Inkassomüller

Wieder alles falsch gemacht.

Wieder alles falsch gemacht.

Es hätte so nett sein können. Eigentlich wollten wir, Dr. Sprite, Mr. Matrix und meine Wenigkeit, nur friedlich am jährlichen Betriebsausflug unserer Firma partizipieren. Das Ausflugsziel: Lingendingen, für mich ein Heimspiel mit angenehmen fünf Fahrradminuten Anreisezeit, und wann macht man schon mal eine professionelle Stadtführung in der eigenen Heimatstadt? Die Kollegen: Nett. Die Stocherkahnfahrt: Entspannt. Das Wetter: Strahlender Sonnenschein. Die Frisur: Sitzt.

Ein Tag so schön wie heute

Dass dann letzten Endes doch alles aus dem Ruder läuft, liegt diesmal aber wirklich nicht an uns, sondern an der völlig irren Schichtleiterin des Inkassomüller, einem idyllisch gelegenen Biergarten mit abgrundtief gruseliger Personalpolitik. Es geht so los, dass Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich zu spät zu unserem Mittagessen in eben diesem Biergarten einlaufen, weil wir zuvor noch dringend Sonnencreme für unsere Kinder und Belohnungsbrekkies für unsere Katzen im Drogeriemarkt unseres Vertrauens erwerben mussten, so dass alle Plätze bei den schon sitzenden KollegInnen bereits vergeben sind. Wir, ganz vernünftig, setzen uns an einen anderen Tisch, bestellen Weißwürste mit Brezeln und Salate, die dann auch bald kommen, und stoßen mit unseren semialkoholischen Kaltgetränken auf einen Tag so schön wie heute an. Pascal, unser Kellner, schaut noch kurz vorbei und fragt, ob alles in Ordnung sei, und wir strahlen: Ja, alles wunderbra, vielen Dank!

Kaum haben wir aufgegessen, steht Pascal allerdings erneut mit Weißwurstschüssel auf der Matte und fragt, ob wir noch mehr Weißwürste bestellt hätten, hier stünden noch welche auf der zuvor angekreuzten Betriebsausflugsessensliste. Wir sagen artig, nein, danke, wir hatten schon, aber Pascal und ein weiterer Kellner, der sich mittlerweile mit Knödeln und Pilzrahmsoße neben Pascal aufgebaut hat, insistieren: Doch, das wären unsere Würste und auch unsere Knödel, die hätten wir angekreuzt und die müssten wir jetzt auch essen, und außerdem hätten wir auch gleich sagen müssen, dass wir zur Betriebsausflugsgemeinde gehören. Wir beteuern, dass wir nichts von der Verbindlichkeit der Betriebsausflugsessensliste gewusst hätten, und dass wir auch nicht absichtlich die Zugehörigkeit zu unserer Peergroup verschwiegen hätten, aber das bringt die beiden nur noch mehr in Rage und zu dem Schluss, dass es jetzt Zeit für ein ernstes Wörtchen mit ihrer Schichtleiterin wird. Die zwei dampfen ab und wir denken an Kafka.

Born to fail

Als die Schichtleiterin Kurs auf uns nimmt, geht es buchstäblich um die Wurst. Ihr Schritt ist energisch, ihr Blick eisig, bedrohlich schüttelt sie schon von Weitem ihr Handy gegen uns. Sie wiederholt, was Pascal und der Knödelkellner uns schon haben wissen lassen, nämlich, dass das unsere Würste wären, die wir bezahlen müssten, weil wir die vorher angekreuzt hätten, und dass der Inkassomüller sie uns auch gerne einpacken könnte, weil noch mal aufwärmen geht ja schließlich nicht und bei ihnen würden die Weißwürste nicht eine halbe Stunde im Wasser liegen, dann wären die ja hin, und wenn das jeder machen würde, einfach irgendetwas Verbindliches ankreuzen und dann nicht essen wollen! Mittlerweile stehen auch schon wieder Pascal mit Weißwurstschüssel und der Knödelkellner neben der Schichthexe und versuchen, die Teller irgendwie auf unserem Tisch zu platzieren. Wir denken an Kafka und Weißwürste, die in einer Goldfischtüte schwimmen, beteuern erneut unsere Unschuld und sind inzwischen überzeugt, dass das Inkassomüllerpersonal für jede überflüssige und unbezahlte Weißwurst kollektiv in den hauseigenen Kerker wandert.

