Top Ten

Hooray, Hotti, meine Erstgeborene und damit Thronfolgerin im Hause aktuelle, ist zuckersüße zehn! Das bedeutet einerseits ungefähr Halbzeit für mich, andererseits eine modische Neuausrichtung für sie. Nach Jahre währenden theoretischen Erörterungen der entscheidenden Frage „Wie geht tussig?“ mit ihrer Schwester Lotti geht Hotti das Ganze jetzt empirisch an. So führt uns der diesjährige Geburtstagsausflug direkt zum Juwelier, wo mit glitzerblauen Steckern Löcher in Hottis Ohrläppchen geschossen werden. Als geborene Dramaqueen und ganz Tochter ihrer Mutter braucht sie dazu auf der Linken die Hand von Papa, auf der Rechten die Hand von Mama und auf den Knien die Hände von Lotti, und alle reden wir beruhigend auf sie ein, als brächte sie ein Kind zur Welt. Als wir den Laden verlassen, schwebt Hotti zwei Meter über dem Boden, sie strahlt, ihre Ohren leuchten rot und glitzern blau, die Welt hat einen neuen Mittelpunkt, und alle Menschen in der Fußgängerzone Lingendingens sind Zeugen dieses Weltwunders.

Eine Woche später gibt es neue Winterschuhe, auch hier gelten neue Standards. Wasserdichte und matschabweisende Schnürboots mit Winterreifenprofil waren gestern, Cowboystiefel müssen her, und zwar genau solche, wie sie die Aprilla aus der neuen Klasse hat, nämlich mit coolen goldenen Schnallen an der Seite und coolen goldenen Baumelkettchen hinten an der Ferse über dem Absatz. Nur coole goldene Sporen fehlen, wie ich finde, aber egal, Hotti ist glücklich, und weil die neuen Tussenstiefel erstens runtergesetzt und zweitens dick gefüttert sind, bin ich es auch. Als wir den Laden verlassen, stellt sich bei Hotti erneut das Ohrlochphänomen ein, nur dass sie jetzt nicht mehr alle fünf Sekunden die Haare schwungvoll nach hinten werfen, sondern alle drei Schritte stehenbleiben muss, um die Goldkettchen über dem Absatz richtig hinzusortieren.

Um den Einstieg in die neue Ära ordnungsgemäß abzurunden, gibt es eine weitere Woche später passend eine Tussenübernachtungsparty mit Pizza und Filmevent. Der Hotti-Lotti-Papa macht Pizza, ich schütte tonnenweise Süßigkeiten in Knabberschälchen, Lotti wird mit zwei Pumuckl-DVDs und einer Tüte Saure Pommes zu einer Freundin ausquartiert, und dann geht’s los. Acht kichernde Mädels schauen High School Musical Teil 1, ich schaue aus Aufsichtspflichtgründen mit, schließlich sind sie doch noch so klein, und außerdem muss ich zugeben, dass der Film nicht so schlimm ist, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Möglicherweise ist allerdings auch mein Filmgeschmack nicht so sensationell wie bisher angenommen. Als ich um 23 Uhr endlich finde, meiner Aufsichtspflicht Genüge getan zu haben, und verkünde, den Party- und Übernachtungskeller nun zu verlassen, ernte ich nicht enden wollende Standing Ovations. Ach ja: Und frühstücken würden die Damen gerne um 9!

Abgründe der Bildungselite

Alle rennen aus dem Haus, wenn’s brennt. Nur wer bleibt drin? Der dumme Student – der dumme Student! Das dachten wir zumindest mal. Heute müsste diese Zeile heißen: Vielleicht keinen Seminarplatz, nein? Dann führ‘ dich doch einfach auf wie Schwein!

Wie so oft am Angang des Semesters gibt es Probleme bei der Verteilung der Seminarplätze – es sind mirakulöserweise mehr Studenten als Plätze. Wo die nur immer alle herkommen? Zwei tapfere Dozenten bemühen sich also in der ersten Vorlesung redlich um die Verteilung der Plätze. Und rechnen wahrscheinlich immernoch damit, dass in der breiten Masse zukünftiger Akademiker vor ihnen sowas wie gesunder Menschenverstand oder doch zumindest irgendeine Art von Anstand zu finden ist. Und liegen damit weit daneben. Wo sind die Zeiten geblieben, wo sich Studierende aller Semester solidarisch gegen schlechte Studienbedingungen gestellt haben? Heute macht man das folgendermaßen:

Man hört erstens NICHT zu. Statt dessen gackert man mit 120 Dezibel wild durch den Hörsaal.

