Wie war die Woche, Liebling?

Es ist zwar erst Donnerstag, innerlich habe ich diese Woche allerdings bereits abgehakt und würde gerne zur nächsten übergehen. Zeit also für einen kleinen Rück- und Ausblick.

Montag: Tschüss Auto
Die Woche beginnt mit einer qualmenden und nach Schwefel stinkenden Autobatterie (vier Monate alt) und das einen Tag, bevor ich mit meinen werten KollegInnen Frau Dr. Sprite und Mr. Sonic zu einem Workshop im Siebenzwergegebirge fahren soll. Leider kann mir keiner der vier Autohelden, die ich zur Rettung von R2D2 (mein Auto, 17 Jahre alt) bemühe, spontan wirklich weiterhelfen. Die Ferndiagnosen reichen von Kurzschluss über Marder bis hin zum Lichtmaschinenregler. Mein Haus- und Hofmechaniker ist leider für die nächsten zehn Tage verhindert, also gibt mir eine Freundin die Nummer ihres Haus- und Hofmechanikers. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um denselben.

Dienstag: Ein Käfig voller Narren
Wir fahren also mit einem anderen Auto zum Workshop ins Siebenzwergegebirge. Offizielles Thema ist „Laubsägearbeiten – früher und heute“, aber darum geht es nicht. Man fragt sich, warum man sich inhaltlich vorbereitet hat und nicht psychisch und kampftechnisch. Der Raum ist voll von Profilneurotikern, die den Mund nicht zubekommen, das Seminar eine Plattform für lauter kleine Egomanen. Ich komme mir vor wie zu Hause: ICH!! Nein, ICH!! IIIIICH!!!!!! Willichnicht!!! Willnichtwillnichtwillnicht!!!!!!! Dagegendagegendagegen!!! Du bist sooo blöööd!! Ich mach nicht mehr mit!!!! 55jährige Männer, die sich aufführen wie Dreijährige, das ist nicht schön.

Mein persönlicher Tiefpunkt ist erreicht, als der Seminarleiter mich beiseite nimmt und fragt, ob diese Augen lügen könnten. Erschrocken drehe ich mich um, möglicherweise steht jemand neben mir, den ich übersehen habe, ich sehe aber niemanden, er muss meine Augen meinen, aber wieso sollten diese lügen können, mir ist der Sinn seiner Worte überhaupt nicht klar, also stammele ich eine Antwort, die irgendwo zwischen „Auf gar keinen Fall!“ und „Gar keine Frage!“ angesiedelt ist, und flüchte mich zu meinen KollegInnen in die Raucherecke (nachträglicher Vorsatz für 2010: Dringend wieder mit Rauchen anfangen!!!). Nach einem Tag unter hochgradig psychisch Auffälligen möchte ich nur noch schlagen.

Mittwoch: Tschüss Computer
Mein Laptop verabschiedet sich. Immer, wenn er sich anhört wie ein Staubsauger, weiß ich, er raucht gleich ab, spätestens in zwei Minuten. Ich hasse diesen Sound. Organisiere Auto, um am nächsten Tag zur Arbeit zu fahren.

Donnerstag: Tschüss Gesundheit
Habe mit Fanta ein hochdiffiziles Autoarrangement ausgetüftelt inklusive Kinderbetreuung und -logistik, um entspannt (HA!) arbeiten zu können. Nach zehn Minuten auf der B 12784563 stelle ich fest: Ich bin krank. Hatte ich komplett ausgeblendet. Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, dröhnende Kopfschmerzen, ich drehe um, fahre heim, lege mich ins Bett und stehe erst wieder auf, als ich Hotti und Lotti von ihren Freundinnen holen muss.

Donnerstagabend: Hallo Außerirdische
Habe fremde Lebensformen in meinem Badezimmer entdeckt. Sie benehmen sich unflätig, grölen lautstark Lieder (klingt nach AC/DC) und haben Klorollen-Rüssel im Gesicht. Es entbrennt ein Machtkampf darum, wer zuerst aufs Klo darf. Sie rüsseln sich gegenseitig weg von der Toilette hin zur Badewanne, schließlich gewinnt das mit dem stärkeren Rüssel. Lese den Extraterrestrianern Schneeweißchen und Rosenrot vor („Ich bin Schneeweißchen!“ „Nein, ICH!“), nicke dabei weg, werde unsanft in die Rippen gestoßen, frage mich, was so schlecht an Rosenrot ist, lese fertig, Stimme verabschiedet sich. Zeit für mich ins Bett zu gehen.

