Den Mutigen gehört die Welt

Mut ist, wenn du Todesangst hast und dich trotzdem in den Sattel schwingst.
(John Wayne)

Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass es diesen Blog überhaupt gibt. Ma Baker und die aktuelle mussten es nicht nur mit chronischem Zeitmangel, latenter Technikfeindlichkeit, äußeren Umständen, Außerirdischen und anderen Ausreden aufnehmen, nein, es galt vor allem auch Chancen und Risiken abzuwägen (Was, wenn uns nichts einfällt? Oder, schlimmer: Was, wenn uns jemand liest?), weibliche Selbstzweifel zu überwinden (Wier könen gah nich schraibn.) und männliche Zweifel am weiblichen Informationsgehalt zu ignorieren (Boar, voll selbstreferenziell, langweilig ey!) .

Peinlich, nicht putzig
Leider mussten wir feststellen, dass ab einem bestimmten Punkt auch und gerade die weiblichen Minderwertigkeitskomplexe einfach nicht mehr putzig, sondern nur noch peinlich und darüber hinaus hochgradig hinderlich sind. Diese bittere Erfahrung mache ich, als mir an ein und demselben Tag von zwei durchaus wohlmeinenden männlichen Mitmenschen die Frage nach dem Gedeihen unseres Blogs gestellt wird. Beim ersten Mal stammele ich etwas wie: „Ääääh, technisch ist alles fertig, nur trauen wir uns jetzt nicht was reinzustellen. (Pause.) Äääääh, das ist so’n Mädchending.“ Ich ernte einen ratlosen Blick, eine hochgezogene Augenbraue und der wohlmeinende Mann verlässt den Raum. Beim zweiten Mal sage ich nur: „Ich möchte nicht darüber reden.“ In dem Moment wird mir klar, dass es sich mit Selbstsabotage nicht länger kokettieren lässt und auch keine Blumentöpfe mehr zu gewinnen gibt. Im Gegenteil. Irgendwann werden Ichkanndasnicht und Ichtraumichnicht a) unsexy, b) albern, c) sinnlos, d) Energie- und e) Zeitverschwendung. Und irgendwann kann man es auch selbst nicht mehr hören.

Move your ass!

Also bissen wir in saure Äpfel, schluckten Kröten, brachen uns Zacken aus der Krone, sprangen über Schatten, schwangen uns in den Sattel und fingen an zu schreiben, um über den Tücken des Alltags nicht komplett den Verstand zu verlieren, den letzten Dingen auf den Grund zu gehen und damit auch noch uns und unser wertes Publikum zu bespaßen. Dass das schließlich doch noch geklappt hat, finden wir ganz wunderbra!

Lebenslänglich

Das neue Programm der Volkshochschule ist da. Da lebenslanges Lernen inzwischen Standard ist und auch Nahtoderfahrende vor Weiterbildungsmaßnahmen nur bedingt sicher sind – auch von ihnen wird beispielsweise eine einigermaßen solide Medienkompetenz erwartet (Stichwort Silversurfer) – , begebe ich mich also auf die Suche nach einer passenden Horizonterweiterung. Das Heft beginnt mit Kursen zur Stressbewältigung: Stressbewältigung durch Achtsamkeit, Umgang mit Ärger, Klopfakkupressur bei Ängsten (gibt’s wirklich) und Fühl dich gut (Bitte Socken mitbringen!). Den Kursen, die Hektik, Wut und Perfektionismus den Kampf ansagen, folgen Angebote zur Effizienzsteigerung: Speed-Reading (schnellere, effektivere Lesegeschwindigkeit für Studierende), Meine Kompetenzen managen, Perfekt verpackt! Deine schriftliche Bewerbung und Perfekt auftreten! Individuelle Selbstpräsentation im Vorstellungsgespräch.

Und jetzt? Be- oder entschleunigen, ich kann mich nicht entscheiden. Vielleicht sollte ich selbst Kurse anbieten. Wie wäre es zum Beispiel mit Traumatisierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene des Turbokapitalismus oder Lebensfreude trotz Neoliberalismus (Bitte Socken mitbringen!)? Anmeldungen gerne in den Kommentarfeldern von Wunderbra.

