One of those days oder: Anna Chronismus

'Anachronism' von Gerhard Gepp, Lizenz: cc

Es fängt schon damit an, dass das Wochenende vorbei ist. Dann klingelt der Wecker und es liegen 10 Meter Tiefschnee, was zwar die bezaubernde Steilvorlage für einen romantischen Winterspaziergang mit dem Liebsten wäre, eine Autofahrt auf der 1234567 allerdings schlicht unmöglich macht, es sei denn, man hat 5 Thermoskannen Punsch, 13 Butterbrezeln, 4 Nusshörnchen, 25 Hörbücher, 30 Schlafsäcke und mindestens zwei Heizdecken dabei. Und einen Fernseher. Oder wenigstens mobiles Internet, was ich aber, als ich mir vor eineinhalb Jahren ein neues Handy kaufte, noch als völlig unnötigen Nerd-Schnickschnack erachtete und daher das einfachste und preisgünstigste Modell erwarb, mit dem man zwar ganz bodenständig telefonieren, Kurznachrichten verschicken und sich wecken lassen kann, dessen Unterhaltungsfaktor abgesehen von diversen Klingeltönen und Farbeinstellungen jedoch recht begrenzt ist, aber das führt jetzt zu weit.

Ich beschließe mit dem Fahrrad zum Bahnhof, von dort aus mit dem Zug in die Landeshauptstadt und von da weiter mit der U-Bahn zur Arbeit zu fahren, wobei es mich zunächst mitten auf der Straße aufs Glatteis legt und ich mir die Beine blau schlage, was mich nicht nur in Zeitnot, sondern auch in eine Riesenwut versetzt, ich DANN, nach 5 Minuten Schlangestehen, auf ein neues Fahrkartenautomatensystem stoße, bei dem ich mir in der Hektik dämlicherweise eine viel zu teure Fahrkarte rauslasse, aber immerhin, so dass ich es GERADE noch (7 Uhr 57!!!) auf das richtige Gleis schaffe. In dem Moment fährt der Zug ab. Ich bilde mir ein, die Leute hinter den Scheiben im davonfahrenden Zug über mich lachen zu sehen.

Wer war das?

Doch damit nicht genug, weil, wie wir spätestens seit dem letzten Silvester wissen, schlimmer geht immer. Auf der Arbeit angekommen möchte ich nur eins bzw. zwei: 1. Kaffee, 2. Arbeiten. In Ruhe. Ungestört. Ich möchte einfach nur meine Arbeit machen, aber aus irgendwelchen Gründen geht das seit Wochen schief, weil jedes Mal, wenn ich zu Wochenanfang mit dem bescheidenen Wunsch EINFACH NUR ZU ARBEITEN in mein Büro komme, eine andere Hiobsbotschaft auf mich lauert. Heute lauert sie in Form der Nachricht, dass aus dem Projekt, in das Frau Dr. Sprite, Mr. Sonic und ich seit elf Monaten Zeit, Energie und Herzblut pumpten und dessen Realisierung eigentlich zum Greifen nah war, schlicht: nichts wird. Schade Scheiße.

Wieder Zuhause: Rolladenschnur fatzt durch, Wohnzimmer jetzt halb dunkel, Lotti hat Halsschmerzen und kann morgen nicht in den Kindi (schwarzer Tag), Yoga fällt aus, Kehrwoche. Wer, zur Hölle, denkt sich solche Tage aus?

War’s das jetzt?

Die lieben Kleinen.

Früher dachte ich, wenn ich mal groß bin, habe ich zwei süße kleine Kinderchen, arbeite in einer Bücherei, fahre ein lustiges Schrottauto und führe ein spaßiges, wenn auch chaotisches Leben, in dem ich hektisch, aber glücklich zwischen Job und Familie pendle und mich beim einen vom anderen erhole. Ich hatte Respekt vor den meisten Erwachsenen und der Arbeitswelt und stellte mir vor, dass alles irgendwann einen Sinn ergebe. Kurz, ich dachte: Später wird alles besser.

Heute habe ich Hotti und Lotti, zwei entzückende kleine Kinderchen, die glauben, ich sei groß, und die mir jeden Tag den wirklich allerletzten Nerv rauben, von dem ich dachte, den hätten sie mir bereits gestern zerrüttet, befülle eine Online-Bibliothek mit medienpädagogisch wertvollen Texten, fahre einen weniger lustigen als betagten Kleinwagen und führe ein einigermaßen strukturiertes, aber äußerst hektisches Leben, das ich zu großen Teilen auf der Bundesstraße 12745637392 verbringe, wo ich mich wiederum von meinem Job und meiner Familie erhole. Ich bin dabei, den letzten Rest Respekt vor den so genannten Erwachsenen zu verlieren, und auch die Berufswelt finde ich nur mäßig witzig.

Drama statt Rama

Das bisschen Haushalt? Kein Problem!

Früher unterstellte ich gestressten Müttern Missmanagement und eine überzogene Anspruchshaltung, Mutter-Kind-Kuren waren etwas für Weicheier. Außerdem fand ich, dass Mütter mehr Quatsch mit ihren Kindern machen und sich generell mehr von ihrem Partner verwöhnen lassen sollten. Vor Augen hatte ich: Blühende Landschaften des Familienlebens, das Rama-Idyll auf der Sommerwiese. Heute winde ich abends Adventskränze mit einer Freundin, an deren Namen ich mich vage erinnern kann, räume spätabends die Spülmaschine aus, hetze frühmorgens mit dem Gelben Sack drei Stockwerke die Treppe runter, und unter perfekt läuft gar nichts. Ich habe alle zwei Wochenenden kinderfrei und will pausenlos zur Kur. Wenn eins meiner Kinder mit mir Quatsch machen will, nehme ich schreiend Reißaus. In echt habe ich: die Nase voll.

Ist das jetzt der scheiß November, die Midlife Crisis, der super Kapitalismus oder einfach nur die schnöde Realität? Und geht das jetzt immer so weiter?!

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