Matrix overloaded

Wer bisher dachte, ein Pädagogikstudium habe gegenüber solchen Fächern wie zum Beispiel Psychologie den Vorteil, dass man nicht mindestens zwei Semester im Labyrinth der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Inferenzstatistik umherirren muß, der sei an dieser Stelle eines Besseren belehrt. Das war vielleicht einmal – damals, als man auch noch ausschließlich Dienstags studieren konnte und trotzdem nach 14 Semestern ein Diplom hatte. Die Sozialpädagogin von heute befasst sich ausgiebig mit empirischer Datenanalyse in der Sozialforschung. Nach der ersten Vorlesung ist klar: Da müssen wir ein richtiges Fass aufmachen. In dem modert so allerhand vor sich hin: Verschwommende Erinnerungen an K- und N-Tupel, Xe von irgendwas und kryptische Integrale, die alle möglichen göttlichen Aussagen im Gepäck hatten. Allem voran jedoch kommt das tiefe Wissen darüber wieder hoch, dass man das weder verstehen kann, noch will. Ich kann diese Erkenntnis spüren – in jeder Zelle meines Körpers sitzt ein wildentschlossenes und bis an die Zähne bewaffnetes NEIN! Und ich weiß, dass NEINs von dieser Qualität das Potential haben, meinen ganzen Studienplan in die Luft zu jagen.

Hilfe kommt aus dem Fernsehen                                                                                Nach mehreren verzweifelten Stunden, in denen ich mich marodierend durch mein SPSS analysiert habe, möchte ich Bologna abfackeln, mich so sinnlos betrinken wie schon lange nicht mehr oder für die nächsten 20 Jahre meditierend in irgendeiner gottverlassenen Höhle festwachsen. Da kommt mir, wie schon so oft, mein Agent zu Hilfe .Dieser äußerst kreative und entschlossene Teil meiner Persönlichkeit sagt: Du bist keine Studentin, die irgendeinen weiteren dämlichen Datenfriedhof produzieren soll – Du hast wieder eine Mission! Endlich! Nach einem weiteren Blick auf meine Formel- und Zahlenwüste wird alles klar. Zion wäre verloren ohne mich. Wer, wenn nicht ich sollte die Widerstandskämpfer in die Matrix einschleusen, über sie wachen und dafür sorgen, dass sie einen Ausgang finden, wo sie einen brauchen? Ich bin der Operator und einer der wenigen, die den Code dieser fucking Matrix überhaupt verstehen können.

Kleider machen Leute                                                                                                 Was braucht so ein richtig guter Operator? Einen löchrigen Wollpulli, fingerfreie Wollhandschuhe, eine Wollmütze….Ganz Zion scheint aus Blech und Wolle zu bestehen, denke ich, während ich meinen Kleiderschrank durchwühle und fündig werde. Als krönender Abschluß noch das Headset und es kann losgehen. Eine Tür geht auf in meinem bemützten Kopf und ich bin drin. Meine halb wollbehandschuhten Finger huschen flink und leicht über die Tastatur, ich murmle alles entscheidende Anweisungen in das Headset, während ich einmal mehr Zion, die Welt, mich und mein Studium rette.

 

Kaufland

Vor den Feiertagen einkaufen zu gehen ist ein Event, wenn auch ein recht fragwürdiges. Man hat das Gefühl, am letzten Tag vor der Apokalypse auf die allerersten Menschen zu stoßen, die einem mit ihren Einkaufswägen in die Hacken fahren, als gäbe es kein Morgen, zusammengepfercht auf geschätzten 500 Quadratmetern, berieselt von irrer Einkaufsmusik und fünfmal hintereinander abgespulten Gehirnwäschewerbeslogans, die einen dazu bringen sollen, fünf Paletten Katzenfutter zu kaufen, obwohl man gar keine Katze hat, aber egal, Hauptsache K-Classic. Da kann man schon mal durchdrehen.

Sind Sie auch Geheimagent?

