Weihnachten in Neukamerun

Um potenziellen innerfamiliären Spannungen zu entgehen, die ja zum Fest der Liebe gerne mal rund um die Nordmanntanne auftreten, packen Hotti, Lotti und ich dieses Jahr am Tag vor Heilig Abend unsere Siebensachen und fahren über die Feiertage zu Santa Fanta und ihren Sprösslingen Mulle, Rulle und Wulle nach Neukamerun. Und siehe da: Friede auf Erden, die Autobahnen 8, 5 und 656 sind frei, die Kinder verschwinden abgesehen von kurzen Unterbrechungen für drei Tage in ihren Zimmern und spielen harmonisch Polizistenraub und Laserlego, während Fanta und ich lesen, den Biomüll vor die Tür tragen, Radler trinken und so lange Tatort glotzen, bis wir Mordopfer, Kommissare und Verdächtige nicht mehr auseinanderhalten können.

Heilig Abend, Neukamerun: Das Krönchen sitzt

Am Morgen des 24. Dezember planen Fanta und ich die Choreografie des Tages: Frühstücken, einkaufen, Baum schmücken, kochen, die Kinder ablenken und zeitgleich die Geschenke ins Wohnzimmer zaubern, essen, musizieren, Geschenke auspacken, und dann machen wir es uns gemütlich! Ein guter Plan, in weiten Teilen geht er sogar auf: Wir schmücken den Baum, dieses Jahr nicht in Naturgrün und mit frischen Äpfeln, sondern in Pink und Glitzer. Wir schälen tonnenweise Kartoffeln für einen Gratin, den Fanta leider mit einem Stinkekäse überzieht, der nicht so wirklich zum Fisch passt, aber egal, in Bethlehem gab’s gar nichts, nicht mal Stinkekäse. Das Christkind beamt unbemerkt die Geschenke unter die Tanne, derweil trudeln Urmel und Elsa ein, Fantas Eltern, die leichtsinnigerweise den Abend mit uns verbringen möchten. Unser Krönchen sitzt, wir haben alles im Griff. Gemeinsam essen wir den halbrohen Stinkegratin, spielen Blockflöte und trällern Weihnachtslieder, und wider Erwarten platzt dabei auch keines der Kinder, weil es sich nicht bis zur Bescherung gedulden kann. Letztere verläuft recht hektisch, aber glimpflich, wir bekommen alle Schlittschuhe und sind glücklich, nur Lotti verliert vorübergehend die Fassung, weil das beim Christkind in Auftrag gegebene und so sehnlich erhoffte Freundebuch fehlt. Danach gibt Urmel noch ein selbstverfasstes Weihnachtsgedicht zum Besten, die Kinder schlafen reihenweise ein, und dann ist auch dieser Heilige Abend Geschichte.

Polizisten auf der Drehscheibe

Der 25. Dezember lässt sich ebenfalls unverhofft gediegen an. Zwar hat die Eislaufbahn geschlossen, auf der wir unsere neuen Kollektivgeschenke ausprobieren wollen, dafür kommt es in den Kinderzimmern zu recht ungewöhnlichen Konstellationen wie Konversationen. So spielen ausgerechnet Teenie-Hotti und Lego-Wulle Verbrecherjagd mit dem neuen „Polizeiauto mit Gefängnis hintendran“. Hotti erläutert die Vorgaben: „Die Polizisten verlieren immer, das ist die Regel. Die werden dann ausgeraubt, und das ist dann Pech.“ Ja, so ist das im Leben. Als nächstes will Hotti den Polizisten rauben, allerdings etwas vorschnell, Rulle weist sie zurecht: „Du musst erst mal die Autotür aufmachen, du Dödel!“ Nach vollzogenem Polizistenraub finden die zwei, der Gute müsse jetzt gefoltert werden, und zwar auf der Drehscheibe: „Wird dir schnell schwindelig?“ „Ja.“ „Super, dann setz‘ dich hier auf die Drehscheibe!“ Der Polizist fängt an zu heulen, doch die Gangster kennen kein Erbarmen: „Wenn du weiter so flennst, kommt auch noch die Bombe zu dir!“ Wulle befiehlt: „Gib mir das MASCHINENGEWEHR, die MASCHINENGEWEHRE kommen hierher, wir brauchen mehr MASCHINENGEWEHRE!!“ Und den Menschen ein Wohlgefallen. Als es schließlich hart auf hart kommt, kreischt der Polizist: „Du kannst mich nicht, ich bin Laser!“