Neighbours

Ein Sondereinsatzkommando stürmt die Wohnung und reißt die Anlage auf. Bild: Stefán, Lizenz: cc

Heute ist Samstag. Ich habe einen perfiden Plan ausgetüftelt, wie ich Hotti und Lotti garantiert zum längeren Ausschlafen als 6 Uhr 30 bewegen kann. (Eins der unerklärlichen Kindernaturgesetze besteht darin, dass man sie unter der Woche um 6 Uhr 30 nicht aus dem Bett bekommt, während sie am Wochenende um exakt dieselbe Uhrzeit topfit durch die Wohnung springen.) Gestern Abend also ließ ich sie extra lange herumtoben, bis sie mich anflehten sie endlich ins Bett zu bringen. Ich ließ die Rollläden im Kinderzimmer herunter, um ewige Nacht vorzutäuschen, und das Flurlicht brennen, damit niemand wegen totaler Finsternis und etwaiger Monster, Räuber, Vogelspinnen oder Krokodile, die sich gerne in selbiger herumtreiben, in Panik ausbricht. Und um Mitternacht zerrte ich die jammernde Lotti aus ihrem Bett und aufs Klo, nur damit sie nicht nachts um drei Pipi muss. Danach legte ich mich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen und der Gewissheit, alles für einen wohlverdienten ausgedehnten Schlaf ohne Unterbrechungen gesorgt zu haben, zur Ruhe.

Schlafstörungen, Liebeskummer oder Dachschaden?
Um sechs Uhr morgens jagt ein Sondereinsatzkommando mit schweren Maschinengewehren die Treppen hoch und tritt unsere Wohnungstür ein. Sie spielen RELAX von Frankie goes to Hollywood im Wohnzimmer und reißen die Stereoanlage auf. Ich sitze senkrecht in meinem Bett. Mein neuer Nachbar! Er arbeitet nachts und schläft dafür nicht tags, offensichtlich auch am Wochenende. Das Problem: Unsere Schlafzimmer liegen nebeneinander und sind quasi nur durch eine Papierwand getrennt. Durch diese dröhnt jetzt Nineteen von Paul Hardcastle. Ein wilder Ritt durch die 80er beginnt, allerdings werden die Titel nur angespielt. Ich liege auf dem Rücken, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und rate die Titel. Zwanzig Sekunden Miami Vice Theme folgen vier verschiedene Metalbands (erkenne ich nicht), danach First Time First Love, schließlich bleibt er hängen bei I Need A Hero. Den brauche ich auch und der geht dann rüber und lässt meinen Nachbarn seine eigene Anlage fressen. Ey, was hat der genommen?! Hat er Schlafstörungen, Liebeskummer oder einfach einen Knall?? Der hat die ganze Nacht gearbeitet, der muss doch müde sein, warum schläft der nicht?

Um sieben Uhr: Plötzliche Stille. Entweder er ist eingeschlafen oder zusammengebrochen. Ich bin hellwach. Ich stehe auf und gehe duschen. Hotti und Lotti schlafen friedlich. Einkaufszettel für Drogerie: Ohropax für mich, eine Zehnerpackung Hopfen-Baldrian-Dragees für meinen Nachbarn.

