Oh Fortuna oder: Dusel g’hett

„Und wenn Du den Eindruck hast, dass das Leben ein Theater ist, dann such Dir eine Rolle, die Dir so richtig Spaß macht.“ (Shakespeare)

Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!

Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!

Man ist ja bekanntlich viele, und wenn man sich erst einmal auf diesem Planeten reinkarniert hat, sind potenziellen Betätigungsfeldern nur wenige Grenzen gesetzt. So beschließen Fanta und Herzog Ullrich, diesen Sommer mit Brut, Gauklertruppe und Theaterwagen durchs Klabautertal auf der Schwäpischen Alp zu ziehen, um die dortigen Eingeborenen mit Kultur in Form der Commedia dell’arte zu beglücken. Zu diesem Zweck gründen sie kurzerhand die Compagnia Cocolores, werben fremde Menschen an, die dann halt mal LaienschauspielerInnen wären, und funktionieren Hotti, Lotti, Mulle, Rulle und Wulle naheliegenderweise zu Trollen um. Da Fantas und Herzog Ullrichs Plan zudem vorsieht, die Zeit der Tournee gemeinsam in einem recht ansehnlichen Zeltlager zu verbringen, verdingen Chéri und ich uns jenseits des Rampenlichts als Feldköche, schließlich muss das fahrende Volk ja bei Laune und Kräften gehalten werden.

Die Komödie, die mit nicht geringeren Themen als Glück, Liebe, Gier, Hunger und anderen irdischen Zumutungen aufwartet, trägt im Übrigen den klangvollen Titel Oh Fortuna. Als allerdings eine Bekannte der Compagnia Cocolores fragt, ob denn das Stück überhaupt auf deutsch wäre, erwägt man kurz den Alternativtitel Dusel g’hett, um auch den letzten Schwaben hinterm Ofen hervorzulocken. Der Vorschlag wird zwar verworfen, Dusel – oder Fortuna – ist der Truppe dennoch hold. Die Sonne scheint, der Theaterwagen hält (im Großen und Ganzen), und die Fans gehen voll mit: Als die Truppe bei den Proben auf den Klabauterauen ihren Hit Werft die Sorgen über Bord! schmettert, stürzt sich ein vorbeifahrender Kanut direkt selbst in den Fluss.

Die Brut hat das Rumhängstadium erreicht

Auch das Lagerleben gestaltet sich erstaunlich angenehm. Nach zwei Tagen Hitze riskiere ich es meiner Umwelt zuliebe sogar, erstmals einen Fuß ins sogenannte Waschzelt zu setzen, das aus einem Wasserkanister, zwei Plastikschüsseln und zwei Gießkännchen besteht. Abends gibt es Lagerfeuer mit Romaliedern und Dixi-Klo-Blues [1], die Kinder schnuckeln sich auf dem fliegenden Teppich in ihre Schlafsäcke, und als die Perseiden unterwegs sind, liegen wir hochoben auf der Burgruine Hohengundelfingen und zählen Sternschnuppen, die teilweise so groß sind, dass Lotti ein „Alter, war die fett!!!“ entfährt.

Zudem hat die Kinderschar ganz offensichtlich das Rumhängstadium erreicht. Im Gegensatz zu früher streiten, fallen und heulen sie nicht mehr den ganzen Tag, sondern hängen, wenn sie nicht gerade von Fanta oder mir zum Zähneputzen gescheucht oder Aufräumen gezwungen werden, im Pulk herum: im Schatten unter Bäumen, in Hängematten zwischen Bäumen, vor Fantas Piroschka oder im Zirkuswagen von Clown Paul-Uwäh. Dort zocken sie wahlweise Uno oder Werwolf mit dem Capitano, Dotore Baloardo und Matt-Diesel, dem Sohn von Clown Paul-Uwäh.

