Urlaub in Zenhausen [1]

Würde und Magen-Darm-Infekte schließen sich aus.

Willkommen, welcome, bienvenue, ein neues Jahr [2] erwartet Sie, dessen Beginn Sie hoffentlich ebenso aufregend wie wir begangen und eingeläutet haben. Nachdem wir einen Tag vor Silvester noch geschwind und erfolgreich Lottis achten Geburtstag mit gefühlten anderen 500 Familien im Spaßbad abgefeiert haben (kein Kind ist abgesoffen), stürzen Wolverine und ich uns auch schon wieder in die Vorbereitungen des anstehenden Jahreswechsels. Monsieur installiert tolle bunte Blinklichter, die im Set mit der Discokugel unter dem Weihnachtsbaum lagen, auf meinem Buffetschrank, vom Einsatz des Stroboskops [3], ebenfalls im Discoset enthalten, rate ich angesichts des ohnehin schon recht erhöhten Adrenalinspiegels der Kinder allerdings eher ab. Ich verteile Luftschlangen überall, und dann kommt auch schon Frau Antje aus Holland [4], die meine frisch renovierte Küche derart „90er“ findet, dass sie darin direkt eine alternative Clubdisco eröffnen möchte, die „Mathilde 11“ zum Beispiel. Ich behalte das mal als Geschäftsidee im Hinterkopf.

Der Rest des Festes ist schnell erzählt: Wulle schläft auf der Stelle ein, Rulle bald danach, Boney M’s Zappel und Zuppel fallen beim „Dinner for One“-Schauen vor Lachen fast von den Stühlen, und Dark Lotti schafft es nicht nur, sich einen Knaller ins Auge zu schießen, sondern sich auch beim Bleigießen eine beachtliche Brandblase zuzulegen. Herzog Ullrich, der die amtierende und bislang ungeschlagene Verletzungskönigin noch nicht so lange kennt, fragt mich, ob ich es schon mal mit einen Schutzbann rund um das Kind probiert hätte. Auch das eine blendende Idee, auf die ich schon aus Zeitgründen sicher bald zurückkommen werde. [5]

Romantisches Wochenende zu zweit

Als dann Hotti und Lotti für drei Tage ihren Papa heimsuchen, will ich nur noch eins: raus aus meiner Wohnung und Urlaub in Zenhausen. Wolverine schlägt vor, bevor wir uns es in seinem Wellnesstempel so richtig gemütlich machen, doch noch „geschwind“ die Discokugel in meiner Badezimmerdecke anzudübeln. Ich schlage ihm dies ebenso geschwind wieder aus dem Kopf und packe meine Saunasachen. Was mir vorschwebt, sind maximale Bewegungslosigkeit sowie Verdrängung sämtlicher realer Anforderungen, und zwar sofort. Im Thermalbad bemerke ich, dass ich meinen Bikini vergessen habe, aber egal, ich erwerbe einen schicken schwarzen Omabadeanzug und falle nach der ersten Schwitz- und Schwimmrunde in einen tiefen Schlaf des Vergessens.

Der Urlaub wird super. Wir essen, schlafen, lesen, glotzen, und dann wir mir schlecht, so schlecht, dass ich Wolverine aus der Dusche scheuchen muss, um mich ganz dringend in seine Toilette zu übergeben. Das tue ich dann in stündlichen Abständen bis um sechs Uhr morgens, und dann lasse ich mich vom gleichmäßigen Schnarchen des X-Man in den Schlaf wiegen. [6] Als ich mittags aus dem Bett auferstehe, werde ich mit Wärmflasche und Kamillentee versorgt, und auf dem Rückweg nach Hause machen wir noch einen Schlenker über die Tankstelle und besorgen ein koffeinhaltiges Kaltgetränk mit Zitronensäure, Zwieback haben sie nicht mehr. Der krönende Abschluss eines romantischen Wochenendes.