Mein Schmerz ist größer als Dein Schmerz

Bild: Rosebud 23, Lizenz:CC

Ich stehe in einem lampionbeschienenen Garten, zarter Blumenduft umgibt mich und menschliche Stimmen dringen an mein Ohr. Einen Augenblick lang muß ich mich orientieren. Ich starre auf meine linke Hand, die einen Pappteller trägt, auf dem unverkennbar eine Grillwurst liegt. Meine rechte Hand hält sich an einer Bierflasche fest. Mir wird klar, wo ich bin: Auf einer Party!
Es erscheint mir eigenartig still, aber meistens braucht so eine Feier ja einen kleinen Anlauf. Jemand winkt mir, ich erkenne MeinGott, einen Freund von mir, der sich gerade mit zwei Frauen unterhält. Ich geselle mich dazu und setzte gerade dazu an, mit unverfänglich freundlichem Blabla in das Gespräch einzusteigen, als mich eine der beiden Damen, die ich irgendwo anders schon als Ou-weih kennengelernt habe, fragt: „ Und, was bedeutet für Dich Weiblichkeit?“ Ich bin zugegebenermaßen etwas irritiert von dieser Frage, denke als allererstes an Tampons und daran, daß es eine Frechheit von o.le ist, selbige mit Gerinnungshemmern zu versetzen, damit frau mehr davon braucht. Aber eine Antwort von mir scheint auch nicht zwingend notwendig. Ou-weih führt bereits ihre Gedanken weiter aus und ihrer Rede kann man entnehmen, daß es für sie immer noch schwer ist, ihre Weiblichkeit anzunehmen, da sie in ihrer Pubertät keine Anerkennung für ihren sich entwickelnden Körper bekommen hat. Die Frau neben ihr fügt dem eifrig hinzu, daß bei ihr ja noch erschwerend hinzugekommen sei, daß ihre Mutter für sie keinerlei positives Identifikationsobjekt gewesen war. Als die beiden beginnen, jede ihrer bisherigen Beziehungen hinsichtlich dieser Tatsachen zu durchleuchten stiehlt sich mein Inneres davon und als MeinGott aus Sicht der Männer ebensoviel beizutragen hat, folgt mir auch meine bierhaltende Hülle.
Ich brauche etwas leichter Verdauliches.
Beim Salatbuffet komme ich ins Gespräch mit einem flüchtig Bekannten, der sich nach dem dritten Salatblatt leider intensiv damit zu beschäftigen beginnt, daß ihn in der vierten Klasse alle gehänselt hatten, weil er ein wenig pummelig gewesen war. Als wir auch seine darauf folgende jahrelange Eßstörung samt dem mühevollen Weg wieder raus unter Berücksichtigung der Tatsache, daß dieses Problem ja bei Männern sehr unterschätzt wird, erörtert haben, ist mein Bier alle und ich brauche dringend ein Neues.
Auf dem Rückweg treffe ich Nu-ja, eine frühere Freundin und bin erleichtert, als wir einfach ein bißchen rumblödeln. Bis ihr Freund plötzlich aus heiterem Himmel anfängt, über seine schwere Kindheit zu reden, in der er sehr unter seinem emotional nicht präsenten Vater gelitten hätte. Bevor Nu-ja und ich diese Informationsflut verarbeiten können stößt Herr-je zu uns und erklärt, daß es bei ihm noch viel schlimmer gewesen war. Sein Vater war emotional nicht präsent und Alkoholiker gewesen. Schließlich nähert sich auch Ach-nee und macht uns alle darauf aufmerksam, daß er heute noch manchmal Albträume hat, wenn er an seinen Vater denkt. Der war emotional nicht präsent, Alkoholiker und hatte einen abwertenden Kommunikationsstil.
Als der Nachtisch dran ist sind wir endlich auch beim Kindesmißbrauch angelangt und die Stimmung steigt. Jeder kennt jemanden oder hat etwas in einem Buch gelesen und UmHimmelswillen macht mir irgendwie den Eindruck, als fände sie es beinahe bedauerlich, daß sie keine eigene Erfahrungen vorzuweisen hat.
Ich mache mit einiger Mühe mein achtes Bier auf und entfliehe auf die Tanzfläche, um dort in aller Ruhe ein bißchen im Kreis zu schwanken. Doch meine Freude währt nicht lange. Das nächste Lied ist „ Was hat Dich bloß so ruiniert“ von den Sternen. Alle stürmen die Tanzfläche und liegen sich heulend in den Armen.
Ich leere mein achtes Bier in einem Zug und ziehe es vor, einfach umzufallen.

 

Ma Baker

Wie war die Woche, Liebling?

Es ist zwar erst Donnerstag, innerlich habe ich diese Woche allerdings bereits abgehakt und würde gerne zur nächsten übergehen. Zeit also für einen kleinen Rück- und Ausblick.