Als ich mich mit Spinat, Ketchup, Fischstäbchen, Usher-CD für Hotti und Osterfahrradkörbchen für Lotti an der Kasse anstelle, überholt mich ein fahriger junger Mann um die 28, in der Hand einen Kasten Bier. Als er sieht, dass alle anderen Kassen noch voller sind, macht er kehrt, sieht mich an und sagt: „Sie sehen aus wie Annie Lennox!“ Dann stellt er sich brav hinter mich und sagt, mein Hintern hänge schief. Na dann. Als nächstes fragt er in den Raum hinein: „Sind Sie auch Geheimagent?“ Keiner antwortet, offenbar ist er der einzige hier. Als ihm das Schweigen zu mächtig wird, schimpft er: „Und jetzt betrink‘ ich mich! Und dann enttarn‘ ich Euch alle, und dann seid Ihr alle arbeitslos.“ Enttäuscht fügt er hinzu: „Drei Jahre habe ich ihnen vertraut, und dann das!“ Langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen. Offensichtlich hat den jungen Mann nicht nur das Madnesskaufland vor den Feiertagen im Speziellen, sondern auch der super Kapitalismus im Allgemeinen nachhaltig zerrüttet.

Weil mein Einkaufswagen dann doch ein bisschen voller ist als seine Kiste Bier und ich auch nicht dauernd auf meinen schiefen Hintern gestarrt bekommen möchte, biete ich ihm schließlich an, ihn vorzulassen. Hektisch dankend lehnt er allerdings ab: „Nein, nein, Sie haben eine Mission auszuführen, ich will Sie nicht aufhalten.“ Eine Mission erfüllen – er hat vollkommen recht! So muss ich das sehen: Ich verbringe nicht ewig lange Ferientage mit streitenden Kindern, sondern: ICH HABE EINE MISSION ZU ERFÜLLEN. Ich bin Agent Aktuelle und verstecke am Sonntag nicht nur Ostereier, sondern auch Fahrradkörbchen, Usher und mich. Feiertage sind einfach nichts für schwache Nerven. Einkaufen auch nicht.

die aktuelle

360 Joule für mehr Gemütlichkeit

Nachdem die ersten sechs Wochen des neuen Jahres ins Land gerast sind ist es amtlich: Diese Welt ist IMMERNOCH zu schnell.

Bild: Lipjin, Lizenz:CC

Agent Panty hat in diesen sechs Wochen zusammen mit ihren Kolleginnen bereits über 300 Überstunden angehäuft, Tendenz steigend. Verabredungen mit Freundinnen funktionieren ja schon lange nicht mehr ohne Kalender, aber was tun wir, wenn wir trotz Kalender in den nächsten vier Wochen keinen Termin für ein Date finden? Oder wenn der Agent und ich in der Schlange vor der Supermarktkasse stehen, dem hektischen bipbipbip des Scanners lauschen (nichtmal mehr für das „e“ im biep ist noch Zeit) und sich uns dabei unweigerlich das Bild eines immer schneller rasenden Herzens aufdrängt? Emergency room sagt uns die Diagnose: Ventrikuläre Tachykardie, übergehend in Kammerflimmern! Ein vor lauter Hektik flimmerndes Herz bringt keine ausreichende Auswurfleistung mehr. Und das ist kein unwesentlicher Kostenpunkt in irgendeiner Schreibtischschublade. Das ist ein lebensbedrohlicher Zustand. Und die Therapie? Die Serienguckerinnen wissen’s. Defibrillator laden, alle weg vom Tisch und drauf. Satte 360 Joule unterbrechen das Gerenne und schocken ein Herz wieder in einen mit dem Leben zu vereinbarenden Rhythmus.
Wo soll das nur hinführen? Turbokapitalismus in Voll- oder Teilzeit und ansonsten Autistin, weil zu nix mehr fähig und nur noch Ruhehabenwill? Dabei hätte ich ein qualitativ hochwertiges Phlegma, welches ich auch gerne in unsere Gesellschaft einbringen möchte. Neben der dringend nötigen Entschleunigung, weil so ein Phlegma ist ja von Natur aus sehr langsam, bringt es Qualitäten wie Bedächtigkeit, Gründlichkeit, Ruhe und Achtsamkeit mit sich, was doch durchaus nette und sinnvolle Eigenschaften sind.
Wieso sagt mein Chef nicht zu mir: O, Du denkst grade über wichtige, das Leben ansich und die Menschen betreffende Dinge nach? Dann geh doch heute früher und sinniere weiter bei einer gemütlichen Tasse Tee. Und vielleicht möchtest Du mich morgen an Deinen Erkenntnissen teilhaben lassen!
Wieso HöherSchnellerWeiter, wenn langsamhierunten auch sehr schön ist?