Siegreich an sämtlichen Fronten

Chéri und ich dagegen hängen wahlweise in unserer Kochjurte herum oder im ortsansässigen Supermarkt, wo wir tonnenweise Nudeln, Sprudel und Taschenlampen jagen und es einmal sogar schaffen, zwei Getränkerückgabeautomaten gleichzeitig lahmzulegen. An der Küchenfront kämpfen wir täglich erfolgreiche Schlachten gegen Hunderte, ach was sage ich, Tausende von Wespen und lassen abends zahllose Salatköpfe rollen für die ausgegaukelten HeimkehrerInnen. Ansonsten versäumen wir als echte Groupies der Compagnia lediglich zwei Vorstellungen: einmal, um von der Klabauter bis zur Tonau und zurück zu radeln, und ein weiteres Mal, um im Freibad heiß zu duschen.

Doch das Theaterleben kennt auch Tiefpunkte, die der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben sollen. So verwandelt sich Herzog Ullrich nach diversen anderen Strapazen in einer ohnehin schon fürchterlichen Gewitternacht in Rumpelstilzchen, das den Capitano und Dotore Baloardo jeweils einen Kopf kürzer macht, da diese ein wenig zu tief in die Rotweinflasche geschaut haben und infolgedessen mit Kampfsportübungen das halbe Küchenzelt einreißen. Glücklicherweise hat Mulle am nächsten Tag ihren 13. Geburtstag, den wir in einem netten kleinen Erlebnispark begehen. Dort stopfen wir uns zunächst voll mit Feuerwehrkuchen, dann gehen wir mit Herzog Ullrich rutschen und anschließend parken wir ihn vor dem Saloon-Westernstand, wo er sich den Frust der letzten Stunden aus der Seele schießen darf. Als wir uns dann noch kollektiv im Spiegelkabinett zum Affen machen, ist die Laune vollends wiederhergestellt. Dusel g’hett!

[1] Der Dixi-Klo-Blues handelt u.a. davon, dass eine Frau namens Barbie die blauen Toiletten schüttelt, um deren Inhalt gleichmäßig zu verteilen. [zurück]

Beyond

Nachdem man in den letzten Jahren diverse Kinder geboren, die dazugehörigen Plazentae, Beziehungen und andere Illusionen begraben, Universitätsabschlüsse, Umzüge und Kindergeburtstage gemanagt, sein Innerstes in einem öffentlichen Tagebuch preisgegeben sowie Playlists auf Youtube angelegt hat, gilt es nun, pünktlich zur anstehenden Vorweihnachtsmadness, sich der möglicherweise letzten Herausforderung zu stellen: dem Handarbeitsdiskurs. Mein Plan für dieses Jahr sieht folgendermaßen aus: Ich kaufe Unmengen an Wolle und Nadeln, Fanta bringt mir Häkeln bei, und alle bekommen Mützen. Menschen, die diesen Blog verfolgen, vergessen alles, was sie bisher gelesen haben, entweder sofort oder werden unter der Nordmanntanne unbändige Freude heucheln.

Fanta sagt für die erste Handarbeitsstunde direkt und freudig zu, Ma Baker ist spontan sehr beeindruckt ob meiner Entschlossenheit und träumt seit unserem letzten Telefonat von den Landfrauen und Weihnachtsbasaren, und sogar Bedenkenträgerin Dr. Sprite, die zunächst mit hochgezogener Augenbraue darauf verweist, dass der Wolldiskurs ja gerade eh voll trendy wäre, zieht nach manischen Ausführungen meinerseits (blühende Landschaften!) in Erwägung, ihr vor Jahren eingemottetes Stricknadelset zu reaktivieren. Wenn ich eins kann, dann ist es mitreißen, egal wohin.

