Leaving the Dead Horse 2011

Das Jahr 2011 stand ganz im Zeichen des Toten Pferdes. So wie die aktuelle permanent Altes abgeschlossen hat, um dann noch Altes abzuschließen, bin ich etwa 5000 Mal vom Toten Pferd abgestiegen. Bereits am Anfang des Jahres war meine Arbeit als ausgebeuteter Gutmensch im Gesundheitswesen zu DEM Toten Pferd 2011 gekührt worden. Trotzdem bin ich noch ein Weilchen verbissen sitzen geblieben (man will ja nix überstürzen), hab ihm und mir wahrweise gut zugeredet, HüüüAAH geschrien oder auf uns beide eingeprügelt. Der Gaul hat sich einfach nicht mehr gerührt. Ein paar Mal bin ich fast abgestiegen. Doch jedes Mal, wenn ich kurz davor war, hätte ich schwören können, daß doch noch irgendwo ein Röcheln zu hören war. Ich habe eine wichtige Erfahrung mit toten Pferden gemacht, nämlich die, das schlimmer immer geht. Wer sich weigert, abzusteigen, der wird im Sattel keine Freude haben. Das Leben kreiert, was es fordert. Jedes Mal, wenn man den obersten Toleranzbereich der persönlichen Leidensfähigkeit noch ein Stückchen weiter ausgedehnt hat, damit sich bloß nichts verändert, wird einfach erbarmungslos noch eins draufgesetzt. Das Leben gibt alles, um einem die eigene Feigheit gründlich zu vermiesen und das Pferd fängt auch an zu stinken.
Bis man schließlich am Rande des 5. Nervenzusammenbruchs endlich aus dem Sattel rutscht und feststellt, daß eigentlich garnichts Schlimmes passiert, sondern es einfach irgendwo weitergeht. Grade noch handfeste Burnout-Kandidatin, jetzt schon auf unserer Showbühne!
Neben dem Wechsel von Schwester zu Studentin gab es auch noch einige andere interessante neue Dinge und Erfahrungen. Ich habe zum ersten Mal erfolgreich einen körpertherapeutischen Workshop an der VHS gegeben, OHNE vorher vor Angst zu sterben. Und ich werde das nächstes Jahr wieder tun. Interessierte Frauen dürfen hier klicken, ich habe nämlich ebenfalls gelernt, dass Werbung nichts Böses ist und überzogene Schüchternheit auch ein totes Pferd.
Ich bin barfuß über glühende Kohlen gelaufen, habe Adorno gelesen, täglich mit Materie gekämpft und meistens gesiegt, die hohe Kunst des Raframings erlernt, an zauberhaften Feuern mit der aktuellen Altes abgeschlossen. Ich habe begriffen, dass Scheiße, auch wenn man versucht, sie in Geschenkpapier einzuwickeln, trotzdem stinkt und dass ein Donner aus tiefem Herzen mehr nützt als harmonisches Gutgemeine. Und ich habe eine Riesenladung Neues eingeladen.
In diesem Sinne HÜÜÜAAAH