Montag: Tschüss Auto
Die Woche beginnt mit einer qualmenden und nach Schwefel stinkenden Autobatterie (vier Monate alt) und das einen Tag, bevor ich mit meinen werten KollegInnen Frau Dr. Sprite und Mr. Sonic zu einem Workshop im Siebenzwergegebirge fahren soll. Leider kann mir keiner der vier Autohelden, die ich zur Rettung von R2D2 (mein Auto, 17 Jahre alt) bemühe, spontan wirklich weiterhelfen. Die Ferndiagnosen reichen von Kurzschluss über Marder bis hin zum Lichtmaschinenregler. Mein Haus- und Hofmechaniker ist leider für die nächsten zehn Tage verhindert, also gibt mir eine Freundin die Nummer ihres Haus- und Hofmechanikers. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um denselben.

Dienstag: Ein Käfig voller Narren
Wir fahren also mit einem anderen Auto zum Workshop ins Siebenzwergegebirge. Offizielles Thema ist „Laubsägearbeiten – früher und heute“, aber darum geht es nicht. Man fragt sich, warum man sich inhaltlich vorbereitet hat und nicht psychisch und kampftechnisch. Der Raum ist voll von Profilneurotikern, die den Mund nicht zubekommen, das Seminar eine Plattform für lauter kleine Egomanen. Ich komme mir vor wie zu Hause: ICH!! Nein, ICH!! IIIIICH!!!!!! Willichnicht!!! Willnichtwillnichtwillnicht!!!!!!! Dagegendagegendagegen!!! Du bist sooo blöööd!! Ich mach nicht mehr mit!!!! 55jährige Männer, die sich aufführen wie Dreijährige, das ist nicht schön.

Mein persönlicher Tiefpunkt ist erreicht, als der Seminarleiter mich beiseite nimmt und fragt, ob diese Augen lügen könnten. Erschrocken drehe ich mich um, möglicherweise steht jemand neben mir, den ich übersehen habe, ich sehe aber niemanden, er muss meine Augen meinen, aber wieso sollten diese lügen können, mir ist der Sinn seiner Worte überhaupt nicht klar, also stammele ich eine Antwort, die irgendwo zwischen „Auf gar keinen Fall!“ und „Gar keine Frage!“ angesiedelt ist, und flüchte mich zu meinen KollegInnen in die Raucherecke (nachträglicher Vorsatz für 2010: Dringend wieder mit Rauchen anfangen!!!). Nach einem Tag unter hochgradig psychisch Auffälligen möchte ich nur noch schlagen.

Mittwoch: Tschüss Computer
Mein Laptop verabschiedet sich. Immer, wenn er sich anhört wie ein Staubsauger, weiß ich, er raucht gleich ab, spätestens in zwei Minuten. Ich hasse diesen Sound. Organisiere Auto, um am nächsten Tag zur Arbeit zu fahren.

Donnerstag: Tschüss Gesundheit
Habe mit Fanta ein hochdiffiziles Autoarrangement ausgetüftelt inklusive Kinderbetreuung und -logistik, um entspannt (HA!) arbeiten zu können. Nach zehn Minuten auf der B 12784563 stelle ich fest: Ich bin krank. Hatte ich komplett ausgeblendet. Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, dröhnende Kopfschmerzen, ich drehe um, fahre heim, lege mich ins Bett und stehe erst wieder auf, als ich Hotti und Lotti von ihren Freundinnen holen muss.

Donnerstagabend: Hallo Außerirdische
Habe fremde Lebensformen in meinem Badezimmer entdeckt. Sie benehmen sich unflätig, grölen lautstark Lieder (klingt nach AC/DC) und haben Klorollen-Rüssel im Gesicht. Es entbrennt ein Machtkampf darum, wer zuerst aufs Klo darf. Sie rüsseln sich gegenseitig weg von der Toilette hin zur Badewanne, schließlich gewinnt das mit dem stärkeren Rüssel. Lese den Extraterrestrianern Schneeweißchen und Rosenrot vor („Ich bin Schneeweißchen!“ „Nein, ICH!“), nicke dabei weg, werde unsanft in die Rippen gestoßen, frage mich, was so schlecht an Rosenrot ist, lese fertig, Stimme verabschiedet sich. Zeit für mich ins Bett zu gehen.