„Mütze häkeln“

Das Ergebnis der ersten Handarbeitsstunde mit meiner Lieblingsgrundschullehrerin ist frustrierend und landet im frisch aufgestellten Küchenschrank von Batman. Und weil mich heute das Siechtum dahingerafft hat, so dass ich keiner geregelten Arbeit, sondern lediglich maximal stumpfsinnigen Aktivitäten nachgehen kann, lege ich mich ins Bett, befestige Wärmflasche und Laptop auf meinem Bauch und youtube „Mütze häkeln“. Das erste Video ist eine ernstzunehmende Anleitung für halbe Stäbchen, ich denke „Keine halben Sachen!“, suche erst mal weiter und stoße dabei auf „Boshi in einer Minute“, wobei mich selbstverständlich vor allem „in einer Minute“ reizt. Von Fanta weiß ich, dass Boshi gerade voll hippe Häkelmützen sind, die zur Zeit offenbar vorrangig von männlichen Planetenbewohnern gefertigt werden, und sie muss es ja wissen, schließlich ist ihr Ex bereits diesem neuen Trend verfallen. Vollends abgetörnt werde ich schließlich vom dritten Video, in dem eine zuckersüße Schnuckimausi die „Jungs“ von MyBoshi und Hatnut fragt, warum und wieso sie denn zum Häkeln gekommen sind, was sie so besonders macht und ob sie heimlich auch mal stricken. Die Jungs kichern und kokettieren damit, dass sie eher nicht so stricken, weil sie schließlich Männer seien und dadurch nicht in der Lage, zwei Geräte gleichzeitig zu bedienen. Offenbar ebenfalls ein neuer Trend: die unterstellte Blödheit als niedlichen Fakt verkaufen und sich dann entspannt zurücklehnen. Mit Häkeln bin ich jedenfalls fertig. Morgen wieder Rockstars stalken.

Gut. Was wünscht Ihr Euch sonst so?

Leaving the Dead Horse 2011

Das Jahr 2011 stand ganz im Zeichen des Toten Pferdes. So wie die aktuelle permanent Altes abgeschlossen hat, um dann noch Altes abzuschließen, bin ich etwa 5000 Mal vom Toten Pferd abgestiegen. Bereits am Anfang des Jahres war meine Arbeit als ausgebeuteter Gutmensch im Gesundheitswesen zu DEM Toten Pferd 2011 gekührt worden. Trotzdem bin ich noch ein Weilchen verbissen sitzen geblieben (man will ja nix überstürzen), hab ihm und mir wahrweise gut zugeredet, HüüüAAH geschrien oder auf uns beide eingeprügelt. Der Gaul hat sich einfach nicht mehr gerührt. Ein paar Mal bin ich fast abgestiegen. Doch jedes Mal, wenn ich kurz davor war, hätte ich schwören können, daß doch noch irgendwo ein Röcheln zu hören war. Ich habe eine wichtige Erfahrung mit toten Pferden gemacht, nämlich die, das schlimmer immer geht. Wer sich weigert, abzusteigen, der wird im Sattel keine Freude haben. Das Leben kreiert, was es fordert. Jedes Mal, wenn man den obersten Toleranzbereich der persönlichen Leidensfähigkeit noch ein Stückchen weiter ausgedehnt hat, damit sich bloß nichts verändert, wird einfach erbarmungslos noch eins draufgesetzt. Das Leben gibt alles, um einem die eigene Feigheit gründlich zu vermiesen und das Pferd fängt auch an zu stinken.
Bis man schließlich am Rande des 5. Nervenzusammenbruchs endlich aus dem Sattel rutscht und feststellt, daß eigentlich garnichts Schlimmes passiert, sondern es einfach irgendwo weitergeht. Grade noch handfeste Burnout-Kandidatin, jetzt schon auf unserer Showbühne!
Neben dem Wechsel von Schwester zu Studentin gab es auch noch einige andere interessante neue Dinge und Erfahrungen. Ich habe zum ersten Mal erfolgreich einen körpertherapeutischen Workshop an der VHS gegeben, OHNE vorher vor Angst zu sterben. Und ich werde das nächstes Jahr wieder tun. Interessierte Frauen dürfen hier klicken, ich habe nämlich ebenfalls gelernt, dass Werbung nichts Böses ist und überzogene Schüchternheit auch ein totes Pferd.
Ich bin barfuß über glühende Kohlen gelaufen, habe Adorno gelesen, täglich mit Materie gekämpft und meistens gesiegt, die hohe Kunst des Raframings erlernt, an zauberhaften Feuern mit der aktuellen Altes abgeschlossen. Ich habe begriffen, dass Scheiße, auch wenn man versucht, sie in Geschenkpapier einzuwickeln, trotzdem stinkt und dass ein Donner aus tiefem Herzen mehr nützt als harmonisches Gutgemeine. Und ich habe eine Riesenladung Neues eingeladen.
In diesem Sinne HÜÜÜAAAH

