilfe brauche, damit ich auf keinen Fall vergesse, wer ich bin und welchen Verpflichtungen ich nachzukommen habe. Abends kommt Giannini vorbei, die ich seit dem legendären Urlaub an der Côte d’Azur im letzten Sommer nicht mehr gesehen habe, und wir kommen zu dem Ergebnis, dass 2012 nicht nur hellblau, frisch und klar ist, sondern auch alles gut wird, dieses Jahr bestimmt!

die aktuelle

Frühling und so weiter

Eben noch in den Fängen einer kleinen Winterdepression, jetzt schon im Frühlingsrausch: Vögel reißen einen morgens um fünf mit Balzrandale aus dem Schlaf („Nimm mich!!“), die Nachbarn steigen um sieben mit Home Improvement ein, Altglas wird zum Container gefahren, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt, und Horden von sportlich gesinnten Menschen stolpern mehr oder weniger dynamisch mit Nordic Walking-Stöcken durch Wald und Flur. Erschien einem eben noch alles recht sinnfrei, leer und endlos, so dass man in Erwägung zog, dem Ganzen mit einer Überdosis Voyager und Schokoriegeln ein Ende zu setzen, fragt man sich angesichts fluffig vorbeiziehender Wölkchen jetzt: „War was?“

Dank Klimawandel erreichen die Temperaturen bereits im März Rekordwerte von knapp 30 Grad Celsius, beim mittäglichen Spaghetti-Eis mit den Kollegen bekommt man Sonnenbrand, und Arbeiten zu gehen erscheint sinnloser denn je, man möchte nur noch eins: Raus. Männer wie Frauen ziehen immer weniger an, trinken ihre Latten wieder ohne Polyesterdecken auf den Knien, man verliebt sich und verliert mindestens den Kopf, Kinder entwickeln ihre alljährliche Insektenhysterie, und heuschnupfengeplagte Zeitgenossen suchen nach neuen Vulgarismen, um ihrem saisonalen Leid angemessen Ausdruck zu verleihen.

Erdbeeren, Spargel, Schweinenacken

Menschen beziehen Betten, putzen Fenster, schütteln Teppichfusseln in den Milchkaffeeschaum ihrer Nachbarn und werfen alte Matratzen und vertrocknete Weihnachtsbäume aus den Fenstern, Balkone werden von im Winter geplatzten Bierkästen gereinigt, das Wintergesicht eingemottet, man wagt ein Lächeln oder zwei, und kleine Kinder verscherbeln an jeder Straßenecke ihren überflüssig gewordenen Kinderzimmerkruscht an andere, noch kleinere Kinder. Ungeduldige kaufen Erdbeeren aus Südafrika und Spargel aus Marokko, spirituell Bewegte umarmen Bäume, und vorsommerlich Umnachtete werfen in jeder noch so kleinen Freiluftnische Würstchen und marinierte Schweinenacken auf den Grill.

Die Saison für Hexenfeuer wird eröffnet, Bollerwagen werden nachbarschaftlich ausgetauscht, Mörike und Goethe überstrapaziert, und sogar die aktuelle bekommt wieder Lust, abendelang in Kneipen zu verhängen, kettezurauchen und kommunikativ zu sein. Frühling, ja, Du und so weiter…

die aktuelle

New Mom in Town

Da wäre ich dann also wieder, mitten in der Grünen Hölle, wie der Spiegel ebenso schön wie nicht ganz unwahr meine neue alte Heimat jüngst betitelte. Die Kisten sind fast alle ausgepackt, bis auf einige wenige im Kinderzimmer, die ich mich nicht getraue aufzumachen, weil in ihnen die Feng-Shui-Hölle tobt: angefangene Bastelarbeiten, auf der Straße gefundene Dinge und andere Kostbarkeiten, Hottis Stiftespitzen-Sammlung (ja, sie sammelt abgebrochene Buntstiftspitzen, die Gute), Lottis Schießmunition-Sammlung (kleine gelbe Plastikkügelchen, die Jungs mit Plastikknarren im Park verschießen) und ca. 50 Millionen Kuscheltiere. Ich dagegen habe mir anlässlich der neuen Gegebenheiten ein eigenes Zimmer (Feng-Shui-Himmel) rausgelassen und mich von jedwedem irdischen Kram befreit, der bei 3 nicht auf den Bäumen war. (Dearest Fangemeinde, wenn Ihr mich wirklich liebt, dann schenkt Ihr mir ab jetzt nur noch Dinge, die verwelken oder essbar sind.)

Der Volkspark heißt jetzt Panzerhalle

Der Volkspark (Grünfläche mit 2 Spielplätzen, in der alten Heimat unser zweites Wohnzimmer) heißt jetzt Panzerhalle (Panzerhalle inmitten einer spielplatzähnlichen Grünfläche, in der neuen Heimat vermutlich mein dritter Balkon), Volkspark für Fortgeschrittene sozusagen, und da hänge ich jetzt mit den ganzen LOHAS-Eltern herum, die sich zehn Tage nach dem Spiegel-Verriss noch vor die Haustür trauen: jung, dynamisch, ökologisch, nachhaltig, schick (mutig: weiße Blusen), ausgerüstet mit elektrolytischer Apfelschorle und zahnschonenden Reiswaffeln für den alternativen Nachwuchs sowie einer gepflegten Latte Macchiato für sich selbst. Bei der Recherche nach der richtigen Schreibweise bin ich gerade über das sehr netten Abschnitt der „Kulturellen Bedeutung“ dieses koffeinhaltigen Heißgetränks in der Wikipedia gestolpert, das ich an dieser Stelle kurz anbringen möchte:

„Latte macchiato wird, ähnlich wie auch auch Bionade, häufig als Symbol für trendbewusste Neu-Großstädter der kreativen Mittelschicht und jungen Elterngeneration in Szenebezirken verwendet und demzufolge auch abwertend als Modegetränk der Yuppies und sarkastisch als Symbol und begleitendes Getränk von Gentrifizierungsprozessen betrachtet; Stereotype die unter anderem auch von Kabarettisten wie Rainald Grebe und Philip Tägert oder in dem Musical Mama Macchiato karikiert werden. Betroffene Bezirke werden in diesem Zusammenhang häufig als „Latte-macchiato-Viertel“, beziehungsweise „Latte-macchiato-Kiez“ bezeichnet. Unter der Bezeichnung „Latte-macchiato-Eltern“ oder auch speziell „Latte-macchiato-Mütter“ definieren Trend- und Zukunftsforscher eine marktwirtschaftlich relevante Zielgruppe, die einen bewusst urbanen Lebensstil in das Familienleben integrieren möchte.“ (Wikipedia)

Hat Dieter Thomas Kuhn seinen Porsche schon verkauft?

Ich lasse das jetzt mal so stehen, man muss es sich ja nicht gleich in der dritten Woche nach dem Umzug mit dem neuen Sozialgefüge verscherzen, zumal der Spiegel-Artikel hier nicht wirklich auf begeisterte Anhänger spieß, äh, stieß, und die meisten Leute hier sind ja auch wirklich nett. Gell! Bin heute übrigens an Dieter Thomas Kuhn beim nachmittäglichen Drink mit seinen Kumpels vorbeigelaufen, habe leider ganz vergessen ihn zu fragen, ob er seinen Porsche schon verkauft hat.

Hotti und Lotti sind völlig im Glück, sie ahnen noch nichts von Gentrifizierungsprozessen und Schlagermusik, sondern rennen den ganzen Tag durchs Treppenhaus, um andere Kinder einzusammeln, schwingen sich an Lianenschaukeln durch die grüne Hölle oder stürzen sich todesmutig in die Blaulach, den reißenden, an seiner breitesten Stelle ca. 50 cm fassenden Strom, der vor unserem Haus dahinplätschert.

Ich persönlich stehe noch ein bisschen unter dem Nachbeben des Umzugs, der mich physisch, mental und ökonomisch an meine Grenzen und darüber hinaus gebracht hat (wo nie ein Mensch zuvor gewesen…). Die Bilanz: Rückenschmerzen, entzündete Sehnen und Handgelenke, ein zerrüttetes Nervenkostüm und Schulden bei der Bank. Ansonsten versuche ich mich gerade an 5 Meter gegenüberliegende Häuser mit riesigen Fensterfronten zu gewöhnen, in denen Katalogfamilien zu Abend essen und an deren Dachterrassen Muschelketten hängen, und auch dass die mir plötzlich alle beim Ausziehen – Schlafen – Nasebohren zuschauen können, finde ich noch leicht grenzwertig. Aber sicher nicht mehr lang, schließlich sind wir ja alle eine grüne Familie.

Höllische Grüße
die aktuelle

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Pastellsommer

Bild: Fishy, Lizenz:CC

Liebe Mitmenschen, in diesem Fall insbesondere die Mitfrauen!
War irgendeine von Euch schon Ihre Sommergarderobe aufpeppen? Ende Mai ist das, denke ich, anzunehmen. Und habt Ihr die Trendfarben des Sommers gesehen? Ich habe zumindest mal meine Augen in ein kräftiges Rot gerieben, weil ich immernoch denke, es liegt irgendein Film drauf. Wird nicht besser, nur schmerzhafter. Wir scheinen die Ehre zu haben, diesen Sommer eher dezent und in dekorativer Sänfte zu verbringen. Das alles beherrschende Motto heißt PASTELL! Pastellfarben zeichnen sich durch ihren hohen Weißanteil aus, der jede anständige Farbe mit Substanz in eine Plörre verwandelt, die sich nur noch für Klokacheln eignet. An Klokacheln finde ich diese sanften Töne eigentlich auch ganz schön, wer will sich schon beim kleinen und großen Geschäft mit irgendeiner stressigen Farbe die Darmperistaltik durcheinander bringen. Aber Anziehen will ich sowas doch nicht! Zumindest nicht ausschließlich! Aber vergeblich sucht man die Weiten des Kaufhauses nach irgendeinem kräftigen Farbimpuls ab, mit dem man durch geschicktes Kombinieren vielleicht noch irgendwas retten könnte. Was ist wohl von einem Sommer zu erwarten, der sich im Farbspektrum zwischen hautfarben und flieder bewegt? Ich befürche Schlimmes. Gähnende Langeweile, fades Essen, sinnlose Gespräche, Kopfweh, NichtmalnenrichtigenSonnenbrand, endgültige Stagnation, Sackgasse, Nichtsgehtmehr…!
Die einzige sommertaugliche Assoziation zu dieser Farbauswahl ist Softeis.
Naja, immerhin etwas! Davon dann bitte ne Menge!

Ma Baker
(die sich auch schon ganz dezent fühlt)