Freitag bis Sonntag: Wünschdirwas
Schlafe durch bis Sonntag. Zwei brave, gekämmte, stille Mädchen bringen mir um 12 Uhr mittags leise eine große Tasse Milchkaffee ans Bett, dazu ein Hörnchen, frisch vom Bäcker, und schleichen auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer zurück, um dort ruhig, gesittet und friedlich bis zum Abendessen zu spielen, das selbstverständlich sie anrichten. Ich lese mein Buch fertig (Working Mum, HA! Liest sich wie mein eigenes Tagebuch.), schaue eine DVD nach der anderen und träume vom Sommer.

Mein Kind ist geiler als dein Kind

Wer kennt das nicht: Stolze Supereltern von kleinen Genies, deren Namen man nicht aussprechen kann, die schon als Baby mit Milchschaum der elterlichen Latte Macchiato vollgestopft und buchstäblich von kleinst auf mit hyperpädagogischen Förderprogrammen überfordert werden (Stichwort pränatale Sinologie-Kurse), Supermamas und Spitzenpapas von Wunderkindern, die sich mit „Themen“ beschäftigen (Das ist gerade Thema beim Robert.), zweisprachig erzogen werden, obwohl beide Elternteile deutsch sind und die einfach so viel geiler sind als all die anderen Deppenkinder dieser Erde. Hier das Lied für alle Eltern, Nichteltern und alle, die es werden bzw. bleiben wollen: Mein Kind ist geiler als dein Kind.

Me, myself and I

Wie machst du das nur?

Kinder werden ja von morgens bis abends gelobt. Teilweise auch für banale Kleinigkeiten und über den grünen Klee, aber egal, Hauptsache, sie erlangen am Ende ein positives Selbstbild samt gesundem Selbstwert, Stichwort Resilienz. Das ist aber ein schönes Bild! Großartig, wie Du Dir immer die Zähne putzt! Du sitzt auf dem Klo und hast Kacka gemacht? Sensationell! Weiter so! Ist man erwachsen, sieht das Ganze schon anders aus. Keiner klopft einem anerkennend auf die Schulter, wenn man zwischendurch mal im Schneegestöber mit eisstarren Fingern und erstmals (!) die Glühbirne des vorderen rechten Autoscheinwerfers erfolgreich (!!) austauscht, und niemand findet auch nur ein Wort des Lobes, wenn man regelmäßig und fließbandartig sechzig (!!!) Finger- und Fußnägel auf Normalmaß zurückkürzt. Es honoriert auch niemand, dass man seinen Weihnachtsbaum rechtzeitig beim CVJM zur Abholung anmeldet oder das eigene Kind beim Turnkurs – ganz zu schweigen von täglichen Glanzleistungen wie Kochenputzenwascheneinkaufen, Arbeiten, Kinderbespielen, kreativer Selbstverwirklichung und Soziallebenaufrechterhalten.

Wer, wann, wo, wenn nicht ich, jetzt und hier?

Aus diesem Grund halte ich es an dieser Stelle für angemessen, wenn nicht überfällig, eine Lobeshymne auf die Person anzustimmen, die es schon lange verdient hat und ohne die unser überaus harmonisches Familienleben samt reibungslosen Abläufen nicht möglich wäre, nämlich mich:

Hochverehrte und überaus geschätzte aktuelle!

Guten Morgen, Liebling!

Ich finde es grandios, wie du dich auch nach der 2196. kinderbedingten Horrornacht jeden Morgen aus dem Bett quälst, um eben diese Kinder mit einem verzerrten Lächeln im Gesicht zu wecken, ihnen Frühstück zu machen, die Zähne zu putzen und den Turnbeutel hinterherzutragen. Es ist triumphal, wie Du es trotz allmorgendlicher Schlammschlachten in Kinderzimmer, Küche und Bad schaffst, meistens pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen und nach einem langen Arbeitstag beim allabendlichen dadaesken Rückwärtsprogramm in Küche, Bad und Kinderzimmer recht häufig die Nerven zu behalten. Ich bin beeindruckt, wie du jeden Morgen zwischen Tür und Angel die Überschrift der Tageszeitung liest, und preise die Demut, mit der du täglich mindestens eine Sorte Müll drei Stockwerke nach unten trägst.

