3 Zimmer, Küche, Bad … Teil 2

20150130-DSC_0005-2Kleiner Abstecher auf die andere Seite

Da der Göttergatte an meiner Seite über ausgesprochen flotte kognitive Fähigkeiten verfügt und einen tief verwurzelten Groll gegen Menschen hegt, die mit Wohnungsnot Geld machen, betritt plötzlich eine andere Möglichkeit die Bühne. Kaufen statt Mieten! Anstatt irgendeinem gierigen Vermieter jeden Monat 900 Euro in den Rachen zu schieben würden wir einfach unser Obdach die nächsten 100 Jahre abbezahlen. Machen andere doch auch! Zunächst fühlt es sich erfrischend an, mal die Perspektive zu wechseln und die nächsten Tage wird gerechnet, bis das Gehirn den Siedepunkt erreicht. Was kostet sowas eigentlich und woher nehmen wir das Eigenkapital, um überhaupt für die Bank in Frage zu kommen? Eifrig wird die Familie abgegrast – zum Glück ist Blut dicker als Wasser und wir haben uns in den letzten Jahren nicht großartig daneben benommen.

Doch dann kommen wir zum ersten Minenfeld. Wie bezahlen wir die monatlichen Raten? Und da haben wir die ungemütliche Frage: Wer verdient hier eigentlich wieviel?? Und machen damit das erste große Fass auf:

Die Dimension der Rollenverteilung

Auch, wenn wir das nicht wahrhaben wollen: es gibt eine geschlechtsspezifische Rollenverteilung in unserer gefühlt äußerst alternativen Ehe. Der eine Ehepartner (wir nennen ihn mal Schatzi 1) ist beruflich gut verankert, vielfältig kompetent, visionär und verfügt über den nötigen Biss und die Ausdauer, um dahin zu kommen, wo er hin will. Vor der Höhle ist er unschlagbar, er würde auch Fleisch für 5 Junge nach Hause schleppen, wenn das nötig wäre.                                                                           

Der zweite Ehepartner (Schatzi 2) ist ebenfalls überaus visionär, kompetent, findig und fantasievoll, vor allem im Innen. Schatzi 2 kann die Höhle mit viel Liebe und Zauber in ein gemütliches Nest verwandeln. Außerdem hat Schatzi 2 die Fähigkeit, aus dem Nichts in zehn Sekunden zwei vollständig gepackte Rucksäcke für eine mehrtägige Wanderung herzuzaubern, dazu noch einen Hut und einen Salat. Schatzi 2 ist unschlagbar im Antritt, während Schatzi 1 über die Fähigkeit verfügt, Kräfte eher gleichförmig und kontinuierlich einzusetzen.

Da nun mal im Moment vor der Höhle leichter Geld zu vedienen ist als in der Höhle, geraten wir schnell von der Frage der Ratentilgung zum Einkommensgefälle und dessen Folgen. In Nullkommanix zaubert Schatzi 2 zahlreiche große Gefühle auf die Bühne. Vor diesen emotionalen Kulissen könnte man ohne Schwierigkeiten eine Wagner-Oper aufführen. Es treten auf:

Schuld: Hätte ich doch was Gescheites gelernt!
Kapitalismuskritik: Das liegt alles am System!
Ein Minderwertigkeitsgefühlchen: Du verlässt mich bestimmt bald wegen irgendeiner erfolgreichen Karriereschnecke!
                            
Und während Schatzi 1 noch versucht, zu begreifen, wie ihm geschieht, kommt Schuld die Zweite: Jetzt sag doch auch mal was!

Die Dimension der Identität

Nachdem wir es doch geschafft haben, die unheilvolle Wagner-Oper am Ende des 4. Aktes abzuwürgen, fliegt uns leider das nächste Fass um die Ohren. Der Kauf einer Wohnung ist nicht nur ein Geld- und damit auch ein Rollenproblem, sondern auch eines der eigenen Identität. Uns fällt plötzlich wieder ein, dass wir beide eigentlich aus der Tübinger Hausbesetzerszene kommen. Wir haben vor dem Rathaus campiert, getrommelt und gepfiffen, all unsere Bettlaken in Transparente umgewandelt und waren bereit, uns an die nächstbeste Heizung zu ketten, bis irgendein Räumkommando uns losgeschnitten hätte. Die Häuser denen, die drin wohnen und so! Wir versuchen, uns damit zu trösten, dass wir ja dann drin wohnen und uns die Wohnung gehört und das zumindest oberflächlich betrachtet kein Widerspruch zu unseren Parolen von damals ist. Leider hält diese kleine Selbsttäuschung nicht lange stand. Der Besitz einer eigenen Immobilie ist einfach echt nicht mehr Punkrock, egal, wie man es anmalt.

