Der König der Scheißtage

Was bisher geschah: Nach einem psychosozial mehr als herausforderndem Sommer gelang es Hotti, Lotti und mir, uns gerade noch rechtzeitig in die Mutter-Kind-Kur nach Kloßburg abzusetzen. Oma Highspeed flog uns mit ihrem Silberpfeil direkt vor die Pforten des Müttergenesungswerkes, wobei wir lediglich einmal geblitzt wurden, und bevor Lotti Highspeeds neues Fluggefährt in den Serpentinen des Schwarzwaldes bis oben hin vollkotzten konnte, gelang es uns in letzter Sekunde, links ranzufliegen und die Tür zu öffnen, eine glückliche Fügung jagte quasi die nächste. Im Erholungsparadies angekommen, taten wir drei Wochen mit wenigen Ausnahmen von morgens bis abends wenig anderes als zu schlafen, zu essen, im Wald herumzuturnen und unsere sechzig Finger- und Fußnägel rauf- und runterzulackieren.

Entsprechend hart gestaltet sich nun der Aufschlag in der Realität. Seit geschlagenen zwei Wochen ringen wir in der irdischen Welt mehr oder weniger erfolgreich mit Weckern, Stundenplänen, Jahresberichten, Supermärkten, GEZ-Gebühren und Sitzungen. So ende ich nach einem Tag in der Öffentlichen Anstalt mit beeindruckenden 18 Tagesordnungspunkten auf einem dreieinhalbstündigen Hotti-Elternabend. Angesichts der uns bevorstehenden 15 TOPs raune ich Hanutas Mutter ins Ohr, dass wir uns unbedingt ein Radler hätten mitnehmen sollen, woraufhin ich einen leicht irritierten Blick ernte.

Lebendig an der Forschung teilnehmen

Zunächst stellt sich kurz und knackig der neue Konrektor vor, nachdem die alte Schulleitung sich zum vorigen Schuljahresende überraschenderweise quasi selbst abgeschossen hat. Anschließend stellt sich eine sehr junge und motivierte Frau vor, die sich dem „Analysieren der Prozesse im Rahmen der Entwicklung / Implementierung zur Gemeinschaftsschule“ verschrieben hat, Begleitforschung heißt das Zauberwort, das sie Eltern- und Lehrerschaft nun in einer ausschweifenden Powerpoint-Präsentation unterbreitet inklusive Phasen, Dauer, Zielsetzung, Maßstäben und Teilprojekten ihres Forschungsvorhabens. Zusätzlich erfahren wir, was die junge Motivierte alles nicht untersucht, nämlich Leistung, Kompetenzentwicklung sowie die SchülerInnen und Lehrkräfte als solche, schließlich gehe es ihr um pädagogische Professionalität, Unterrichtsorganisation und -kultur und natürlich Inklusion. Ihre gebündelten Ergebnisse werde sie als verschriftlichtes Reflexionsinstrument an die Politik weiterleiten, der damit wiederum fundiertes Steuerungswissen für die laufende Schulreform zur Verfügung stehe. Ein Vater meldet sich und bekundet, dass er es schön und besonders finde, so „lebendig an der Forschung teilzunehmen.“ Ich denke an den heutigen Facebook-Post von Horny Tawny „Heute regiert der König der Scheißtage.“, behalte dieses Bonmot jedoch für mich.

Be prepared!

Es folgt ein spontan eingeschobener Tagesordnungspunkt, in dem es um schulpolitische Interna der Vergangenheit geht, die laut referierendem Vater allerdings in schlappen fünf Minuten abgehandelt werden können. In der 14. Minute erinnert mich Hanutas Mutter daran, dass wir beim nächsten Mal keinesfalls das Radler vergessen dürfen, am besten zwei für jede. In der 20. Minute, in der es noch immer um das schulpolitische Inferno geht, beginnt mein Auge zu zucken. In Minute 30 wird auf Seiten der Elternschaft massiv der Wunsch nach mehr Transparenz und Demokratie laut, ich versenke mich innerlich in Felsen, Wasserfälle, esoterische Meditationsmusik und mein Bett. Nach diesem die Gemüter erhitzenden Punkt geht es im wilden Ritt weiter durch Schullandheimausflüge, Projektwochen, Elternvertreterwahlen, Herbstfeste sowie Rückmeldungen der Lehrerschaft über die allgemeine Verfassung von Hottis Klasse, die die Englischlehrerin euphemistisch als „diskussionsfreudig und interessant“ bezeichnet. In diesem Zusammenhang zeigen sich die Lehrkräfte in diesem Schuljahr extrem gut vorbereitet. Haben die lieben Kleinen beim Schwimmunterricht beispielsweise zufällig ihre Badehose vergessen, wird mit einer ebenso zufällig vorhandenen Tasche mit alter Bademode gekontert. Und auch dem Ungemach, das in Form zahlreicher Baustellen rund um das Schulgelände droht, begegnet die Klassenleitung mit gänzlich neuer Gelassenheit: Sie werde künftig mit dem Hubschrauber einfliegen. Nur mit dem Besen anreisen wäre cooler.