Das Ganze geht dann noch eine Weile hin und her, die Schichthexe schiebt uns die Schuld zu, wenn der Inkassomüller pleite macht, die Kellner tragen noch ein bisschen dämlich die Knödel und Würschtl durch die Gegend, bis letztere dann schließlich dem Herrn an unserem Nachbartisch serviert werden, der zuvor versichert hatte, dass er wirklich kein Fleisch esse. Hauptsache frisch. Nachdem wir hinreichend ausgeschimpft worden sind, ziehen Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich von dannen, ohne die überschüssigen Würste und Knödel in einer Goldfischtüte heimtragen zu müssen, dafür mit dem Schwur, mindestens bis ins fünfte Glied unserer Nachkommen nie wieder auch nur einen Fuß in den Inkassomüller zu setzen.

die aktuelle

Du, Schuhindustrie!

Willst Du uns, Frauen, eigentlich verar…en? Streifzüge durch die aktuelle Schuhmode machen mich dies fast glauben. Wer, bitte, soll das tragen: bunte Halbschuhe mit Riemchen, Rüschchen, Schneckchen oder Bändelchen, quietschbunte Flipflops mit Blümchenstoff, orange Sandaletten mit Glitzersteinchen, rosa Pantoletten aus Silikon, grüne Silikonballerinas (mit und ohne Glitzersteinchen) oder rote Pornosandalen mit 20-cm-Absätzen? Oder willst Du, dass wir uns im Alltagsdreieck zwischen Arbeit, Supermarkt und Kindergarten die Haxen brechen? Was ich sonst noch auszusetzen habe: Es muss da so etwas geben wie Murphy’s Shoe Law. Entweder man hat Geld wie Dreck, und die aktuelle Frauenschuhmode ist indiskutabel wie dieses Jahr. Oder es gibt tolle Treter wie für eine gemacht, und man ist pleite.

Anständige Schuhe für anständige Füße!

Mehr als fragwürdig sind im Übrigen und Speziellen auch die sogenannten Peeptoes, also Clogs mit abgeschnittener Spitze, so dass der sexy lackierte große Zehennagel gerade noch vorne rauspeept. Was aber, wenn man keine zarten Prinzessinnenfüßchen in Größe 36, 37 oder meinetwegen auch 38 vorzuweisen hat, bei denen so ein rauspeepender Zeh möglicherweise den einen oder anderen Mann auf den einen oder anderen Gedanken bringen mag (Männer, bitte melden, ich hab‘ da ein paar Fragen)? Was, wenn man mit eher pumucklähnlichen Knubbelzehen in bodenständigen 40, 41 oder gar 42 durchs Leben trabt, die in Peeptoes selbst blutrot lackiert bei Männern wie Frauen nichts als die stille Bitte evozieren: Bitte, Mädel, kauf Dir ein paar anständige Schuhe! Wenn man jetzt nicht gerade zu den wahnsinnsfemininen Wesen dieses Planeten gehört, ist derartiges Schuhwerk eine Zumutung.

Ich meine, alles, was ich will, sind ein paar schlichte Halbschuhe und Sandalen in Schwarz, Braun, Anthrazit oder meinetwegen auch Oliv, aber bitte ohne rosa Riemchen, Rüschchen, Schneckchen und Glitzersteinchen. Ist das denn zu viel verlangt?

Daher meine dringende Bitte an Dich, Schuhindustrie: Etwas mehr Bodenhaftung!

Inständig
deine aktuelle

Kaufland

Vor den Feiertagen einkaufen zu gehen ist ein Event, wenn auch ein recht fragwürdiges. Man hat das Gefühl, am letzten Tag vor der Apokalypse auf die allerersten Menschen zu stoßen, die einem mit ihren Einkaufswägen in die Hacken fahren, als gäbe es kein Morgen, zusammengepfercht auf geschätzten 500 Quadratmetern, berieselt von irrer Einkaufsmusik und fünfmal hintereinander abgespulten Gehirnwäschewerbeslogans, die einen dazu bringen sollen, fünf Paletten Katzenfutter zu kaufen, obwohl man gar keine Katze hat, aber egal, Hauptsache K-Classic. Da kann man schon mal durchdrehen.

Sind Sie auch Geheimagent?