Ma Baker

Highway to Neues

Das monotone Brummen läßt mich in eine Art Halbschlaf zurücksinken, während das Getriebe unter mir den Gang wechselt und ich sanft hin und her geschüttelt werde. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster mitten ins Morgengrauen, das gerade anfängt, die Alb mit orangenem Gold zu überziehen. Es ist halb acht und ich fahre mit dem Bus, so wie ungefähr 150 andere mehr oder weniger ausgeschlafene Mitmenschen, die sich in dasselbe öffentliche Nahverkehrsmittel quetschen. Es ist eng, stickig und laut. Die charmante Männerstimme vom Band verkündet den nächsten Halt: Kliniken Berg! Erstaunt stelle ich fest, daß ich nicht aufspringe und mir den Weg zur Tür freikämpfe. Nein, ich lehne mich nochmal entspannt zurück und atme aus, während die Bergklinik Richtung Morgengrauen hinter mir zurück bleibt. Und mit ihr die Waschlappen, Sauerstoffmasken, Blasenkatheter in 40 verschiedenen Größen, die Flächendesinfektionsmittel, die verschwundenen Akten und DAS OPFER! Jenes langatmige, facettenreiche Klagelied über miserable Bezahlung, Burnout, Rückenschmerzen, kaputte Topfspülen (man trägt AA in der Schüssel gerne wochenlang über das halbe Stockwerk:-)), Hilflosigkeit, Überforderung, schwachsinnige Hirarchien und TROTZDEM unermüdliches Weiterarbeiten. Man war jemand – ein Opfer dieses Systems, eine Ausgebeutete, die aber doch mit einer so wichtigen Aufgabe betraut war. Das Opfer ist wie ein sicheres stabiles Netz, in das man jederzeit getrost zurückfallen kann, wenn man mit anderen Entwürfen der eigenen Identität scheitert. Das Opfer ist sicher, es ist immer da und es nimmt einen jederzeit wieder freudig auf wie die verlorene Tochter. Und es ist geschickt darin, zu verschleiern, daß man einen verdammt hohen Preis für die Dauerkarte in die warme vertraute Höhle zahlt, in der es immer ein wenig nach alten Socken riecht.
Mit einem Ruck wechselt der Bus wieder den Gang und kämpft sich tapfer weiter den Berg hinauf Richtung Hörsaalzentrum Morgenstelle, in eine neue, unvertraute Welt. Ich kann sie riechen. Sie riecht nach Vielfalt und Möglichkeiten, nach Mensaessen, nach Freiheit, zweifelhaftem Automatenkaffee, nach Eigenverantwortung und nach Computern, die samt der fast fertigen Hausarbeit abstürzen. Sie riecht fremd, sie ist ein anderer Mikrokosmos mit eigenen Gesetzen und vielen Unbekannten. Sie macht Angst. Der schützende Opferanzug funktioniert nicht mehr und dort, wo er gewohnt hat, klafft jetzt ein unschönes Loch in der eigenen Identität. Und die Natur mag keine Löcher, genauso wenig wie mein Unk, der ein solches Vakuum sofort mit vielfältigsten Befürchtungen flutet. Wenn ich kein Opfer mehr bin, was zum Geier bin ich dann? Ein erwachsener Mensch mit Möglichkeiten? Eine Privilegierte? Und wie bin ich so, wenn ich privilegiert bin und mir Möglichkeiten offenstehen? Was für eine Frau kommt da am Ende raus? Mag ich die dann noch?
Das Beruhigende ist: Ich hab satte 3 Jahre, um das rauszufinden.