Matrix overloaded

Wer bisher dachte, ein Pädagogikstudium habe gegenüber solchen Fächern wie zum Beispiel Psychologie den Vorteil, dass man nicht mindestens zwei Semester im Labyrinth der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Inferenzstatistik umherirren muß, der sei an dieser Stelle eines Besseren belehrt. Das war vielleicht einmal – damals, als man auch noch ausschließlich Dienstags studieren konnte und trotzdem nach 14 Semestern ein Diplom hatte. Die Sozialpädagogin von heute befasst sich ausgiebig mit empirischer Datenanalyse in der Sozialforschung. Nach der ersten Vorlesung ist klar: Da müssen wir ein richtiges Fass aufmachen. In dem modert so allerhand vor sich hin: Verschwommende Erinnerungen an K- und N-Tupel, Xe von irgendwas und kryptische Integrale, die alle möglichen göttlichen Aussagen im Gepäck hatten. Allem voran jedoch kommt das tiefe Wissen darüber wieder hoch, dass man das weder verstehen kann, noch will. Ich kann diese Erkenntnis spüren – in jeder Zelle meines Körpers sitzt ein wildentschlossenes und bis an die Zähne bewaffnetes NEIN! Und ich weiß, dass NEINs von dieser Qualität das Potential haben, meinen ganzen Studienplan in die Luft zu jagen.

Hilfe kommt aus dem Fernsehen                                                                                Nach mehreren verzweifelten Stunden, in denen ich mich marodierend durch mein SPSS analysiert habe, möchte ich Bologna abfackeln, mich so sinnlos betrinken wie schon lange nicht mehr oder für die nächsten 20 Jahre meditierend in irgendeiner gottverlassenen Höhle festwachsen. Da kommt mir, wie schon so oft, mein Agent zu Hilfe .Dieser äußerst kreative und entschlossene Teil meiner Persönlichkeit sagt: Du bist keine Studentin, die irgendeinen weiteren dämlichen Datenfriedhof produzieren soll – Du hast wieder eine Mission! Endlich! Nach einem weiteren Blick auf meine Formel- und Zahlenwüste wird alles klar. Zion wäre verloren ohne mich. Wer, wenn nicht ich sollte die Widerstandskämpfer in die Matrix einschleusen, über sie wachen und dafür sorgen, dass sie einen Ausgang finden, wo sie einen brauchen? Ich bin der Operator und einer der wenigen, die den Code dieser fucking Matrix überhaupt verstehen können.

Kleider machen Leute                                                                                                 Was braucht so ein richtig guter Operator? Einen löchrigen Wollpulli, fingerfreie Wollhandschuhe, eine Wollmütze….Ganz Zion scheint aus Blech und Wolle zu bestehen, denke ich, während ich meinen Kleiderschrank durchwühle und fündig werde. Als krönender Abschluß noch das Headset und es kann losgehen. Eine Tür geht auf in meinem bemützten Kopf und ich bin drin. Meine halb wollbehandschuhten Finger huschen flink und leicht über die Tastatur, ich murmle alles entscheidende Anweisungen in das Headset, während ich einmal mehr Zion, die Welt, mich und mein Studium rette.

 

Hausfrauenreport

Um meine persönliche Verfassung nach den letzten unerquicklichen Vorkommnissen zu stabilisieren, quartiere ich Hotti und Lotti zum Hotti-Lotti-Papa aus und lasse ein weiteres Mal den Klempner in Erscheinung treten, in der Hoffnung, er möge wenigstens meine tropfende Spüle fixen, wenn schon die Traditionsspülmaschine von Dr. Sprite nach Wasserschaden und Ölpest das Zeitliche gesegnet hat. Pünktlich um zehn Uhr klingelt es an der Haustür, Klempnerman betritt die Wohnung, seine erste Frage gilt dem längeren Gerät seines Nachfolgers: „Und? Was hatte der jetzt für eins?“ Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich das auch nicht so genau wisse, aber der Kollege habe dann den Rest erledigt. Um ihn nicht vollends zu deprimieren, schiebe ich hinterher, dass er ja schließlich die ganze Vorarbeit geleistet habe und es sei ja auch prima gewesen, dass da überhaupt jemand gekommen wäre, zwischen den Jahren und so. Er nickt traurig und sagt: „Das ist halt immer das, wenn man nicht mit dem gescheiten Gerät ausgestattet ist!“ Ich nicke verständnisvoll und biete ihm zum Trost einen Kaffee an, den er dankbar annimmt: „Ja, gerne, aber bitte einen ganz Kleinen, ganz Schnellen!“

Mit diesen Worten verschwindet er wieder unter meiner Spüle. In Erinnerung der letzten Flutkatastrophe biete ich ihm sofort einen Eimer zum Unterstellen an, er winkt ab: „Nö, alles einwandfrei!“ Ich lenke mich mit Kaffeekochen ab, unter dem Spülbecken ruft es: „Perfecto grande!“ Zu meiner Erleichterung möchte Klempnerman jetzt doch lieber einen Eimer unterstellen, und dann sind es letzten Endes nur die Dichtungen, die lediglich mal nachgezogen werden müssen, und für diesen Job ist er glücklicherweise auch mit dem richtigen Gerät ausgestattet. Wir sind beide erleichtert.

Zweite Chance für 2013

Bei unserem Kaffeequickie erzählt er mir von seinem Urlaub vor Weihnachten, in dem er mit dem Fahrrad 1500 Kilometer zurückgelegt habe, über den ganzen Teide auf Teneriffa, den höchsten Berg auf spanischem Staatsgebiet, sei er gefahren, und außerdem lerne er gerade Spanisch, weil er da auch durch persönliche Beziehungen einen Draht zu habe, und deswegen interessiere ihn Englisch überhaupt nicht. Dann nimmt er freundlicherweise noch meine derangierte Spülmaschine in seinen Schadensbericht auf und gibt mir damit bei der Hausbesitzergemeinschaft eine Chance auf Kulanzzuschuss. Wir wünschen uns ein gutes neues Jahr und dann verlässt mich Klempnerman, um andere Hausfrauen zu beglücken.