Deine Nudeln mit Pesto sind eine Sensation

Die stoische Disziplin, Ausdauer und Kreativität, mit der du regelmäßig Nahrung beschaffst und zubereitest, suchen ihresgleichen, ebenso wie die Geduld und das Verständnis für das verlässlich einsetzende Kinder-Essen-Genörgel. In diesem Zusammenhang wollte ich dir schon lange sagen, dass deine Nudeln mit Pesto eine Sensation sind. Und ich fand es über die Maßen bewundernswert, wie du neulich die Spielsachen nicht aus dem Fenster geworfen hast, nachdem die Kinder auch der 172. Aufforderung zum Aufräumen nicht nachgekommen sind. Das muss dir erst einmal jemand nachmachen!

Danke auch, dass du in deiner kostbaren Freizeit erneut die Pestizidkeule über Deiner Freundin Fanta geschwungen hast, um auch der letzten Laus den Garaus zu machen. Von dir organisierte Kindergeburtstage sind Erfolgsgeschichten, Deine Weihnachtsplätzchen eine Wucht und dass du seit zwei Jahren die Bastelnachmittage im Kindergarten und Elternstammtische der Schule schwänzt, ist absolut verzeihlich. Den Gipfel der Unglaublichkeit aber erreichst du, wenn du es nach einem Tag, den die Welt nicht braucht, auch noch fertig bringst zwanzig Minuten Hausfrauengymnastik zu absolvieren. Sag: Wie machst du das nur?

Grenzen war gestern (und vielleicht morgen wieder)

War ich doch eben noch mitten in der Winterdepression und habe mir überlegt, mit welchem Kostüm ich an Fasching meine Defizite aufpeppen kann (um mit Doktor ZickZackZähn zu sprechen: ich war vollkommen NICHTinnovativ), so schlägt das Ganze jetzt, wie immer die goldenene Mitte vollkommen verfehlend, ins komplette Gegenteil um.
Eben noch demotivierte Krankenschwester, jetzt bereits wahnsinnig?
In den letzten zwei Tagen habe ich gedanklich ein Kunsttherapiestudium abgeschlossen, Kerbschnitzen zu meinem neuen Hobby gemacht, erkannt, daß meine vorsichtig beginnende Selbstständigkeit an einer Homepage nicht vorbeikommt, selbige entworfen und kreiert, dafür circa drei Volkshochschulkurse zum Thema Webdesign absolviert (was ist schon HTML gegen eine entschlossene Frau?), festgestellt, daß Gälisch für Anfänger eine durchaus spannende Sache ist, herausgefunden, wie man Sauerkraut einkocht, ohne daß es sauer wird und in meinem sowieso umgegrabenen Gehirn einen kompletten Kräutergarten angelegt (mit allem, was dann dazu gehört: Pflege, Ernte, Konservierung, Weiterverarbeitung zu Tee, Ölen und allem anderen), samt (um wieder zur Homepage zurück zu kommen) einem entsprechenden Onlineshop, über das ich dann auch gleich den Bestseller vermarkten kann, den ich im Kopf schon so gut wie geschrieben habe.

Bild: downing amanda Lizenz: CC

Da ich über eine therapeutische Qualifikation verfüge, habe ich mir eine beginnende Manie vorsichtshalber ausgeschlossen. Ich frage mich nur, was jetzt als nächstes kommt. Gründe ich morgen einen Verein zur Rettung der Sumpfdotterblume, gleich eine Sekte, oder mach ich dem Mond einen neuen Mann?
Innovation ist ziemlich anstrengend.

