It’s time

DSC_0154BlogWie der Buschfunk ja bereits kundgetan hat: Schatzi 1 und 2 haben endlich eine neue Wohnung. Und zwar eine, die sowohl größer als auch um einiges schicker ist als wir sie bräuchten – und in der logischen Konsequenz auch teurer als wir uns das so geplant hatten. Neben der nüchternen Tatsache, dass einfach nichts anderes funktionieren wollte, hat uns unser zukünftiges Luxusloft mit allerlei ausgefallenen Features in seinen Bann gezogen. Das Bild zeigt unsere zukünftige Oase der Ruhe über den Dächern Tübingens und der B27 in blau und rosa.

Wir performen mit authentischem Enthusiasmus

Als der unschuldige Makler bei der Besichtigung zunächst verkündet: „Hier haben wir gleich mal das Badezimmer“ kreischen beide Schatzis sofort in freudiger Hysterie auf: „Ein Badezimmer! Ein Badezimmer! Ey, krass, sogar mit Tür zum Zumachen und so!“ Der Makler zuckt nur kurz, dann macht er wieder routiniert seine Arbeit. Auf den Hinweis, dass es leider keine Badewanne gäbe, dafür aber eine hübsche Dusche schreien wir beide wieder: „Eine echte Dusche! Eine echte Dusche!“ Also eine echte Dusche, nicht ein schmaler Spalt zwischen Riesenboiler und Wand voller Spinnen, in den man sich mühsam reinquetscht, um dann unter einem dürftigen Rinnsal Wasser zu stehen, das nach 3,21 Minuten kalt wird. Die Maklerzüge entgleiten kurz. Es ist offensichtlich, dass unser Verhalten für ihn irgendwie nicht einordenbar ist. Doch er ist ein Profi und wir gehen weiter ins Wohnzimmer. Er versucht dort, die Fußbodenheizung (!!) anzupreisen, doch sofort stiehlt ihm Schatzi 2 (der Berufsfrosti in unserer Ehe) die Show, seufzt aus tiefster Seele „Fußbodenheizung“ und legt sich gleich mal der Länge nach auf den Boden, um ein Gefühl für das neue Luxusgut zu bekommen. Der Makler sieht sich nun doch mal genötigt, zu fragen, wo wir denn eigentlich gerade wohnen. In Bruchbuda, erklären wir wahrheitsgemäß und erzählen ihm von unseren Features. Letztlich fühlt er sich von uns offensichtlich äußerst gut unterhalten und leitet unser Interesse wärmstens an Frau Vermieterin weiter. Astreine Performance unsererseits und damit das Ende unseres Gastspiels in der Tübinger Immobilienhölle.

Unterstützung kommt aus der Heimat

Bruchbuda tut weiterhin alles, um uns das Leben schwer und den Abschied leicht zu machen. Da wären zunächst unsere expandierenden Mitbewohner. Die Tiffies sichern weiter ihr Territorium, schleppen ganze Dinkelflockenpackungen durch’s Haus und räumen sogar unsere Kirschkerneule aus (was diese uns ziemlich übel genommen hat). Seit einigen Wochen scheinen sie eine besondere Beziehung zu Schatzi 1 zu entwickeln und suchen ihn gerne nachts auf, um gepflegt ein bisschen rumzurascheln und die Kirschkerne aus der Eule in seinem Bücherregal zu deponieren. Verstärkt wird die Tiffyphalanx von verschiedenen Ameisenautobahnen in der Küche und einer Asselgroßfamilie, die regelmäßig samt einem großen Stück Putz aus der Wand in unsere Badewanne kippt. Soviel zur Tierpopulation. Kommen wir nun zum hauseigenen Degenerationsprozess. Wer mal in einem alten Haus gewohnt hat kennt das mit den Türen: Die einen fallen immer automatisch zu, die anderen gehen ständig auf. Türen in alten Häusern kennen keine Zwischenstufen wie halb auf oder fast zu, es gibt nur die zwei Extreme. Entweder ist die Tür ganz offen oder ganz zu – Ambivalenz unmöglich. Das schafft Ordnung und Orientierung, wie verschiedene Graustufenbehindis zu berichten wissen, die die Dinge gerne sicher eingetütet haben wollen. Bedenklich wird es allerdings, wenn die Türen plötzlich ihre Gewohnheiten ändern. Die immer offene fällt seit neuestem zu und die, die immer zu sein wollte öffnet sich ständig wie von Geisterhand. Das kann statisch betrachtet nichts Gutes verheißen! Aber es geht noch weiter.                                                    DSC_0155Blog1Während die werte Autorin auf ihrer Lieblingsmatratze sitzt und diesen Artikel schreibt blickt sie in unseren Ostflügel – ein kleiner, nachträglicher Anbau, der es ermöglicht hat, in Bruchbuda auch noch Luxusgüter wie Klo und Waschbecken unterzubringen. Dass unser Ostflügel ein wenig „arbeitet“ wissen wir. Es ist jeden Morgen spannend, zu schauen, ob sich der Winkel zwischen Wand und Kommode über Nacht verändert hat. Aber das hier (siehe Bild) geht dann doch zu weit! Auch unsere Haustür entwickelt eine ungeahnte Beweglichkeit. Der Rahmen um die Scheiben, der diese fest mit der restlichen Tür verbinden soll, ist inzwischen weggemodert. Die Scheiben schwingen bei jeder Bewegung frei mit – Haustür zuknallen ist deshalb jetzt streng verboten. Das machen wir zum dann zum Abschluss nochmal mit einem finalen Geschepper!

