Freeze 2.0

Mal so heimlich gefragt, von Hamsterrad zu Hamsterrad: Wo rödelt Ihr eigentlich grade rum? Wer weiß noch genau, wo’s hingehen soll? Kann einem ja schon mal aus dem Schirm rutschen. Solange man wenigstens nicht vergisst, dass man gestern schon längst wo auch immer hätte ankommen sollen, ist ja noch alles ok. Aber dachte man bisher, Entspannung sei etwas Passives, was sich einfach so einstellt, wenn man meint, es wäre jetzt genehm, dann fällt man inzwischen ganz schön auf die Schnauze. Wenn sie dann endlich da sind, die raren Stunden oder Tage, in denen man mal aufhören könnte, zu hampeln, stellt man fest, dass man genau das eben nicht mehr kann.

Nach einem endlosen Semestermaraton an meiner Lieblingsuni, der Reise in die Matrix der quantitativen Sozialforschung und der zwischenmenschlichen Atomisierung verschiedener Arbeitsgruppen habe ich frei. Hooray, denke ich, jetzt mach ich’s mir voll gemütlich, während ich unter meinem Bett staubsauge und dann meinen Kleiderschrank ausmiste. Zielsicher fällt mein Auge in all die versteckten Winkel und Ecken, die normalerweise unsichtbar sind – und ich stelle fest, dass es in der Wohnung aussieht wie Schwein! Es ist, als wäre jeder Filter von mir abgefallen. Ich sehe ALLES und halte NICHTS DAVON auch nur eine Sekunde aus. So putze ich mich in meiner neu entdeckten Hochsensibilität einmal quer durch das Haus, von der Rückseite des Kühlschranks über staubigen Zimmerpflanzen und Innereien unseres Ofenrohrs bis zu meinem Bücherregal und frage mich dort, wie ich es nur aushalten konnte, dass die Bücher NICHT der Größe nach sortiert sind.

Ein knurrender Magen zwingt mich jedoch, die Erörterung dieser lebensnotwendigen Frage auf später zu verschieben und treibt mich in die Küche, wo ich den Plan fasse, mir was total Leckeres zu kochen. Beim Schneiden des Gemüses bemerke ich, dass ich scheinbar sehr großen Wert auf die perfekte Anordnung der einzelnen Zutaten lege. Zuccini paßt farblich besser zur roten Paprika als neben den Lauch. Ich schneide also die Paprika in gleich große Streifen und ordne sie jeweils mit einem Zentimeter Abstand zwischen Zuccini und Lauch an. Als ich anfange, darüber nachzudenken, ob das Schneidebrett eigentlich im rechten Winkel zur Tischkante liegt, wird mir die ganze Sache unheimlich. Vielleicht doch einfach ein Bier, das scheint mir eine entspannte und vor allem unverfängliche Angelegenheit zu sein. Ich flüchte mit Alkohol und Zigaretten auf die Terasse. Als ich nach einem Bier leicht bedüdelt wieder hereinkomme, scheint sich die Sache mit den rechten Winkeln erledigt zu haben. Dafür ist mir schlecht – Entspannung und Alkohol am hellichten Tag ist nix für Weicheier.

Zucht und Deformation

Es gibt einen Gott: Der fürs Wochenende angesetzte Halligallilottikindergeburtstag fällt wegen erkrankter Geburtstagsgäste aus, so dass ich, anstatt Kartoffelsalat und Würstchen an kreischende Kinder zu verteilen, mit Fanta zum Chillen und Nikotinausschwitzen in die Sauna gehen kann. Wir packen unsere Bademäntel, Schläppchen sowie Die Vampirschwestern ein und rauschen los ins Achmannbad am Fuße der Schwäbischen Alb. Die Lektüre hätten wir allerdings getrost zu Hause lassen können, unterhaltungsmäßig sitzen wir bereits bei Saunagang Nummer eins in der ersten Reihe:

