Feuerlauf

Zu meinem diesjährigen Geburtstag schenken mir Ma Baker und der Sysop eine Herausforderung in Form eines Feuerlaufs. Zuerst freue ich mich, dann fürchte ich mich, und dann geht es los, hoch auf einen kleinen Bauernhof auf der Alb. Als Ma und ich ankommen, drückt uns die leitende Oberhexe tonnenweise Lebensmittel in die Hand, die wir in die Kühl- und Küchenschränke sortieren dürfen, und ich bin beruhigt: Wir werden vielleicht verbrennen, aber nicht verhungern, und es gibt sogar jede Menge Waffelröllchen. Dann trommelt uns die Oberhexe zusammen, wir stellen uns vor, erhalten erste Instruktionen sowie die Ankündigung, dass sich der Bauer, dem der Hof gehört, nach getaner Arbeit zu uns gesellen wird, und bekommen Obst und Kekse. Danach schleppen wir ungezählte Holzscheite zu einem Scheiterhaufen auf der Wiese, legen mit Klappern, Klicken und Klacken unsere Ratio lahm, dann gibt es Kaffee und Kuchen, und nach weiteren Kopfausschaltspielchen und innerer Sammlung ist es auch schon wieder Zeit fürs Abendessen.

Ein anderes System übernimmt die Steuerung

Als es langsam dämmert, entzünden wir mit Zeitungsfackeln den Scheiterhaufen, gehen ein letztes Mal nach drinnen, bekommen finale Instruktionen, und dann wird es ganz still. Wir gehen nach draußen, stellen uns im Kreis um das Feuer, das mittlerweile nahezu heruntergebrannt ist. Wie angekündigt stößt der Bauer zu uns, er steht im Kreis neben mir, auf meiner anderen Seite steht eine kleine blonde Frau. Ein anderes System übernimmt die Steuerung, und ich will nur noch eins: ins Feuer, und zwar sofort. Vorher gilt es allerdings noch einen Holzpfeil mit dem Hals zu durchbrechen. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, und ich möchte auf der Stelle nach Hause. Was, wenn es bei mir nicht funktioniert und ich der volle Feuerlaufholzpfeildurchbrecherloser bin und alle schauen zu? Noch blöder wäre es allerdings, meinen Pfeil heimlich, still und leise anderweitig zu entsorgen und mir so meinen eigenen Feuerlauf zu versauen. Also klemme ich mir mit zitternden Händen den Pfeil zwischen mein Halsgrübchen und ein Holzbrett, das die Oberhexe hält, atme dreimal tief ein und aus und zersplittere das Ding sauber in der Mitte. Und alle schauen zu.

Respekt!

Danach verteilt die Oberhexe die glühenden Kohlen zu beiden Seiten der zu laufenden Bahn. Als wir nacheinander noch einmal mit einem Rechen durch die Glut haken, versengt mir die Hitze fast Gesicht und Jeans. Respekt. Und dann ist es soweit, wir stehen im Kreis und halten uns an den Händen. Der Erste löst sich aus dem Kreis, hält vorm Glutteppich kurz inne und läuft dann mit bloßen Füßen darüber, als wäre es nichts. Einer nach dem anderen läuft, und plötzlich spüre ich, wie der Bauer neben mir anfängt zu vibrieren wie eine Rakete vorm Start, und dann läuft auch er. Kurz darauf zündet die kleine blonde Frau auf meiner anderen Seite und läuft. Und dann laufe ich, laufe über 900 Grad heiße Glut, und es ist wunderschön. So wunderschön und leicht wie bisher weniges in meinem Leben. Mit festen Schritten laufe ich über die Bahn aus glühenden Kohlen, und als ich anschließend an Ma vorbeilaufe, schüttle ich fassungslos und glücklich den Kopf. Ich reihe mich wieder in den Kreis ein, schaue zu, wie wir alle übers Feuer laufen, einer nach dem anderen, wieder und wieder. Dann laufen wir zusammen, in Zweier- und Dreiergruppen, auch Ma und ich, wir laufen für uns, großartige Wunderbra-Artikel und das Leben als solches.

Wiiiuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu

Und dann ist es vorbei. Es ist mitten in der Nacht, es gibt beruhigenderweise noch einmal jede Menge zu essen, und ich bin nicht sicher, ob wir übers Feuer gelaufen sind oder LSD genommen haben. Ma und ich verabschieden uns, rauchen eine letzte Zigarette unter einem gigantischen klaren Nachthimmel, eine gestochen scharfe Mondsichel, eine riesige Venus und unzählige andere Sterne leuchten strahlend hell über unserem Bauernhof, und es herrscht unendliche Stille. Die äußere Welt dagegen gestaltet sich als maximal materieproblematisch und sperrig. Nach drei Anläufen gelingt es mir, die Autotür zu öffnen und meinen Rucksack auf der Rückbank zu verstauen, und ich bin sehr froh, dass Ma die Straßenverkehrsordnung im Griff hat und in der Lage ist, unser kleines Raumschiff sicher nach Hause zu fliegen. Als auf der Schnellstraße nach Lingendingen ein anderes Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit und einem pfeifenden Wiiiuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu an uns vorbeirast, realisieren wir, dass sich unser Fahrtempo quasi im Minusbereich befindet.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich nicht sicher, ob das alles nur ein Wahnsinnstraum war. Und dann schaue ich mir meine Füße an, und sie sind kohlpechrabenschwarz. Ohne eine einzige Brandblase. Eins steht nach diesem Abend fest: Wir können mehr.