Die 3 Haushaltsangehörigen ohne und mit Fell kommen in einer WG-Sitzung zu dem Schluss: It’s echt sowas von time!

 

3 Zimmer, Küche, Bad … Teil 4

20150130-DSC_0005Sie haben die automatische Selbstzerstörung aktiviert. Dieses Haus wird sich innerhalb der nächsten 20 Tagen selbst zerstören. Bruchbuda tut seit etwa zwei Wochen alles, damit wir uns nicht mehr wohlfühlen. Ihre Bemühungen konzentrieren sich auf den neuralgischen Punkt der Gemütlichkeit – unseren Ofen. Als einzige Heizmöglichkeit im oberen Stockwerk ist er für den Wohlfühlfaktor in diesem Haus unerlässlich.

Phase 1 – ein Spalt tut sich auf

Es begann mit einem leisen, geheimnisvollen Knack. Ein großer Riss zog sich plötzlich quer über die Ofenscheibe. Erkundigungen beim Master of Ofen ergaben Folgendes: Scheibe austauschen kostet 400 Euro. Allerdings entspricht der gute Wärmespender nicht der aktuellen Feinstaubverordnung – heißt, wir dürfen ihn nicht nach unserem Umzug woanders wieder betreiben, sondern er muss genau da bleiben, wo er jetzt steht. Der Rat, ihn doch unserem Nachmieter zu überlassen, ist zwar gut, scheitert aber an der Realität. Einen Nachmieter für ein abgerissenes Haus zu finden ist eine echt große Herausforderung. Wir rücken also die Scheibe wieder schön zurecht, heizen weiter und lassen uns tapfer auf den Gedanken ein, dass der Ofen samt alles Gemütlichkeit mit Frühlingsbeginn von uns gehen wird.

Phase 2 – ein Nebel zieht herauf

Beim nächsten Betreten des Obergeschosses schwebt ein dichter Nebel im Raum. Alles ist bedeckt von kleinen Ascheteilchen und ein unromantisch penetranter Geruch nach Lagerfeuer liegt in der Luft. Wir stellen fest, dass die Dichtung durch den Sprung in der Glasscheibe unwiederbringlich hinüber ist. Professionelle Hilfe scheint uns für die vier Wochen, die wir den Ofen noch brauchen unverhältnismäßig teuer. Also tun wir das, was alle zupackenden Menschen in einer solchen Situation tun: Wir fahren in den Baumarkt und machen unser Ding, weil’s gut werden muss. Dort erstehen wir ein neues Dichtungsband und – was das Tollste ist – eine riesige Kartusche Superofenkleber zum Abdichten. Wenn das mal kein langer Heimwerker-Schwanz ist, den wir da auf den Tisch legen! Eifrig machen wir uns ans Werk und kleben und schmotzeln ALLES zu, was irgendwie danach aussieht, als könnte es dem Rauch zur Entweichung dienen.

Phase 3 – das Finale

Frierend warten wir 24 Stunden, damit alles schön aushärten kann und blasen derweil mit Elektrogebläsen unser Geld zum Fenster hinaus. Dann ist es soweit. Wir entzünden ein Feuer und sitzen atemlos davor. Es macht wieder Knack. Und nochmal. Es folgt ein Geräusch, wie wenn ein Stück Eisschelf abbricht und wo vorher ein Riss war sind jetzt zehn. Bevor das ganze Ding explodiert löschen wir hastig das Feuer und verbringen die nächsten Wochen zwischen Elektrogebläse, Wärmflasche, Fön und der kleinen Tonne, in der wir unsere sauer verdiente Kohle abfackeln.

Es wird Zeit zu gehen!