Zweitens setzt man sich NICHT hin. Man könnte ja durch eine schlechte Sitzplatzwahl beim Run auf den begehrten Platz im Nachteil sein. Statt dessen bleibt man an zentraler Stelle auf den Hörsaalstufen stehen. Die Tatsache, dass der sich sofort bildende Rückstau alle noch Kommenden daran hindert, den Hörsaal überhaupt betreten zu können, ignoriert man.

Falls nötig, täuscht man drittens Kinder, pflegebedürftige Angehörige oder einen 24/7-Job vor, um bevorzugt behandelt zu werden. Ein verkürztes Wochenende daheim, weil man am Montag schon an die Uni muss, ist ja auch fast so hart wie ein Härtefall.

Viertens versucht man, sich in einem unbeobachteten Moment schon mal auf die Liste zu schreiben, bevor es überhaupt losgeht.

Falls es fünftens doch eng wird, drängelt man einfach mit Körpereinsatz. Auch hier wieder von Vorteil: Die Nahkampfausbildung für Akademiker in spe.

Man ignoriert sechstens und stoisch die wiederholten Bitten der Dozenten, einigermaßen auf dem Teppich zu bleiben und legt statt dessen noch einen Gang zu.

Und hat man dann mit dieser Taktik seine zwei Plätze ergattert, bleibt man einfach ein hysterisches Verkehrshindernis und macht es den Leuten, die noch gar keinen Platz haben, weiter hartnäckig schwer, sich auf irgendwas zu verständigen. Und das tut man so lange, bis der Dozent einen gezielt anspricht und des Raumes verweist.

Wer solche Komilitonen hat braucht keine Feinde.

Rampensau

Das Leben ist ja bekanntermaßen eines der absurdesten. Da verliebt man sich im Frühling Hals über Kopf in einen windigen Kommissar aus München (wir berichteten), der sich binnen weniger Wochen mehr oder weniger elegant in Luft auflöst (wir berichteten ebenfalls), verbringt einen Sommer, der an Geschwindigkeit und Madness wenig zu wünschen übrig lässt (keine Zeit zum Berichten), und schwupp, ist es Herbst, und man steht mit eben dem Frühlingskommissar auf ein und derselben Bühne und erntet unter verzweifelten Versuchen, den eigenen Adrenalinhaushalt unter Kontrolle zu bringen, gleichmäßig ein- und auszuatmen und möglichst nicht tot umzufallen, Applaus.

Aber der Reihe nach. Nach der Schlappe mit Leitmayer verbrachte die aktuelle ihre Zeit vor allem damit, ihr Krönchen zu richten und mit stolz erhobenem Haupte, perfekt lackierten Fußnägeln und schicken neuen Pantoletten weiterzureiten, was sich zwar nicht immer so ganz einfach gestaltete, jedoch größtenteils gelang. So galt es beispielsweise im Rahmen des Lingendinger Straßenfestes eine erste Begegnung mit besagtem Kommissar zu überstehen, ohne a) einem Tourette-Anfall zu erliegen, b) heulend nach Hause zu laufen oder c) beim Tanzen direkt vor seiner Nase über die eigenen Füße zu stolpern. Mit Erfolg.

Leben, du Sau

Eine willkommene Ablenkung bot da die Anfrage meines werten Herrn Nachbarn, ob ich nicht Lust hätte, ein paar nette kleine Textchen für eine nette kleine Kindermusikveranstaltung zu schreiben, die im Herbst am Lingendinger Staatstheater aufgeführt werden sollte. Warum nicht, sehr gerne, er komponierte, ich schrieb, alles fein.

Und dann ist er da, der große Tag, an dem meine Lieder das Licht der Bühnenwelt erblicken werden, wie schön, ich freue mich, und mit Röckchen, Stiefelchen, Kinderchen und Madame Mistral geht es los ins Theater, und am Schlagzeug sitzt, Überraschung, niemand anders als Katastrophenkommissar Leitmayer. Leben, ich liebe dich. Und weil ja absurder immer geht, ruft mich am Ende der Veranstaltung der Herr Nachbar ohne Vorwarnung zur Band auf die Bühne, um sich bei mir zu bedanken und mich irgendwas zu fragen, und klatschnass geschwitzt habe ich keine Ahnung, was ich rede, weil zwei Meter neben mir mein Frühlingsdesaster steht und vielleicht hundert Menschen oder mehr vor mir sitzen und ich mich vor Mikrofonen und Präsentiertellern fürchte, und ich überlege, wie ich aus dieser Nummer nur wieder herauskomme und denke, dass das doch alles gar nicht wahr sein kann und ich jetzt leider sterben muss – auf der Bühne, welche Ironie, Willy Millowitsch wäre blass vor Neid. Lieber Herr Nachbar, dafür ist mindestens eine Pizza fällig! Wenn nicht zwei.