 

Ma Baker

Der Ätna im Buddha

Bild: Joanneteh, Lizenz:CC

Ich erwache vom fröhlichen Gezwitscher der Vöglein, die sich offenbar alle im Baum vor meinem Fenster versammelt haben, um den neuen Tag zu begrüßen. Mutter Sonne schickt ihre ersten Strahlen zur Erde und ich spüre, wie ihre Kraft mich belebt.
Danach ist Aufstehen selbst um 5.00 Uhr morgens eigentlich kein Problem. Für einen Moment zwickt etwas ungut in meiner Magengegend.
Unlust? So ein Quatsch! Ein neuer Tag wird mir geschenkt!
Ich komme mal wieder am Waschbecken an.
Der Weg zwischen Bett und Waschbecken wird allgemein schwer unterschätzt. Es sind die ersten Schritte des Tages und ich gehe sie bedächtig.
Als ich die Zahnpastatube in die Hand nehme, stelle ich fest, daß jemand vergessen hat, den Deckel drauf zu machen.
Der Jemand war zweifelsohne Ich gewesen.
Hach, was hab ich nur immer für ein Problem mit Materie.
Ich drücke die Tube zunächst vorsichtig zusammen. Eineinhalb Zentimeter strahlend weißes Lächeln wird ja wohl zu holen sein.
Nichts geschieht, also intensiviere ich meine Bemühungen.
Ich ernte ein paar steinharte Brocken.
Wieder zwickt es in meinem Bauch. Und ich bemerke, daß dieses Gefühl in eine spürbare Resonnanz mit der verstopften Zahnpasta gehen will.
Ich verbiete dieses sanft lächelnd und drücke nochmal.
Als mir etwa ein halber Meter Zahnifeini um die Ohren fliegt rumort
es für eine unbedachte Sekunde tief in meinem Innern.
Was ist nur los mit mir?
Ich atme tief in mein Harazentrum und das Rumoren schwindet.
Guter Dinge putze ich mein Lächeln.
Dann suche ich nach meiner Hose und stelle fest, daß die Katze das linke Hosenbein versehentlich bepinkelt hat.
Armes Tier, denke ich. War wohl ein bißchen durcheinander.
Ich suche also eine Hosenalternative.
Wieder spüre ich dieses eigenartig rumorende Gefühl in mir.
Und während ich in die Alternativhose schlüpfe wird es stärker und stärker. Es droht, mir meine innere Mitte zu rauben.
Ich bringe meinen Körper also schnell in die Buschposition, um mich wieder zu erden – und falle mitsamt der halbangezogenen Alternative in meinen aufblasbaren Hausaltar.
Schmerz durchzuckt mich für einen Augenblick, gefolgt von dem sehr realen Bild einer laufenden Kettensäge.
Dinge regnen auf mich herab, unter anderem ein kleines Faltblatt, auf dem ein Spruch von Wogi Fitzliputzli steht:
LEBEN IST LEIDEN!
Für diesen Hinweis sehr dankbar rapple ich mich auf und die mich wohlig erfüllende Demut vertreibt den Schmerz.
Ich mache mich beschwingt auf die Suche nach meinem Schlüssel, fange meinen wild flatternden Schal ein, repariere den Reißverschluß meiner Jacke und schnappe mir gerade noch rechtzeitig meine Schuhe, die sich durch den Garten davon machen wollten.
Schließlich bin ich unterwegs zum Bus und atme tief die auf 15 Grad minus temperierte Kosmoskälte ein.
Wieder taucht das Bild der Kettensäge in mir auf, als ich feststelle, daß ich das Kleingeld für den Bus vergessen habe, diesmal mit Geräusch.
„ Was ich heute alles erleben darf,“ sage ich zu mir, als ich mit rasch noch geholtem Kleingeld an der Haltestelle ankomme und die Rücklichter des Busses am Horizont verschwinden.
Die Erde beginnt leicht zu vibrieren, gefolgt von einem Donnergrollen, und ich nutze die halbe Stunde, die ich jetzt hier an dieser Haltestelle verbringen darf, für eine Morgenmeditation.
Ich habe etwas Mühe, mein Inneres zu leeren. Ich sehe Bilder vor meinem inneren Auge. Laufende Motorsägen und rauchende Vulkane.
Als der Bus endlich kommt schubst mich irgendein Typ rüde zur Seite und ergattert den einzigen noch freien Sitzplatz.
Das Rauchen des Vulkans wird stärker, wieder bebt die Erde, als ich mir denke: Er wird einen guten Grund haben, so zu handeln.
Ich will ihn in ein Gebet einschließen, doch als ich den Mund öffne, spucke ich zu meinem größten Entsetzen eine Feuerfontäne.
Hastig schließe ich ihn wieder und bin erleichtert, als der Bus endlich vor der Klinik anhält.
In Windeseile werfe ich mich in mein Schwesternkostüm und erreiche atemlos meine Station. Dort blicke ich zuerst in die verwirrten Gesichter meiner Kollegen, dann in den Dienstplan.
Dort steht neben meinem Namen das Wort Spätdienst.
Fassungslos starre ich auf den Plan, während meine Hände anfangen zu zittern.
Die Erde bebt wieder, Rauchschwaden kommen aus meinen Ohren.
Ich ringe nach Worten und spucke erneut eine Menge Feuer.
In einer noch nie dagewesenen Art und Weise fühle ich, wie ich die Beherrschung verliere. Fäkalsprachige Satzfragmente schießen durch meine Gedanken.
Ich denke noch: Oh, das wird wohl ein epileptischer Anfall werden!