Ma Baker

Latte Leben

Neulich habe ich in einem Artikel der TAZ folgendes gelesen: Wenn man in ein StarZack Cafe geht und dort 87.211 Sorten Kaffee zur Auswahl hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß man wie immer ne Latte nimmt sehr viel höher, als wenn man nur 5 Sorten zur Auswahl hat. Ein Überangebot an Wahlmöglichkeiten scheint sich negativ auf die Bereitschaft, mal was Neues auszuprobieren, auszuwirken. Was ziemlich blöde ist, denn wenn ich mich vor 87.211 Sorten Kaffee derartig erschrecke, daß ich meine Latte wie immer zum Anlehnen brauche, um Überleben zu können, was zum Geier will ich dann mit 87.211 Sorten Kaffee? Das einzige, was die eine halbe Bibliothek füllende Karte bewirkt ist, daß ich dann mit meiner Latte wie immer dasitze und damit auch nicht zufrieden bin, weil ich ja die anderen 87.210 Varianten verpaßt habe. Und vielleicht ist da was viel Leckereres drunter. Am Ende bin ich ein langweiliger Mensch? Ein Spießer, der nur noch aus Dingen besteht, die schon immer so gewesen sind? Mein letzter Gedanke auf meinem Sterbebett wäre womöglich: Hätte ich doch einmal was anderes gesoffen als Latte! Man sieht, auch ein unschuldiger Abstecher in ein Cafe eignet sich bestens zum Auslösen einer Midlifecrisis. Zugegeben, Probleme bei der Auswahl des richtigen coffeinhaltigen Heißgetränks sind jetzt ein vergleichsweise kleines Desaster. Aber es liegt die Vermutung nahe, daß es uns mit größeren Vorhaben in unserem Leben nicht anders geht. Fragen nach beruflicher Weiterentwicklung steht ein sintflutartiger Möglichkeitsstudel gegenüber. Was soll ich nur machen, wenn ich doch sovieles könnte??! In Starre verfallen und ne Latte bestellen! Die Anzahl der Menschen, die von dieser chronischen Hirnerstarrung betroffen sind steigt täglich, weshalb wir der Meinung sind, daß dieses Phänomen einen eigenen Namen verdient. Wir nennen es das Freedom Overkill- kurz FOKS-Syndrom. Betroffen sind vor allem junge Erwachsene bis etwa 40 Jahre. Hauptsymptome sind mentale Bewegungslosigkeit und eine typische Unausgewogenheit der Gedankeninhalte. Man befaßt sich zu ca. 2% damit, was man tun könnte und zu etwa 98% damit, was man alles gerade verpaßt. Absurderweise herrscht darüber hinaus in unseren Köpfen immernoch das Denken vor, daß man von A nach B mit Hilfe einer Geraden zu kommen hat. Aber wie bitteschön kriegt man diese Vielfalt an Auswahl in eine Gerade? Das geht höchstens mit Latte, Latte, Latte! Oder doch nicht, weil man dann garnicht vorwärts kommt. Viel Auswahl und ein zügiges geradliniges Vorankommen scheinen nicht gut zusammen zu gehen. Und nachdem wir gegen Vielfalt eigentlich nichts haben empfehlen wir allen FOKS-Betroffenen, an ihrer Vorstellung von Zielstrebigkeit zu arbeiten. Zur Illustration haben wir unten 2 Skizzen  angeführt. Bitte betrachten Sie erst die eine und achten dabei auf die Gefühle, die in Ihnen dabei entstehen. Und dann wenden Sie sich der anderen zu und beobachten ebenfalls, was das Bild in Ihnen auslöst.