Als ich mich mit Spinat, Ketchup, Fischstäbchen, Usher-CD für Hotti und Osterfahrradkörbchen für Lotti an der Kasse anstelle, überholt mich ein fahriger junger Mann um die 28, in der Hand einen Kasten Bier. Als er sieht, dass alle anderen Kassen noch voller sind, macht er kehrt, sieht mich an und sagt: „Sie sehen aus wie Annie Lennox!“ Dann stellt er sich brav hinter mich und sagt, mein Hintern hänge schief. Na dann. Als nächstes fragt er in den Raum hinein: „Sind Sie auch Geheimagent?“ Keiner antwortet, offenbar ist er der einzige hier. Als ihm das Schweigen zu mächtig wird, schimpft er: „Und jetzt betrink‘ ich mich! Und dann enttarn‘ ich Euch alle, und dann seid Ihr alle arbeitslos.“ Enttäuscht fügt er hinzu: „Drei Jahre habe ich ihnen vertraut, und dann das!“ Langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen. Offensichtlich hat den jungen Mann nicht nur das Madnesskaufland vor den Feiertagen im Speziellen, sondern auch der super Kapitalismus im Allgemeinen nachhaltig zerrüttet.

Weil mein Einkaufswagen dann doch ein bisschen voller ist als seine Kiste Bier und ich auch nicht dauernd auf meinen schiefen Hintern gestarrt bekommen möchte, biete ich ihm schließlich an, ihn vorzulassen. Hektisch dankend lehnt er allerdings ab: „Nein, nein, Sie haben eine Mission auszuführen, ich will Sie nicht aufhalten.“ Eine Mission erfüllen – er hat vollkommen recht! So muss ich das sehen: Ich verbringe nicht ewig lange Ferientage mit streitenden Kindern, sondern: ICH HABE EINE MISSION ZU ERFÜLLEN. Ich bin Agent Aktuelle und verstecke am Sonntag nicht nur Ostereier, sondern auch Fahrradkörbchen, Usher und mich. Feiertage sind einfach nichts für schwache Nerven. Einkaufen auch nicht.

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Stresstest Sommerferien

Sommerferien sind, ebenso wie ein Großbahnhof, nichts für schwache Nerven. Nicht allein deswegen, weil diese üblicherweise sechs Wochen dauern, einer als orthodoxen Arbeitnehmerin aber lediglich sechs Wochen Gesamturlaub pro Jahr zur Verfügung stehen, es kinderbetreuungsmäßig jedoch noch weitere sechs Wochen Schulferien (Herbst, Winter, Fasching, Ostern, Pfingsten) zu bestreiten gilt, einer also nach Adam Riese sechs Wochen Urlaub fehlen. Ein gordischer Knoten, der jedes Jahr aufs neue vor elterlichen Türen steht, und den der super Kapitalismus trotz seiner Allmächtigkeit, Herrlichkeit und Heiligkeit bis jetzt nicht gelöst hat. Schade, aber egal, nur ein weiteres weites Feld.

Im August nach Anatolien

Dieses Jahr haben der Hotti-Lotti-Papa und ich uns dafür entschieden, die schönste Zeit des Jahres betreuungsmäßig exakt in zwei Hälften aufzuteilen: Drei Wochen sind die lieben Kleinen bei mir, drei Wochen bei ihm. Nicht weil wir so wahnsinnig innovativ sind und wir uns nicht jedes Jahr mit dem gleichen Betreuungsmodell langweilen wollen, nein, sondern weil der HPL die ersten drei Wochen zum Arbeiten nach Südostanatolien will. Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen und wirken. Prima, denke ich, dann melde ich Hotti und Lotti dieses Jahr doch gleich beide im Adlernest an, dem lokalen und von der evangelischen Kirche gesponserten Waldheim, wo die Kinder von morgens bis abends ohne elterliche Sorge und Ermahnungen basteln, schreien, toben, werkeln, Spaghetti mit Tomatensoße ohne Hände essen und sich die Rippen brechen können. Von morgens bis abends allerdings nur, sofern die Kinder das hohe Alter von sechs Jahren erreicht haben, Fünfjährige dürfen zwar immerhin partizipieren, aber nur in der Halbtagsgruppe, die geht dann bis um 13 Uhr, und die Eltern müssen sie täglich abholen.

3,5 Stunden für die Selbstverwirklichung: VOLL ungerecht

Egal, denke ich, Supersache, beide anmelden, parallel Urlaub haben, da habe ich ja morgens satte 3,5 Stunden, in denen ich mich total erholen, entspannen und selbst verwirklichen sowie voll die Sachen auf die Reihe bekommen kann wie z.B. joggen, schwimmen, gärtnern, Käffchen trinken, die Reste vom Umzug beseitigen, Geldanträge stellen, putzen, waschen, einkaufen und pausenlos Blogartikel ausspucken. Mittags hole ich dann total entspannt mein fünfjähriges Halbtagskind aus dem Adlernest und bespaße es als total entspannte Supermami mit pädagogisch wertvollen Dingen wie Basteln, Vorlesen und Eis essen, bis die Große aus der Ganztagsgruppe abends schlammverschmiert aus dem Bus fällt. HA!

Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag

An meinem letzten Arbeitstag zähle ich die Minuten, bis endlich die gemeinsamen Ferien mit den Kindern anfangen. Strahlend nehme ich sie abends beim HPL in Empfang, wünsche ihm eine gute Reise nach Südostanatolien und breche auf in eine glorreiche Ferienzukunft. Nach zwanzig Minuten allein zu Hause mit Hotti und Lotti möchte ich zurück ins Büro. Hotti: „Mama, die Lotti hat meinen lila Glitzer VOLL alle gemacht, OHNE zu fragen!!!“ Lotti: „Ich HAB‘ halt keinen Glitzer, und die Hotti hat VOLL viel und…“ die aktuelle: „Aber Kinder, ihr könnt den Glitzer doch TEILEN, und morgen hole ich neu…“ Hotti: „Mama, das ist VOLL ungerecht, IMMER hältst Du zu Lotti, und NIE zu mir, das ist SO GEMEIN!!“ die aktuelle: „Schaut mal, ich hab‘ Abendessen gem…“ Hotti und Lotti: „Wir haben keinen Hunger.“ Lotti: „Ich will fernsehen.“ Hotti: „Kann ich wen anrufen?“ Theorie und Praxis, Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag.

Große, fette Spinnen im Haustürschlüsselloch

Die Nachmittage mit Lotti alleine gestalten sich ähnlich unideal, nach jedem Vormittag mit 300 anderen Kindern ist sie zwar kurz vorm social Overkill und reif für einen fünfstündigen Mittagsschlaf (finde ich), braucht aber zu Hause angekommen sofort mindestens drei Verabredungen (findet sie). Vorlesen ist was für Babies (außer Prinzessinnengeschichten), Blümchen pflanzen öde („Na gut, Mama, wenn Dir langweilig ist, kann ich Dir dabei helfen.“), Barbie-Spielen will ich nicht („Ich wär‘ halt die schöne Glitzerbraut, und Du wärst dann halt Ken.“) und Eis essen ist auch keine Nachmittag füllende Veranstaltung. Ansonsten ist es „VOLL ungerecht“, dass Hotti den ganzen Tag im Adlernest bleiben darf, und Lotti nicht, und wann sind endlich die nächsten Sommerferien, wenn sie dann sechs ist?? Ich pflichte ihr bei und verweise sie auf die evangelische Kirche, die für derartige Zustände verantwortlich zeichnet.

Und sogar die Nächte sind dermaßen unentspannt, dass ich anfange, die Tage bis zu HPLs Rückkehr (maximal 15) und die Jahre bis zu Lottis Auszug (ebenfalls maximal 15) zu zählen. Hotti kreischt, weil nachts eine Wespe über ihren Hals kriecht. Bei Licht ist die Wespe eine Mücke, aber egal, das hindert Lotti nicht daran, nachts um zwei hysterisch die sofortige Schließung sämtlicher Wohnungsfenster und -türen einzufordern („Kommen Mücken auch durchs Haustürschlüsselloch?“ – „Natürlich, Liebes, und GANZ GROẞE FETTE SPINNEN AUCH!!!“). Mücken, Wespen, Alpträume, Übelkeit und Fieber, nach drei Scheißnächten in Folge will ich nur noch eins: Pauschalurlaub auf den Kanaren, kinderlos, mit Vollpension.

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Plötzlich Scheidungskind

Man soll die Leute ja nicht unterschätzen, am wenigsten die eigenen Eltern. Als ich am Samstagmorgen nach einigen Wochen mal wieder meine Mutter anrufen wollte, um mich aus einem unsäglichen Urlaub an der französischen blauen Küste zurückzumelden, war da unter der alten Nummer plötzlich nicht mehr der normale Telefonanschluss eben meiner Mutter, sondern die Mailbox meines Vaters. Weil ich den schon seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen habe, legte ich auf, leicht irritiert, aber nicht alarmiert. Als ich dann eine Stunde später zum Briefkasten schlappte, lag da ein blauer Brief meiner Mutter, in dem sie mir mitteilte, dass sie vor einigen Wochen bei meinem Vater ausgezogen sei und dass sie nun in der Kurzstr. 88 wohne, die aber immer noch die gleiche Postleitzahl habe. Ah ja. Ich meine, die Nichtänderung der Postleitzahl finde ich jetzt nicht ganz so gravierend, den Auszug meiner Mutter dann schon eher, zumal es bei unserem letzten Gespräch wenige Wochen zuvor zwar um Hotti, Lotti, den Garten, Autos und das Leben als solches ging, nicht aber um neue Wohnungen und größere Lebensveränderungen.