Freitag bis Sonntag: Wünschdirwas
Schlafe durch bis Sonntag. Zwei brave, gekämmte, stille Mädchen bringen mir um 12 Uhr mittags leise eine große Tasse Milchkaffee ans Bett, dazu ein Hörnchen, frisch vom Bäcker, und schleichen auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer zurück, um dort ruhig, gesittet und friedlich bis zum Abendessen zu spielen, das selbstverständlich sie anrichten. Ich lese mein Buch fertig (Working Mum, HA! Liest sich wie mein eigenes Tagebuch.), schaue eine DVD nach der anderen und träume vom Sommer.

Mein Kind ist geiler als dein Kind

Wer kennt das nicht: Stolze Supereltern von kleinen Genies, deren Namen man nicht aussprechen kann, die schon als Baby mit Milchschaum der elterlichen Latte Macchiato vollgestopft und buchstäblich von kleinst auf mit hyperpädagogischen Förderprogrammen überfordert werden (Stichwort pränatale Sinologie-Kurse), Supermamas und Spitzenpapas von Wunderkindern, die sich mit „Themen“ beschäftigen (Das ist gerade Thema beim Robert.), zweisprachig erzogen werden, obwohl beide Elternteile deutsch sind und die einfach so viel geiler sind als all die anderen Deppenkinder dieser Erde. Hier das Lied für alle Eltern, Nichteltern und alle, die es werden bzw. bleiben wollen: Mein Kind ist geiler als dein Kind.

Me, myself and I

Wie machst du das nur?

Kinder werden ja von morgens bis abends gelobt. Teilweise auch für banale Kleinigkeiten und über den grünen Klee, aber egal, Hauptsache, sie erlangen am Ende ein positives Selbstbild samt gesundem Selbstwert, Stichwort Resilienz. Das ist aber ein schönes Bild! Großartig, wie Du Dir immer die Zähne putzt! Du sitzt auf dem Klo und hast Kacka gemacht? Sensationell! Weiter so! Ist man erwachsen, sieht das Ganze schon anders aus. Keiner klopft einem anerkennend auf die Schulter, wenn man zwischendurch mal im Schneegestöber mit eisstarren Fingern und erstmals (!) die Glühbirne des vorderen rechten Autoscheinwerfers erfolgreich (!!) austauscht, und niemand findet auch nur ein Wort des Lobes, wenn man regelmäßig und fließbandartig sechzig (!!!) Finger- und Fußnägel auf Normalmaß zurückkürzt. Es honoriert auch niemand, dass man seinen Weihnachtsbaum rechtzeitig beim CVJM zur Abholung anmeldet oder das eigene Kind beim Turnkurs – ganz zu schweigen von täglichen Glanzleistungen wie Kochenputzenwascheneinkaufen, Arbeiten, Kinderbespielen, kreativer Selbstverwirklichung und Soziallebenaufrechterhalten.

Wer, wann, wo, wenn nicht ich, jetzt und hier?

Aus diesem Grund halte ich es an dieser Stelle für angemessen, wenn nicht überfällig, eine Lobeshymne auf die Person anzustimmen, die es schon lange verdient hat und ohne die unser überaus harmonisches Familienleben samt reibungslosen Abläufen nicht möglich wäre, nämlich mich:

Hochverehrte und überaus geschätzte aktuelle!

Guten Morgen, Liebling!

Ich finde es grandios, wie du dich auch nach der 2196. kinderbedingten Horrornacht jeden Morgen aus dem Bett quälst, um eben diese Kinder mit einem verzerrten Lächeln im Gesicht zu wecken, ihnen Frühstück zu machen, die Zähne zu putzen und den Turnbeutel hinterherzutragen. Es ist triumphal, wie Du es trotz allmorgendlicher Schlammschlachten in Kinderzimmer, Küche und Bad schaffst, meistens pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen und nach einem langen Arbeitstag beim allabendlichen dadaesken Rückwärtsprogramm in Küche, Bad und Kinderzimmer recht häufig die Nerven zu behalten. Ich bin beeindruckt, wie du jeden Morgen zwischen Tür und Angel die Überschrift der Tageszeitung liest, und preise die Demut, mit der du täglich mindestens eine Sorte Müll drei Stockwerke nach unten trägst.