 

3 Zimmer, Küche, Bad…Teil 3

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Da wir ja nicht ewig mit Alkohol und Bad Religion im Keller unserer gewollt punkigen Identität rumhängen können wagen wir uns nach einer Woche Wundenlecken wieder hervor. Und erleben einen bunten Blumenstrauß:

Die erste Blume ist eine Wohnung in einem Neubau direkt neben der B27. Das Haus sieht von außen aus wie ein Raumschiff. Im Treppenhaus kann man vom Boden essen, was verheißungsvolle Rückschlüsse über das schwäbische Kulturgut der Kehrwoche zulässt. Es gibt einen Aufzug. Wir schlucken zuerst und entscheiden uns dann, das Ganze positiv zu betrachten. Der Aufzug schleppt dann ja unseren ganzen Kram in den dritten Stock, nicht wir. Cool! Erstmal entschlossen die Fronten gewechselt erscheint uns auch die Wohnung eigentlich ganz nett. Das Bad ist komplett schwarz gefliest und hat kein Fenster. Man hat das Gefühl, einen Sarg zu betreten. Wer hat schon sowas in der eigenen Wohnung? Wir überlegen, wo wir das Marilyn Manson Poster aufhängen und wie es technisch machbar ist, dass bei Betreten automatisch die passende Musik erklingt. Zähneputzen mit Hells Bells und Ozzy Osbourne zur Toilettenbenutzung. Noch cooler! Leider gibt es bereits eine hartnäckige Interessentin mit Grufti-Vergangenheit, die sich letztlich durchsetzt und Wohnung samt Sarg bekommt.

Blume 2 ist eine bezahlbare Wohnung in der Nähe der 3 Hauptverkehrsachsen Tübingens. Sehr nette Vermieterin, bisschen Balkon und 60 Quadratmeter, aus denen man was machen kann, wenn man sich große Mühe gibt. Eine klare Mission für Schatzi 2, dessen großes Talent ja bekanntermaßen IN der Höhle liegt. Während Schatzi 2 also bereits über Gardinen und Muschelmobiles nachsinnt steht Schatzi 1 verdächtig reglos herum. Zuhause rückt er dann sichtlich erschüttert damit raus, dass er, auch wenn es vernünftig wäre, da einfach nicht wohnen kann, weil allein der Gedanke in ihm den Impuls auslöst, sich in den angrenzenden Goldersbach zu stürzen. Da kann man nix machen. Wir nehmen die Bachmetapher zum Anlass, ein persönliches Rankingverfahren für unsere zukünftigen Besichtigungen zu einzuführen: Die Goldersbachfaktor-Skala! 10 Goldersbäche sind der absolute worst case, alles was über 5 Gs rangiert auch indiskutabel, zwischen 5 und 3 gibt es Diskussionsspielraum und ab 2 schlagen wir zu.

Mit Blume 3 wagen wir uns nochmal auf die Seite des Immobilienerwerbs. Per Zeitung wird eine 3-Zimmer-Wohnung mit 70 Quadratmetern und Balkon in der grünen Hölle zum Kauf angeboten. Per dropbox werden wir über das Verfahren informiert. Verkauft wird nach Höchstgebot und wunderlicherweise gleichzeitig nach sozialen Kriterien(??!). Bisher dachten wir, dass das insich ein Widerspruch ist, aber man will ja dazu lernen und liest weiter. So landet man beim geforderten Mindestgebot von 297.000 Gänseblümchen! Über die sozialen Kriterien, die sich mit diesen vielen Nullen vereinbaren lassen, können wir nur mutmaßen. Vielleicht sowas wie „meine Yacht in Saint-Tropez ist letzten Sommer leider abgesoffen und jetzt weiß ich nicht, wie es weitergeht“ oder “ die passenden Platinfelgen für meinen heißgeliebten Oldtimer werden leider nicht mehr hergestellt und das trifft mich echt hart“.

 

3 Zimmer, Küche, Bad … Teil 2

20150130-DSC_0005-2Kleiner Abstecher auf die andere Seite

Da der Göttergatte an meiner Seite über ausgesprochen flotte kognitive Fähigkeiten verfügt und einen tief verwurzelten Groll gegen Menschen hegt, die mit Wohnungsnot Geld machen, betritt plötzlich eine andere Möglichkeit die Bühne. Kaufen statt Mieten! Anstatt irgendeinem gierigen Vermieter jeden Monat 900 Euro in den Rachen zu schieben würden wir einfach unser Obdach die nächsten 100 Jahre abbezahlen. Machen andere doch auch! Zunächst fühlt es sich erfrischend an, mal die Perspektive zu wechseln und die nächsten Tage wird gerechnet, bis das Gehirn den Siedepunkt erreicht. Was kostet sowas eigentlich und woher nehmen wir das Eigenkapital, um überhaupt für die Bank in Frage zu kommen? Eifrig wird die Familie abgegrast – zum Glück ist Blut dicker als Wasser und wir haben uns in den letzten Jahren nicht großartig daneben benommen.