Agenten auf der Terrasse

Fanta und ich machen es uns derweil auf dem Sofa gemütlich, ich lese mein neues Schneckenbuch vom Herrn Nachbarn und Fanta säuselt wohlig: „Man könnte fast vergessen, dass wir Kinder haben.“ Im selben Moment schlagen Mulle, Wulle und Hotti fast die Terrassentür ein: Sie sind als bis an die Zähne bewaffnete Agenten im Garten unterwegs, fordern Plätzchen und wollen Benjamin Blümchen hören, und zwar ein bisschen plötzlich. Gleichzeitig betreiben Rulle und Lotti im oberen Stockwerk ein Gruselzimmer: „Wir setzen uns in den Schrank und leuchten mit der Barbielampe, und wenn jemand kommt, werfen wir den Schwabbeltiger!“ Und wo wir schon beim Gruseln sind, wärmen wir abends lediglich die Reste des Stinkegratins auf, dessen Kartoffeln heute endlich durch sind.

Am 26. Dezember schließlich verlassen uns nacheinander Contenance, Grammatik und Semantik. Fanta und ich bellen abwechselnd Kommandos wie: „Es wird nicht mit Dreckservietten geworfen!“, „Es wird nicht ums Sofa oder den Baum gejagt!!“ oder „Rulle egal, Du bist jetzt allein!!!“ Ein guter Zeitpunkt, um auf die Freilufteislaufbahn auszuweichen, die heute ein Einsehen mit uns hat. Zu den Charts 2012, die aus Lautsprechern durch die idyllische Landschaft Neukameruns dröhnen, ziehen wir mehr oder weniger elegant unsere Kreise, danach geht es zurück in Fantas schicke Doppelhaushälfte, wo wir die Kinder zwingen, Teil 3 des Stinkekäsegratins zu essen, und dann ist es Zeit Abschied zu nehmen. Fanta und ich gratulieren uns zu unseren mütterlichen Meisterleistungen und sind nach diesen drei Tagen um eine entscheidende Erkenntnis reicher: Entspannte Weihnachten sind möglich!

Sozialistisches Planwichteln

Und da steht es auch schon wieder vor der Tür, Weihnachten, das Fest der Liebe und des materiellen Overkills. Da im Hause aktuelle allerdings erstens nie gestritten wird und zweitens klassisch das Christkind die Geschenke einfliegt, ist das für uns alle überhaupt kein Problem. Die Wunschzettel wurden ebenfalls bereits aufgesetzt, auf die Fensterbank gelegt, abgeholt und lauten folgendermaßen:

Hotti, 10 Jahre:

„Liebes Christkind, ich wünsche mir:
1. Mp3-Payer
2. Dork diaries band 2, 3 & 4
3. eines Stift mit dem man Zeichnungen verschmieren kann, er sieht (ungefähr) so aus
4. Mangos
5. ein Backbuch (plätzchen/Kuchen oder Mauffins) (egal was)
6. Zutaten für mich alleine, für Plätzchen z.b. Hefe, Zucker…
7. Isomatte
8. Kulturbeutel z.b. so einer von Intersport
9. enge Jeans
10. Patenschaft für ein Tier
11. Stirnlape
12. Schlafsack (ein guter)
13. ein Miniherd so einer wie Wulle beim Micha hat.“

Einen Mp3-Payer hätte ich auch gerne, vielleicht wäre er das Ende aller monetären Nöte. Neben Hottis Wunschzettel liegen Karotten und Plätzchen. Damit es keinen Streit gibt, klebt zusätzlich ein rosa Post-it auf dem Brief:

„für die Rehntiere sind die Karotten, und für das Christkind die Kekse“

Lotti, 6 Jahre:

„Liebes Christkind ich wünche mir ein Freunde bach und ein TaGebuch und wir kinder Aus dem MöwenweG 2
Kul turBeutel und eine StürnLAmpe und öGent welche Bücher und ein suPer Gutes SchlAFSACK“

Darunter die Zeichnung einer Sternschnuppe mit rosa Stirnband und Hasenzähnen. Keine Karotten, keine Kekse, wenn das mal gutgeht.

 
Ein todsicheres System
 
Unorthodoxere Zeitgenossen, die sich nicht auf kleine dicke Babyengel verlassen, aber auch nicht beim saisonalen Kaufrausch mitmachen wollen, handhaben das Weihnachtsgeschäft grundsätzlich anders. So hat mein Herr Nachbar beispielsweise, ganz Mathematiker, in seiner Familie das sozialistische Planwichteln eingeführt, ein todsicheres System, das jedem Familienmitglied garantiert ein Geschenk beschert, ohne gleichzeitig den Rest der Familie in den finanziellen Ruin zu treiben. Und das geht ungefähr so (wenn ich das richtig verstanden habe):

Jede(r) darf sich ein Geschenk wünschen, das nicht mehr als 50 Euro kostet. Dann wird ausgelost, wer wem was schenkt, aber nicht mit schlichten Zetteln, auf denen dann die Namen der zu Beschenkenden stehen, sondern die/der zu Beschenkende wird von jedem Familienmitglied einzeln per Algorithmus ermittelt. Dazu denkt sich der Herr Nachbar einen Code aus, mit dem er beispielsweise die Straße in Zahlen übersetzt. Die Schenkenden müssen dann die Quersumme bilden, bis nur noch eine Zahl übrig bleibt und diese Nummer müssen sie dann beschenken. Oder so. Zugegebenermaßen schweife ich auf halber Strecke seiner Beschreibung leicht ab, um darüber nachzudenken, was ich davon halte und ob ich wohl mit einem derartigen System überhaupt in der Lage wäre, der richtigen Person das richtige Geschenk zukommen zu lassen, nicht dass am Ende Oma Erni das Touch-Handy und den Kulturbeutel bekommt und Hotti den Nierenwärmer und die Flasche Sherry.

Nichts ist sicher

So ganz easy und todsicher ist das System allerdings dann doch nicht, wie sich beruhigenderweise im Nachhinein herausstellt, so Formeln sind ja auch nicht ohne. Gestern bekomme ich folgende E-Mail vom Herrn Nachbarn, der sich offensichtlich in den eigenen Gleichungen verheddert hat:

„Habe übrigens schon erste Rückmeldungen zum sozialistischen Planwichteln bekommen. Mein Bruder rief ganz entrüstet an, dass er seinen eigenen Listenplatz rausbekommen hat, sprich, sich also selber was schenken muss… Ok, ich habe den Fehler gefunden, NICHT im Algorithmus, sondern ich habe seine Straße falsch geschrieben: Himmelsgeisterstraße statt Himmelgeisterstraße. Dem ist natürlich kein Algorithmus gewachsen… Hätte doch auch Germanistik studieren sollen!“

Da bin ich mir jetzt nicht so sicher. Die Frage jedenfalls, wer in der Familie Nachbar was geschenkt bekommt und ob am Ende nicht doch jeder seine eigene Quersumme ausrechnet, bleibt spannend. Die Wunderbra-Redaktion wird die Weihnachtscommunity selbstverständlich auf dem Laufenden halten. Ich persönlich schenke mir ja dieses Jahr eine 1-Liter-Thermoskanne (endlich 100% dicht!) und ein Buch mit dem vielversprechenden Titel Betreutes Trinken, ich bin schon ganz aufgeregt!!

Hurra, wir heiraten!

"Stell Dir vor: Wir heiraten!!"