Bleiben Sie jetzt ganz bei sich und dem zweiten Gefühl, lassen Sie es richtig groß werden in Ihrem Inneren und trinken Sie von nun an soviel und solange Latte, wie Sie möchten. Sie verpassen nichts!

Ma Baker

Bitte helfen Sie mir, ich bin frei!

Wie ist das so mit den vielen tausend Möglichkeiten, die einem das Leben bietet?

Bild: Alles Schlumpf, Lizenz:CC

Sind sie Segen oder Fluch? Bereicherung oder Verderben? Hat irgendwer das schon rausgefunden?
Über dreißig, beschenkt mit einem Angestelltenverhältnis, das ich so schnell wie möglich loswerden möchte, und an der Schwelle zu einer sich langsam entwickelnden Selbstständigkeit bleibt ein großer Raum offen für die große Frage: Was will ich denn noch so machen in meinem Leben?
Kräuterhexe, Hausfrau und Mutter, soll ich nochmal studieren oder doch Rockstar werden? Und ich stelle fest, diese Frage hat über die Jahre nichts von ihrem Schrecken verloren. Man fühlt sich wie mit 18, als man genauso ratlos vor der ungeheuren Vielfalt an Möglichkeiten stand. Und schon damals hatte diese Vielfalt nichts von einer sanften zukunftsweisenden Brise, sondern benahm sich eher wie ein Abgrund, der sich vor dem Unentschlossenen auftut. Ein Blick ins Internet (man kann sich ja mal informieren) genügt und die Informationsflut hat mich samt meiner Idee bis in die nächste Inkarnation begraben. Und sobald sich der Hauch einer Richtung abzeichnet, in die es einen vielleicht ziehen könnte, schwappt schon die nächste Flutwelle über den gerade mühsam errichteten Tellerrand, bevor man „ichtätvielleicht“ zuende gedacht hat. Da fliegen sie einem plötzlich alle um die Ohren, die ganzen Dinge, die man dann nicht machen kann, sobald man sich für eine Möglichkeit entschieden hat. Also schnell wieder zurückrudern und erstmal die nächsten 20 Jahre stillhalten, wer weiß, was da auf einen zukommt. Man kann diese Zeit ja wunderbar nutzen, um über all die Dinge nachzudenken, die man eigentlich schon die letzten 20 Jahre hätte tun können. Und sich darüber schwarz ärgern, dass man sie nicht getan hat. Dann ist es schließlich auch nur konsequent, jetzt auch nicht plötzlich so viel Wind zu machen. Herzlich willkommen auf der Seite der ewig Gelähmten.
Grenzen ist heute, mitten in meinem Kopf. Das Gehirn schwurbelt eine Idee nach der anderen zu einem Brei, der sich im Denken schwer und zäh anfühlt, und im Magen in etwa so, als hätte man eine Tüte Hummeln gefrühstückt. Und was soll dabei rauskommen, wenn’s oben klemmt und unten hummelt?
Keiner weiß es.
Steht uns wirklich alles offen? All die Möglichkeiten, die unsere Eltern nicht hatten? Ich hoffe nicht. Soviel Freiheit, das würden wir ja im Kopf nicht aushalten. Wir würden’s in jedem Fall irgendwo vergeigen. Und wären danach womöglich Verfechterinnen des Kastenwesens ( erleichtert die Berufswahl ungemein) und der arrangierten Ehe ( spart die ewige Frage, ob’s denn auch der Richtige ist). Was man dann allerdings mit all der eingesparten Zeit, in der man nicht mehr nachdenken muß, was man will, anfangen soll, das ist eine andere Frage.
Winken wir also der goldenen Mitte kurz zu, während wir sie mal wieder verpassen und mit einem Fuß auf dem Gaspedal und mit dem anderen auf der Bremse dem Horizont entgegenöddeln.