Bild: Chaouki, Lizenz:CC

Dann geschieht es!
Ich gehe einfach in die Luft.
Wie der Ätna – oder ein Spaceshuttle!
Einfach WUMM!
Explodiere ich in einem großen Ball aus Feuer und Rauch.
Und mitten in diesem Inferno wird mir klar:
ICH BIN SAUER!
DAS IST EIN SCHEISSTAG UND ICH BIN RICHTIG SAUER!

 

Ma Baker

Winterblues

Die Leute können einfach nicht mehr.

Ist dieser Winter ätzend. Nie kam mir ein Winter auch nur ansatzweise so laaaaaaaaang, so troooostlooooooos und so äääääätzend vor wie dieser. Er ist definitiv der Schlimmste, an den ich mich erinnern kann, nicht objektiv wegen ungewöhnlich häufig auftretender Schneestürme, Lawinenunglücke und ähnlicher Katastrophen, nein, rein subjektiv. Plötzlich verstehe ich, warum die Menschen vor allem im Winter sterben, warum sie sich vor allem im Winter das Leben nehmen, und warum sie vor allem gegen Ende des Winters komplett durchdrehen, nämlich an Fasching. Pure Psychohygiene. Sinn und Zweck dieses seltsamen Festes hatten sich mir bis heute nie erschlossen, rein verstandesmäßig schon, Winter austreiben und so, aber so richtig war der Groschen nicht gefallen. Bisher wertete ich dieses Ritual als wilden Ausdruck eines primitiven Mittelalteraberglaubens, jetzt denke ich: Die Leute können einfach nicht mehr!

Der Osterhase steht noch lange nicht vor der Tür.

Die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Ostern ist einfach zu lang, um sie psychisch unbeschadet durchzustehen. Weihnachten ist gefühlte Ewigkeiten her, der Osterhase steht noch längst nicht auf der Matte, draußen ist es nass, kalt und ekelhaft, man möchte endlich wieder ohne hochgezogene Schultern, blaugefrorene Lippen, fünf Lagen Kleidung und Mundwinkel wie unsere Kanzlerin herumlaufen und sehnt sich nach Leben, Lust und Leichtigkeit, nach Jubel, Trubel, Heiterkeit, ja sogar nach der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft.

Man ist fett, unzufrieden und unbeweglich

Man ist fett gefressen von Weihnachten, unzufrieden mit der eigenen Nichtbewegung und entsprechendem Nichtkörpergefühl, man erträgt das Pisswetter nicht mehr, zu Hause fallen einem die Kinder und die Decke auf den Kopf, vom Eise befreit sind Strom und Bäche noch lange nicht, vielmehr hängen einem Schnee, Matsch und Eis zum Hals heraus. Das Auto springt wegen der Kälte nur sporadisch an, das Autoradio mittlerweile ebenfalls, die Bundesstraße 12784563, auf der ich einen Großteil meines Lebens verbringe, um zur Arbeit zu gelangen, ist mit seinen zugeschneiten Kerosinkohlfeldern noch deprimierender als ohnehin schon, mein vorderes rechtes Licht ist kaputt, ich muss zum Baumarkt oder zur Tankstelle und eine neue Glühbirne kaufen, aber das ist wieder etwas anderes.