[1] Die genaue Ortsbezeichnung geht auf Herzogin Fanta I. zurück. [zurück]

[2] 2014. [zurück]

[3] Ein Stroboskop (griechisch strhόbos ‚Wirbel, Sichdrehen‘, strhόmbos ‚Kreisel‘, skopeΐn ‚betrachten, beobachten‘) ist ein Lichtblitzgerät, das Lichtblitze in sehr regelmäßigen zeitlichen Abständen abgibt, wodurch bei dunkler Umgebung Bewegungen abgehackt als eine Abfolge von stehenden Bildern erscheinen. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Stroboskop) [zurück]

[4] Frau Antje kommt eigentlich aus dem Osten, aber Zonen-Gaby hätte sie womöglich leicht übelgenommen. [zurück]

[5] Zu erwähnen wären an dieser Stelle alleine im November 2013 zwei Kopfverletzungen, wegen derer Lotti aus der öffentlichen Lernanstalt abzuholen und in der Kinderklinik auf Gehirnerschütterungen zu untersuchen war. Einmal versteckte sie sich vor der Lehrkraft unter dem Tisch, um dann unkontrolliert in die Höhe zu schnellen, woraufhin ihr schlecht wurde und sie verschwommen sah. Ein anderes Mal nutzte sie die einzige auf dem Schulhof zugefrorene Pfütze, um gegen ein anderes Kind zu schlittern und auf dann auf den Hinterkopf zu stürzen. Als sie ein weiteres Mal (ebenfalls im November 2013) senkrecht mit dem Kopf zuerst von ihrem im Zimmer montierten Trapez auf den Boden knallte, blieb es lediglich bei einer Beule. Meine mehrfach ausgesprochene Drohung, Lotti künftig nur noch mit Fahrradhelm und Rugby-Ausrüstung aus dem Bett zu lassen, blieb bislang ohne Konsequenz. [zurück]

[6] Ich muss wieder einmal feststellen, dass Würde und Magen-Darm-Infekte sich grundsätzlich ausschließen. [zurück]

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Apropos Weihnachten

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“
(Engel Lotti, Krippenspiel Weihnachten 2013)

Im Gegensatz zu ihrem sonstigen Gebaren entscheidet sich Lotti gegen Ende des Jahres den Engel zu geben, zumindest im Krippenspiel der ortsansässigen Kirchengemeinde. Ich begrüße das aus mehreren Gründen und, Wunder über Wunder, erklärt sich der Hotti-Lotti-Papa bereit, den nicht ganz eingängigen Text mit unserer Zweitgeborenen einzustudieren („Er kam in diese Welt, in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“) sowie auch gleich ein Paar Engelsflügel zu organisieren. Und da wir den diesjährigen Heiligen Abend mit der aus Neukamerun zurückgekehrten Fanta samt Mulle, Rulle und Wulle, ihrem neuen Clown und Herzog Ullrich sowie Oma Highspeed und Wolverine, ehemals Batman [1], begehen werden, finden wir uns alle am Nachmittag des 24. Dezember im Familiengottesdienst der Ullrichkirche wieder. Ich darf zwischen dem Hotti-Lotti-Papa und Wolverine sitzen, Weihnachten, das Fest der Liebhaber.

Hört der Engel helle Lieder

Draußen wird es allmählich dämmrig, drinnen breitet sich Stille aus. Pfarrer Cyborg spricht einleitend ein paar besinnliche Worte, dann beginnt das Krippenspiel. Lotti und zwei weitere Engel schweben zum Altar, mutterstolz und erwartungsvoll blicke ich nach vorne. Inbrünstig leiern die Engel ihren Text herunter („Er ist den (!) Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch ihn.“) und röhren dann ein derart schiefes Halleluja ins Mikrofon, dass die Gemeinde kollektiv in unterdrücktes Gekicher verfällt. Fürchtet Euch nicht, denn siehet, ich verkündige Euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird! Oh ja, und noch einmal: Halleluja! Ich distanziere mich innerlich von den Gesangskünsten meiner Tochter und verschwinde äußerlich unter meiner Kapuze.

Nach dieser kirchlich-kulturellen Erbauung begeben wir uns alle in Fantas neue Kaserne, wo wir mit zwei Raclette-Geräten älteren Datums binnen Minuten dauerhaft die Stromversorgung der gesamten Wohnung lahmlegen. Herzog Ullrich und Fanta kriechen im Dunkeln auf allen Vieren durch die Wohnung und fixieren Verlängerungskabel mit Gaffaband, bis Wolverine endlich irgendwelche Kerzen angezündet hat, die Kinder kreischen: „Das Licht ist aus!!!“ und Highspeed ruft vom Sicherungskasten aus: „Ich hab hier so gemacht!“. Fanta strahlt: „Hach, Weihnachten kann so aufregend sein!“