Es ist soweit, die Wunderbra-Redaktion heiratet, also nicht direkt Ma Baker und die aktuelle, sondern Ma Baker ihren SysOp, aber da man Freundinnen in derart existenziellen wie destabilisierenden Lebenslagen schlecht sich selbst überlassen kann, bin ich gewissermaßen mit im Boot. Bei eingefleischten Dauersingles allerdings, die man mit beziehungstechnischen Erfolgsgeschichten jagen kann und bei denen Hochzeiten maximale Beklemmungen auslösen, bewegt sich die Begeisterung angesichts derartiger Neuigkeiten im Minusbereich. Als sich jedoch herausstellt, dass außer mir noch einige Andere ihren geballten Beziehungsfrust bei der angehenden Braut abladen, tut sie mir leid, und ich sage, dass, wenn sie schon heiraten muss, sie dann aber dringend neue Stiefelchen, schicke Klamotten und Glitzerlidschatten braucht, und dass ich diejenige sein werde, die sie in diesen schweren Stunden durch Schuhgeschäfte, Boutiquen und den Drogeriemarkt führt. Ma ist glücklich, aber der Glitzerlidschatten geht ihr dann doch zu weit.

Rüschen? Spinnst Du??

Unser erster Gang führt uns in einen Hippie-Outlet-Schuppen mit dem vielversprechenden Namen Diva. Mehr ist bei ehemaligen Punkermädchen mental erst einmal nicht drin. Ich schlage ein braunes oder schwarzes Cordröckchen vor, Ma zeigt mir einen Vogel und sagt: „Ich will Farbe!! Wenn schon, denn schon!“ Ich eile mit Oberteilen in Flieder, Beere und Lila herbei, Ma motzt: „Viel zu tot, ich will so ein Hier-komm-ich-Teil!!“ Okay, denke ich, sie ist die Diva, und suche Kleider in Quietsch mit Walla. „Um Himmels Willen, keine Rüschen! Und so ein Esoterik-Walla-Walla, das geht gar nicht!!!“ Nach zwei schweißtreibenden Stunden erwerben wir einen pinken Fummel für obendrüber, einen lila Fummelschal und Stulpen in Beere. Die Accessoires sind eingetütet, fehlt nur noch ein Oberteil für untendrunter sowie ein schwarzer Rock, den Ma jetzt möchte, vielleicht in Cord, und da die Hippie-Boutique das nicht hergibt, machen wir uns auf zur Damenabteilung der nächsten Galeria Kaufhof am Fuße der Schwäbischen Alb.

Die Zeit arbeitet für mich

Dort angekommen, verschwindet Ma umgehend mit je einem braunen und einem schwarzen Cordröckchen, gesäumt von Wallawallarüschenspitze, in einer Umkleide und trägt mir währenddessen auf, ich solle doch mal nach so einem hübschen Shirt in Flieder schauen. Diese modische Zeitverzögerung mittlerweile einberechnend beginne ich, Ma mit paillettenübersäten Funkeloberteilen und Glitzerstrumpfhosen zu behelligen, die sie zwar erwartungsgemäß brüsk abschmettert, aber ich weiß, die Zeit arbeitet für mich. Wenn schon, denn schon! Nach einer weiteren Stunde wird der Rock gekauft. Vollkommen erschöpft von diesem rasanten Ritt durch die gesamte Evolution der Haute Couture an nur einem Nachmittag schleppen wir uns in eine Fischbude und bestellen riesige Portionen Dorsch, Pommes mit Mayo, Sahnesoßenbandnudeln und Cola.

Abgesehen vom folgenden Koffeinrausch, der die zukünftige Braut weitgehend abschießt, frage ich mich, wie man sich derart vollgestopft jetzt noch in irgendwelche Klamotten zwängen kann, aber Ma steuert entschieden den nächsten Laden an. Wir werden fündig, das Outfit steht. Entgegen meiner zeitlichen Berechnungen kann ich zwar mit dem Glitzer nicht mehr landen, aber schließlich heirate ja auch nicht ich, sondern sie. Tot, aber glücklich machen wir uns auf die Heimreise.