Helau!!

Die Kinder hauen einem bereits morgens Schneeanzüge und gefütterte Matschhosen um die Ohren, weil sie im dünnen Sommerkleidchen in den Kindergarten wollen, ja glauben die denn, ich hab mir die Scheiße ausgedacht?? Wenn das so weitergeht, sehe ich mich zu Fasching als kreischendes Funkenmariechen Krawatten abschneiden, Bonbons werfen und schunkelnd und zotenreißend über Tische springen. Helau!!

Abfahrt!

Hurra, es hat geschneit!

Hurra, es hat geschneit! Mit unserem nagelneuen Dreier-Schlitten vom Christkind, dem uralten Zweier vom letzten Jahrtausend, zwei Popo-Rutschen und den Salvatores stürmen Hotti, Lotti und ich den Mount Österreich, den Hausberg unseres idyllischen Städtchens Lingendingen. Die Salvatores sind: Giannini, meine weise Freundin mit dem Klo-Tipp für Silvester, Lorenzo, ihr charmanter Mann und exquisiter Koch, Luigi, der Erstgeborene und Rennfahrer sondergleichen, Pannini, bester Karussellanschubser- und Bauernhoffreund von Hotti, Esmeralda, ein ausgemachtes Energiebündel, das noch durchs Haus tobt, wenn ihre Mutter nachts um zwei auf dem Bügelbrett einschläft, und Popeye, der gutmütige Eisbärhund. Letzterer sieht tatsächlich aus wie ein Eisbär, auf der Piste ist er quasi unsichtbar, und es grenzt an ein Wunder, dass er den Tag ohne auch nur eine Kufe in den Rippen übersteht.

Kreischende lila Streifen fliegen an mir vorbei

Die Piste ist bockelhart, erdverkrustet, sausteil und geht ab wie Schmidts Katze. Während von Hotti den ganzen Tag nur kreischende lila Streifen an mir vorbeifliegen: „MAAMMMMAAAA, VON GAAAANNZ OOOOOBEEEEEEN!!!!!!!“, tastet Lotti sich Hügelchen für Hügelchen den Mount Österreich empor. Jede Abfahrt ein Hügelchen weiter nach oben. Schließlich fahren auch wir VON GAAAANNZ OOOOOBEEEEEEN, auch wir kreischend bis zum Asphaltweg und Pistenende, und Lotti kommt zum Ergebnis: „Ich hab zwar Angst, aber es macht total Spaß!“ Eine sehr gute Einstellung, wie ich finde, nicht nur zum Rodeln im Speziellen, auch zum Leben im Allgemeinen: „Ich hab zwar Angst, aber es macht total Spaß!“

Wir brauchen Bobs!

Als Luigi vorschlägt ein Rennen zu fahren, äußert Lotti zwar Vorbehalte („Ich renn nicht, ich fahr lieber.“), macht aber trotzdem mit. Luigi nimmt den Bob und wird erster, Lotti und ich mit Schlitten zweite, Lorenzo dritter. Nochmal! Beim Abschlussrennen nehmen Lotti und ich den Bob, das geht ab, und werden erste, Giannini schanzt, ebenfalls mit Bob, drei Meter und taucht erst etwas später wieder auf, Lorenzo ist unauffindbar. Am Ende des Tages steht fest: Man hat Angst, es macht Spaß, und wir brauchen Bobs!

Waterloo

Abfahrt ins Nordhaus!

In einer Leistungs-gesellschaft wie der unseren unterliegen gesellschaftliche Festi-vitäten wie Geburtstage, Weihnachten, Ostern und bald vermutlich auch der Buß- und Bettag streng dem Leistungsdiktat und müssen entsprechend erfolgreich und dynamisch, mindestens aber glücklich und harmonisch begangen werden. Das gilt natürlich erst recht für Silvester. Unter einer knackig-krachenden Fete mit 100 gutgelaunten Leuten, einem exklusiven Urlaub in einem exotischen Feriendomizil oder auch einem gediegen-idyllischem Jahreswechsel auf irgendeiner Waldlichtung mit Lagerfeuer und entferntem Feuerwerk am Horizont läuft gar nichts. Wer das nicht auf die Reihe bekommt, ist ein Versager.