Das Ganze traf mich auch insofern ein bisschen unvermittelt, weil ich mir seit 36 Jahren den Mund fusselig rede, dass Trennungen unter gewissen Umständen durchaus von Vorteil, und zwar für alle Beteiligten, sein könnten, und ich mir mit meinem altklugen Dahergequassel in dieser Familie nicht besonders viele FreundInnen gemacht habe. Und dann, mal eben so ein kleiner blauer Brief, Kurzstr. 88, gleiche Postleitzahl, soso, nach 38 Jahren das elterliche Ehe-Aus. Da wird man ja als Kind plötzlich stockkonservativ und superegoistisch und denkt Sachen wie: Nach all den Jahren?? Oder: Und ICH?! Nicht, dass man sich als 36jähriges Scheidungskind noch Sorgen macht, ob man jetzt alle zwei Wochenenden beim Papa ist, den Hamster behalten darf und am Ende noch die Schuld an der Scheidung trägt oder so, nein, aber wenn man sein Leben lang hart an einer Identität als schwarzem Familienschaf mit notorischem Hang zum Therapieren und Rebellieren gearbeitet hat, dann steht man auf einmal doof da, so ohne Aufgabe. Man braucht nicht mehr zu sagen, dass die Eltern sich nicht guttun, dass man heutzutage doch als Frau in unseren Breitengraden für eine Scheidung nicht mehr gesteinigt wird, dass die Kinder (ich) jetzt schließlich groß seien, mehr oder weniger, und dass man das Ganze anstrengend finde, wollte ja eh noch niemand hören. Man braucht nichts mehr besserzuwissen, man muss niemandem mehr auf die Nerven gehen, man kann einfach die Klappe halten und die Leute machen lassen. Ganz in Ruhe. Vielleicht wissen sie ja am Ende doch, was sie tun. Und wenn man mich hier als Berufstrotzkopf und Schwarzschaf nicht mehr braucht, dann suche ich mir halt einen anderen Job. Nur welchen? Vorschläge gerne wie immer an die wunderbra-Redaktion.

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Die Geschichte eines Alarms

Jeden Tag beim Zeitunglesen werde ich alarmiert. Mal sind Gurken die Bösewichter, mal Tomaten und jetzt die Sprossen. Irgendwo in Japan schmilzt ein Atomkraftwerk vor sich hin und keiner weiß so genau, was das eigentlich bedeutet. Aber man informiert sich fleißig, ARD-Brennpunkte werden zum social event. Während man Biosteaks auf dem Grill wendet und sich an einer Flasche Bier festhält läßt man sich im trauten Freundeskreis ALARMIEREN und genießt den wohligen Schauer des hormonellen Outputs gemeinsam, ohne irgendeinen Plan davon zu haben, was denn jetzt eigentlich zu tun ist. Vielleicht hat der Alarm inzwischen einfach auch einen Selbstzweck und es geht garnicht mehr um konkretes Handeln. Vielleicht war das auch noch nie anders. Gewarnt zu sein ist jedenfalls ein gutes Gefühl, der Rest ist Nebensache. Und es ist sichér auch für diejenigen, die in unserem Land Verantwortung tragen einfach wichtig, gewarnt zu haben. Da hat man später, wenn die Scheiße dann dampft nicht den Kittel in der Tür.