Mann 1: Die hat sich ja dann gar net mehr in die Sauna getraut, also wegen ihrer Deformation, weil, die wollt‘ halt net immer so angestarrt werden.
Mann 2: Hhmm.
Mann 1: Also, dabei war des mit der Deformation gar net so des Problem.
Mann 2: Wieso, was dann?
Mann 1: Also, des eigentlich Schlimme war nämlich, dass die als Kind zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. DES war des eigentliche Problem.
Mann 2: Ja, des is halt immer des, ne.
Mann 1: Genau, und des kann man halt auch net mehr nachholen, wenn de als Kind zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hast!
Mann 2: Hhmm.
Mann 1: Weil des mit dem krummen Rücken war eigentlich gar net so schlimm. Also, grad wegen Inklusion und so.
Mann 2: Wegen was?
Mann 1: Inklusion.
Mann 2: Ach so.
Mann 1: Und dabei hatte die doch auch so einen gut aussehenden Mann und so gut aussehende Kinder!
Mann 2: Hhmm.
Mann 1: Aber des mit der Sauna ging halt trotzdem net.
Mann 2 (zu mir): Ist das Ihr Handtuch? (zeigt auf den Boden)
die aktuelle: Nein.
Mann 2: Na, so was – das ist ja meins!
Mann 1: Sag mal – sollen mir eigentlich mal raus?
Mann 2: Hhmm. Des ist ja echt SCHEIßheiß hier.
Mann 1: Ja, SCHEIßheiß! Und kälter wird’s ja irgendwie auch net.
Mann 2: Nee, kälter wird’s net. (gehen ab.)

Kurz darauf beenden auch Fanta und ich die erste Runde und begeben uns zum scheißkalten Eisbecken. Während ich einsteige, gesellt sich ein dicker alter Mann zu mir und gibt mir den ganz heißen Tipp, ich müsse immer rückwärts reingehen, wobei er peinlich genau darauf achtet, ob ich diesem Hinweis auch Folge leiste. Fluchtartig verlasse ich vorwärts das Becken. Fanta, die nichtsahnend nach mir ins Eiswasser gleitet, raunt er hingegen zu, dass „das immer so züchtig“ mache. Wir möchten uns nicht ausmalen, was Männer wie er ohne Eiswasser in der Sauna machen würden.

Hören Sie’s auch?

Nach dem zweiten Saunagang hat es sich ein anderer älterer, nicht ganz so dicker Herr vor dem Eiswasserbecken gemütlich gemacht. Dazu hat er seinen Stuhl exakt vor dem Becken neben der Einstiegsleiter postiert, so dass er beim vermeintlichen Zeitunglesen nicht nur problemlos seine Füße auf dem Beckenrand ablegen, sondern garantiert auch jede Pore der Badenden überblicken kann.

Beim dritten Saunagang sind Fanta und ich allein mit einem weiteren recht betagten Mann. Nachdem er mehr als umständlich sein Handtuch auf der obersten Etage zurechtgewurschtelt hat, legt er sich endlich hin. Gerade, als wir schon meinen, jetzt sei aber mal Ruhe im Karton, tönt es von oben: „Ich höre hier so ein seltsames Motorengeräusch. Sie auch?“ Wir verneinen und werten diese finale Entgleisung als Zeichen zum Aufbruch, schließlich soll man ja gehen, wenn’s am schönsten ist. Auf dem Weg nach Hause müssen wir kichern: Wir hören da so ein seltsames Motorengeräusch. Sie auch?

Das Comeback des Blumenmörders

Totgesagte leben länger. Bayern auch. Mit Erschrecken stelle ich beim Zeitunglesen fest: Er ist wieder da! Wir dachten, er wäre erledigt, zumindest politisch und vor allem rhetorisch. Was macht er stattdessen? Er schreibt seine Memoiren. Als Exilbayerin teilte ich lange Jahre, vor allem während seiner Amtszeit als bayrischer Ministerpräsident das Schicksal vieler Bayern, die in anderen Bundesländern leben – dieses Schicksal hieß Fremdscham!

Man hoffte immer insgeheim, er würde einfach nicht reden – und wurde meistens enttäuscht. Er zeigte uns die Welt aus ganz neuer Blickrichtung und erschuf sprachliche Dimensionen, von denen wir nie auch nur zu träumen gewagt hätten. Er machte es möglich, in den Hauptbahnhof einzusteigen und rückte München näher an Bayern. Ihm haben wir das stichhaltige Stufenmodell des integrationsunwilligen Bären zu verdanken: Normaler Bär – Schafbär – Problembär! Seine Ausführungen zu Fußball und brasilianischen Spielern sind legendär und die gludernde Lot würde uns auch fehlen, hätte er sie uns nicht geschenkt.