Familie Hoppenstedt wäre blass vor Neid

Nach Wiederherstellung des Stromkreislaufes transferieren Wolverine und ich kistenweise Geschenke von Fantas Schlafzimmer unter den von Highspeed, Lotti und mir gefällten Weihnachtsbaum, Familie Hoppenstedt würde in jeder Hinsicht blass vor Neid. Wir versammeln uns rund um den Raclette-Grill, wobei die lieben Kleinen locker den Lärmpegel einer Rock-am-Ring-Veranstaltung erreichen. Sie essen nur Mais, und für den Einkaufszettel im nächsten Jahr notieren die lieben Großen „mehr Mais“ und „Ohrenstöpsel“. Als wir abräumen, bemerkt Rulle, dass ihre Großeltern dieses Jahr gar nicht anwesend sind („Wo sind eigentlich Urmel und Elsa?“) und Tinkerbell, die heuer anstelle der abwesenden Großeltern mit uns feiert, stellt fest, dass „wir dieses Jahr echt schnell für ein Käsefondue waren“. Wir sind eben alle nicht mehr die Jüngsten.

In Ermangelung eines metallenen macht Highspeed das bezaubernde humanoide Weihnachtsglöckchen („Dingdingdingdingding!!“), und die Kinderschar stürmt bis an die Zähne mit Blockflöten bewaffnet die festliche Stube. Hotti übernimmt die Moderation und fordert aktive Publikumsbeteiligung: „Um Mitsingigkeit wird gebeten!“ Fanta und ich greifen zu unseren eingestaubten Altflöten, Herzog Ullrich rundet das Gesamtarrangement mit Ukuleligkeit ab. Danach werden noch diverse andere Weihnachtshits mehr oder weniger textsicher geschmettert, und dann gibt es eine schöne Bescherung: Die Kleinen bekommen ihre sehnlichsten Herzenswünsche erfüllt (Nähkurs, Monster High, Meister Yoda), die Großen auch (alles Mögliche) und ich ebenfalls (Das Buch der Queen, Skeletteierwärmer mit Hut, Discokugel, Landfrauenkalender). Besondere Erwähnung finden soll an dieser Stelle die Weihnachtskarte, die Rulle für mich schrieb:

„Liebe aktuelle,
ich freue mich, dass ihr mit uns Weihnachten feiert. Apropos Weihnachten: Frohe Weihnachten
Deine Rulle“

Und dann machen wir es uns gemütlich.

[1] Aus Gründen kam es zu einer Umbenennung meines aktuellen Superhelden. [zurück]

Beyond

Nachdem man in den letzten Jahren diverse Kinder geboren, die dazugehörigen Plazentae, Beziehungen und andere Illusionen begraben, Universitätsabschlüsse, Umzüge und Kindergeburtstage gemanagt, sein Innerstes in einem öffentlichen Tagebuch preisgegeben sowie Playlists auf Youtube angelegt hat, gilt es nun, pünktlich zur anstehenden Vorweihnachtsmadness, sich der möglicherweise letzten Herausforderung zu stellen: dem Handarbeitsdiskurs. Mein Plan für dieses Jahr sieht folgendermaßen aus: Ich kaufe Unmengen an Wolle und Nadeln, Fanta bringt mir Häkeln bei, und alle bekommen Mützen. Menschen, die diesen Blog verfolgen, vergessen alles, was sie bisher gelesen haben, entweder sofort oder werden unter der Nordmanntanne unbändige Freude heucheln.

Fanta sagt für die erste Handarbeitsstunde direkt und freudig zu, Ma Baker ist spontan sehr beeindruckt ob meiner Entschlossenheit und träumt seit unserem letzten Telefonat von den Landfrauen und Weihnachtsbasaren, und sogar Bedenkenträgerin Dr. Sprite, die zunächst mit hochgezogener Augenbraue darauf verweist, dass der Wolldiskurs ja gerade eh voll trendy wäre, zieht nach manischen Ausführungen meinerseits (blühende Landschaften!) in Erwägung, ihr vor Jahren eingemottetes Stricknadelset zu reaktivieren. Wenn ich eins kann, dann ist es mitreißen, egal wohin.