Drei Tage später erreicht mich folgende SMS: „Stehe in der Drogerie!! Wie heißt dein Glitzerlidschatten???“

Top Ten

Hooray, Hotti, meine Erstgeborene und damit Thronfolgerin im Hause aktuelle, ist zuckersüße zehn! Das bedeutet einerseits ungefähr Halbzeit für mich, andererseits eine modische Neuausrichtung für sie. Nach Jahre währenden theoretischen Erörterungen der entscheidenden Frage „Wie geht tussig?“ mit ihrer Schwester Lotti geht Hotti das Ganze jetzt empirisch an. So führt uns der diesjährige Geburtstagsausflug direkt zum Juwelier, wo mit glitzerblauen Steckern Löcher in Hottis Ohrläppchen geschossen werden. Als geborene Dramaqueen und ganz Tochter ihrer Mutter braucht sie dazu auf der Linken die Hand von Papa, auf der Rechten die Hand von Mama und auf den Knien die Hände von Lotti, und alle reden wir beruhigend auf sie ein, als brächte sie ein Kind zur Welt. Als wir den Laden verlassen, schwebt Hotti zwei Meter über dem Boden, sie strahlt, ihre Ohren leuchten rot und glitzern blau, die Welt hat einen neuen Mittelpunkt, und alle Menschen in der Fußgängerzone Lingendingens sind Zeugen dieses Weltwunders.

Eine Woche später gibt es neue Winterschuhe, auch hier gelten neue Standards. Wasserdichte und matschabweisende Schnürboots mit Winterreifenprofil waren gestern, Cowboystiefel müssen her, und zwar genau solche, wie sie die Aprilla aus der neuen Klasse hat, nämlich mit coolen goldenen Schnallen an der Seite und coolen goldenen Baumelkettchen hinten an der Ferse über dem Absatz. Nur coole goldene Sporen fehlen, wie ich finde, aber egal, Hotti ist glücklich, und weil die neuen Tussenstiefel erstens runtergesetzt und zweitens dick gefüttert sind, bin ich es auch. Als wir den Laden verlassen, stellt sich bei Hotti erneut das Ohrlochphänomen ein, nur dass sie jetzt nicht mehr alle fünf Sekunden die Haare schwungvoll nach hinten werfen, sondern alle drei Schritte stehenbleiben muss, um die Goldkettchen über dem Absatz richtig hinzusortieren.

Um den Einstieg in die neue Ära ordnungsgemäß abzurunden, gibt es eine weitere Woche später passend eine Tussenübernachtungsparty mit Pizza und Filmevent. Der Hotti-Lotti-Papa macht Pizza, ich schütte tonnenweise Süßigkeiten in Knabberschälchen, Lotti wird mit zwei Pumuckl-DVDs und einer Tüte Saure Pommes zu einer Freundin ausquartiert, und dann geht’s los. Acht kichernde Mädels schauen High School Musical Teil 1, ich schaue aus Aufsichtspflichtgründen mit, schließlich sind sie doch noch so klein, und außerdem muss ich zugeben, dass der Film nicht so schlimm ist, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Möglicherweise ist allerdings auch mein Filmgeschmack nicht so sensationell wie bisher angenommen. Als ich um 23 Uhr endlich finde, meiner Aufsichtspflicht Genüge getan zu haben, und verkünde, den Party- und Übernachtungskeller nun zu verlassen, ernte ich nicht enden wollende Standing Ovations. Ach ja: Und frühstücken würden die Damen gerne um 9!

Rampensau

Das Leben ist ja bekanntermaßen eines der absurdesten. Da verliebt man sich im Frühling Hals über Kopf in einen windigen Kommissar aus München (wir berichteten), der sich binnen weniger Wochen mehr oder weniger elegant in Luft auflöst (wir berichteten ebenfalls), verbringt einen Sommer, der an Geschwindigkeit und Madness wenig zu wünschen übrig lässt (keine Zeit zum Berichten), und schwupp, ist es Herbst, und man steht mit eben dem Frühlingskommissar auf ein und derselben Bühne und erntet unter verzweifelten Versuchen, den eigenen Adrenalinhaushalt unter Kontrolle zu bringen, gleichmäßig ein- und auszuatmen und möglichst nicht tot umzufallen, Applaus.