Deine Nudeln mit Pesto sind eine Sensation

Die stoische Disziplin, Ausdauer und Kreativität, mit der du regelmäßig Nahrung beschaffst und zubereitest, suchen ihresgleichen, ebenso wie die Geduld und das Verständnis für das verlässlich einsetzende Kinder-Essen-Genörgel. In diesem Zusammenhang wollte ich dir schon lange sagen, dass deine Nudeln mit Pesto eine Sensation sind. Und ich fand es über die Maßen bewundernswert, wie du neulich die Spielsachen nicht aus dem Fenster geworfen hast, nachdem die Kinder auch der 172. Aufforderung zum Aufräumen nicht nachgekommen sind. Das muss dir erst einmal jemand nachmachen!

Danke auch, dass du in deiner kostbaren Freizeit erneut die Pestizidkeule über Deiner Freundin Fanta geschwungen hast, um auch der letzten Laus den Garaus zu machen. Von dir organisierte Kindergeburtstage sind Erfolgsgeschichten, Deine Weihnachtsplätzchen eine Wucht und dass du seit zwei Jahren die Bastelnachmittage im Kindergarten und Elternstammtische der Schule schwänzt, ist absolut verzeihlich. Den Gipfel der Unglaublichkeit aber erreichst du, wenn du es nach einem Tag, den die Welt nicht braucht, auch noch fertig bringst zwanzig Minuten Hausfrauengymnastik zu absolvieren. Sag: Wie machst du das nur?

Grenzen war gestern (und vielleicht morgen wieder)

War ich doch eben noch mitten in der Winterdepression und habe mir überlegt, mit welchem Kostüm ich an Fasching meine Defizite aufpeppen kann (um mit Doktor ZickZackZähn zu sprechen: ich war vollkommen NICHTinnovativ), so schlägt das Ganze jetzt, wie immer die goldenene Mitte vollkommen verfehlend, ins komplette Gegenteil um.
Eben noch demotivierte Krankenschwester, jetzt bereits wahnsinnig?
In den letzten zwei Tagen habe ich gedanklich ein Kunsttherapiestudium abgeschlossen, Kerbschnitzen zu meinem neuen Hobby gemacht, erkannt, daß meine vorsichtig beginnende Selbstständigkeit an einer Homepage nicht vorbeikommt, selbige entworfen und kreiert, dafür circa drei Volkshochschulkurse zum Thema Webdesign absolviert (was ist schon HTML gegen eine entschlossene Frau?), festgestellt, daß Gälisch für Anfänger eine durchaus spannende Sache ist, herausgefunden, wie man Sauerkraut einkocht, ohne daß es sauer wird und in meinem sowieso umgegrabenen Gehirn einen kompletten Kräutergarten angelegt (mit allem, was dann dazu gehört: Pflege, Ernte, Konservierung, Weiterverarbeitung zu Tee, Ölen und allem anderen), samt (um wieder zur Homepage zurück zu kommen) einem entsprechenden Onlineshop, über das ich dann auch gleich den Bestseller vermarkten kann, den ich im Kopf schon so gut wie geschrieben habe.

Bild: downing amanda Lizenz: CC

Da ich über eine therapeutische Qualifikation verfüge, habe ich mir eine beginnende Manie vorsichtshalber ausgeschlossen. Ich frage mich nur, was jetzt als nächstes kommt. Gründe ich morgen einen Verein zur Rettung der Sumpfdotterblume, gleich eine Sekte, oder mach ich dem Mond einen neuen Mann?
Innovation ist ziemlich anstrengend.

 