Ansonsten lässt mir die zuständige Sachbearbeiterin für die Faschingsferienbetreuung bei der Stadt Lingendingen das Anmeldeformular für zumindest eines meiner Kinder zukommen, Hotti ist leider zu alt für derlei Bespaßungen, aber immerhin: fünfzig Prozent verräumt, und alleine ohne Schwester streitet es sich auch schlecht den ganzen Tag. Wenn ich jetzt noch mit meiner neu gegründeten Tippgemeinschaft mit Frau Blocksberg den Jackpot knacke, würde ich dem neuen Jahr möglicherweise noch einmal eine Chance geben.

Der Albtraum nach Weihnachten

Nach maximal lässigen Feiertagen in Neukamerun streckt uns die Realität zurück in Lingendingen erbarmungslos zu Boden. Als erstes geben die Wasserrohre in unserem Mehrfamilienhaus den Geist auf, literweise ergießt sich über die einst von Dr. Sprite und Santa Claus geerbte Traditionsspülmaschine Dreckbrühe in Küche und Wohnzimmer. Ich organisiere den zuständigen Klempnernotdienst, der Retter naht bald, ich schicke ihn unter die Spüle. Als nächstes gibt Hotti den Geist auf, sie läuft zwar nicht aus, dafür klappt ihr Kreislauf zusammen, sie bekommt hohes Fieber und klagt über Halsschmerzen und Übelkeit. Ich schicke sie mit dem neuen MP3-Payer aufs Sofa, Lotti schreit, ihr sei langweilig und sie wolle jetzt The Nightmare before Christmas schauen, gedanklich schicke ich sie auf den Mond. Für meinen Geschmack ist der Albtraum nach Weihnachten schon jetzt perfekt, aber Kinder haben ja eine ganz eigene Vorstellung von Wahnsinn.

Ölverklebte Wasservögel verenden in meiner Küche

Jetzt meldet sich der Heilsbringer in der Küche mit seiner Diagnose zu Wort. Er verkündet, dass über all die Jahre Öl, Fett, Essensreste und sonstiger Schlonz die Wasserrohre im Haus verstopft haben, so dass sich das Abwasser der oberen vier Stockwerke ab heute aufgrund des Rückstaus durch meine Spülmaschine Bahn bricht. Mit einer sieben Meter langen Metallspirale bohrt der Gute den Schlonz aus den Leitungen, allerdings ohne einen Eimer unterzustellen, schwallartig schießt die klebrige, teerähnliche Masse aus dem Rohr in meine Küche. Vor meinem inneren Auge erscheinen sterbende Wasservögel, die einer Ölpest zum Opfer gefallen sind. Lotti schreit, sie wolle jetzt den Film sehen.

Das Gerät ist zu kurz

Nach zwei Stunden jammert der Klempner, sein Gerät sei leider zu kurz, er schicke morgen den Kollegen mit dem längeren Gerät vorbei. Er tut mir leid, ich denke, für einen Mann und Handwerker ist es nicht schön, Derartiges einzugestehen. Deprimiert zieht er ab. Lotti schreit, sie wolle verdammt noch mal jetzt den Film sehen, Hottis Fieber überschreitet mittlerweile die 39°-Celsius-Marke, sie sieht inzwischen selbst aus wie die Hauptfigur in Tim Burtons Weihnachtsgruselfilm. Da wir uns jedoch im infrastrukturellen Vakuum zwischen den Jahren befinden, haben sämtliche Lingendinger Kinderarztpraxen geschlossen, und die diensthabende Notärztin ist derart mit kollabierenden Erwachsenen überlastet, dass sie uns unmöglich konsultieren kann. Also lagere ich Lotti zu einer Freundin aus und fahre zwanzig Kilometer über Land zum nächsten Kindernotdienst, wo wir uns während zwei Stunden Wartezeit etwa fünfzig neue Krankheitserreger einkaufen. Wir tauschen mit Streptokokken, Hotti hat Scharlach. Damit sind Lottis Kindergeburtstag übermorgen sowie die geplante Silvesterparty gestorben. Als ich spätabends Lotti von der vermutlich nun ebenfalls infizierten Gastfamilie abhole, schreit sie, sie wolle noch heute Abend den Film sehen. Ich traue mich nicht, sie über die gestrichenen Festivitäten zu informieren.

Endlich: Praxisgebühr entfällt!

Am nächsten Tag habe ich Hals- und Kopfschmerzen und bin schlapp, Lotti ist übel. Der Klempnerkollege mit dem längeren Gerät kommt und veranstaltet eine neuerliche Ölpest in meiner Küche. Als er geht, ist das Wasserrohr wieder frei und die Spülmaschine kaputt. Dafür tropft es nun auch unter der Spüle. Hotti vegetiert weiter mit dem MP3-Payer auf dem Sofa vor sich hin und verteilt Streptokokken, Lotti ist bleich, will aber trotzdem den Film sehen und ich weiß nicht, ob ich töten oder sterben will. Ich entscheide mich für einen Kompromiss und verdonnere den Hotti-Lotti-Papa dazu, gefälligst den Geburtstagskuchen für seine Zweitgeborene zu übernehmen. Abends schauen wir den Film, Lotti findet ihn doof.

