Mein Schmerz ist größer als Dein Schmerz

Bild: Rosebud 23, Lizenz:CC

Ich stehe in einem lampionbeschienenen Garten, zarter Blumenduft umgibt mich und menschliche Stimmen dringen an mein Ohr. Einen Augenblick lang muß ich mich orientieren. Ich starre auf meine linke Hand, die einen Pappteller trägt, auf dem unverkennbar eine Grillwurst liegt. Meine rechte Hand hält sich an einer Bierflasche fest. Mir wird klar, wo ich bin: Auf einer Party!
Es erscheint mir eigenartig still, aber meistens braucht so eine Feier ja einen kleinen Anlauf. Jemand winkt mir, ich erkenne MeinGott, einen Freund von mir, der sich gerade mit zwei Frauen unterhält. Ich geselle mich dazu und setzte gerade dazu an, mit unverfänglich freundlichem Blabla in das Gespräch einzusteigen, als mich eine der beiden Damen, die ich irgendwo anders schon als Ou-weih kennengelernt habe, fragt: „ Und, was bedeutet für Dich Weiblichkeit?“ Ich bin zugegebenermaßen etwas irritiert von dieser Frage, denke als allererstes an Tampons und daran, daß es eine Frechheit von o.le ist, selbige mit Gerinnungshemmern zu versetzen, damit frau mehr davon braucht. Aber eine Antwort von mir scheint auch nicht zwingend notwendig. Ou-weih führt bereits ihre Gedanken weiter aus und ihrer Rede kann man entnehmen, daß es für sie immer noch schwer ist, ihre Weiblichkeit anzunehmen, da sie in ihrer Pubertät keine Anerkennung für ihren sich entwickelnden Körper bekommen hat. Die Frau neben ihr fügt dem eifrig hinzu, daß bei ihr ja noch erschwerend hinzugekommen sei, daß ihre Mutter für sie keinerlei positives Identifikationsobjekt gewesen war. Als die beiden beginnen, jede ihrer bisherigen Beziehungen hinsichtlich dieser Tatsachen zu durchleuchten stiehlt sich mein Inneres davon und als MeinGott aus Sicht der Männer ebensoviel beizutragen hat, folgt mir auch meine bierhaltende Hülle.
Ich brauche etwas leichter Verdauliches.
Beim Salatbuffet komme ich ins Gespräch mit einem flüchtig Bekannten, der sich nach dem dritten Salatblatt leider intensiv damit zu beschäftigen beginnt, daß ihn in der vierten Klasse alle gehänselt hatten, weil er ein wenig pummelig gewesen war. Als wir auch seine darauf folgende jahrelange Eßstörung samt dem mühevollen Weg wieder raus unter Berücksichtigung der Tatsache, daß dieses Problem ja bei Männern sehr unterschätzt wird, erörtert haben, ist mein Bier alle und ich brauche dringend ein Neues.
Auf dem Rückweg treffe ich Nu-ja, eine frühere Freundin und bin erleichtert, als wir einfach ein bißchen rumblödeln. Bis ihr Freund plötzlich aus heiterem Himmel anfängt, über seine schwere Kindheit zu reden, in der er sehr unter seinem emotional nicht präsenten Vater gelitten hätte. Bevor Nu-ja und ich diese Informationsflut verarbeiten können stößt Herr-je zu uns und erklärt, daß es bei ihm noch viel schlimmer gewesen war. Sein Vater war emotional nicht präsent und Alkoholiker gewesen. Schließlich nähert sich auch Ach-nee und macht uns alle darauf aufmerksam, daß er heute noch manchmal Albträume hat, wenn er an seinen Vater denkt. Der war emotional nicht präsent, Alkoholiker und hatte einen abwertenden Kommunikationsstil.
Als der Nachtisch dran ist sind wir endlich auch beim Kindesmißbrauch angelangt und die Stimmung steigt. Jeder kennt jemanden oder hat etwas in einem Buch gelesen und UmHimmelswillen macht mir irgendwie den Eindruck, als fände sie es beinahe bedauerlich, daß sie keine eigene Erfahrungen vorzuweisen hat.
Ich mache mit einiger Mühe mein achtes Bier auf und entfliehe auf die Tanzfläche, um dort in aller Ruhe ein bißchen im Kreis zu schwanken. Doch meine Freude währt nicht lange. Das nächste Lied ist „ Was hat Dich bloß so ruiniert“ von den Sternen. Alle stürmen die Tanzfläche und liegen sich heulend in den Armen.
Ich leere mein achtes Bier in einem Zug und ziehe es vor, einfach umzufallen.

 

Ma Baker