Ma Baker

Lernen für’s Leben

Eine so vielschichtige Universität wie Tübingen bietet dem wissensdurstigen Studierenden beinahe unberenzte Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Sie ist eine Welt der Wunder, des Wissens und auch des Wahnsinns, und um sich in ihr zurecht zu finden sind verschiedene Tools von Nöten. Nach circa 2 Monaten kann ich sagen, daß diese Tools meiner Meinung nach der eigentliche Lernerfolg bei der ganzen Sache sind. Beruhigend wäre an dieser Stelle, wenn die Verantwortlichen das beabsichtigt hätten. Haben sie nicht, das Potpourri an Entwicklungschancen, das jeden Studientag neben einer halben Bibliothek um die Ecke kommt, ist sozusagen ein geniales und zufälliges Nebenprodukt. Aber das macht nichts, Albert Hofmann hat LSD ja auch entdeckt, als er eigentlich auf der Suche nach einem Mittel gegen Kreislaufprobleme war. Und wurde 102 Jahre alt! So ergeht es auch dem Standart-Bätschlerstudierenden. Er möchte erziehungswissenschaftlich vor sich hin bätschlern, Humboldt und Bordieu in sein Leben lassen und erwirbt statt dessen verschiedenste andere Kompetenzen, von denen er noch nicht mal geträumt hat. Der kompetente Studierende lernt zum Beispiel schon in den ersten Semesterwochen, 90 Minuten mit einem Minimum an Sauerstoff auszukommen, weil er es einfach satt hat, jede Vorlesung ohnmächtig zu werden. Falls es mit der Uni nix wird könnte man damit problemlos umsatteln auf Apnoetauchen und statt Bücher Muscheln erforschen. Man bekommt sozusagen ein zweites Standbein so ganz nebenher.
Darüber hinaus erwirbt man im Strudel der 20 aktuell geltenden Prüfungsordnungen einen unschätzbar wertvollen Pragmatismus. Seit JAHREN! hängt über meinem Bett der Serenity Prayer in der Hoffnung, dass sich etwas davon irgendwie im Schlaf implantiert und ich endlich aufhören kann, mich wie ein Berserker über genau die Sachen aufzuregen, die ich verdammt noch mal nicht ändern kann. Ohne Erfolg, bis ich angefangen habe, zu bätschlern. Jetzt entrollt sich vor mir jeden Tag eine Welt voller komischer Dinge, die ich nicht ändern kann und ich lerne, den Energiesparmodus anzuwerfen, bis es wieder etwas gibt, wofür es sich lohnt, eine Schlacht vom Zaun zu brechen, die auch eine Chance auf einen glorreichen Sieg hat. Ich glaube, man nennt das Anpassungsfähigkeit. Anpassungsfähigkeit ist wichtig, wenn man nicht jeden Tag sein ganzes Pulver schon vor der zweiten Zigarette in 5 inneren Duellen verschossen haben will, ohne, dass irgendwer irgendwas davon hat.
Damit hängt dann auch der meiner Meinung nach größte Gewinn eines Studiums zusammen. Man wird eine Meisterin des Reframings. Man lernt, das Gute in den Dingen zu sehen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht danach aussehen, als gäbe es auch nur ein einziges gutes Haar an ihnen. Komilitonen, denen nicht klar ist, dass sie nicht der Dozent sind und die deshalb 300 Leute mit einem zehnminütigen Monolog über die janusgesichtige Dialektik der sozialen Moderne beglücken, sind keine Plage, sondern eine liebevoll drapierte Aufforderung, sich einfach nicht alles bieten zu lassen. Humboldt war eigentlich ein Schamane und mit ein wenig gutem Willen findet man auch an 50 Seiten Theodor Abgrund Adorno etwas, das das eigene Leben auf eine Art bereichert.
Ich studiere gern 🙂

Ma Baker

Jahresrückblick: Das war 2011

Der Spiegel tut es, die dpa tut es und Leute wie Günther Jauch tun es sowieso und alle Jahre wieder: Am Jahresende nostalgisch nach hinten blicken, um sich und anderen in Form einer Riesengala noch einmal die Breitseite sämtlicher Promibabies, Politstreits und anderer Katastrophen des vergangenen Jahres einzuschenken, nur um die Promibabies, Politstreits und Katastrophen, die schon wieder vor der Neujahrstür stehen, noch ein bisschen vor sich herzuschieben. Genug Anlass für die aktuelle, dieses Jahr genau das Gleiche zu tun, innezuhalten und zu fragen: Was war 2011, und wenn ja, wozu, und besteht möglicherweise 2012 die Möglichkeit, dass endlich die Rama-Frau mit Hollandrad und Brötchenkorb an meinem Balkon vorbeisegelt und die ultimative Idylle verbreitet? Was also waren die zentralen Themen der aktuellen 2011?

Sterben und sterben lassen
Die Hauptaufgabe 2011 bestand darin, Altes abzuschließen, Altes abzuschließen und Altes abzuschließen. Nicht ohne Stolz kann ich behaupten – und ich möchte das hier noch einmal in aller Deutlichkeit betonen – genau das, wenn auch nicht gerne, so doch pausenlos und immer wieder erfolgreich getan zu haben: Niemand ist das vergangene Jahr so oft gestorben wie ich, immer getreu dem Tarotkarten-Gerd-Bodhygan-Ziegler-Motto „Stirb bevor Du stirbst“, und niemand hat nachts, wenn andere Leute friedlich schlafen, so viele Leute und Goldfische um die Ecke gebracht wie ich. Ansonsten verließ Fanta Lingendingen, nicht ohne vorher noch mit mir nachts die eine oder andere Plazenta im Wald zu vergraben, und ich wurde plötzlich Scheidungskind. Auch der drei Jahre währende Rosenkrieg mit dem Hotti-Lotti-Papa konnte dieses Jahr erfolgreich befriedet werden.

Nikotin
Aufgrund widriger emotionaler Umstände habe ich nach elf Jahren Abstinenz wieder mit dem Rauchen angefangen, was wider Erwarten weder zu einer gesteigerten körperlichen Fitness noch zur Überwindung der widrigen emotionalen Umstände geführt hat. Immerhin schlage ich mir nicht mehr wie noch vor elf Jahren exzessive WG- und Kneipennächte um die Ohren, so dass 20 Kippen pro Tag schon mal wegfallen.