Dazu eine kleine Geschichte aus einem süddeutschen Uniklinikum. In Zeiten der Terrorhysterie nach 9/11 befürchtete man ja an allen Ecken und Enden Anschläge auf das Herz der freien Welt. Dieses Herz schlägt sicher auch in Krankenhäusern, weshalb sie wie viele anderen öffentlichen Gebäude besonderer Obhut bedurften. Versorgt mit einer zentral gesteuerten Klimaanlage schienen sie für mögliche Terroristen besonders lukrative Anschlagsbedingungen zu bieten. Was auch immer das konkret bedeuten sollte! Pockenviren durch die Gegend blasen oder gleich Giftgas? Jedenfalls gab es Handlungsbedarf und das Gebäudemanagement begegnete der drohenden Gefahr mit der Montage eines roten Lämpchens, auf dem das Wort GASALARM zu lesen war. Auf die Frage, was denn zu tun sei, sollte das Lämpchen einmal blinken wurde man auf die Telefonnummer hingewiesen, die unter dem Lämpchen mit Thesa an die Wand geklebt war. Da anrufen und dann alles Wichtige erfahren. Die Wochen gingen ins Land und nach der ersten Aufregung war das Lämpchen bald vergessen. Bis es eines Tages  tatsächlich anfing hektisch zu blinken und ein schrilles Warnsignal von sich zu geben. Tapferes Pflegepersonal schritt beherzt zur Tat und wählte besagte Nummer, um dort irgendeine Leitstelle an der Strippe zu haben, die weder von dem Lämpchen, noch von ihrer vermeintlichen Zuständigkeit irgendetwas wußte. Immerhin wurde uns eine andere Nummer gegeben, unter der man es ja mal probieren könne. Inzwischen hatte sich auf dem Flur eine aufgeregte Menschentraube aus Besuchern und bekrückten Patienten versammelt, die sehr erpicht darauf war, Instruktionen zu erhalten. Wer auch immer der Inhaber zweiten Nummer war, er machte es spannend, indem er garnicht abhob. Die beherzte Pflegekraft verlor schon langsam die Lust an der Sache, doch das schrille Signal gab einem doch irgendwie das Gefühl, daß man das Ganze nicht einfach ignorieren konnte. Also wieder bei der ersten Nummer angerufen und das Problem geschildert, untermalt mit einzelnen panischen Schreien aus der Besuchermenge, was zumindest dazu führte, daß eine weitere Nummer herausgerückt wurde. Die Sache bekam so langsam den Flair einer Schnitzeljagd. Und wir kamen voran! Das nächste Telefonat wurde mit einem Zivi geführt, der irgendwie auch nicht wußte, sich aber ungemein verantwortlich fühlte und versicherte, er würde das Problem seinem Chef mitteilen, der in etwa einer halben Stunde aus der Mittagspause käme. Also warten und Ruhe bewahren. Um die Gemüter bei Laune und beschäftigt zu halten wurden vom Pflegepersonal frisch gewaschene Mullbinden verteilt, die man von Hand sauber aufrollen mußte, was ein hohes Maß an Koordinationsfähigkeit verlangt. Außerdem zeigte sich langsam auch, daß Panik nicht unbegrenzt lange aufrecht erhalten werden kann. Irgendwann setzt Gewöhnung an die neue bedrohliche Situation ein und es war ja außer dem Alarm bisher auch nix passiert. So war es garnicht mehr nötig, daß uns der Haustechniker, der sich dann eine Stunde später meldete anwies, ruhig zu bleiben. Waren wir eigentlich schon und wickelten begeistert weiter Mullbinden auf. Etwa drei Stunden später (inzwischen ging der Stationsalltag schon längst wieder seinen gewohnten Gang und auch die Sirene hatten wir schon unter Normal integriert) kam dann ein zuständiger Elektriker, der uns fragte, was er denn jetzt tun solle. Wir boten ihm eine Mullbinde an. Und nachdem er etwa 5 Minuten vor dem blinkenden Lämpchen meditiert hatte packte er eine große Zange aus und brachte unseren liebgewonnenen Gasalarm rüde zum Schweigen, indem er mit den Worten “ Herrgottsack!“  das Kabel durchtrennte. Einige Wochen hing der Alarm noch ohne Saft an der Wand rum, dann entschloß er sich, einfach abzufallen und sich von irgendeiner Kehrmaschine entsorgen zu lassen.

Doch wir werden ihn nie vergessen und veranstalten seitdem jedes Jahr eine Gasalarm-Party!

Ma Baker

One of those days oder: Anna Chronismus

'Anachronism' von Gerhard Gepp, Lizenz: cc

Es fängt schon damit an, dass das Wochenende vorbei ist. Dann klingelt der Wecker und es liegen 10 Meter Tiefschnee, was zwar die bezaubernde Steilvorlage für einen romantischen Winterspaziergang mit dem Liebsten wäre, eine Autofahrt auf der 1234567 allerdings schlicht unmöglich macht, es sei denn, man hat 5 Thermoskannen Punsch, 13 Butterbrezeln, 4 Nusshörnchen, 25 Hörbücher, 30 Schlafsäcke und mindestens zwei Heizdecken dabei. Und einen Fernseher. Oder wenigstens mobiles Internet, was ich aber, als ich mir vor eineinhalb Jahren ein neues Handy kaufte, noch als völlig unnötigen Nerd-Schnickschnack erachtete und daher das einfachste und preisgünstigste Modell erwarb, mit dem man zwar ganz bodenständig telefonieren, Kurznachrichten verschicken und sich wecken lassen kann, dessen Unterhaltungsfaktor abgesehen von diversen Klingeltönen und Farbeinstellungen jedoch recht begrenzt ist, aber das führt jetzt zu weit.