„Mütze häkeln“

Das Ergebnis der ersten Handarbeitsstunde mit meiner Lieblingsgrundschullehrerin ist frustrierend und landet im frisch aufgestellten Küchenschrank von Batman. Und weil mich heute das Siechtum dahingerafft hat, so dass ich keiner geregelten Arbeit, sondern lediglich maximal stumpfsinnigen Aktivitäten nachgehen kann, lege ich mich ins Bett, befestige Wärmflasche und Laptop auf meinem Bauch und youtube „Mütze häkeln“. Das erste Video ist eine ernstzunehmende Anleitung für halbe Stäbchen, ich denke „Keine halben Sachen!“, suche erst mal weiter und stoße dabei auf „Boshi in einer Minute“, wobei mich selbstverständlich vor allem „in einer Minute“ reizt. Von Fanta weiß ich, dass Boshi gerade voll hippe Häkelmützen sind, die zur Zeit offenbar vorrangig von männlichen Planetenbewohnern gefertigt werden, und sie muss es ja wissen, schließlich ist ihr Ex bereits diesem neuen Trend verfallen. Vollends abgetörnt werde ich schließlich vom dritten Video, in dem eine zuckersüße Schnuckimausi die „Jungs“ von MyBoshi und Hatnut fragt, warum und wieso sie denn zum Häkeln gekommen sind, was sie so besonders macht und ob sie heimlich auch mal stricken. Die Jungs kichern und kokettieren damit, dass sie eher nicht so stricken, weil sie schließlich Männer seien und dadurch nicht in der Lage, zwei Geräte gleichzeitig zu bedienen. Offenbar ebenfalls ein neuer Trend: die unterstellte Blödheit als niedlichen Fakt verkaufen und sich dann entspannt zurücklehnen. Mit Häkeln bin ich jedenfalls fertig. Morgen wieder Rockstars stalken.

Gut. Was wünscht Ihr Euch sonst so?

Luxus, verdammt!

Schade scheiße eigentlich, wenn sich die Realität mal wieder um Klassen schnöder gestaltet als das eigene rosaglitzer Wunschdenken und sich Superhelden bei näherer Betrachtung als Otto-Normal-Frösche mit allzu menschlichen Pferdefüßen entpuppen. Nun gut, man selbst ist zugegebenermaßen auch nicht Hello Kitty, und was ist schon normal, denn, wie die weise Whoopi Goldberg bereits anmerkte: „Normalität liegt im Auge des Betrachters.“ Jetzt sind sie also weg (WEG!) und ich bin wieder allein, allein, denn wir sind hier leider noch immer nicht bei Wünsch Dir was, sondern weiterhin bei So isses. Als entscheidenden Vorteil bei wiederholter Herzscheiße gilt es festzuhalten, dass die einstige Angst, auf der Stelle zu verrecken, sich im Laufe der Jahre als unbegründet erwiesen hat, denn Herzen kann man erstens reparieren, und zweitens verfügt man mittlerweile neben einer gewissen Routine auch über ein nicht unerhebliches Repertoire an Gegenmaßnahmen. Wir machen das hier ja nicht zum ersten Mal.

Kopf hoch, sonst fällt die Krone runter

So ist es einmal mehr an der Zeit, die Contenance zu wahren, sich mit Bergen von Schnapspralinen vollzustopfen, tonnenweise Schmuck zu shoppen, den ortsansässigen Baumarkt leerzukaufen, das eigene Schlösschen mit Brimborium aufzuhübschen, Abende lang stupide Glitzerkringel an die Klowände zu pinseln, dabei viel ABBA, Bier und Zigaretten zu konsumieren und mit Freundinnen kilometerlange Youtube-Playlists zu erstellen, schließlich ist Liebeskummer immer noch Luxus und großes Kino, verdammt. In diesem Zusammenhang sind Horny Tawny, Mr. Matrix und ich im Supermarkt unseres Vertrauens übrigens auf, jawohl, die Pralinenedition von Harald Glööckler gestoßen, die folgerichtig den Namen „Pralinöös“ trägt mit dem Untertitel „Jede Frau ist eine Prinzessin. Und so sollten Sie sich auch fühlen“. Stilblüten des Kapitalismus. Unbedingt Erwähnung finden sollten an dieser Stelle nicht zuletzt auch der Elektroswinger Parov Stelar, sein extrem hotter Catgroove sowie ein sehr begabter junger Mann mit Gummibeinen, welche Dr. Sprite, Horny und ich inzwischen als musikalisches Koffein in Reinform einsetzen und die Horny im Übrigen ekstatisch Britney Spears‘ Zeilen „Don’t you wanna dance upon me?“ zitieren ließen. Und danach bitte auf mir!

Wie gesagt, Herzscheiße gilt es zu zelebrieren, und zwar nach Strich und Faden und mit dem gebührenden Pathos und Glamour. Ebenso arschcool wie konsequent wäre es in diesem Kontext auch beispielsweise, sein Ehebett in mannshohen Lagerfeuern zu verbrennen oder das Schaufenster im eigenen Haus an einen Leichenbestatter zu vermieten. Aber wer macht schon so was?