Wohnung
Meine Wohnsituation hat sich dramatisch verbessert, ich bin sowohl meine böse alte Vermieterhexe als auch die hausinterne Sex-Stasi los, und wohne jetzt mit Hotti und Lotti in der Grünen Hölle, wo satte 70% gegen das größte Bahnhofsidiotenprojekt aller Zeiten gestimmt haben, was leider nichts gebracht hat, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Urlaub
Ich habe mit Hotti, Lotti und Lancelot einen Patchworkfamilienurlaub an der Cote d’Azur absolviert, der seinesgleichen sucht, und der dazu führte, dass die doch etwas holprige Romanze zwischen meiner ersten großen Liebe und mir ein noch schnelleres Ende fand, als sie es vermutlich ohnehin getan hätte. Das Wetter war schön, das Essen gut.

Geld
Da ich dieses Jahr nicht nur umgezogen und in eine der teuersten Urlaubsregionen Europas gefahren bin, sondern mein Auto Molli Tüpp gleich zweimal die Grätsche machte, einmal vor und einmal nach dem TÜV, bin ich so pleite wie nie. Dass Hotti jetzt eine Zahnspange für 1000 Euro braucht, die die Krankenkasse dank der neuen gesetzlichen Regelungen nicht zahlt, und die Hotti niemals anziehen wird, macht es nicht besser. Aber Geld ist ja nur eine virtuelle Größe, und mit Hilfe des Jahresloses der Aktion Mensch, das ich mir gerade rausgelassen habe, beziehe ich nächstes Jahr mit Sicherheit eine monatliche Rente von 3000 Euro und eine Traumvilla.

Job
Der berufliche Sechser im Lotto hat dieses Jahr leider noch nicht funktioniert, aber da setze ich 2012 voll auf das oben erwähnte Jahreslos.

Liebe
Ich habe wegen Lancelot nicht nur irrtümlicherweise einen halben Nervenzusammenbruch am Stuttgarter Flughafen erlitten und daraufhin wieder mit dem Rauchen angefangen, bevor ich mit Dr. Sprite nach Berlin flog, die dort drei Tage lang mein Tourette-Syndrom ertragen musste, sondern auch erfolgreich die Beziehung mit selbigem zu etwa 50% in den Sand gesetzt. Da ich mich derzeit noch im akuten Entzug befinde, bitte ich weiterhin inständig darum, mich mit beziehungstechnischen Erfolgsgeschichten, Verlobungen, Hochzeiten, romantischen Liedermachern, Rosamunde-Pilcher-Filmen und „Mein/e Mann/Frau sagt/kocht/kann immer“-Gedöns zu verschonen. *)s. Kommentare

Leibesübungen
Neben meiner Beziehung haben auch meine fünfzehn Jahren alten Joggingschuhe im Traumurlaub an der südfranzösischen Küste das Zeitliche gesegnet, und da ich aus genannten Gründen kein Geld für neue Laufschuhe besitze, belege ich derzeit gemeinsam mit Ma Baker mehr oder weniger regelmäßig einen Yoga-Kurs der örtlichen Volkshochschule. Durch ihn habe ich gelernt, wie der Fisch geht, dass er gut ist für die Schilddrüsenregulation, dass man dabei schlecht oder nicht schlucken kann und dass einem davon die Arme einschlafen. Shantishanti.

Selbstfindung
Ich habe dieses Jahr nicht nur meinen Papa gefunden, der mich regelmäßig ins Tragetuch packt, wenn die Welt gemein zu mir ist, sondern auch eine Mama mit wilden Röcken, die nachts energisch meine Wohnung von alten Hamsterkäfigen und anderem Unrat befreit. Wasser ist dicker als Blut. Ansonsten bin ich mit Soulsister Ma Baker auf den Spuren der heiligen Ursel über die Schwäbische Alb gewandelt und habe mit ihr – Ma, nicht Ursel – in rituellen Hexenfeuern so ziemlich alles verbrannt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Darüber hinaus habe ich bei einem eigens von Ma Baker geleiteten Frauenseminar an der VHS herausgefunden, was ich in meinem tiefsten Inneren bin: Ein Superman-Marienkäfer, der kleinen Ameisenkindern das Leben rettet.

Ausblick
Die Rama-Frau wird mit großer Gewissheit auch 2012 nicht in Erscheinung treten, Ma Baker und ich haben nämlich im Laufe dieses Jahres ein weiteres der letzten Geheimnisse gelüftet: Die Rama-Frau, die in den 70er Jahren des letzten Jahrtausends den heilen Werbefamilien ein üppiges Frühstück und die pure Idylle in den Garten radelte, gibt es gar nicht, zumindest nicht für uns Irdische. Genauer gesagt wird sie uns erst in unserer letzten Minute, exakt in dem Moment, in dem wir das Zeitliche segnen, als Skelettfrau mit holländischen Frau-Antje-Zöpfen erscheinen, mit frischen Brötchen, O-Saft und einer fetten Packung Rama beglücken, und sagen: Siehst Du das weiße Licht? Komm und folge mir, ich mach‘ Dir Frühstück!

Namasté
die aktuelle