Vom Format her muß man leider sagen, reicht er an den legendärsten seiner Vorgänger nicht ganz heran. Obwohl er sich sichtlich Mühe gab, verbal daneben zu langen, blieben seine Ausfälle doch eher im komischen Bereich und erreichten nie die politische Brisanz eines Franz Josef Strauß. Dieser schaffte es in Zeiten des Kalten Krieges, auf die höfliche Frage von Gorbatschow, ob er denn schon mal in der Sowjetunion gewesen wäre, zu antworten: „Ja, aber das letzte Mal kam ich nur bis Stalingrad!“

Trotzdem ist er wieder da! Der blumenhinrichtende Patriarch, dessen Frau dann macht, was er gerne täte. Wie direkt einem Moers-Comic entsprungen: Äch bän wäder da – und äch habe ein Boooch geschräben!

Wir möchten an der Stelle einfach nur „Bitte nicht“ sagen und halten unser Banner von damals wieder schützend über uns.

Von Frauen und Unimogs

Der Mann unterscheidet sich vom Knaben bekanntlich durch die Kostspieligkeit seines Spielzeugs. Wo kleine Jungs noch mit Matchboxautos brummbrumm machen, gibt es für den erwachsenen Mann bereits Vergnügungsparks in Form riesiger Baugruben, in denen Baufahrzeuge zur freien Nutzung bereitstehen. Eine Stunde Baggerfahren für 50 Euro, die halbe Stunde auf der Planierraupe für die Hälfte. Ermäßigung gibt es für Gruppen, in denen die eine Hälfte ein Loch ausbaggert und die andere sich bereit erklärt, selbiges wieder zuzuschütten.

Auch Lego hat inzwischen die Männerwelt entdeckt und die Produktionssparte LEGO MEN entwickelt. Der zahlungskräftige Mann jenseits der 35 findet eine vielfältige Auswahl an Bausätzen, die sowohl seinen Intellekt als auch seine Testosteronproduktion ankurbeln werden. Von einem funktionstüchtigen R2D2 über verschiedene Fluggeräte bis hin zu einem Unimog mit allen Schikanen. Für die, die es nicht wissen: Unimog steht für UniversalMotorGerät. Das Wort Universal ist wie Musik, es will sagen, dass der Unimog alles kann. Er ist sozusagen der Grundbaustein allen interessanten motorisierten Maschinenlebens. Mann kann durch zwei Meter hohen Schlamm pflügen oder ihm eine Schneefräse an die Schnauze montieren, falls kein Schlamm, sondern der Winter die Mission gefährdet. Er schafft Steigungen bis zu 110 Prozent, und wenn es mit der Straße nix mehr ist, dann nimmt er halt die Schiene oder hebt ganz ab.

Man kann sich die Frage stellen, wieso ein großer Teil der Männer eigentlich Frauen heiratet und keine Unimogs. Unimogs sind in ihrer Omnipotenz weder hysterisch (emotionsflexibel. Anm. d. Red.) noch haben sie ihre Tage (ihre monatliche Resettaste, verbunden mit einigen Tagen Klarsicht. Anm. d. Red.) Die Antworten darauf sind vielfältig und von unterschiedlichem Niveau. Hier ein kleiner Auszug:

– Der Unimog paßt nicht ins Bett!
– Wer bewundert dann, was für ein Kerl ich bin?
– Mit einem Unimog kann man nicht reden!!!
– Ich hab die Brüste am Unimog noch nicht gefunden!
– Wer wischt dann die Kotze von den Kindern auf?

Danke, Jungs! Wir wissen um unsere Vorzüge im sexuellen und sozialen Bereich und bei der Kinderaufzucht. Darüber hinaus möchten wir noch ergänzen, dass es unter Umständen eine weibliche Stimme ist, die sagt:

„Jetzt lass doch die Matschpfütze und fahr einfach außenrum.“
Oder:
„In Zeiten der globalen Erwärmung in Mitteleuropa vielleicht statt der Schneefräse einen Rasensprinkler?“
Oder:
„110 Prozent Steigung is echt faszinierend, aber was will ich auf dem scheiß Berg?“

Was nicht heißen soll, dass Frauen nicht auch die Gelegenheit nutzen würden, mit einem Unimog in einer großer Staubwolke Richtung Horizont zu verschwinden.

Inkassomüller

Wieder alles falsch gemacht.

Wieder alles falsch gemacht.