Ich habe versagt

Umso mutiger zuzugeben, wenn ein Fest, nennen wir es aus gegebenem Anlass Silvester, so richtig in die Hose geht. Um einem meiner Lieblingsmottos (Jeden Tag eine mutige Tat) auch 2010 die Treue zu halten, beginne ich dieses blütenreine, taufrische und erfolgversprechende neue Jahr mit dem Bekenntnis, dass der hinter mir liegende Jahreswechsel mit Abstand der katastrophalste und erfolgloseste meines bisherigen Silvester-Lebens war. Ein Desaster.

Das kam so: Ich hatte Hotti und Lotti erfolgreich zu ihrem Vater organisiert, um mal wieder ein Silvester richtig abfeiern zu können. Dabei hatte ich leider übersehen, dass sich sämtliche meiner FreundInnen ebenfalls erfolgreich wegorganisiert hatten: zum Hops-Kurs nach Bayern, mit Freunden nach Italien (2x), zur Schwitzhütte nach Buxtehude, mit Schnucki zu Kollegen und der Rest „ganz gemütlich zu Hause mit der Familie“. Super Sache. Macht nichts, denke ich, Du bist groß, Du bist erwachsen, Du bist mutig und zu allem entschlossen, gehst Du eben alleine tanzen. Zur Silvesterparty ins Nordhaus, einer beliebten Kulturstätte mit Tanz und Kneipe. Dort triffst Du vermutlich eh Hinz und Kunz, Abfahrt!

Ein Obdachloser steht vor mir: Coole Frisur!

WEIT gefehlt. Ich treffe weder Hinz noch Kunz, sondern nur 150 20jährige und 20 150jährige inklusive mir. Das Flair einer Abi-Party. Um die Situation zu entemotionalisieren, bemühe ich mein Heilig-Abend-Mantra: Es ist einfach nur Donnerstag (nicht Silvester), und ich will einfach nur tanzen. Und um zwölf werde ich mich, dem Rat meiner weisen Freundin Giannini folgend, auf dem Klo verbarrikadieren und danach weitertanzen.

Doch es kommt anders. Als ich mich um zwölf auf dem Klo verbarrikadieren will, bittet mich die Security freundlich, aber bestimmt in den Hof, sie schlössen jetzt ab, und zwingt mich, mir Horden von blendend gelaunten, glücklichen, knutschenden, sich in den Armen liegenden 20jährigen beim Silvesterfeiern zuzuschauen.

Es kann nur besser werden - oder?

Als ich denke, schlimmer kann es nicht mehr kommen, steht plötzlich ein 150jähriger Obdachloser vor mir und sagt: Coole Frisur! Schlimmer geht immer, auch 2010. Den Todesstoß versetzen mir schließlich drei Mädels eine Stunde später, indem sie mich in der Warteschlange vor dem Klo anstrahlen: Wir müssen gar nicht, gehen Sie ruhig vor! Frohes neues Jahr. Nach diesem Silvester kann es eigentlich nur besser werden – oder?

Surviving Christmas

Weihnachten: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.
Bild: probek, Lizenz: cc

Weihnachten ist ja nichts für Weicheier, sondern vielmehr ein Experiment mit offenem Ausgang. Und man fragt sich, alle Jahre wieder, was in Gottes Namen die Menschen sich bei diesem Fest eigentlich gedacht haben. Möglicherweise haben sie gar nicht gedacht. Möglicherweise ist Weihnachten aber auch nichts anderes als ein kollektives Prämenstruelles Syndrom (PMS): Alle sind reizbar, dünnhäutig, aggressiv oder depressiv, die einen möchten saufen und schlagen, die anderen saufen und heulen, es wiederholt sich zyklisch, und alle hoffen, dass es möglichst schnell vorbei geht. Es ist eine Zeit des Durchdrehens, kein Spaß.