Am Tag vor Silvester sitzt ein in Tränen aufgelöstes Geburtstagskind vor einem geschmückten Tisch ohne Kuchen, Vater und Gäste. Lotti wird süße sieben, der HLP hat mit dem Kuchen verschlafen, wir alle sind krank, so einen bescheuerten Geburtstag hat es im Hause aktuelle selten gegeben. Und am letzten Tag dieses glorreichen Jahres hat dann schließlich doch noch die diensthabende Notärztin ihren großen Auftritt bei uns, sie überreicht uns zwei Rezepte für Antibiotika und sagt, dass es ihr herzlich leid tue, aber heute müsse sie uns noch die zehn Euro extra Notarzt-Praxisgebühr berechnen. Ab nächstem Jahr komme sie dann kostenfrei. Da bin ich aber froh.

Hurra, wir heiraten!

"Stell Dir vor: Wir heiraten!!"

Es ist soweit, die Wunderbra-Redaktion heiratet, also nicht direkt Ma Baker und die aktuelle, sondern Ma Baker ihren SysOp, aber da man Freundinnen in derart existenziellen wie destabilisierenden Lebenslagen schlecht sich selbst überlassen kann, bin ich gewissermaßen mit im Boot. Bei eingefleischten Dauersingles allerdings, die man mit beziehungstechnischen Erfolgsgeschichten jagen kann und bei denen Hochzeiten maximale Beklemmungen auslösen, bewegt sich die Begeisterung angesichts derartiger Neuigkeiten im Minusbereich. Als sich jedoch herausstellt, dass außer mir noch einige Andere ihren geballten Beziehungsfrust bei der angehenden Braut abladen, tut sie mir leid, und ich sage, dass, wenn sie schon heiraten muss, sie dann aber dringend neue Stiefelchen, schicke Klamotten und Glitzerlidschatten braucht, und dass ich diejenige sein werde, die sie in diesen schweren Stunden durch Schuhgeschäfte, Boutiquen und den Drogeriemarkt führt. Ma ist glücklich, aber der Glitzerlidschatten geht ihr dann doch zu weit.

Rüschen? Spinnst Du??

Unser erster Gang führt uns in einen Hippie-Outlet-Schuppen mit dem vielversprechenden Namen Diva. Mehr ist bei ehemaligen Punkermädchen mental erst einmal nicht drin. Ich schlage ein braunes oder schwarzes Cordröckchen vor, Ma zeigt mir einen Vogel und sagt: „Ich will Farbe!! Wenn schon, denn schon!“ Ich eile mit Oberteilen in Flieder, Beere und Lila herbei, Ma motzt: „Viel zu tot, ich will so ein Hier-komm-ich-Teil!!“ Okay, denke ich, sie ist die Diva, und suche Kleider in Quietsch mit Walla. „Um Himmels Willen, keine Rüschen! Und so ein Esoterik-Walla-Walla, das geht gar nicht!!!“ Nach zwei schweißtreibenden Stunden erwerben wir einen pinken Fummel für obendrüber, einen lila Fummelschal und Stulpen in Beere. Die Accessoires sind eingetütet, fehlt nur noch ein Oberteil für untendrunter sowie ein schwarzer Rock, den Ma jetzt möchte, vielleicht in Cord, und da die Hippie-Boutique das nicht hergibt, machen wir uns auf zur Damenabteilung der nächsten Galeria Kaufhof am Fuße der Schwäbischen Alb.

Die Zeit arbeitet für mich

Dort angekommen, verschwindet Ma umgehend mit je einem braunen und einem schwarzen Cordröckchen, gesäumt von Wallawallarüschenspitze, in einer Umkleide und trägt mir währenddessen auf, ich solle doch mal nach so einem hübschen Shirt in Flieder schauen. Diese modische Zeitverzögerung mittlerweile einberechnend beginne ich, Ma mit paillettenübersäten Funkeloberteilen und Glitzerstrumpfhosen zu behelligen, die sie zwar erwartungsgemäß brüsk abschmettert, aber ich weiß, die Zeit arbeitet für mich. Wenn schon, denn schon! Nach einer weiteren Stunde wird der Rock gekauft. Vollkommen erschöpft von diesem rasanten Ritt durch die gesamte Evolution der Haute Couture an nur einem Nachmittag schleppen wir uns in eine Fischbude und bestellen riesige Portionen Dorsch, Pommes mit Mayo, Sahnesoßenbandnudeln und Cola.

Abgesehen vom folgenden Koffeinrausch, der die zukünftige Braut weitgehend abschießt, frage ich mich, wie man sich derart vollgestopft jetzt noch in irgendwelche Klamotten zwängen kann, aber Ma steuert entschieden den nächsten Laden an. Wir werden fündig, das Outfit steht. Entgegen meiner zeitlichen Berechnungen kann ich zwar mit dem Glitzer nicht mehr landen, aber schließlich heirate ja auch nicht ich, sondern sie. Tot, aber glücklich machen wir uns auf die Heimreise.