Bitte Socken mitbringen!

Nach einer nicht unanstrengenden Woche – massive Hirnverspulung, mittelschwere Herzgrippe (ich denke, ich komme durch), streikende Erzieherinnen in zwei Kinderbetreuungseinrichtungen (gebt ihnen doch bitte einfach ganz viel Geld!!!), kaputtes Auto, Fremdkinderbesuch mit Granateneinschlagseffekten im Kinderzimmer, Elterngespräch in der Schule – ist das Letzte, das ich am Samstag gebrauchen kann, ein Rhetorikkurs an der Volkshochschule, zu dem ich mich im letzten Herbst in einem Anfall von Bildungswahn angemeldet habe. Der Anfall muss sehr heftig gewesen sein, ich habe es nämlich geschafft, auch noch Frau Dr. Sprite mitzureißen und zur Mitteilnahme zu nötigen. Chancen und Risiken einer ausgeprägten Begeisterungsfähigkeit, gebt mir eine Idee, und ich verkaufe sie.

Der Weiterbildungsteufel

Wie gesagt, das war letzten Herbst, aber heute morgen ist heute morgen. „Jetzt rede ich – auch mit Lampenfieber!“ und zwar von 10 bis 17 Uhr, ich muss irre gewesen sein. Zum sechsten Mal in dieser Woche zwinge ich Hotti und Lotti ihr Frühstück gefälligst SCHNELL in sich hineinzustopfen, jage sie durchs Bad (LOS! MACH!! ZACKIG!!!) und liefere sie bei den jeweiligen Babysittern ab (Tschüssmeinschatzichhabdichlieb). Natürlich komme ich zu spät, Sprite sitzt sicher schon entspannt im Seminarraum und fragt sich, wo ich bleibe, hektisch schließe ich mein Fahrrad ab und als ich mich gerade zum hundertdreiundfünfzigsten Mal an diesem Morgen frage, welcher Teufel mich da bloß geritten hat, biegt Sprite um die Ecke, gehetzt, genervt und übellaunig, mit der Bäckertüte in der Hand, und fragt mich ebenfalls, welcher Teufel uns da eigentlich geritten hat. Bevor wir hineingehen, ringe ich ihr das Versprechen ab, mich bei der nächsten manischen Weiterbildungseuphorie BITTE aufzuhalten.

Vielleicht doch noch den Folgekurs dranhängen -?

Als Einstieg sollen wir einen Spontanvortrag vor der Gruppe halten. Auf Sprites Nase bilden sich Schweißperlen, ihre Knie zittern, mein Herz rast, unsere Hände werden klatschnass, der Impuls, auf der Stelle den Raum zu verlassen, wird übermächtig. Es hilft nichts, wir müssen da durch bzw. nach vorne. Wie durch ein Wunder überleben wir und dürfen in die Mittagspause. Für die zweite Einheit brauchen wir Socken (Bitte mitbringen!), habe ich natürlich vergessen, Sprite hat welche eingepackt, aber in die falsche Tasche. Nach anfänglichen Zweifeln und einer Stunde Körperhaltungs-, Stimm- und Luftballonspielchen packt es uns. Den nächsten Kurzvortrag mit argumentativer Drei-Schritt-Methode schaffen wir fast mit links und ohne Zittern, ich möchte mich auch nur noch hinter dem Projektor verstecken und nicht mehr gleich gehen. Wir werden euphorisch – wir, die neuen Rhetorik-Queens, wir werden sie alle mit dem klassischen Dreischritt in die Tasche stecken, notfalls auch mit Fünferschritten nachrüsten! HA! Die Moderation bei meinem Porno-Workshop (es ist nicht so wie es klingt) nächste Woche? Kinderspiel! Vielleicht doch noch für den Folgekurs anmelden?? Abschließend überzeugen Sprite und ich uns gegenseitig mit dem klassischen Dreischritt davon, dass wir das auf keinen Fall tun sollten und verabschieden uns glücklich ins wohlverdiente Wochenende.

