Lebenslänglich

Das neue Programm der Volkshochschule ist da. Da lebenslanges Lernen inzwischen Standard ist und auch Nahtoderfahrende vor Weiterbildungsmaßnahmen nur bedingt sicher sind – auch von ihnen wird beispielsweise eine einigermaßen solide Medienkompetenz erwartet (Stichwort Silversurfer) – , begebe ich mich also auf die Suche nach einer passenden Horizonterweiterung. Das Heft beginnt mit Kursen zur Stressbewältigung: Stressbewältigung durch Achtsamkeit, Umgang mit Ärger, Klopfakkupressur bei Ängsten (gibt’s wirklich) und Fühl dich gut (Bitte Socken mitbringen!). Den Kursen, die Hektik, Wut und Perfektionismus den Kampf ansagen, folgen Angebote zur Effizienzsteigerung: Speed-Reading (schnellere, effektivere Lesegeschwindigkeit für Studierende), Meine Kompetenzen managen, Perfekt verpackt! Deine schriftliche Bewerbung und Perfekt auftreten! Individuelle Selbstpräsentation im Vorstellungsgespräch.

Und jetzt? Be- oder entschleunigen, ich kann mich nicht entscheiden. Vielleicht sollte ich selbst Kurse anbieten. Wie wäre es zum Beispiel mit Traumatisierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene des Turbokapitalismus oder Lebensfreude trotz Neoliberalismus (Bitte Socken mitbringen!)? Anmeldungen gerne in den Kommentarfeldern von Wunderbra.

Winterblues

Die Leute können einfach nicht mehr.

Ist dieser Winter ätzend. Nie kam mir ein Winter auch nur ansatzweise so laaaaaaaaang, so troooostlooooooos und so äääääätzend vor wie dieser. Er ist definitiv der Schlimmste, an den ich mich erinnern kann, nicht objektiv wegen ungewöhnlich häufig auftretender Schneestürme, Lawinenunglücke und ähnlicher Katastrophen, nein, rein subjektiv. Plötzlich verstehe ich, warum die Menschen vor allem im Winter sterben, warum sie sich vor allem im Winter das Leben nehmen, und warum sie vor allem gegen Ende des Winters komplett durchdrehen, nämlich an Fasching. Pure Psychohygiene. Sinn und Zweck dieses seltsamen Festes hatten sich mir bis heute nie erschlossen, rein verstandesmäßig schon, Winter austreiben und so, aber so richtig war der Groschen nicht gefallen. Bisher wertete ich dieses Ritual als wilden Ausdruck eines primitiven Mittelalteraberglaubens, jetzt denke ich: Die Leute können einfach nicht mehr!

Der Osterhase steht noch lange nicht vor der Tür.

Die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Ostern ist einfach zu lang, um sie psychisch unbeschadet durchzustehen. Weihnachten ist gefühlte Ewigkeiten her, der Osterhase steht noch längst nicht auf der Matte, draußen ist es nass, kalt und ekelhaft, man möchte endlich wieder ohne hochgezogene Schultern, blaugefrorene Lippen, fünf Lagen Kleidung und Mundwinkel wie unsere Kanzlerin herumlaufen und sehnt sich nach Leben, Lust und Leichtigkeit, nach Jubel, Trubel, Heiterkeit, ja sogar nach der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft.

Man ist fett, unzufrieden und unbeweglich

Man ist fett gefressen von Weihnachten, unzufrieden mit der eigenen Nichtbewegung und entsprechendem Nichtkörpergefühl, man erträgt das Pisswetter nicht mehr, zu Hause fallen einem die Kinder und die Decke auf den Kopf, vom Eise befreit sind Strom und Bäche noch lange nicht, vielmehr hängen einem Schnee, Matsch und Eis zum Hals heraus. Das Auto springt wegen der Kälte nur sporadisch an, das Autoradio mittlerweile ebenfalls, die Bundesstraße 12784563, auf der ich einen Großteil meines Lebens verbringe, um zur Arbeit zu gelangen, ist mit seinen zugeschneiten Kerosinkohlfeldern noch deprimierender als ohnehin schon, mein vorderes rechtes Licht ist kaputt, ich muss zum Baumarkt oder zur Tankstelle und eine neue Glühbirne kaufen, aber das ist wieder etwas anderes.

Helau!!

Die Kinder hauen einem bereits morgens Schneeanzüge und gefütterte Matschhosen um die Ohren, weil sie im dünnen Sommerkleidchen in den Kindergarten wollen, ja glauben die denn, ich hab mir die Scheiße ausgedacht?? Wenn das so weitergeht, sehe ich mich zu Fasching als kreischendes Funkenmariechen Krawatten abschneiden, Bonbons werfen und schunkelnd und zotenreißend über Tische springen. Helau!!

Hinten oder: Bleibt alles anders

Bild: QuiXOs³, Lizenz: cc

Ist 34 wie 17? Wenn nein, was ist dann anders, und wenn ja, wie hoch liegen dann die eigenen Entwicklungschancen? Die Wahrheit liegt mal wieder irgendwo dazwischen. Nein, 34 ist nicht 17. Das Bindegewebe ist nicht mehr dasselbe, das Nervenkostüm auch nicht, und wenn man eine Nacht lang feiern geht, muss man drei Tage lang dafür bezahlen. Man träumt nicht mehr ungetrübt vom Weltfrieden, besetzte Häuser und alternative Wohnprojekte sind nicht mehr die ultimative und einzig vorstellbare Lebensform, Arbeiten und Geldverdienen tun auch weniger weh als man mal dachte, man weiß, dass Tübingen und Thüringen nicht identisch sind, und sagt Sätze wie „Du machst das jetzt, WEIL ICH ES SAGE, VERSTANDEN?!“

Und ja, manche Dinge ändern sich offensichtlich nie. Nazis findet man noch genau so doof wie früher, man weigert sich weiterhin hartnäckig zu glauben, Atomkraft sei die beste Energiegewinnungsmethode, und man hegt nach wie vor die angesichts der Realität absurde Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird. Und warum sonst sitzt man in betrieblichen Versammlungen, Elternabenden und ähnlich spannenden Veranstaltungen noch immer in der letzten Reihe? Genau wie damals, in der Schule. Hinten: befremdet, angeödet, der Sinn will sich einem nicht erschließen. Man lacht noch immer an den falschen Stellen und ist betroffen, wenn von vorne Witze kommen. Man denkt daran, dass man aufs Klo muss, und man wünscht sich mindestens in die Raucherecke.

Zurück zur Ausgangsfrage, nämlich, ob sich manche Dinge niemals ändern und wir am Ende alle nur große Teenager sind. Ob die Rolle, die man einmal hatte, an einem klebt wie Pech und Schwefel, Teer und Federn. Wenn ja, dann werden wir vermutlich auch noch in der Seniorenresidenz, wenn die Pflegeleitung die Marschrichtung für das neue Jahr verliest, hinten sitzen, in der letzten Reihe, wie damals in der Schule, befremdet, angeödet und fassungslos angesichts der Gehirnwäsche, die von vorne kommt. Während wir darauf warten, dass uns der Zivi hoffentlich bald in die Raucherecke schiebt.