Es hätte so nett sein können. Eigentlich wollten wir, Dr. Sprite, Mr. Matrix und meine Wenigkeit, nur friedlich am jährlichen Betriebsausflug unserer Firma partizipieren. Das Ausflugsziel: Lingendingen, für mich ein Heimspiel mit angenehmen fünf Fahrradminuten Anreisezeit, und wann macht man schon mal eine professionelle Stadtführung in der eigenen Heimatstadt? Die Kollegen: Nett. Die Stocherkahnfahrt: Entspannt. Das Wetter: Strahlender Sonnenschein. Die Frisur: Sitzt.

Ein Tag so schön wie heute

Dass dann letzten Endes doch alles aus dem Ruder läuft, liegt diesmal aber wirklich nicht an uns, sondern an der völlig irren Schichtleiterin des Inkassomüller, einem idyllisch gelegenen Biergarten mit abgrundtief gruseliger Personalpolitik. Es geht so los, dass Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich zu spät zu unserem Mittagessen in eben diesem Biergarten einlaufen, weil wir zuvor noch dringend Sonnencreme für unsere Kinder und Belohnungsbrekkies für unsere Katzen im Drogeriemarkt unseres Vertrauens erwerben mussten, so dass alle Plätze bei den schon sitzenden KollegInnen bereits vergeben sind. Wir, ganz vernünftig, setzen uns an einen anderen Tisch, bestellen Weißwürste mit Brezeln und Salate, die dann auch bald kommen, und stoßen mit unseren semialkoholischen Kaltgetränken auf einen Tag so schön wie heute an. Pascal, unser Kellner, schaut noch kurz vorbei und fragt, ob alles in Ordnung sei, und wir strahlen: Ja, alles wunderbra, vielen Dank!

Kaum haben wir aufgegessen, steht Pascal allerdings erneut mit Weißwurstschüssel auf der Matte und fragt, ob wir noch mehr Weißwürste bestellt hätten, hier stünden noch welche auf der zuvor angekreuzten Betriebsausflugsessensliste. Wir sagen artig, nein, danke, wir hatten schon, aber Pascal und ein weiterer Kellner, der sich mittlerweile mit Knödeln und Pilzrahmsoße neben Pascal aufgebaut hat, insistieren: Doch, das wären unsere Würste und auch unsere Knödel, die hätten wir angekreuzt und die müssten wir jetzt auch essen, und außerdem hätten wir auch gleich sagen müssen, dass wir zur Betriebsausflugsgemeinde gehören. Wir beteuern, dass wir nichts von der Verbindlichkeit der Betriebsausflugsessensliste gewusst hätten, und dass wir auch nicht absichtlich die Zugehörigkeit zu unserer Peergroup verschwiegen hätten, aber das bringt die beiden nur noch mehr in Rage und zu dem Schluss, dass es jetzt Zeit für ein ernstes Wörtchen mit ihrer Schichtleiterin wird. Die zwei dampfen ab und wir denken an Kafka.

Born to fail

Als die Schichtleiterin Kurs auf uns nimmt, geht es buchstäblich um die Wurst. Ihr Schritt ist energisch, ihr Blick eisig, bedrohlich schüttelt sie schon von Weitem ihr Handy gegen uns. Sie wiederholt, was Pascal und der Knödelkellner uns schon haben wissen lassen, nämlich, dass das unsere Würste wären, die wir bezahlen müssten, weil wir die vorher angekreuzt hätten, und dass der Inkassomüller sie uns auch gerne einpacken könnte, weil noch mal aufwärmen geht ja schließlich nicht und bei ihnen würden die Weißwürste nicht eine halbe Stunde im Wasser liegen, dann wären die ja hin, und wenn das jeder machen würde, einfach irgendetwas Verbindliches ankreuzen und dann nicht essen wollen! Mittlerweile stehen auch schon wieder Pascal mit Weißwurstschüssel und der Knödelkellner neben der Schichthexe und versuchen, die Teller irgendwie auf unserem Tisch zu platzieren. Wir denken an Kafka und Weißwürste, die in einer Goldfischtüte schwimmen, beteuern erneut unsere Unschuld und sind inzwischen überzeugt, dass das Inkassomüllerpersonal für jede überflüssige und unbezahlte Weißwurst kollektiv in den hauseigenen Kerker wandert.