Drei Tage später erreicht mich folgende SMS: „Stehe in der Drogerie!! Wie heißt dein Glitzerlidschatten???“

FREEZE – Nobody move

Die Frage, ob wir mit dem Jahr 2012 auf irgendeine apokalyptische Angelegenheit zusteuern, möchte ich gerne an die Kornfeldgucker outsourcen, denn wer in umgefallenem Getreide binäre Codes entdeckt, dem fällt sicher auch zum jüngsten Gericht direkt vor unserer Haustür irgendwas Lustiges ein. Während des unerschrockenen Mitschwimmens im großen Alltagsstrudel, beim engagierten Festhalten verschiedenster Gäule und Hochhalten diverser Fähnchen begegnet einem allerdings eine Art von Plage, die zwar nicht biblischen Ursprungs ist, aber Heuschrecken, Hagel und schwarzen Geschwüren in nichts nachsteht. Wir sprechen vom MULTI TASKING!!
In meinem Alltag als Vollzeitstudentin, Bibliotheksmitarbeiterin, Teilzeittherapeutin, gedanklicher Volkshochschuldozentin, Lebensgefährtin, Blogautorin, Kräuterhexe und Rockstar in spe jage ich diesen Softskill auf alle erdenklichen Arten, in der Hoffnung, ich hätte ihn irgendwann mal erlegt und dann würde hier Ruhe einkehren! Es muß doch diesen magischen Moment geben, wo mal das Gröbste erledigt ist und sich ein entspannendes doppelflügliges Zeitfenster in Gestalt eines flauschigen Wohlfühlkissen vor einem ausbreitet. Da will ich hin, es scheint ganz nah! Jetzt nur noch schnell die Wäsche in den Schleudergang, die Hausarbeit fertig schreiben, ein bißchen arbeiten gehen, das Klo putzen, ein wichtiges Gespräch mit einer Freundin führen und eine Lebendfalle für die Maus kaufen, die gerade überall in unserem Haus Hantaviren verteilt. Und dann darüber bloggen! Ist doch alles machbar! Und so beeile ich mich, schleudere meine Hausarbeit, blogge die Mausefalle und schreibe seitenweise Wäsche, während das Klo arbeiten geht und die Hantaviren mit der Freundin telefonieren. Auf das flauschige Kissen im doppelflügligen Zeitfenster, welches sich am Ende des Tunnels materialisieren sollte, warte ich vergebens.
Statt dessen zieht ein leerer Kühlschrank herauf, gefolgt von einem Referat zu einem unsäglichen Thema, einer Steuererklärung und Teilen eines fremden Gartenhäuschens, das der Sturm in meinem Blumenbeet platziert hat.
FREEZE, bedrohe ich mich gedanklich. Erst das Kissen, vorher wird hier garnix Neues angefangen! Dann kommt mir die schlaue Idee, dass ich zu meiner Entspannung ja genausogut nichtstuend im Garten rumstehen kann, vielleicht kommt mir ja beim Nichtstun eine schlaue Idee, wie ich das Gartenhauswrack aus meinem Blumenbeet kriegen kann. Oder ein lustiger Gag für einen Blogartikel?

Ma Baker

Heute schon geflügelt?

Neulich waren Leitmayer und ich zum Kochen verabredet. Es sollte geben: Reis, Gemüse, Putengeschnetzeltes, Salat, Nachtisch. Gemeinsam entwarfen wir einen Einkaufszettel und teilten die zu besorgenden Lebensmittel auf, indem wir alles, was ich nicht besorgen sollte, durchstrichen, ankreuzten oder offen ließen, und er den Rest auf einen eigenen Zettel übertrug. Das führte ein paar Tage später dazu, dass ich besagten Einkaufszettel nicht mehr verstand, weil irgendwie alles durchgestrichen, angekreuzt oder offen war, so dass ich mich genötigt sah, noch einmal per Mail nachzufragen und die verabredeten Einkaufsmodalitäten zu klären. Leitmayer antwortete, meine Zuständigkeiten seien: Karotten, Salat, Gurke, Petersilie und Pute. Es ist ja wie immer alles nicht so einfach.

Wiener Wald und Hähnchenschlegel

Einen Tag vorm Kochevent in der Kreissparkassenküche überholen Dr. Sprite und ich auf dem Weg zur Arbeit einen Laster mit der Aufschrift: Heute schon geflügelt?, und ich denke, nein, noch nicht, und dass ich auf keinen Fall die Pute vergessen darf. Im Büro angekommen hängt am Schwarzen Brett eine Tageskarte vom Wiener Wald, und ich denke: Heute schon geflügelt?, und dass ich auf keinen Fall die Pute vergessen darf. In der Mittagspause gibt es beim Türken als Erinnerung Hähnchenschlegel, so dass ich direkt im Anschluss zum Metzger trabe, wo ich drei abgearbeitete Metzgereifachverkäuferinnen aus ihrer wohlverdienten Mittagsruhe reiße, lächelnd, schulternzuckend, wimpernklimpernd. Die Verkäuferinnen sind sehr nett, trotz Mittagspausenunterbrechung, beraten, wiegen, schnetzeln. Zurück im Büro trage ich die frisch gejagte Pute in den Teeküchenkühlschrank, wo ich sie bis morgen einzulagern gedenke, und tippe mir für den nächsten Tag eine Erinnerung ins Handy: 16:30 PUTE! Sicherheitshalber schreibe ich mir auch noch einen analogen Zettel, stelle ihn vor meinen Bildschirm: PUTE! und bitte zusätzlich Dr. Sprite, mich morgen bitte an das Teeküchenkühlschrankgeflügel zu erinnern.

Wir haben es geschafft!

Als ich am nächsten Tag ins Büro komme, wundere ich mich kurz, was mir der aufgestellte Zettel sagen will, und um 16:25 schaffe ich es schließlich ganz ohne Handygebimmel, die Pute aus dem Teeküchenkühlschrank zu holen, mit ihr nach Hause zu fahren und sie sofort in meinem Privatkühlschrank zu verstauen. Noch zwei Stunden bis zum Kochen, und wie gesagt: Ich darf die Pute nicht vergessen. Dann backe ich noch schnell einen Kuchen für die am wiederum nächsten Tag anstehende Party anlässlich meines 26. Geburtstages, nicht ohne jedoch vor lauter Putenpanik nahezu den kompletten Rührteig auf den Ofenboden zu kippen. Doch selbst dieser kleine Zwischenfall hält mich nicht davon ab, an die Pute zu denken, bevor ich zu Leitmayer fahre.