Aber der Reihe nach. Nach der Schlappe mit Leitmayer verbrachte die aktuelle ihre Zeit vor allem damit, ihr Krönchen zu richten und mit stolz erhobenem Haupte, perfekt lackierten Fußnägeln und schicken neuen Pantoletten weiterzureiten, was sich zwar nicht immer so ganz einfach gestaltete, jedoch größtenteils gelang. So galt es beispielsweise im Rahmen des Lingendinger Straßenfestes eine erste Begegnung mit besagtem Kommissar zu überstehen, ohne a) einem Tourette-Anfall zu erliegen, b) heulend nach Hause zu laufen oder c) beim Tanzen direkt vor seiner Nase über die eigenen Füße zu stolpern. Mit Erfolg.

Leben, du Sau

Eine willkommene Ablenkung bot da die Anfrage meines werten Herrn Nachbarn, ob ich nicht Lust hätte, ein paar nette kleine Textchen für eine nette kleine Kindermusikveranstaltung zu schreiben, die im Herbst am Lingendinger Staatstheater aufgeführt werden sollte. Warum nicht, sehr gerne, er komponierte, ich schrieb, alles fein.

Und dann ist er da, der große Tag, an dem meine Lieder das Licht der Bühnenwelt erblicken werden, wie schön, ich freue mich, und mit Röckchen, Stiefelchen, Kinderchen und Madame Mistral geht es los ins Theater, und am Schlagzeug sitzt, Überraschung, niemand anders als Katastrophenkommissar Leitmayer. Leben, ich liebe dich. Und weil ja absurder immer geht, ruft mich am Ende der Veranstaltung der Herr Nachbar ohne Vorwarnung zur Band auf die Bühne, um sich bei mir zu bedanken und mich irgendwas zu fragen, und klatschnass geschwitzt habe ich keine Ahnung, was ich rede, weil zwei Meter neben mir mein Frühlingsdesaster steht und vielleicht hundert Menschen oder mehr vor mir sitzen und ich mich vor Mikrofonen und Präsentiertellern fürchte, und ich überlege, wie ich aus dieser Nummer nur wieder herauskomme und denke, dass das doch alles gar nicht wahr sein kann und ich jetzt leider sterben muss – auf der Bühne, welche Ironie, Willy Millowitsch wäre blass vor Neid. Lieber Herr Nachbar, dafür ist mindestens eine Pizza fällig! Wenn nicht zwei.

Inkassomüller

Wieder alles falsch gemacht.

Wieder alles falsch gemacht.

Es hätte so nett sein können. Eigentlich wollten wir, Dr. Sprite, Mr. Matrix und meine Wenigkeit, nur friedlich am jährlichen Betriebsausflug unserer Firma partizipieren. Das Ausflugsziel: Lingendingen, für mich ein Heimspiel mit angenehmen fünf Fahrradminuten Anreisezeit, und wann macht man schon mal eine professionelle Stadtführung in der eigenen Heimatstadt? Die Kollegen: Nett. Die Stocherkahnfahrt: Entspannt. Das Wetter: Strahlender Sonnenschein. Die Frisur: Sitzt.

