Once upon a time…

Es gibt unzählige Märchen, in denen der Protagonist aus verschiedenen Gründen in die Fremde ziehen muß: Böse Stiefmütter, die einem das Leben zur Hölle machen, die Erlösung der Dame des Herzens, ohne die das Leben auch Hölle wäre, irgendeine höllisch schwere Aufgabe oder einfach der Wunsch, das Fürchten zu lernen – auch irgendwie höllemäßig, denn wer kommt denn auf so eine unbequeme Idee?

Wir ziehen heute nicht mehr in die Fremde, wir fahren in den            Urlaub, was oft noch eine verschärfte Fremde bedeutet, denn wir  wandern nicht über die schwäbische Alb, sondern steigen in ein   Flugzeug und lassen uns irgendwo auf der anderen Hälfte der Erdkugel wieder ausspucken – mal mit und mal ohne Gepäck, weil dieses leider in die Mongolei geflogen ist. Die zu bestehenden Abenteuer sind vielfältig. Da gibt es zunächst das Bordfrühstück, bestehend aus einem Käsesandwich, das beim Auspacken erstmal heftigen Widerstand leistet und dann urplötzlich in schaumstoffartige Resignation verfällt, sobald man anfängt, darauf herum zu kauen. Bei der Ankunft an einem Flughafen wie Heraklion kommt es zum ersten Kampf – Urlauber gegen Urlauber – als alle, und zwar wirklich alle Reisenden, die mit etwa 20 Flugzeugen in der letzten halben Stunde gelandet sind sich auf dasselbe Gepäckband stürzen. Es gibt keine Anzeige, was wo langfahren wird und das bleibt auch mal noch die nächste Stunde so, aber das ist egal. Jeder will in der ersten Reihe stehen. Das führt dazu, daß nur etwa ein Achtel in der Lage ist, etwas zu sehen. Scheint ein guter Moment für angewandte Mathematik zu sein und ich überlege eine Weile, wie man der Menschenmasse didaktisch klug etwas über das Verhältnis von Kreisumfang und Radius erklären könnte.  „PI,“ bricht es schließlich aus mir hervor, als mich die nächste heranstürmende Neckarmanntruppe an die Wand neben dem Klo abdrängt. „U ist…!“ Mir bleibt in der Enge die Luft weg, als ich an die kalten Fliesen gedrückt werde und der Rest der Zauberformel geht in einem heiseren Keuchen unter. Sie scheinen mich nicht zu hören! Es gelingt mir, die Arme nach oben zu bekommen und ich winke, um auf mich aufmerksam zu machen. Der erbarmungslose Touristendruck läßt für einen Moment nach und ich schreie laut: „U ist gleich 2 mal PI mal Radius!“ Jetzt ist es heraus und ich bin genau solange erleichtert, bis ich bemerke, daß die Armen anscheinend nicht verstanden haben. „Der Kreisumfang…,“ fahre ich eindringlich fort und in meine Stimme schleicht sich Verzweiflung, da ich das nächste herannahende Geschwader auf 11 Uhr ausmache. “ …also U ist direkt proportional…!“ Das Geschwader kommt rasch näher und erfaßt mich, bevor ich meinen Satz beenden konnte. Mit Entsetzen stelle ich fest, daß ich direkt auf die Tür zur Damentoilette zugespült werde. Mit aller Kraft klammere ich mich am Türrahmen fest und kann so dem Sanitärsog für wenige Sekunden widerstehen. „….direkt proportional zum Radius!!!“ Keine Chance! Meine Hände gleiten von den glatten Fliesen ab, ich werde erbarmungslos in die Tiefen des Damenklos gezogen und fühle mich wie Nikolaus Kopernikus, dem keiner zuhören wollte, als er herausfand, daß sich die Erde um die Sonne dreht und nicht andersrum. Etwa zwei Stunden später hab ich mich endlich wieder aus dem Klo befreit. Mein Rucksack fährt allein auf dem Gepäckband, sonst ist weit und breit niemand mehr zu sehen. Hastig stürme ich mit über zwei Stunden Verspätung aus dem Flughafengebäude, geplagt von der Sorge, daß dem Übermittler des Leihautos die Warterei inzwischen zu blöd geworden ist. Doch da steht er wie eine gute Fee, ein Pappschild mit meinem Namen immernoch hochhaltend und sagt: “ Heraklion airport, same shit, different day! You have three whishes!“ Ein Bett, eine Nahkampfausbildung und nie wieder Damenklo, denke ich glücklich und atme auf.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann urlauben sie noch heute.

Ma Baker