Der Unk und der Shaman

Ich weiß seit einer Weile schon, daß ich neben vielen anderen über eine äußerst vielschichtige Teilpersönlichkeit verfüge. Ich spreche von dem Teil, der immer mit hundertprozentiger Sicherheit das Schlimmste ( also ich meine wirklich DAS Schlimmste ) erwartet und kommen sieht. Der Teil, der friedlich in irgendeiner Bauchfalte schlummert und nur auf den Moment wartet, in dem man sich an irgendetwas Neues rantraut und was riskieren muß. Dann springt er aus seinem hinterhältigen Versteck und bläst sich und das ganze Szenario in Sekundenschnelle zu einem riesigen drohenden Desaster auf, bevor man “ Ich könnte ja vielleicht…“ zuende gedacht hat. Kommt irgendjemand das bekannt vor? Nun, nachdem man diese wilden Teilpersönlichkeitsgesellen nicht einfach los wird, indem man ihnen ihre Existenz ableugnet oder sich die Augen zuhält, bleibt nur eines: If you can’t beat them, join them! Man muß sich mit ihnen zusammentun, sie akzeptieren, erst dann gelingt es einem vielleicht, sie hin und wieder in ihre Schranken zu verweisen. Als Zeichen meines guten Willens habe ich meinem Berufspessimisten einen Namen gegeben. Ich nenne ihn liebevoll den Unk!

Bild: gonc._a, Lizenz:CC

Im Zuge meiner persönlichen und therapeutischen Weiterbildung habe ich mich nach längeren Umwegen durch verschiedene Hirnwindungen dazu entschlossen, an einem Seminar in der Schweiz teilzunehmnen, wo es um körperorientierte Heiltechniken geht, die aus einem schamanischen Hintergrund kommen. Der Unk hat genau die erste Silbe des Wortes schamanisch gebraucht, um aus seiner Bauchfalte zu hüpfen und mich mit Bildern von wallenden Gewändern, Seidenschals, Federn im Haar, ernsthaften Sprüngen in der Kosmosschüssel, Mantras mit klemmender Repeatfunktion und Armeen von Esofloskeln ( Na, du bist auch ganz schön im Prozeß, gell?) zuzuschütten. Der Unk meint, die wollen alle nur in meinen Herzensraum und dann Spirificken. Mit viel Geduld konnte ich ihn davon überzeugen, daß man sicher einfach mal schauen darf und einen niemand mit Gewalt zwingen wird, zu bleiben, wenn man doch nur seine Sachen packen und bei Nacht und Nebel türmen möchte. Woher er die Idee hat, daß Schamanen die ganze Zeit und immer wild durcheinander vögeln wollen, konnte er mir bisher auch nicht schlüssig erklären.
Wir haben uns also nach längeren Diskussionen angemeldet. Morgen geht’s los.
So ein Unk kostet manchmal ganz schön viel Kraft und Durchhaltevermögen. Andererseits hat er mich heute im Supermarkt daran erinnert, daß man auf keinen Fall zu vertrauensselig zu so einer Veranstaltung fahren darf. Am Ende ist das Haus irgendwo in der Wildnis. Genau, Schamanen wohnen doch nicht in der Stadt! Und schon garnicht neben einem Zigarettenautomat. Ich erinnere mich dunkel, daß ich bei einem vergleichbaren Seminar, das eine Woche ging, mindestens so verzweifelt wie trotzig mitten in der Nacht 5 Kilomter durch den Wald ins nächste Dorf marschiert bin, weil ich keine Zigaretten mehr hatte und überzeugt davon war, daß ich das ohne Kippen nicht durchstehe. Wir kaufen also vorsorglich eine Stange von unseren Lieblingsfluppen. Man weiß ja nie. Dann wirft der Unk die berechtigte Frage ein, ob ich mir denn sicher sei, daß es dort auch Kaffee und nicht nur Yogitee gäbe. Ich muß zugeben, daß ich mir nicht sicher bin. Wir wissen ja beide, wie das so ist mit mir ohne Kaffee. Also schnell noch das Instantmodell Kaffee eingeladen. Ach ja, und Milchpulver! Heißes Wasser werden se ja wohl haben. Schokolade? Ok, Kekse und Schokoriegel für den Notfall. Es gibt Momente im Leben, da kann man sich nicht mit einem Äpfelchen zufrieden geben. Und weil es ja in der Schweiz sicher kalt genug ist, nehme ich noch einen großen Pack Landjäger mit, kann ich ja dann auf dem Fensterbrett verstecken. Hat bei den Buddhisten vor zwei Jahren auch astrein funktioniert. Viellicht muß ich ja mein Krafttier oder mich mit irgendwas Vernünftigem füttern.
Unk sei Dank bin ich immer glänzend vorbereitet.

Ma Aura