Lebenslänglich

Das neue Programm der Volkshochschule ist da. Da lebenslanges Lernen inzwischen Standard ist und auch Nahtoderfahrende vor Weiterbildungsmaßnahmen nur bedingt sicher sind – auch von ihnen wird beispielsweise eine einigermaßen solide Medienkompetenz erwartet (Stichwort Silversurfer) – , begebe ich mich also auf die Suche nach einer passenden Horizonterweiterung. Das Heft beginnt mit Kursen zur Stressbewältigung: Stressbewältigung durch Achtsamkeit, Umgang mit Ärger, Klopfakkupressur bei Ängsten (gibt’s wirklich) und Fühl dich gut (Bitte Socken mitbringen!). Den Kursen, die Hektik, Wut und Perfektionismus den Kampf ansagen, folgen Angebote zur Effizienzsteigerung: Speed-Reading (schnellere, effektivere Lesegeschwindigkeit für Studierende), Meine Kompetenzen managen, Perfekt verpackt! Deine schriftliche Bewerbung und Perfekt auftreten! Individuelle Selbstpräsentation im Vorstellungsgespräch.

Und jetzt? Be- oder entschleunigen, ich kann mich nicht entscheiden. Vielleicht sollte ich selbst Kurse anbieten. Wie wäre es zum Beispiel mit Traumatisierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene des Turbokapitalismus oder Lebensfreude trotz Neoliberalismus (Bitte Socken mitbringen!)? Anmeldungen gerne in den Kommentarfeldern von Wunderbra.

Grenzen war gestern (und vielleicht morgen wieder)

War ich doch eben noch mitten in der Winterdepression und habe mir überlegt, mit welchem Kostüm ich an Fasching meine Defizite aufpeppen kann (um mit Doktor ZickZackZähn zu sprechen: ich war vollkommen NICHTinnovativ), so schlägt das Ganze jetzt, wie immer die goldenene Mitte vollkommen verfehlend, ins komplette Gegenteil um.
Eben noch demotivierte Krankenschwester, jetzt bereits wahnsinnig?
In den letzten zwei Tagen habe ich gedanklich ein Kunsttherapiestudium abgeschlossen, Kerbschnitzen zu meinem neuen Hobby gemacht, erkannt, daß meine vorsichtig beginnende Selbstständigkeit an einer Homepage nicht vorbeikommt, selbige entworfen und kreiert, dafür circa drei Volkshochschulkurse zum Thema Webdesign absolviert (was ist schon HTML gegen eine entschlossene Frau?), festgestellt, daß Gälisch für Anfänger eine durchaus spannende Sache ist, herausgefunden, wie man Sauerkraut einkocht, ohne daß es sauer wird und in meinem sowieso umgegrabenen Gehirn einen kompletten Kräutergarten angelegt (mit allem, was dann dazu gehört: Pflege, Ernte, Konservierung, Weiterverarbeitung zu Tee, Ölen und allem anderen), samt (um wieder zur Homepage zurück zu kommen) einem entsprechenden Onlineshop, über das ich dann auch gleich den Bestseller vermarkten kann, den ich im Kopf schon so gut wie geschrieben habe.

Bild: downing amanda Lizenz: CC

Da ich über eine therapeutische Qualifikation verfüge, habe ich mir eine beginnende Manie vorsichtshalber ausgeschlossen. Ich frage mich nur, was jetzt als nächstes kommt. Gründe ich morgen einen Verein zur Rettung der Sumpfdotterblume, gleich eine Sekte, oder mach ich dem Mond einen neuen Mann?
Innovation ist ziemlich anstrengend.

 

Ma Baker