Ich beschließe mit dem Fahrrad zum Bahnhof, von dort aus mit dem Zug in die Landeshauptstadt und von da weiter mit der U-Bahn zur Arbeit zu fahren, wobei es mich zunächst mitten auf der Straße aufs Glatteis legt und ich mir die Beine blau schlage, was mich nicht nur in Zeitnot, sondern auch in eine Riesenwut versetzt, ich DANN, nach 5 Minuten Schlangestehen, auf ein neues Fahrkartenautomatensystem stoße, bei dem ich mir in der Hektik dämlicherweise eine viel zu teure Fahrkarte rauslasse, aber immerhin, so dass ich es GERADE noch (7 Uhr 57!!!) auf das richtige Gleis schaffe. In dem Moment fährt der Zug ab. Ich bilde mir ein, die Leute hinter den Scheiben im davonfahrenden Zug über mich lachen zu sehen.

Wer war das?

Doch damit nicht genug, weil, wie wir spätestens seit dem letzten Silvester wissen, schlimmer geht immer. Auf der Arbeit angekommen möchte ich nur eins bzw. zwei: 1. Kaffee, 2. Arbeiten. In Ruhe. Ungestört. Ich möchte einfach nur meine Arbeit machen, aber aus irgendwelchen Gründen geht das seit Wochen schief, weil jedes Mal, wenn ich zu Wochenanfang mit dem bescheidenen Wunsch EINFACH NUR ZU ARBEITEN in mein Büro komme, eine andere Hiobsbotschaft auf mich lauert. Heute lauert sie in Form der Nachricht, dass aus dem Projekt, in das Frau Dr. Sprite, Mr. Sonic und ich seit elf Monaten Zeit, Energie und Herzblut pumpten und dessen Realisierung eigentlich zum Greifen nah war, schlicht: nichts wird. Schade Scheiße.

Wieder Zuhause: Rolladenschnur fatzt durch, Wohnzimmer jetzt halb dunkel, Lotti hat Halsschmerzen und kann morgen nicht in den Kindi (schwarzer Tag), Yoga fällt aus, Kehrwoche. Wer, zur Hölle, denkt sich solche Tage aus?

Sauna oder Geht doch heim!

Bild: Justinc, Lizenz: cc

Ihr, liebe nackte, knutschende und fummelnde Pärchen in der Sauna, die Ihr in öffentlichen Bädern und Fluren im Prinzip alles vollzieht außer den expliziten Geschlechtsverkehr, Ihr, geht doch bitte nach Hause, und zwar ganz schnell. Wenn ich sauniere, fußbade und whirlpoole, möchte ich weder mit kraulenden Händen auf haarigen Pobacken noch mit schweißüberströmten Körperverwicklungen auf Holzbänken oder anderen Live-Porno-Acts behelligt werden, und wenn Ihr noch so jung und knackig seid (bestenfalls).

Es dankt Euch herzlichst
die nacktuelle

Nobody move

Dieser Herbst ist anders.

Ich mag den Sommer nicht: Es ist heiß, man schwitzt sich doof im Büro und in der Schule, jagt von einem Kindi- und Schulgrillfest zum nächsten, erleidet Kreislaufprobleme und den sozialen Overkill, und wenn dann die Sommerferien anfangen, fängt es an zu regnen und alle fahren weg. Man selbst arbeitet, bespaßt Kinder und fällt in eine Art Schockstarre, bis alle wieder da sind. Der Herbst dagegen: super! Alle kommen wieder, Menschen und Strukturen kehren zurück und vermitteln einem die Illusion von Halt, Stabilität und Sicherheit, man selbst befindet sich auf der Zielgeraden Richtung Weihnachten.

Dieser Herbst ist leider anders. Menschen, die einem ans Herz gewachsen sind, verschwinden dauerhaft in Zentralasien oder der schwäbischen Provinz, andere, auf die man gut und gerne verzichten könnte, bleiben und gehen einem auf die Nerven. Ich prangere das an. Wenigstens gibt es Konstanten in Form von Menschen, die lediglich kurz nach Berlin, Korsika oder ins Allgäu gehen und wiederkommen oder das Büro gar nicht erst verlassen. Mein Dank gilt den Zuhausebleibern und Heimkehrern.

Halt ich’s aus?!

