Freeze 2.0

Mal so heimlich gefragt, von Hamsterrad zu Hamsterrad: Wo rödelt Ihr eigentlich grade rum? Wer weiß noch genau, wo’s hingehen soll? Kann einem ja schon mal aus dem Schirm rutschen. Solange man wenigstens nicht vergisst, dass man gestern schon längst wo auch immer hätte ankommen sollen, ist ja noch alles ok. Aber dachte man bisher, Entspannung sei etwas Passives, was sich einfach so einstellt, wenn man meint, es wäre jetzt genehm, dann fällt man inzwischen ganz schön auf die Schnauze. Wenn sie dann endlich da sind, die raren Stunden oder Tage, in denen man mal aufhören könnte, zu hampeln, stellt man fest, dass man genau das eben nicht mehr kann.

Nach einem endlosen Semestermaraton an meiner Lieblingsuni, der Reise in die Matrix der quantitativen Sozialforschung und der zwischenmenschlichen Atomisierung verschiedener Arbeitsgruppen habe ich frei. Hooray, denke ich, jetzt mach ich’s mir voll gemütlich, während ich unter meinem Bett staubsauge und dann meinen Kleiderschrank ausmiste. Zielsicher fällt mein Auge in all die versteckten Winkel und Ecken, die normalerweise unsichtbar sind – und ich stelle fest, dass es in der Wohnung aussieht wie Schwein! Es ist, als wäre jeder Filter von mir abgefallen. Ich sehe ALLES und halte NICHTS DAVON auch nur eine Sekunde aus. So putze ich mich in meiner neu entdeckten Hochsensibilität einmal quer durch das Haus, von der Rückseite des Kühlschranks über staubigen Zimmerpflanzen und Innereien unseres Ofenrohrs bis zu meinem Bücherregal und frage mich dort, wie ich es nur aushalten konnte, dass die Bücher NICHT der Größe nach sortiert sind.

Ein knurrender Magen zwingt mich jedoch, die Erörterung dieser lebensnotwendigen Frage auf später zu verschieben und treibt mich in die Küche, wo ich den Plan fasse, mir was total Leckeres zu kochen. Beim Schneiden des Gemüses bemerke ich, dass ich scheinbar sehr großen Wert auf die perfekte Anordnung der einzelnen Zutaten lege. Zuccini paßt farblich besser zur roten Paprika als neben den Lauch. Ich schneide also die Paprika in gleich große Streifen und ordne sie jeweils mit einem Zentimeter Abstand zwischen Zuccini und Lauch an. Als ich anfange, darüber nachzudenken, ob das Schneidebrett eigentlich im rechten Winkel zur Tischkante liegt, wird mir die ganze Sache unheimlich. Vielleicht doch einfach ein Bier, das scheint mir eine entspannte und vor allem unverfängliche Angelegenheit zu sein. Ich flüchte mit Alkohol und Zigaretten auf die Terasse. Als ich nach einem Bier leicht bedüdelt wieder hereinkomme, scheint sich die Sache mit den rechten Winkeln erledigt zu haben. Dafür ist mir schlecht – Entspannung und Alkohol am hellichten Tag ist nix für Weicheier.

Matrix overloaded

Wer bisher dachte, ein Pädagogikstudium habe gegenüber solchen Fächern wie zum Beispiel Psychologie den Vorteil, dass man nicht mindestens zwei Semester im Labyrinth der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Inferenzstatistik umherirren muß, der sei an dieser Stelle eines Besseren belehrt. Das war vielleicht einmal – damals, als man auch noch ausschließlich Dienstags studieren konnte und trotzdem nach 14 Semestern ein Diplom hatte. Die Sozialpädagogin von heute befasst sich ausgiebig mit empirischer Datenanalyse in der Sozialforschung. Nach der ersten Vorlesung ist klar: Da müssen wir ein richtiges Fass aufmachen. In dem modert so allerhand vor sich hin: Verschwommende Erinnerungen an K- und N-Tupel, Xe von irgendwas und kryptische Integrale, die alle möglichen göttlichen Aussagen im Gepäck hatten. Allem voran jedoch kommt das tiefe Wissen darüber wieder hoch, dass man das weder verstehen kann, noch will. Ich kann diese Erkenntnis spüren – in jeder Zelle meines Körpers sitzt ein wildentschlossenes und bis an die Zähne bewaffnetes NEIN! Und ich weiß, dass NEINs von dieser Qualität das Potential haben, meinen ganzen Studienplan in die Luft zu jagen.

Hilfe kommt aus dem Fernsehen                                                                                Nach mehreren verzweifelten Stunden, in denen ich mich marodierend durch mein SPSS analysiert habe, möchte ich Bologna abfackeln, mich so sinnlos betrinken wie schon lange nicht mehr oder für die nächsten 20 Jahre meditierend in irgendeiner gottverlassenen Höhle festwachsen. Da kommt mir, wie schon so oft, mein Agent zu Hilfe .Dieser äußerst kreative und entschlossene Teil meiner Persönlichkeit sagt: Du bist keine Studentin, die irgendeinen weiteren dämlichen Datenfriedhof produzieren soll – Du hast wieder eine Mission! Endlich! Nach einem weiteren Blick auf meine Formel- und Zahlenwüste wird alles klar. Zion wäre verloren ohne mich. Wer, wenn nicht ich sollte die Widerstandskämpfer in die Matrix einschleusen, über sie wachen und dafür sorgen, dass sie einen Ausgang finden, wo sie einen brauchen? Ich bin der Operator und einer der wenigen, die den Code dieser fucking Matrix überhaupt verstehen können.

Kleider machen Leute                                                                                                 Was braucht so ein richtig guter Operator? Einen löchrigen Wollpulli, fingerfreie Wollhandschuhe, eine Wollmütze….Ganz Zion scheint aus Blech und Wolle zu bestehen, denke ich, während ich meinen Kleiderschrank durchwühle und fündig werde. Als krönender Abschluß noch das Headset und es kann losgehen. Eine Tür geht auf in meinem bemützten Kopf und ich bin drin. Meine halb wollbehandschuhten Finger huschen flink und leicht über die Tastatur, ich murmle alles entscheidende Anweisungen in das Headset, während ich einmal mehr Zion, die Welt, mich und mein Studium rette.