Weihnachten: Erbauung, Tsunami, Gemeinschaft

Da ich dieses Jahr ohnehin nicht in the mood komme (vgl. Advent I-IV/wunderbra), beschließe ich mich emotional auszuklinken und den anderen beim Durchdrehen zuzuschauen. Mein entsprechendes Mantra für den Heiligen Abend: Es ist Donnerstag, und ich verbringe Zeit (egal wie). Dieses Mantra ist es auch, dass mich den 60minütigen Familiengottesdienst mit Krippenspiel überstehen lässt, bei dem Lotti mit einem 60minütigen Zornanfall glänzt, und von dem ich mir ursprünglich 60 Minuten meditative Erholung und Erbauung für die letzte Runde des Abends versprochen hatte. Normalerweise hätte ich vermutlich stinksauer die Kirche verlassen, und das Christkind sämtliche Weihnachtsgeschenke für Lotti wieder mitgenommen. So lehne ich mich entspannt zurück und denke: Es ist Donnerstag, und ich verbringe Zeit (egal wie). Vom Krippenspiel verstehe ich kein Wort, vom Gottesdienst nur die Worte Tsunami, Katastrophe, Gemeinschaft, und das hatte ich schon drei Tage vorher auf Breitwand.

Mission Thrombosestrumpf

Bild: K and J Dolls, Lizenz:CC

Mitten in das eisige Heulen des Schneesturmes dringt ein anderes Geräusch.
Ein stetig lauter werdendes Piepsen sägt sich rhythmisch einmal quer durch mein Gehirn und löst dessen Alphazustand in Nichts auf.
Es ist 5.00 Uhr morgens.
Für einen langen Augenblick versuche ich, mir vorzumachen, daß das alles nicht wahr ist, während ich mit der Bettdecke kämpfe, die mich hartnäckig immer wieder niederringt, kaum daß ich mich halb aufgerichtet habe.
Ich besiege sie mit einem zornigen „ Fick Dich“ und einem Schlag in die Weichteile.
Vor dem Spiegel starre ich in das unausgeschlafene, schlecht gelaunte Gesicht einer Arbeitnehmerin im Gesundheitsbereich.
„ Du wirst gebraucht,“ versuche ich, meinem Gegenüber gut zuzureden.
Der Effekt ist nicht der, den ich mir erhofft hatte.
„ Ok, du kommst ins Paradies, wenn…!“ Ein bißchen Bestechung kann ja nicht schaden.
Das Gesicht vor mir verfinstert sich, und ich lasse den Rest meines Satzes in einem verlegenen Hüsteln untergehen.
Wir sind spät dran.
Ich versuche es mit Betteln.
Mein Spiegelbild rührt sich nicht vom Fleck.
Unerbittlich starrt es zurück.
„Also schön,“ lasse ich mich schließlich erweichen. „ Wir machen den Agent, ok?“
Die Augen im Spiegel strahlen, bevor sie artig ihrem Geschwisterpaar auf meiner Seite der Realität folgen und sich für einige Sekunden schließen.
Eine Welle aus Entschlossenheit und Pflichtbewußtsein flutet durch meinen Körper und vertreibt dieErschöpfung. Ich recke das Kinn vor und straffe die Schultern.
Als ich wieder in den Spiegel blicke sehe ich in das Gesicht von Special Agent Elliot Panty. Dieses Gesicht ist frei von jedem Rest Schlafbedürfnis, die Frisur makellos, die Augen umrandet von perfektem Make up. Alles sitzt bis ins kleinste Detail. Special Agent Elliot Panty ist ein Profi.
Sie hat schon viele äußerst gefährliche Aufträge erfüllt – und immer überlebt.
Fehler gibt es für sie nicht.
Und auch heute wird sie wieder nahezu Übermenschliches leisten.
Sie wird unter Extrembedingungen das Richtige tun.
Sie wird im Chaos einen kühlen Kopf bewahren.
Sie wird 250 Dinge gleichzeitig erledigen, ohne den Überblick zu verlieren.
Sie wird ihre Pflicht erfüllen, ohne an so banale Dinge wie Essen, Trinken, Pause, Pippimachen zu denken.
Sie wird einer großen Verantwortung gewachsen sein.
Sie wird Leben retten.
„ Wir haben eine Mission,“ sage ich zu meinem Spiegelbild und Special Agent Elliot Panty macht sich beschwingt auf den Weg.
Heute ist der Tag, an dem der Präsident an einer bestialischen Nierenkolik leiden wird und ich bin die mit dem Opiat.

 

Ma Baker