Hormonschwankungen kennt jeder von uns, in den Genuss des Prämenstruellen Syndroms (PMS) kommt allerdings nur die weibliche Hälfte der Weltbevölkerung, und auch von der nur eine Gruppe der Auserwählten. Mein Großer GU Kompass Homöopathie beschreibt einige der prickelndsten Symptome des PMS wie folgt:

Empfohlene Globoli: Sepia D12

„Sie würden am liebsten alles liegen lassen und abhauen; Abneigung gegen Beruf, Familie und Sex; Sie sind wütend, aggressiv und reizbar, aber auch sehr empfindlich, depressiv, weinerlich; schwach und müde; spannende Brüste, Akne, Kopfschmerzen und Sauberkeitsfimmel; Morgenübelkeit, Ekel vor Fett, aber Verlangen nach Saurem, Süßem oder Salzigem.“

Abgesehen von Kopfschmerzen, Morgenübelkeit und Ekel vor Fett kann ich persönlich in den drei Höllentagen vor den Tagen alles unterschreiben, würde die Aufzählung allerdings noch um zwei weitere Punkte ergänzen: 1. Wassereinlagerungen in sämtlichen nur denkbaren Problemzonenbereichen, 2. vorübergehende Hellsichtigkeit. Der Wunsch abzuhauen wird übermächtig, man ist froh und dankbar für jede gewaltfrei verbrachte Minute, möchte abwechselnd heulen und schlagen, man ist verpickelt, putzgeil und süchtig nach Nutella, Chips und Sherry. Mental ist man unterwegs in den Hades, physisch auf dem Weg zur Wassertonne. Nach drei Tagen hormoneller Talfahrt würde man für den sofortigen Eintritt in die Menopause jedem dahergelaufenen Scharlatan auf der Stelle seine Seele, seine Kinder und seine Großmutter verkaufen.

Die TOP FIVE meiner PMS-Shitlist

Auf die oben aufgeführte vorübergehende Hellsichtigkeit wurde ich aufmerksam durch einen buchstäblich sehr erhellenden Artikel („Drei Tage Klarsicht“) in meiner erklärten Lieblingszeitung Brigitte (ich habe nichts mehr zu verlieren). Darin beschrieb die Autorin, wie sie die Tod-und-Teufel-Zeit als Indikator nutzte für die Dinge, die ihr zwar unerträglich waren, die sie sonst jedoch erfolgreich verdrängte, und die ihr jetzt plötzlich mikroskopisch 1000fach vergrößert erschienen: Auseinandersetzungen mit der pubertierenden Tochter, Ärger mit dem Chef etc. Mit anderen Worten: Man hat vorübergehend einen glasklaren und unbestechlichen Blick dafür, was man wirklich nicht mehr aushält und womit man wirklich nicht mehr leben möchte. Die Konsequenz: Man merkt sich diese Dinge für die Zeit danach, in der man wieder in der Lage ist, Unerträgliches nicht mit der Axt, sondern mit Diplomatie und Verstand zu lösen.

Hier in Wunderbra nun exklusiv die Liste meiner bisherigen PMS-TOP 5:

1. Kindergetrödel im Badezimmer
2. Kindergesaue beim Essen
3. Kleiderdiskussionen mit Kindern
4. mein Ex
5. der Kapitalismus

Die Gliederung ist nicht hierarchisch.

Anarcho-Platanen belästigen Anwohner und Autos

Aus aktuellem Anlass muss ich meine persönliche Shitlist leider um einen Punkt erweitern. Vor meinem Haus am schönen Sternplatz wurden just fünf von elf Platanen gefällt mit der Begründung, dass sie sich nicht an die vorgeschriebenen EU-Baumrichtlinien gehalten haben. Nein, das habe nicht ich mir in einem meiner ständigen Anfälle von Albernheit ausgedacht, sondern die Stadtverwaltung Lingendingen, und es ist ihr voller Ernst, so Ernst, dass die Bäume weg mussten: Selbst schuld, wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen. Ausgelöst hat diesen Schwachsinn ein Beschwerdeschreiben von Anwohnern, die sich bitter über die Vermüllung ihrer Regenrinnen durch die Anarcho-Platanen beklagt hatten, woraufhin die Stadt nicht nur aufhorchte, sondern auch gleich die Baumverordnungsrichtlinien auspackte, nachmaß und befand, dass die Bäume weder den ihnen vorgeschriebenen Abstand zu den umliegenden Häusern ein- noch sich von der Straße fernhielten, wo sie Busse und LKW behelligten. Ebenfalls echt nicht zum Aushalten: Verwaltungsirrsinn.