Dort angekommen präsentiere ich sie stolz auf dem Kreissparkassenküchentisch: Wir haben es geschafft! Leitmayer, der nicht ahnt, was das Geflügel und ich die letzten zwei Tage alles miteinander durchgestanden haben, nimmt die Pute und wirft sie kurzerhand in die Pfanne. Was sonst soll man auch damit machen?

die aktuelle

Stresstest Sommerferien

Sommerferien sind, ebenso wie ein Großbahnhof, nichts für schwache Nerven. Nicht allein deswegen, weil diese üblicherweise sechs Wochen dauern, einer als orthodoxen Arbeitnehmerin aber lediglich sechs Wochen Gesamturlaub pro Jahr zur Verfügung stehen, es kinderbetreuungsmäßig jedoch noch weitere sechs Wochen Schulferien (Herbst, Winter, Fasching, Ostern, Pfingsten) zu bestreiten gilt, einer also nach Adam Riese sechs Wochen Urlaub fehlen. Ein gordischer Knoten, der jedes Jahr aufs neue vor elterlichen Türen steht, und den der super Kapitalismus trotz seiner Allmächtigkeit, Herrlichkeit und Heiligkeit bis jetzt nicht gelöst hat. Schade, aber egal, nur ein weiteres weites Feld.

Im August nach Anatolien

Dieses Jahr haben der Hotti-Lotti-Papa und ich uns dafür entschieden, die schönste Zeit des Jahres betreuungsmäßig exakt in zwei Hälften aufzuteilen: Drei Wochen sind die lieben Kleinen bei mir, drei Wochen bei ihm. Nicht weil wir so wahnsinnig innovativ sind und wir uns nicht jedes Jahr mit dem gleichen Betreuungsmodell langweilen wollen, nein, sondern weil der HPL die ersten drei Wochen zum Arbeiten nach Südostanatolien will. Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen und wirken. Prima, denke ich, dann melde ich Hotti und Lotti dieses Jahr doch gleich beide im Adlernest an, dem lokalen und von der evangelischen Kirche gesponserten Waldheim, wo die Kinder von morgens bis abends ohne elterliche Sorge und Ermahnungen basteln, schreien, toben, werkeln, Spaghetti mit Tomatensoße ohne Hände essen und sich die Rippen brechen können. Von morgens bis abends allerdings nur, sofern die Kinder das hohe Alter von sechs Jahren erreicht haben, Fünfjährige dürfen zwar immerhin partizipieren, aber nur in der Halbtagsgruppe, die geht dann bis um 13 Uhr, und die Eltern müssen sie täglich abholen.

3,5 Stunden für die Selbstverwirklichung: VOLL ungerecht

Egal, denke ich, Supersache, beide anmelden, parallel Urlaub haben, da habe ich ja morgens satte 3,5 Stunden, in denen ich mich total erholen, entspannen und selbst verwirklichen sowie voll die Sachen auf die Reihe bekommen kann wie z.B. joggen, schwimmen, gärtnern, Käffchen trinken, die Reste vom Umzug beseitigen, Geldanträge stellen, putzen, waschen, einkaufen und pausenlos Blogartikel ausspucken. Mittags hole ich dann total entspannt mein fünfjähriges Halbtagskind aus dem Adlernest und bespaße es als total entspannte Supermami mit pädagogisch wertvollen Dingen wie Basteln, Vorlesen und Eis essen, bis die Große aus der Ganztagsgruppe abends schlammverschmiert aus dem Bus fällt. HA!

Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag

An meinem letzten Arbeitstag zähle ich die Minuten, bis endlich die gemeinsamen Ferien mit den Kindern anfangen. Strahlend nehme ich sie abends beim HPL in Empfang, wünsche ihm eine gute Reise nach Südostanatolien und breche auf in eine glorreiche Ferienzukunft. Nach zwanzig Minuten allein zu Hause mit Hotti und Lotti möchte ich zurück ins Büro. Hotti: „Mama, die Lotti hat meinen lila Glitzer VOLL alle gemacht, OHNE zu fragen!!!“ Lotti: „Ich HAB‘ halt keinen Glitzer, und die Hotti hat VOLL viel und…“ die aktuelle: „Aber Kinder, ihr könnt den Glitzer doch TEILEN, und morgen hole ich neu…“ Hotti: „Mama, das ist VOLL ungerecht, IMMER hältst Du zu Lotti, und NIE zu mir, das ist SO GEMEIN!!“ die aktuelle: „Schaut mal, ich hab‘ Abendessen gem…“ Hotti und Lotti: „Wir haben keinen Hunger.“ Lotti: „Ich will fernsehen.“ Hotti: „Kann ich wen anrufen?“ Theorie und Praxis, Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag.

Große, fette Spinnen im Haustürschlüsselloch

Die Nachmittage mit Lotti alleine gestalten sich ähnlich unideal, nach jedem Vormittag mit 300 anderen Kindern ist sie zwar kurz vorm social Overkill und reif für einen fünfstündigen Mittagsschlaf (finde ich), braucht aber zu Hause angekommen sofort mindestens drei Verabredungen (findet sie). Vorlesen ist was für Babies (außer Prinzessinnengeschichten), Blümchen pflanzen öde („Na gut, Mama, wenn Dir langweilig ist, kann ich Dir dabei helfen.“), Barbie-Spielen will ich nicht („Ich wär‘ halt die schöne Glitzerbraut, und Du wärst dann halt Ken.“) und Eis essen ist auch keine Nachmittag füllende Veranstaltung. Ansonsten ist es „VOLL ungerecht“, dass Hotti den ganzen Tag im Adlernest bleiben darf, und Lotti nicht, und wann sind endlich die nächsten Sommerferien, wenn sie dann sechs ist?? Ich pflichte ihr bei und verweise sie auf die evangelische Kirche, die für derartige Zustände verantwortlich zeichnet.