Das Ganze geht dann noch eine Weile hin und her, die Schichthexe schiebt uns die Schuld zu, wenn der Inkassomüller pleite macht, die Kellner tragen noch ein bisschen dämlich die Knödel und Würschtl durch die Gegend, bis letztere dann schließlich dem Herrn an unserem Nachbartisch serviert werden, der zuvor versichert hatte, dass er wirklich kein Fleisch esse. Hauptsache frisch. Nachdem wir hinreichend ausgeschimpft worden sind, ziehen Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich von dannen, ohne die überschüssigen Würste und Knödel in einer Goldfischtüte heimtragen zu müssen, dafür mit dem Schwur, mindestens bis ins fünfte Glied unserer Nachkommen nie wieder auch nur einen Fuß in den Inkassomüller zu setzen.

die aktuelle

FREEZE – Nobody move

Die Frage, ob wir mit dem Jahr 2012 auf irgendeine apokalyptische Angelegenheit zusteuern, möchte ich gerne an die Kornfeldgucker outsourcen, denn wer in umgefallenem Getreide binäre Codes entdeckt, dem fällt sicher auch zum jüngsten Gericht direkt vor unserer Haustür irgendwas Lustiges ein. Während des unerschrockenen Mitschwimmens im großen Alltagsstrudel, beim engagierten Festhalten verschiedenster Gäule und Hochhalten diverser Fähnchen begegnet einem allerdings eine Art von Plage, die zwar nicht biblischen Ursprungs ist, aber Heuschrecken, Hagel und schwarzen Geschwüren in nichts nachsteht. Wir sprechen vom MULTI TASKING!!
In meinem Alltag als Vollzeitstudentin, Bibliotheksmitarbeiterin, Teilzeittherapeutin, gedanklicher Volkshochschuldozentin, Lebensgefährtin, Blogautorin, Kräuterhexe und Rockstar in spe jage ich diesen Softskill auf alle erdenklichen Arten, in der Hoffnung, ich hätte ihn irgendwann mal erlegt und dann würde hier Ruhe einkehren! Es muß doch diesen magischen Moment geben, wo mal das Gröbste erledigt ist und sich ein entspannendes doppelflügliges Zeitfenster in Gestalt eines flauschigen Wohlfühlkissen vor einem ausbreitet. Da will ich hin, es scheint ganz nah! Jetzt nur noch schnell die Wäsche in den Schleudergang, die Hausarbeit fertig schreiben, ein bißchen arbeiten gehen, das Klo putzen, ein wichtiges Gespräch mit einer Freundin führen und eine Lebendfalle für die Maus kaufen, die gerade überall in unserem Haus Hantaviren verteilt. Und dann darüber bloggen! Ist doch alles machbar! Und so beeile ich mich, schleudere meine Hausarbeit, blogge die Mausefalle und schreibe seitenweise Wäsche, während das Klo arbeiten geht und die Hantaviren mit der Freundin telefonieren. Auf das flauschige Kissen im doppelflügligen Zeitfenster, welches sich am Ende des Tunnels materialisieren sollte, warte ich vergebens.
Statt dessen zieht ein leerer Kühlschrank herauf, gefolgt von einem Referat zu einem unsäglichen Thema, einer Steuererklärung und Teilen eines fremden Gartenhäuschens, das der Sturm in meinem Blumenbeet platziert hat.
FREEZE, bedrohe ich mich gedanklich. Erst das Kissen, vorher wird hier garnix Neues angefangen! Dann kommt mir die schlaue Idee, dass ich zu meiner Entspannung ja genausogut nichtstuend im Garten rumstehen kann, vielleicht kommt mir ja beim Nichtstun eine schlaue Idee, wie ich das Gartenhauswrack aus meinem Blumenbeet kriegen kann. Oder ein lustiger Gag für einen Blogartikel?

Ma Baker

Kaufland

Vor den Feiertagen einkaufen zu gehen ist ein Event, wenn auch ein recht fragwürdiges. Man hat das Gefühl, am letzten Tag vor der Apokalypse auf die allerersten Menschen zu stoßen, die einem mit ihren Einkaufswägen in die Hacken fahren, als gäbe es kein Morgen, zusammengepfercht auf geschätzten 500 Quadratmetern, berieselt von irrer Einkaufsmusik und fünfmal hintereinander abgespulten Gehirnwäschewerbeslogans, die einen dazu bringen sollen, fünf Paletten Katzenfutter zu kaufen, obwohl man gar keine Katze hat, aber egal, Hauptsache K-Classic. Da kann man schon mal durchdrehen.