Doch dann kommen wir zum ersten Minenfeld. Wie bezahlen wir die monatlichen Raten? Und da haben wir die ungemütliche Frage: Wer verdient hier eigentlich wieviel?? Und machen damit das erste große Fass auf:

Die Dimension der Rollenverteilung

Auch, wenn wir das nicht wahrhaben wollen: es gibt eine geschlechtsspezifische Rollenverteilung in unserer gefühlt äußerst alternativen Ehe. Der eine Ehepartner (wir nennen ihn mal Schatzi 1) ist beruflich gut verankert, vielfältig kompetent, visionär und verfügt über den nötigen Biss und die Ausdauer, um dahin zu kommen, wo er hin will. Vor der Höhle ist er unschlagbar, er würde auch Fleisch für 5 Junge nach Hause schleppen, wenn das nötig wäre.                                                                           

Der zweite Ehepartner (Schatzi 2) ist ebenfalls überaus visionär, kompetent, findig und fantasievoll, vor allem im Innen. Schatzi 2 kann die Höhle mit viel Liebe und Zauber in ein gemütliches Nest verwandeln. Außerdem hat Schatzi 2 die Fähigkeit, aus dem Nichts in zehn Sekunden zwei vollständig gepackte Rucksäcke für eine mehrtägige Wanderung herzuzaubern, dazu noch einen Hut und einen Salat. Schatzi 2 ist unschlagbar im Antritt, während Schatzi 1 über die Fähigkeit verfügt, Kräfte eher gleichförmig und kontinuierlich einzusetzen.

Da nun mal im Moment vor der Höhle leichter Geld zu vedienen ist als in der Höhle, geraten wir schnell von der Frage der Ratentilgung zum Einkommensgefälle und dessen Folgen. In Nullkommanix zaubert Schatzi 2 zahlreiche große Gefühle auf die Bühne. Vor diesen emotionalen Kulissen könnte man ohne Schwierigkeiten eine Wagner-Oper aufführen. Es treten auf:

Schuld: Hätte ich doch was Gescheites gelernt!
Kapitalismuskritik: Das liegt alles am System!
Ein Minderwertigkeitsgefühlchen: Du verlässt mich bestimmt bald wegen irgendeiner erfolgreichen Karriereschnecke!
                            
Und während Schatzi 1 noch versucht, zu begreifen, wie ihm geschieht, kommt Schuld die Zweite: Jetzt sag doch auch mal was!

Die Dimension der Identität

Nachdem wir es doch geschafft haben, die unheilvolle Wagner-Oper am Ende des 4. Aktes abzuwürgen, fliegt uns leider das nächste Fass um die Ohren. Der Kauf einer Wohnung ist nicht nur ein Geld- und damit auch ein Rollenproblem, sondern auch eines der eigenen Identität. Uns fällt plötzlich wieder ein, dass wir beide eigentlich aus der Tübinger Hausbesetzerszene kommen. Wir haben vor dem Rathaus campiert, getrommelt und gepfiffen, all unsere Bettlaken in Transparente umgewandelt und waren bereit, uns an die nächstbeste Heizung zu ketten, bis irgendein Räumkommando uns losgeschnitten hätte. Die Häuser denen, die drin wohnen und so! Wir versuchen, uns damit zu trösten, dass wir ja dann drin wohnen und uns die Wohnung gehört und das zumindest oberflächlich betrachtet kein Widerspruch zu unseren Parolen von damals ist. Leider hält diese kleine Selbsttäuschung nicht lange stand. Der Besitz einer eigenen Immobilie ist einfach echt nicht mehr Punkrock, egal, wie man es anmalt.

Der Markt regelt das

Bevor wir unsere Identität zwischen Spießigkeit und Punkrock neu ausloten können kommt uns der Markt zu Hilfe. Ein Makler schickt uns Unterlagen zu einer 3-Zimmer-Wohnung, die ein paar Straßen weiter für schlappe 180.000 Gänseblümchen zu haben ist. Nach kurzer Zeit wird klar, dass diese Wohnung ein finanzieller Sargnagel ist. Es sind weder die Kosten der bereits erfolgten Dachsanierung gedeckt, noch haben wir bei Entscheidungen, das Haus betreffend, irgendwas mitzureden. Als kleinen Ausgleich dafür dürfen wir aber die Hälfte aller anfallenden Kosten bezahlen, obwohl wir weniger als ein Drittel der Fläche besitzen. Wir entscheiden uns für den sofortigen Rückzug auf die Seite der Besitzlosen und verschanzen uns erstmal mit Alkohol, Drogen und Bad Religion im Keller.