Und sogar die Nächte sind dermaßen unentspannt, dass ich anfange, die Tage bis zu HPLs Rückkehr (maximal 15) und die Jahre bis zu Lottis Auszug (ebenfalls maximal 15) zu zählen. Hotti kreischt, weil nachts eine Wespe über ihren Hals kriecht. Bei Licht ist die Wespe eine Mücke, aber egal, das hindert Lotti nicht daran, nachts um zwei hysterisch die sofortige Schließung sämtlicher Wohnungsfenster und -türen einzufordern („Kommen Mücken auch durchs Haustürschlüsselloch?“ – „Natürlich, Liebes, und GANZ GROẞE FETTE SPINNEN AUCH!!!“). Mücken, Wespen, Alpträume, Übelkeit und Fieber, nach drei Scheißnächten in Folge will ich nur noch eins: Pauschalurlaub auf den Kanaren, kinderlos, mit Vollpension.

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Miteinander spielen, singen, essen und trinken

Nein, ich habe weder völlig überraschend die Freuden des unkomplizierten zwischenmenschlichen Beisammenseins entdeckt noch bin ich endlich in der grünen Hölle angekommen. Es ist auch keine Auflistung meiner ständigen Tätigkeiten mit meinen Kindern. Die Überschrift ist vielmehr der Titel der Einladung, die ich heute Morgen aus Lottis Postklorolle im Kindergarten ziehen durfte. Der Inhalt dieser Einladung hat mich derart aufgewühlt, dass ich ihn gerne mit der ganzen Welt teilen möchte:

Miteinander spielen, singen, essen und trinken

In diesem Jahr wollen wir anstatt des österlichen Bastelnachmittages einen Eltern-Kind-Spielenachmittag anbieten. Dazu laden wir sie ganz herzlich ein. An diesem Nachmittag sollen Sie Gelegenheit bekommen, den Kindergarten Ihres Kindes „von innen“ zu erleben. Sie können mit Ihrem und anderen Kindergartenkindern spielen, sich mit anderen Eltern austauschen, oder mit einer Erzieherin ins Gespräch kommen. […] Um ca. 15.30 Uhr treffen sich alle Kinder nach dem Aufräumen zum gemeinsamen Essen. Hierfür sollten Sie und Ihr Kind eine Kleinigkeit zum Essen dabei haben. Anschließend gehen wir mit den Kindern in den Garten. […] Zum Abschluss wollen wir um 16.40 Uhr mit allen Kindern und Eltern gemeinsam noch ein paar Kindergarten-Hits singen.

Auf ein fröhliches Miteinander freuen wir uns sehr.
Ihr KIGA-Team

Im Büro muss ich niemanden in sein Zimmer schicken

Alles in Comic Sans MS, der gutgelaunten Kinder- und Familienschrift. Drei Fragen drängen sich mir angesichts eines derartigen Angebotes spontan auf: 1. Wer will das? 2. Bin ich eine Rabenmutter, wenn ich so etwas nicht will, weil ich genau diese Dinge sowieso dauernd mit meinen Kindern mache, und froh bin, wenn ich mit erwachsenen Menschen in meinem Büro sitzen und mit ihnen zum Essen beim Chinesen/Türken/Griechen gehen darf? Ohne dass ich jemandem die Finger abwischen, Essen aus den Haaren fummeln, vom Boden aufsammeln oder in sein Zimmer schicken muss? Und vor allem: 3. Wer kann sich das zeitlich leisten? Ich ziehe meine entzückende Brut überwiegend alleine groß, arbeite 50% in der fern entlegenen Landeshauptstadt und verbringe wöchentlich ca. acht Stunden auf der B1234567. Alleine dieser relativ gewöhnliche Umstand löst bei mir bereits morgens im Bad Tobsuchtsanfälle aus, auf der Bundesstraße Herzrasen, vor der Stechuhr Schweißausbrüche, weil Hotti zwar mittlerweile – hallelujah – in einer Ganztagsschule mit Spätbetreuung bis immerhin 17 Uhr untergebracht ist, Lottis Kindergarten allerdings noch immer vorsintflutliche Öffnungszeiten vorweist: dreimal die Woche muss man seinen Nachwuchs um 13 Uhr abholen, zweimal um 17 Uhr. Wenn Lotti nächstes Jahr in die Schule kommt, ist dann zwar sie ganztagsbetreut, allerdings wechselt Hotti zeitgleich auf die weiterführende Schule, wo sie dann wieder um 12 Uhr auf der Matte steht. (Darüber denke ich bereits seit zwei Jahren nach.)