Bild: Bob.Fornal, Lizenz:CC

Die Welt braucht die Bedächtigen, die Wohlüberlegten, die Zartbesaiteten, die Künstler und vor allem die Gemütlichen. Es ist eine himmelschreiende Unverschämtheit, daß man sich als Angehöriger dieser Gruppe in so vielen Bereichen wie ein insuffizienter Alien fühlen muß, der irgendwas Wesentliches einfach nicht mitgeschnitten hat.
Der Agent und ich fordern also:
DIE MACHT DEN LANGSAMEN – UND FÜR DEN REST EINEN DEFIBRILLATOR!

 

Ma Baker

Mission Thrombosestrumpf

Bild: K and J Dolls, Lizenz:CC

Mitten in das eisige Heulen des Schneesturmes dringt ein anderes Geräusch.
Ein stetig lauter werdendes Piepsen sägt sich rhythmisch einmal quer durch mein Gehirn und löst dessen Alphazustand in Nichts auf.
Es ist 5.00 Uhr morgens.
Für einen langen Augenblick versuche ich, mir vorzumachen, daß das alles nicht wahr ist, während ich mit der Bettdecke kämpfe, die mich hartnäckig immer wieder niederringt, kaum daß ich mich halb aufgerichtet habe.
Ich besiege sie mit einem zornigen „ Fick Dich“ und einem Schlag in die Weichteile.
Vor dem Spiegel starre ich in das unausgeschlafene, schlecht gelaunte Gesicht einer Arbeitnehmerin im Gesundheitsbereich.
„ Du wirst gebraucht,“ versuche ich, meinem Gegenüber gut zuzureden.
Der Effekt ist nicht der, den ich mir erhofft hatte.
„ Ok, du kommst ins Paradies, wenn…!“ Ein bißchen Bestechung kann ja nicht schaden.
Das Gesicht vor mir verfinstert sich, und ich lasse den Rest meines Satzes in einem verlegenen Hüsteln untergehen.
Wir sind spät dran.
Ich versuche es mit Betteln.
Mein Spiegelbild rührt sich nicht vom Fleck.
Unerbittlich starrt es zurück.
„Also schön,“ lasse ich mich schließlich erweichen. „ Wir machen den Agent, ok?“
Die Augen im Spiegel strahlen, bevor sie artig ihrem Geschwisterpaar auf meiner Seite der Realität folgen und sich für einige Sekunden schließen.
Eine Welle aus Entschlossenheit und Pflichtbewußtsein flutet durch meinen Körper und vertreibt dieErschöpfung. Ich recke das Kinn vor und straffe die Schultern.
Als ich wieder in den Spiegel blicke sehe ich in das Gesicht von Special Agent Elliot Panty. Dieses Gesicht ist frei von jedem Rest Schlafbedürfnis, die Frisur makellos, die Augen umrandet von perfektem Make up. Alles sitzt bis ins kleinste Detail. Special Agent Elliot Panty ist ein Profi.
Sie hat schon viele äußerst gefährliche Aufträge erfüllt – und immer überlebt.
Fehler gibt es für sie nicht.
Und auch heute wird sie wieder nahezu Übermenschliches leisten.
Sie wird unter Extrembedingungen das Richtige tun.
Sie wird im Chaos einen kühlen Kopf bewahren.
Sie wird 250 Dinge gleichzeitig erledigen, ohne den Überblick zu verlieren.
Sie wird ihre Pflicht erfüllen, ohne an so banale Dinge wie Essen, Trinken, Pause, Pippimachen zu denken.
Sie wird einer großen Verantwortung gewachsen sein.
Sie wird Leben retten.
„ Wir haben eine Mission,“ sage ich zu meinem Spiegelbild und Special Agent Elliot Panty macht sich beschwingt auf den Weg.
Heute ist der Tag, an dem der Präsident an einer bestialischen Nierenkolik leiden wird und ich bin die mit dem Opiat.

 

Ma Baker