Ma Baker

Der Ätna im Buddha

Bild: Joanneteh, Lizenz:CC

Ich erwache vom fröhlichen Gezwitscher der Vöglein, die sich offenbar alle im Baum vor meinem Fenster versammelt haben, um den neuen Tag zu begrüßen. Mutter Sonne schickt ihre ersten Strahlen zur Erde und ich spüre, wie ihre Kraft mich belebt.
Danach ist Aufstehen selbst um 5.00 Uhr morgens eigentlich kein Problem. Für einen Moment zwickt etwas ungut in meiner Magengegend.
Unlust? So ein Quatsch! Ein neuer Tag wird mir geschenkt!
Ich komme mal wieder am Waschbecken an.
Der Weg zwischen Bett und Waschbecken wird allgemein schwer unterschätzt. Es sind die ersten Schritte des Tages und ich gehe sie bedächtig.
Als ich die Zahnpastatube in die Hand nehme, stelle ich fest, daß jemand vergessen hat, den Deckel drauf zu machen.
Der Jemand war zweifelsohne Ich gewesen.
Hach, was hab ich nur immer für ein Problem mit Materie.
Ich drücke die Tube zunächst vorsichtig zusammen. Eineinhalb Zentimeter strahlend weißes Lächeln wird ja wohl zu holen sein.
Nichts geschieht, also intensiviere ich meine Bemühungen.
Ich ernte ein paar steinharte Brocken.
Wieder zwickt es in meinem Bauch. Und ich bemerke, daß dieses Gefühl in eine spürbare Resonnanz mit der verstopften Zahnpasta gehen will.
Ich verbiete dieses sanft lächelnd und drücke nochmal.
Als mir etwa ein halber Meter Zahnifeini um die Ohren fliegt rumort
es für eine unbedachte Sekunde tief in meinem Innern.
Was ist nur los mit mir?
Ich atme tief in mein Harazentrum und das Rumoren schwindet.
Guter Dinge putze ich mein Lächeln.
Dann suche ich nach meiner Hose und stelle fest, daß die Katze das linke Hosenbein versehentlich bepinkelt hat.
Armes Tier, denke ich. War wohl ein bißchen durcheinander.
Ich suche also eine Hosenalternative.
Wieder spüre ich dieses eigenartig rumorende Gefühl in mir.
Und während ich in die Alternativhose schlüpfe wird es stärker und stärker. Es droht, mir meine innere Mitte zu rauben.
Ich bringe meinen Körper also schnell in die Buschposition, um mich wieder zu erden – und falle mitsamt der halbangezogenen Alternative in meinen aufblasbaren Hausaltar.
Schmerz durchzuckt mich für einen Augenblick, gefolgt von dem sehr realen Bild einer laufenden Kettensäge.
Dinge regnen auf mich herab, unter anderem ein kleines Faltblatt, auf dem ein Spruch von Wogi Fitzliputzli steht:
LEBEN IST LEIDEN!
Für diesen Hinweis sehr dankbar rapple ich mich auf und die mich wohlig erfüllende Demut vertreibt den Schmerz.
Ich mache mich beschwingt auf die Suche nach meinem Schlüssel, fange meinen wild flatternden Schal ein, repariere den Reißverschluß meiner Jacke und schnappe mir gerade noch rechtzeitig meine Schuhe, die sich durch den Garten davon machen wollten.
Schließlich bin ich unterwegs zum Bus und atme tief die auf 15 Grad minus temperierte Kosmoskälte ein.
Wieder taucht das Bild der Kettensäge in mir auf, als ich feststelle, daß ich das Kleingeld für den Bus vergessen habe, diesmal mit Geräusch.
„ Was ich heute alles erleben darf,“ sage ich zu mir, als ich mit rasch noch geholtem Kleingeld an der Haltestelle ankomme und die Rücklichter des Busses am Horizont verschwinden.
Die Erde beginnt leicht zu vibrieren, gefolgt von einem Donnergrollen, und ich nutze die halbe Stunde, die ich jetzt hier an dieser Haltestelle verbringen darf, für eine Morgenmeditation.
Ich habe etwas Mühe, mein Inneres zu leeren. Ich sehe Bilder vor meinem inneren Auge. Laufende Motorsägen und rauchende Vulkane.
Als der Bus endlich kommt schubst mich irgendein Typ rüde zur Seite und ergattert den einzigen noch freien Sitzplatz.
Das Rauchen des Vulkans wird stärker, wieder bebt die Erde, als ich mir denke: Er wird einen guten Grund haben, so zu handeln.
Ich will ihn in ein Gebet einschließen, doch als ich den Mund öffne, spucke ich zu meinem größten Entsetzen eine Feuerfontäne.
Hastig schließe ich ihn wieder und bin erleichtert, als der Bus endlich vor der Klinik anhält.
In Windeseile werfe ich mich in mein Schwesternkostüm und erreiche atemlos meine Station. Dort blicke ich zuerst in die verwirrten Gesichter meiner Kollegen, dann in den Dienstplan.
Dort steht neben meinem Namen das Wort Spätdienst.
Fassungslos starre ich auf den Plan, während meine Hände anfangen zu zittern.
Die Erde bebt wieder, Rauchschwaden kommen aus meinen Ohren.
Ich ringe nach Worten und spucke erneut eine Menge Feuer.
In einer noch nie dagewesenen Art und Weise fühle ich, wie ich die Beherrschung verliere. Fäkalsprachige Satzfragmente schießen durch meine Gedanken.
Ich denke noch: Oh, das wird wohl ein epileptischer Anfall werden!