Zurück zum Ausgangsproblem: Um meine Jüngstgeborene glücklich zu machen, habe ich die Wahl zwischen exakt zwei Möglichkeiten: a) Ich nehme mir einen Tag frei, um den Kindergarten meines Kindes „von innen“ zu erleben (Pest). b) Ich übe mich in Übergriffigkeit und schicke den Hotti-Lotti-Papa hin (Cholera). Option a) fällt flach, weil ich bei sechs Wochen Urlaub pro Jahr bei gleichzeitg zwölf abzudeckenden Wochen Schulferien pro selbem Jahr ohnehin, jetzt bereits im dritten Jahr, das Unmögliche vollbringen muss. Option b) finde ich etwas unangenehm, weil ich den HLP vorhin schon um sein handwerkliches Know-how anbetteln musste, da ich meine neue Wohnungstür mit Nagellackentferner ruiniert habe. Darüber hinaus hallt bereits im Vorfeld Lottis nichtamüsiertes „NIEkommstduzumeinenbastelnachmittagen!“ in meinem schlechten Gewissen nach.

„Reden Sie doch bitte vor der Tür weiter!“

Mich regen solche Einladungen, gelinde gesagt, auf, weil sie mir neben veritablen Schuldgefühlen einen unglaublichen Stress verursachen. Neulich, zwei Tage vor meinem glorreichen Umzug, habe ich mich in die Schule meiner Erstgeborenen gezwungen, um an einem ähnlich gearteten Angebot zu partizipieren, es hieß, soweit meine Verdrängung mich nicht trügt, Eltern-Kind-Spiele-Lernnachmittag. Da durfte man sich dann in gefühlten 2000 Stationen die Lernmaterialien seiner Kinder von seinen Kindern erklären lassen (wer will das??). Ich schleppte mich hin, um mir nicht hinterher nachsagen zu lassen „AllewarendanurDUwiedernicht!!“, und da saßen dann tatsächlich ganze ElternPAARE. Und ich will gerade nicht darauf hinaus, dass ich momentan nicht besonders gut auf traute Zweisamkeit zu sprechen bin, sondern ich frage mich vielmehr: Wie schaffen es gleich ZWEI Leute aus einer Familienfirma, ihrem Sprössling in der Schule über die Schulter zu schauen? Und vor allen Dingen: Wozu überhaupt? Das Dilemma konnte ich immerhin so lösen, dass ich so lange und laut mit einer ebenfalls kurz vor Umzug und Ohmacht stehenden Mutter über die Strapazen des Alltags klagte, bis uns Hottis Klassenlehrerin bat, doch bitte vor der Tür weiterzureden. Geil, wie früher.

Ich will, wieder mal, ein Double, vielleicht sollte ich mal beim Jobcenter nachfragen. Schließlich kann es doch nicht so schwer sein, eine ähnlich gestresste, genervte, erschöpfte Mutter am Rande des Zusammenbruchs aufzutreiben, die sich mit bloßem Authentischsein ein bis zwei Euro die Stunde dazuverdient. Bei meinem nächsten Kundengespräch mit meiner Sachbearbeiterin werde ich mich mal informieren. Bewerbungen werden auch auf wunderbra.org entgegengenommen.

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re:publica 2011 and beyond

Tag 1
Berlin, Berlin, wir (Dr. Sprite und ich) fahren nach Berlin, und zwar zur großen Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft, die re:publica 2011. Auf dem Weg zum Flughafen bricht allerdings mein Herz endgültig auseinander, weil der Bus plötzlich und unerwartet in den Unwahrscheinlichkeitsdrive gerät und fünfzig Minuten durch die Hölle statt durch den Schönbuch fährt, und ich versteinere. Mein tiefster Dank gilt an dieser Stelle Dr. Sprite, die meine Überreste an Terminal 2 zusammenkratzt, souverän die Führung übernimmt und mich im weiteren Verlauf des Tages mit Tabak und Alkoholika versorgt. Die erste Zigarette nach elf Jahren schießt mir fast die Lichter aus, und wir steigen in den Flieger. Angekommen in der Hauptstadt schlägt meine Versteinerung um in ein ausgewachsenes Tourette-Syndrom, und ich bekämpfe den Drang wild um mich zu schlagen sowie unkontrolliert Kraftausdrücke und wüste Beschimpfungen auszustoßen.

Aber ich bin ja nicht zum Spaß hier, sondern in höherer Mission. Daher hier mein persönliches inhaltliches Highlight in Form eines Franzosen namens Jérémie Zimmermann, der das ebenso reaktionäre wie internationale ACTA-Abkommen, das das bestehende Urheberrecht zementiert statt weiterzuentwickeln, folgendermaßen quittiert: „Wir Geeks und Hacker haben das Internet einmal erfunden, wir können das auch ein zweites Mal!“ Ganz im Sinne von Das Leben ist nicht totzukriegen oder May the coolest minds prevail. Das gibt Hoffnung, in jeder Hinsicht.

Tag 2
Zwischen zwei Sessions laufe ich an einem Spiegel vorbei und kann mein Spiegelbild nicht sehen. Beunruhigt zerre ich Dr. Sprite vor den Spiegel und stelle fest, dass auch sie nicht erscheint: Der Spiegel ist verschachtelt, und ich darf weiter Bier statt Blut trinken.

Tag 3
Habe einen Kreativen-Koller und kann keine Glatzköpfe mit Hornbrille mehr sehen.

Wer (noch) mehr Inhaltliches lesen möchte, darf dies gerne in den folgenden Tagen auf dem medienpädagogischen Portal ihres/seines Vertrauens tun (Verlinkung folgt).

Abschließend noch ein paar nette Element of Crime-Zeilen. Ein Zusammenhang mit jedweden toten oder lebenden Personen oder Begebenheiten ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Frag mich nicht, ob ich Dich noch liebe.
Das Herz endlich gebrochen, und Spaß dabei.
Und alles geht immer irgendwie weiter.
Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei.

Die Postkarte des Monats: Ich kann auch ohne Spaß Alkohol haben.
die aktuelle