Sind Sie auch Geheimagent?

Als ich mich mit Spinat, Ketchup, Fischstäbchen, Usher-CD für Hotti und Osterfahrradkörbchen für Lotti an der Kasse anstelle, überholt mich ein fahriger junger Mann um die 28, in der Hand einen Kasten Bier. Als er sieht, dass alle anderen Kassen noch voller sind, macht er kehrt, sieht mich an und sagt: „Sie sehen aus wie Annie Lennox!“ Dann stellt er sich brav hinter mich und sagt, mein Hintern hänge schief. Na dann. Als nächstes fragt er in den Raum hinein: „Sind Sie auch Geheimagent?“ Keiner antwortet, offenbar ist er der einzige hier. Als ihm das Schweigen zu mächtig wird, schimpft er: „Und jetzt betrink‘ ich mich! Und dann enttarn‘ ich Euch alle, und dann seid Ihr alle arbeitslos.“ Enttäuscht fügt er hinzu: „Drei Jahre habe ich ihnen vertraut, und dann das!“ Langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen. Offensichtlich hat den jungen Mann nicht nur das Madnesskaufland vor den Feiertagen im Speziellen, sondern auch der super Kapitalismus im Allgemeinen nachhaltig zerrüttet.

Weil mein Einkaufswagen dann doch ein bisschen voller ist als seine Kiste Bier und ich auch nicht dauernd auf meinen schiefen Hintern gestarrt bekommen möchte, biete ich ihm schließlich an, ihn vorzulassen. Hektisch dankend lehnt er allerdings ab: „Nein, nein, Sie haben eine Mission auszuführen, ich will Sie nicht aufhalten.“ Eine Mission erfüllen – er hat vollkommen recht! So muss ich das sehen: Ich verbringe nicht ewig lange Ferientage mit streitenden Kindern, sondern: ICH HABE EINE MISSION ZU ERFÜLLEN. Ich bin Agent Aktuelle und verstecke am Sonntag nicht nur Ostereier, sondern auch Fahrradkörbchen, Usher und mich. Feiertage sind einfach nichts für schwache Nerven. Einkaufen auch nicht.

die aktuelle

platsch und weg

eingefrorener Mühlbachwasserfall

Und dann, von einem Moment auf den anderen, bleibt alles stehen. Eine ewige Sanduhr auf dem Monitor. Die vielen Gedanken hören auf, hintereinander her zu rennen und sogar der Mühlbach hält einen Moment inne. Man atmet aus und lange Zeit nicht mehr ein.
Nach wochenlanger Dauerbefüllung meines Langzeitgedächtnisses mit Dingen, die offenbar zu einem Studium gehören ist jetzt ein großer Teil geschafft. Mein Gehirn gleicht einem riesigen Warenhaus, endlose Reihen von Regalen, bis zur Decke befüllt mit Gendertheorien, Bourdieu, PISA, didaktischen Modellen nach Otto, Hasi und Schatzi und vielem mehr.
Und jetzt sitz ich hier, völlig regungslos und schaue zu, wie ein Gelerntes nach dem anderen aus dem Regal fällt. Primäre und sekundäre Herkunftseffekte, multifaktorielle Intelligenzmodelle und natürlich die Janusgesichtigkeiten der sozialen Moderne, alles schlägt mit einem lauten Platsch am Boden auf. Abgrund Adorno und Pierre Bourdieu führen noch eine kurze hitzige Debatte über Mündigkeit, bis Pierre schließlich sauer wird, Abgrund kurzerhand über den Regalrand schubst und dann hinterspringt. Karl Marx jammert, dass er sich die Revolution so nicht vorgestellt hat, bis Max Weber ihm wieder klarmacht, dass wir uns unsere Wirklichkeit nun mal selber konstruieren und da Gejammer jetzt auch nicht sehr sinnstiftend ist, bevor beide von PISA mitgerissen werden und dann als kleine, vorerst nicht mehr benötigte Wissenswolke sanft entschweben, eine wohlige Leere hinterlassend.
Es wird leer – und still! Und ich werde jetzt mit der Voyager im Deltaquadranten verschwinden und erst in 70 Jahren zurückkommmen. Da krieg ich dann schon Rente.

Ma Baker