Ein Tag so schön wie heute

Dass dann letzten Endes doch alles aus dem Ruder läuft, liegt diesmal aber wirklich nicht an uns, sondern an der völlig irren Schichtleiterin des Inkassomüller, einem idyllisch gelegenen Biergarten mit abgrundtief gruseliger Personalpolitik. Es geht so los, dass Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich zu spät zu unserem Mittagessen in eben diesem Biergarten einlaufen, weil wir zuvor noch dringend Sonnencreme für unsere Kinder und Belohnungsbrekkies für unsere Katzen im Drogeriemarkt unseres Vertrauens erwerben mussten, so dass alle Plätze bei den schon sitzenden KollegInnen bereits vergeben sind. Wir, ganz vernünftig, setzen uns an einen anderen Tisch, bestellen Weißwürste mit Brezeln und Salate, die dann auch bald kommen, und stoßen mit unseren semialkoholischen Kaltgetränken auf einen Tag so schön wie heute an. Pascal, unser Kellner, schaut noch kurz vorbei und fragt, ob alles in Ordnung sei, und wir strahlen: Ja, alles wunderbra, vielen Dank!

Kaum haben wir aufgegessen, steht Pascal allerdings erneut mit Weißwurstschüssel auf der Matte und fragt, ob wir noch mehr Weißwürste bestellt hätten, hier stünden noch welche auf der zuvor angekreuzten Betriebsausflugsessensliste. Wir sagen artig, nein, danke, wir hatten schon, aber Pascal und ein weiterer Kellner, der sich mittlerweile mit Knödeln und Pilzrahmsoße neben Pascal aufgebaut hat, insistieren: Doch, das wären unsere Würste und auch unsere Knödel, die hätten wir angekreuzt und die müssten wir jetzt auch essen, und außerdem hätten wir auch gleich sagen müssen, dass wir zur Betriebsausflugsgemeinde gehören. Wir beteuern, dass wir nichts von der Verbindlichkeit der Betriebsausflugsessensliste gewusst hätten, und dass wir auch nicht absichtlich die Zugehörigkeit zu unserer Peergroup verschwiegen hätten, aber das bringt die beiden nur noch mehr in Rage und zu dem Schluss, dass es jetzt Zeit für ein ernstes Wörtchen mit ihrer Schichtleiterin wird. Die zwei dampfen ab und wir denken an Kafka.

Born to fail

Als die Schichtleiterin Kurs auf uns nimmt, geht es buchstäblich um die Wurst. Ihr Schritt ist energisch, ihr Blick eisig, bedrohlich schüttelt sie schon von Weitem ihr Handy gegen uns. Sie wiederholt, was Pascal und der Knödelkellner uns schon haben wissen lassen, nämlich, dass das unsere Würste wären, die wir bezahlen müssten, weil wir die vorher angekreuzt hätten, und dass der Inkassomüller sie uns auch gerne einpacken könnte, weil noch mal aufwärmen geht ja schließlich nicht und bei ihnen würden die Weißwürste nicht eine halbe Stunde im Wasser liegen, dann wären die ja hin, und wenn das jeder machen würde, einfach irgendetwas Verbindliches ankreuzen und dann nicht essen wollen! Mittlerweile stehen auch schon wieder Pascal mit Weißwurstschüssel und der Knödelkellner neben der Schichthexe und versuchen, die Teller irgendwie auf unserem Tisch zu platzieren. Wir denken an Kafka und Weißwürste, die in einer Goldfischtüte schwimmen, beteuern erneut unsere Unschuld und sind inzwischen überzeugt, dass das Inkassomüllerpersonal für jede überflüssige und unbezahlte Weißwurst kollektiv in den hauseigenen Kerker wandert.

Das Ganze geht dann noch eine Weile hin und her, die Schichthexe schiebt uns die Schuld zu, wenn der Inkassomüller pleite macht, die Kellner tragen noch ein bisschen dämlich die Knödel und Würschtl durch die Gegend, bis letztere dann schließlich dem Herrn an unserem Nachbartisch serviert werden, der zuvor versichert hatte, dass er wirklich kein Fleisch esse. Hauptsache frisch. Nachdem wir hinreichend ausgeschimpft worden sind, ziehen Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich von dannen, ohne die überschüssigen Würste und Knödel in einer Goldfischtüte heimtragen zu müssen, dafür mit dem Schwur, mindestens bis ins fünfte Glied unserer Nachkommen nie wieder auch nur einen Fuß in den Inkassomüller zu setzen.

die aktuelle