Abgründe der Bildungselite

Alle rennen aus dem Haus, wenn’s brennt. Nur wer bleibt drin? Der dumme Student – der dumme Student! Das dachten wir zumindest mal. Heute müsste diese Zeile heißen: Vielleicht keinen Seminarplatz, nein? Dann führ‘ dich doch einfach auf wie Schwein!

Wie so oft am Angang des Semesters gibt es Probleme bei der Verteilung der Seminarplätze – es sind mirakulöserweise mehr Studenten als Plätze. Wo die nur immer alle herkommen? Zwei tapfere Dozenten bemühen sich also in der ersten Vorlesung redlich um die Verteilung der Plätze. Und rechnen wahrscheinlich immernoch damit, dass in der breiten Masse zukünftiger Akademiker vor ihnen sowas wie gesunder Menschenverstand oder doch zumindest irgendeine Art von Anstand zu finden ist. Und liegen damit weit daneben. Wo sind die Zeiten geblieben, wo sich Studierende aller Semester solidarisch gegen schlechte Studienbedingungen gestellt haben? Heute macht man das folgendermaßen:

Man hört erstens NICHT zu. Statt dessen gackert man mit 120 Dezibel wild durch den Hörsaal.

Zweitens setzt man sich NICHT hin. Man könnte ja durch eine schlechte Sitzplatzwahl beim Run auf den begehrten Platz im Nachteil sein. Statt dessen bleibt man an zentraler Stelle auf den Hörsaalstufen stehen. Die Tatsache, dass der sich sofort bildende Rückstau alle noch Kommenden daran hindert, den Hörsaal überhaupt betreten zu können, ignoriert man.

Falls nötig, täuscht man drittens Kinder, pflegebedürftige Angehörige oder einen 24/7-Job vor, um bevorzugt behandelt zu werden. Ein verkürztes Wochenende daheim, weil man am Montag schon an die Uni muss, ist ja auch fast so hart wie ein Härtefall.

Viertens versucht man, sich in einem unbeobachteten Moment schon mal auf die Liste zu schreiben, bevor es überhaupt losgeht.

Falls es fünftens doch eng wird, drängelt man einfach mit Körpereinsatz. Auch hier wieder von Vorteil: Die Nahkampfausbildung für Akademiker in spe.

Man ignoriert sechstens und stoisch die wiederholten Bitten der Dozenten, einigermaßen auf dem Teppich zu bleiben und legt statt dessen noch einen Gang zu.

Und hat man dann mit dieser Taktik seine zwei Plätze ergattert, bleibt man einfach ein hysterisches Verkehrshindernis und macht es den Leuten, die noch gar keinen Platz haben, weiter hartnäckig schwer, sich auf irgendwas zu verständigen. Und das tut man so lange, bis der Dozent einen gezielt anspricht und des Raumes verweist.

Wer solche Komilitonen hat braucht keine Feinde.

Rampensau

Das Leben ist ja bekanntermaßen eines der absurdesten. Da verliebt man sich im Frühling Hals über Kopf in einen windigen Kommissar aus München (wir berichteten), der sich binnen weniger Wochen mehr oder weniger elegant in Luft auflöst (wir berichteten ebenfalls), verbringt einen Sommer, der an Geschwindigkeit und Madness wenig zu wünschen übrig lässt (keine Zeit zum Berichten), und schwupp, ist es Herbst, und man steht mit eben dem Frühlingskommissar auf ein und derselben Bühne und erntet unter verzweifelten Versuchen, den eigenen Adrenalinhaushalt unter Kontrolle zu bringen, gleichmäßig ein- und auszuatmen und möglichst nicht tot umzufallen, Applaus.

Aber der Reihe nach. Nach der Schlappe mit Leitmayer verbrachte die aktuelle ihre Zeit vor allem damit, ihr Krönchen zu richten und mit stolz erhobenem Haupte, perfekt lackierten Fußnägeln und schicken neuen Pantoletten weiterzureiten, was sich zwar nicht immer so ganz einfach gestaltete, jedoch größtenteils gelang. So galt es beispielsweise im Rahmen des Lingendinger Straßenfestes eine erste Begegnung mit besagtem Kommissar zu überstehen, ohne a) einem Tourette-Anfall zu erliegen, b) heulend nach Hause zu laufen oder c) beim Tanzen direkt vor seiner Nase über die eigenen Füße zu stolpern. Mit Erfolg.

Leben, du Sau

Eine willkommene Ablenkung bot da die Anfrage meines werten Herrn Nachbarn, ob ich nicht Lust hätte, ein paar nette kleine Textchen für eine nette kleine Kindermusikveranstaltung zu schreiben, die im Herbst am Lingendinger Staatstheater aufgeführt werden sollte. Warum nicht, sehr gerne, er komponierte, ich schrieb, alles fein.

Und dann ist er da, der große Tag, an dem meine Lieder das Licht der Bühnenwelt erblicken werden, wie schön, ich freue mich, und mit Röckchen, Stiefelchen, Kinderchen und Madame Mistral geht es los ins Theater, und am Schlagzeug sitzt, Überraschung, niemand anders als Katastrophenkommissar Leitmayer. Leben, ich liebe dich. Und weil ja absurder immer geht, ruft mich am Ende der Veranstaltung der Herr Nachbar ohne Vorwarnung zur Band auf die Bühne, um sich bei mir zu bedanken und mich irgendwas zu fragen, und klatschnass geschwitzt habe ich keine Ahnung, was ich rede, weil zwei Meter neben mir mein Frühlingsdesaster steht und vielleicht hundert Menschen oder mehr vor mir sitzen und ich mich vor Mikrofonen und Präsentiertellern fürchte, und ich überlege, wie ich aus dieser Nummer nur wieder herauskomme und denke, dass das doch alles gar nicht wahr sein kann und ich jetzt leider sterben muss – auf der Bühne, welche Ironie, Willy Millowitsch wäre blass vor Neid. Lieber Herr Nachbar, dafür ist mindestens eine Pizza fällig! Wenn nicht zwei.