3 Zimmer, Küche, Bad … Teil 1

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Was lange befürchtet war wird nun Realität. Unser heißgeliebtes charmantes Haus namens Bruchbuda wird abgerissen und durch ein schickes Mehrfamilienhaus ersetzt. Für unsere Vermieter bedeutet das, mit Besitz noch ein bisschen mehr Geld zu verdienen und für uns, ohne Besitz plötzlich auf dem leergefegten Lingendinger Wohnungsmarkt rumzustehen und uns irgendwoher eine bezahlbare Bleibe zaubern zu müssen. Momentan oszillieren wir in der Trauerarbeit irgendwo zwischen Nichtwahrhabenwollen, Flucht in Aktionismus und aggressiver Auflehnung. Spontane erste Versuche, unserem Schicksal zu entgehen sind gescheitert. Trotz liebevoller Pflege und intensivem UV-Lampen-Einsatz ist in unserem Frühbeet bisher keine Kohle gewachsen und auch der Versuch, uns einfach eine neue Bruchbuda zu häkeln, war leider erfolglos.

Erste zaghafte Schritte

Ein vorsichtiges Hinauswagen auf den Markt gleicht dem Aufbruch zu einer Arktisdurchquerung. Es gibt fast nix außer Ödnis, es ist saukalt und trotzdem bläst’s von allen Seiten. Wir kämpfen uns durch die Anzeigenflut, telefonieren und tanzen da und dort vor. In unserer Preisklasse hören wir Sätze wie „Also ich muß die Wohnung ja nicht anpreisen, weil die ist eh spätestens morgen weg, wissen Sie?“ Ja, wir wissen und starren auf die vierspurige Straße direkt vor der Haustür, die dazu führt, dass die Wohnung in unterschiedlichen Erschütterungsgraden mitschwingt. Wir geben uns Mühe und versuchen es mit einem humorigen Namen: Nach Bruchbuda jetzt Earthquaka? Hmm…!

Ja, wir wissen – auch angesichts des ranzigen Linoleumbodens aus den 60ern in einer Kellerwohnung, die riecht, als hätte man sie mit einer Mischung aus Heizöl und Mottenkugeln geflutet. Wir nennen sie Deepwater Horizon und stellen uns vor, wie diese „schicke Wohnung in gepflegtem Zustand“ mit dem Anzünden der ersten Zigarette in der neuen Bleibe einfach in die Luft fliegt. Fühlt sich für uns insgesamt recht stimmig an.

Und ja, wir wissen – und bewundern das weißgekachelte Wohnzimmer, das im ehemaligen Schlachtraum der ehemaligen Metzgerei sein soll – „Man kann da ja ein paar Bilder aufhängen, dann wird das schon gemütlich!“ Und fragen uns, wieviel Tonnen Bilder man wohl braucht, um im eigenen gemütlichen Wohnzimmer nicht mehr an Fleischerhaken und halbe Säue zu denken. Das mit dem humorigen Namen lassen wir lieber ganz.

Am Allerschlimmsten ist, dass man dauernd die Contenance wahren muß. Die Macht sitzt auf der anderen Seite des Tischs. Also hört man sich das ganze Geschwätz über die unschlagbaren Vorteile hässlicher Wohnungen an und bewahrt Haltung. Man kann ja dann später außer Sichtweite vor Wut in Tränen ausbrechen oder sich in irgendeine Blumenrabatte erbrechen. Bezaubernde Terassen, lichtdurchflutete Wohnzimmer, ausreichend Distanz zu vierspurigen Bundesstraßen und viele Ansatzmöglichkeiten für wohlklingende Namen voller Gemütlichkeit gibt es natürlich auch – ab 1000 Euro kalt und als Utopia. Oder am Arsch der Welt, zu dem zwei Mal am Tag ein Bus fährt. Wir nennen diese Außenposten Neumayer III – nach der 2007 erbauten deutschen Polarforschungsstation in der Antarktis.

Nach diesen ersten verstörenden Schwimmversuchen auf dem freien Wohnungsmarkt verlassen wir hastig die Phase des Aktionismus und flüchten uns vorübergehend wieder in die Verdrängung, da uns die Taschentücher ausgehen.

In tiefer Trauer um einen zauberhaften Ort

Ma Baker