Der Markt regelt das

Bevor wir unsere Identität zwischen Spießigkeit und Punkrock neu ausloten können kommt uns der Markt zu Hilfe. Ein Makler schickt uns Unterlagen zu einer 3-Zimmer-Wohnung, die ein paar Straßen weiter für schlappe 180.000 Gänseblümchen zu haben ist. Nach kurzer Zeit wird klar, dass diese Wohnung ein finanzieller Sargnagel ist. Es sind weder die Kosten der bereits erfolgten Dachsanierung gedeckt, noch haben wir bei Entscheidungen, das Haus betreffend, irgendwas mitzureden. Als kleinen Ausgleich dafür dürfen wir aber die Hälfte aller anfallenden Kosten bezahlen, obwohl wir weniger als ein Drittel der Fläche besitzen. Wir entscheiden uns für den sofortigen Rückzug auf die Seite der Besitzlosen und verschanzen uns erstmal mit Alkohol, Drogen und Bad Religion im Keller.

3 Zimmer, Küche, Bad … Teil 1

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Was lange befürchtet war wird nun Realität. Unser heißgeliebtes charmantes Haus namens Bruchbuda wird abgerissen und durch ein schickes Mehrfamilienhaus ersetzt. Für unsere Vermieter bedeutet das, mit Besitz noch ein bisschen mehr Geld zu verdienen und für uns, ohne Besitz plötzlich auf dem leergefegten Lingendinger Wohnungsmarkt rumzustehen und uns irgendwoher eine bezahlbare Bleibe zaubern zu müssen. Momentan oszillieren wir in der Trauerarbeit irgendwo zwischen Nichtwahrhabenwollen, Flucht in Aktionismus und aggressiver Auflehnung. Spontane erste Versuche, unserem Schicksal zu entgehen sind gescheitert. Trotz liebevoller Pflege und intensivem UV-Lampen-Einsatz ist in unserem Frühbeet bisher keine Kohle gewachsen und auch der Versuch, uns einfach eine neue Bruchbuda zu häkeln, war leider erfolglos.

Erste zaghafte Schritte

Ein vorsichtiges Hinauswagen auf den Markt gleicht dem Aufbruch zu einer Arktisdurchquerung. Es gibt fast nix außer Ödnis, es ist saukalt und trotzdem bläst’s von allen Seiten. Wir kämpfen uns durch die Anzeigenflut, telefonieren und tanzen da und dort vor. In unserer Preisklasse hören wir Sätze wie „Also ich muß die Wohnung ja nicht anpreisen, weil die ist eh spätestens morgen weg, wissen Sie?“ Ja, wir wissen und starren auf die vierspurige Straße direkt vor der Haustür, die dazu führt, dass die Wohnung in unterschiedlichen Erschütterungsgraden mitschwingt. Wir geben uns Mühe und versuchen es mit einem humorigen Namen: Nach Bruchbuda jetzt Earthquaka? Hmm…!

Ja, wir wissen – auch angesichts des ranzigen Linoleumbodens aus den 60ern in einer Kellerwohnung, die riecht, als hätte man sie mit einer Mischung aus Heizöl und Mottenkugeln geflutet. Wir nennen sie Deepwater Horizon und stellen uns vor, wie diese „schicke Wohnung in gepflegtem Zustand“ mit dem Anzünden der ersten Zigarette in der neuen Bleibe einfach in die Luft fliegt. Fühlt sich für uns insgesamt recht stimmig an.

Und ja, wir wissen – und bewundern das weißgekachelte Wohnzimmer, das im ehemaligen Schlachtraum der ehemaligen Metzgerei sein soll – „Man kann da ja ein paar Bilder aufhängen, dann wird das schon gemütlich!“ Und fragen uns, wieviel Tonnen Bilder man wohl braucht, um im eigenen gemütlichen Wohnzimmer nicht mehr an Fleischerhaken und halbe Säue zu denken. Das mit dem humorigen Namen lassen wir lieber ganz.

Am Allerschlimmsten ist, dass man dauernd die Contenance wahren muß. Die Macht sitzt auf der anderen Seite des Tischs. Also hört man sich das ganze Geschwätz über die unschlagbaren Vorteile hässlicher Wohnungen an und bewahrt Haltung. Man kann ja dann später außer Sichtweite vor Wut in Tränen ausbrechen oder sich in irgendeine Blumenrabatte erbrechen. Bezaubernde Terassen, lichtdurchflutete Wohnzimmer, ausreichend Distanz zu vierspurigen Bundesstraßen und viele Ansatzmöglichkeiten für wohlklingende Namen voller Gemütlichkeit gibt es natürlich auch – ab 1000 Euro kalt und als Utopia. Oder am Arsch der Welt, zu dem zwei Mal am Tag ein Bus fährt. Wir nennen diese Außenposten Neumayer III – nach der 2007 erbauten deutschen Polarforschungsstation in der Antarktis.

Nach diesen ersten verstörenden Schwimmversuchen auf dem freien Wohnungsmarkt verlassen wir hastig die Phase des Aktionismus und flüchten uns vorübergehend wieder in die Verdrängung, da uns die Taschentücher ausgehen.

In tiefer Trauer um einen zauberhaften Ort

Ma Baker