Der König der Scheißtage

Was bisher geschah: Nach einem psychosozial mehr als herausforderndem Sommer gelang es Hotti, Lotti und mir, uns gerade noch rechtzeitig in die Mutter-Kind-Kur nach Kloßburg abzusetzen. Oma Highspeed flog uns mit ihrem Silberpfeil direkt vor die Pforten des Müttergenesungswerkes, wobei wir lediglich einmal geblitzt wurden, und bevor Lotti Highspeeds neues Fluggefährt in den Serpentinen des Schwarzwaldes bis oben hin vollkotzten konnte, gelang es uns in letzter Sekunde, links ranzufliegen und die Tür zu öffnen, eine glückliche Fügung jagte quasi die nächste. Im Erholungsparadies angekommen, taten wir drei Wochen mit wenigen Ausnahmen von morgens bis abends wenig anderes als zu schlafen, zu essen, im Wald herumzuturnen und unsere sechzig Finger- und Fußnägel rauf- und runterzulackieren.

Entsprechend hart gestaltet sich nun der Aufschlag in der Realität. Seit geschlagenen zwei Wochen ringen wir in der irdischen Welt mehr oder weniger erfolgreich mit Weckern, Stundenplänen, Jahresberichten, Supermärkten, GEZ-Gebühren und Sitzungen. So ende ich nach einem Tag in der Öffentlichen Anstalt mit beeindruckenden 18 Tagesordnungspunkten auf einem dreieinhalbstündigen Hotti-Elternabend. Angesichts der uns bevorstehenden 15 TOPs raune ich Hanutas Mutter ins Ohr, dass wir uns unbedingt ein Radler hätten mitnehmen sollen, woraufhin ich einen leicht irritierten Blick ernte.

Lebendig an der Forschung teilnehmen

Zunächst stellt sich kurz und knackig der neue Konrektor vor, nachdem die alte Schulleitung sich zum vorigen Schuljahresende überraschenderweise quasi selbst abgeschossen hat. Anschließend stellt sich eine sehr junge und motivierte Frau vor, die sich dem „Analysieren der Prozesse im Rahmen der Entwicklung / Implementierung zur Gemeinschaftsschule“ verschrieben hat, Begleitforschung heißt das Zauberwort, das sie Eltern- und Lehrerschaft nun in einer ausschweifenden Powerpoint-Präsentation unterbreitet inklusive Phasen, Dauer, Zielsetzung, Maßstäben und Teilprojekten ihres Forschungsvorhabens. Zusätzlich erfahren wir, was die junge Motivierte alles nicht untersucht, nämlich Leistung, Kompetenzentwicklung sowie die SchülerInnen und Lehrkräfte als solche, schließlich gehe es ihr um pädagogische Professionalität, Unterrichtsorganisation und -kultur und natürlich Inklusion. Ihre gebündelten Ergebnisse werde sie als verschriftlichtes Reflexionsinstrument an die Politik weiterleiten, der damit wiederum fundiertes Steuerungswissen für die laufende Schulreform zur Verfügung stehe. Ein Vater meldet sich und bekundet, dass er es schön und besonders finde, so „lebendig an der Forschung teilzunehmen.“ Ich denke an den heutigen Facebook-Post von Horny Tawny „Heute regiert der König der Scheißtage.“, behalte dieses Bonmot jedoch für mich.

Be prepared!

Es folgt ein spontan eingeschobener Tagesordnungspunkt, in dem es um schulpolitische Interna der Vergangenheit geht, die laut referierendem Vater allerdings in schlappen fünf Minuten abgehandelt werden können. In der 14. Minute erinnert mich Hanutas Mutter daran, dass wir beim nächsten Mal keinesfalls das Radler vergessen dürfen, am besten zwei für jede. In der 20. Minute, in der es noch immer um das schulpolitische Inferno geht, beginnt mein Auge zu zucken. In Minute 30 wird auf Seiten der Elternschaft massiv der Wunsch nach mehr Transparenz und Demokratie laut, ich versenke mich innerlich in Felsen, Wasserfälle, esoterische Meditationsmusik und mein Bett. Nach diesem die Gemüter erhitzenden Punkt geht es im wilden Ritt weiter durch Schullandheimausflüge, Projektwochen, Elternvertreterwahlen, Herbstfeste sowie Rückmeldungen der Lehrerschaft über die allgemeine Verfassung von Hottis Klasse, die die Englischlehrerin euphemistisch als „diskussionsfreudig und interessant“ bezeichnet. In diesem Zusammenhang zeigen sich die Lehrkräfte in diesem Schuljahr extrem gut vorbereitet. Haben die lieben Kleinen beim Schwimmunterricht beispielsweise zufällig ihre Badehose vergessen, wird mit einer ebenso zufällig vorhandenen Tasche mit alter Bademode gekontert. Und auch dem Ungemach, das in Form zahlreicher Baustellen rund um das Schulgelände droht, begegnet die Klassenleitung mit gänzlich neuer Gelassenheit: Sie werde künftig mit dem Hubschrauber einfliegen. Nur mit dem Besen anreisen wäre cooler.