Bild: Chaouki, Lizenz:CC

Dann geschieht es!
Ich gehe einfach in die Luft.
Wie der Ätna – oder ein Spaceshuttle!
Einfach WUMM!
Explodiere ich in einem großen Ball aus Feuer und Rauch.
Und mitten in diesem Inferno wird mir klar:
ICH BIN SAUER!
DAS IST EIN SCHEISSTAG UND ICH BIN RICHTIG SAUER!

 

Ma Baker

Winterblues

Die Leute können einfach nicht mehr.

Ist dieser Winter ätzend. Nie kam mir ein Winter auch nur ansatzweise so laaaaaaaaang, so troooostlooooooos und so äääääätzend vor wie dieser. Er ist definitiv der Schlimmste, an den ich mich erinnern kann, nicht objektiv wegen ungewöhnlich häufig auftretender Schneestürme, Lawinenunglücke und ähnlicher Katastrophen, nein, rein subjektiv. Plötzlich verstehe ich, warum die Menschen vor allem im Winter sterben, warum sie sich vor allem im Winter das Leben nehmen, und warum sie vor allem gegen Ende des Winters komplett durchdrehen, nämlich an Fasching. Pure Psychohygiene. Sinn und Zweck dieses seltsamen Festes hatten sich mir bis heute nie erschlossen, rein verstandesmäßig schon, Winter austreiben und so, aber so richtig war der Groschen nicht gefallen. Bisher wertete ich dieses Ritual als wilden Ausdruck eines primitiven Mittelalteraberglaubens, jetzt denke ich: Die Leute können einfach nicht mehr!

Der Osterhase steht noch lange nicht vor der Tür.

Die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Ostern ist einfach zu lang, um sie psychisch unbeschadet durchzustehen. Weihnachten ist gefühlte Ewigkeiten her, der Osterhase steht noch längst nicht auf der Matte, draußen ist es nass, kalt und ekelhaft, man möchte endlich wieder ohne hochgezogene Schultern, blaugefrorene Lippen, fünf Lagen Kleidung und Mundwinkel wie unsere Kanzlerin herumlaufen und sehnt sich nach Leben, Lust und Leichtigkeit, nach Jubel, Trubel, Heiterkeit, ja sogar nach der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft.

Man ist fett, unzufrieden und unbeweglich

Man ist fett gefressen von Weihnachten, unzufrieden mit der eigenen Nichtbewegung und entsprechendem Nichtkörpergefühl, man erträgt das Pisswetter nicht mehr, zu Hause fallen einem die Kinder und die Decke auf den Kopf, vom Eise befreit sind Strom und Bäche noch lange nicht, vielmehr hängen einem Schnee, Matsch und Eis zum Hals heraus. Das Auto springt wegen der Kälte nur sporadisch an, das Autoradio mittlerweile ebenfalls, die Bundesstraße 12784563, auf der ich einen Großteil meines Lebens verbringe, um zur Arbeit zu gelangen, ist mit seinen zugeschneiten Kerosinkohlfeldern noch deprimierender als ohnehin schon, mein vorderes rechtes Licht ist kaputt, ich muss zum Baumarkt oder zur Tankstelle und eine neue Glühbirne kaufen, aber das ist wieder etwas anderes.

Helau!!

Die Kinder hauen einem bereits morgens Schneeanzüge und gefütterte Matschhosen um die Ohren, weil sie im dünnen Sommerkleidchen in den Kindergarten wollen, ja glauben die denn, ich hab mir die Scheiße ausgedacht?? Wenn das so weitergeht, sehe ich mich zu Fasching als kreischendes Funkenmariechen Krawatten abschneiden, Bonbons werfen und schunkelnd und zotenreißend über Tische springen. Helau!!