Oma Highspeed

Der Kosmos meint es derzeit gut mit mir. So bin ich aktuell nicht nur vom einen oder anderen Superhelden umgeben, sondern auch von einem Haufen wohlmeinender Feen, die keine Wünsche offen lassen. Die eine vermietet mir meine neue Traumwohnung zu einem für Lingendinger Verhältnisse mehr als fairem Preis und spendiert mir nächstes Jahr möglicherweise einen schicken Ostbalkon für meinen Morgenkaffee. Eine andere stabilisiert mich nachhaltig beim Nikotinentzug, indem sie mir keine Zigaretten gibt, auch wenn ich noch so hartnäckig auf Holzscheiten knieend im Schlamm vor ihr herumrutsche. Die nächste zaubert mitten im Umzugsirrsinn für Fanta, mich und unsere Sippschaft ein mediterranes Menü und spendiert tütenweise Haute Couture für die Mädels, eine weitere wiederum will mir günstig ihren Trockner vermachen. Und dann ist da noch die beruflich pensionierte, politisch jedoch hyperaktive Oberfee mit dem langen grauen Zopf, die Frauengeschichte schreibt, keine S21-Demo auslässt und nicht nur meine Wäsche vor heraufziehenden Gewittern in Sicherheit bringt, sondern sie neuerdings auch noch ordentlich zusammengelegt vor meine Tür stellt.

Batman oder Superman?

Ihr entgeht im Übrigen: Nichts. So macht sie mich darauf aufmerksam, dass ich vor einer Minute Fantas Auto leider auf dem Handwerkerparkplatz abgestellt habe und dieses doch bitte umparken möge, dass ich wiederum die Scheibe meines eigenen Fahrzeugs auf der Fahrerseite offen gelassen habe und dass ich gestern Abend entweder Besuch gehabt oder sehr laut telefoniert habe, wobei sie breit grinsend versichert, dass sie selbstredend „kein Wort!“ verstanden habe. Sie hat mittlerweile herausgefunden, dass mein W-LAN Lady Blabla heißt und verrät mir im Gegenzug, dass sie Highspeed wäre. Neulich fängt sie mich mit hochgezogener Augenbraue auf der Treppe ab und sagt mit tiefer Stimme: „Ich habe übrigens Deinen Blog gelesen!“ Noch nicht einsortieren könnend, ob das jetzt gut oder schlecht für mich und unser künftiges nachbarschaftliches Verhältnis ist, kontere ich betont lässig: „Ah ja?“ Darauf sie: „Und wer war das jetzt neulich morgens: Batman oder Superman?“

Darüber hinaus hat sich die Highspeed-Fee kurzerhand zur Vize-Oma für Hotti und Lotti erklärt. So scheucht sie drei Wochen lang meine Brut zum morgendlichen Bus in die Dreckspatzen-Ferienbetreuung, während ich bereits in aller Herrgottsfrühe vollkommen egoman meiner Berufstätigkeit und Selbstverwirklichung in der Landeshauptstadt fröne. Sie beglückt uns mit Apfelmus und Marmelade, Gurken, Brombeeren und Holunderblütensirup, und sie vollbringt sogar das Wunder, die granatensture Lotti dazu zu bewegen, ihr Fahrrad in den Schuppen zu schieben oder sich einen Sonnenhut aufzusetzen, wenn ich mir diesbezüglich schon den letzten Zahn an diesem Esel von einem Kind ausgebissen habe. Und jüngst hat sie beschlossen, für meine Nachkommen Genossenschaftsanteile zur Finanzierung von Mikrokrediten zu erwerben. Ich rechne fest damit, dass sie mir in naher Zukunft zwinkernd drei Haselnüsse in die Hand drücken, dreckig lachen und sagen wird: „Aber um Mitternacht bist Du zu Hause!“