Das Comeback des Blumenmörders

Totgesagte leben länger. Bayern auch. Mit Erschrecken stelle ich beim Zeitunglesen fest: Er ist wieder da! Wir dachten, er wäre erledigt, zumindest politisch und vor allem rhetorisch. Was macht er stattdessen? Er schreibt seine Memoiren. Als Exilbayerin teilte ich lange Jahre, vor allem während seiner Amtszeit als bayrischer Ministerpräsident das Schicksal vieler Bayern, die in anderen Bundesländern leben – dieses Schicksal hieß Fremdscham!

Man hoffte immer insgeheim, er würde einfach nicht reden – und wurde meistens enttäuscht. Er zeigte uns die Welt aus ganz neuer Blickrichtung und erschuf sprachliche Dimensionen, von denen wir nie auch nur zu träumen gewagt hätten. Er machte es möglich, in den Hauptbahnhof einzusteigen und rückte München näher an Bayern. Ihm haben wir das stichhaltige Stufenmodell des integrationsunwilligen Bären zu verdanken: Normaler Bär – Schafbär – Problembär! Seine Ausführungen zu Fußball und brasilianischen Spielern sind legendär und die gludernde Lot würde uns auch fehlen, hätte er sie uns nicht geschenkt.

Vom Format her muß man leider sagen, reicht er an den legendärsten seiner Vorgänger nicht ganz heran. Obwohl er sich sichtlich Mühe gab, verbal daneben zu langen, blieben seine Ausfälle doch eher im komischen Bereich und erreichten nie die politische Brisanz eines Franz Josef Strauß. Dieser schaffte es in Zeiten des Kalten Krieges, auf die höfliche Frage von Gorbatschow, ob er denn schon mal in der Sowjetunion gewesen wäre, zu antworten: „Ja, aber das letzte Mal kam ich nur bis Stalingrad!“

Trotzdem ist er wieder da! Der blumenhinrichtende Patriarch, dessen Frau dann macht, was er gerne täte. Wie direkt einem Moers-Comic entsprungen: Äch bän wäder da – und äch habe ein Boooch geschräben!

Wir möchten an der Stelle einfach nur „Bitte nicht“ sagen und halten unser Banner von damals wieder schützend über uns.

Von Frauen und Unimogs

Der Mann unterscheidet sich vom Knaben bekanntlich durch die Kostspieligkeit seines Spielzeugs. Wo kleine Jungs noch mit Matchboxautos brummbrumm machen, gibt es für den erwachsenen Mann bereits Vergnügungsparks in Form riesiger Baugruben, in denen Baufahrzeuge zur freien Nutzung bereitstehen. Eine Stunde Baggerfahren für 50 Euro, die halbe Stunde auf der Planierraupe für die Hälfte. Ermäßigung gibt es für Gruppen, in denen die eine Hälfte ein Loch ausbaggert und die andere sich bereit erklärt, selbiges wieder zuzuschütten.

Auch Lego hat inzwischen die Männerwelt entdeckt und die Produktionssparte LEGO MEN entwickelt. Der zahlungskräftige Mann jenseits der 35 findet eine vielfältige Auswahl an Bausätzen, die sowohl seinen Intellekt als auch seine Testosteronproduktion ankurbeln werden. Von einem funktionstüchtigen R2D2 über verschiedene Fluggeräte bis hin zu einem Unimog mit allen Schikanen. Für die, die es nicht wissen: Unimog steht für UniversalMotorGerät. Das Wort Universal ist wie Musik, es will sagen, dass der Unimog alles kann. Er ist sozusagen der Grundbaustein allen interessanten motorisierten Maschinenlebens. Mann kann durch zwei Meter hohen Schlamm pflügen oder ihm eine Schneefräse an die Schnauze montieren, falls kein Schlamm, sondern der Winter die Mission gefährdet. Er schafft Steigungen bis zu 110 Prozent, und wenn es mit der Straße nix mehr ist, dann nimmt er halt die Schiene oder hebt ganz ab.

Man kann sich die Frage stellen, wieso ein großer Teil der Männer eigentlich Frauen heiratet und keine Unimogs. Unimogs sind in ihrer Omnipotenz weder hysterisch (emotionsflexibel. Anm. d. Red.) noch haben sie ihre Tage (ihre monatliche Resettaste, verbunden mit einigen Tagen Klarsicht. Anm. d. Red.) Die Antworten darauf sind vielfältig und von unterschiedlichem Niveau. Hier ein kleiner Auszug:

– Der Unimog paßt nicht ins Bett!
– Wer bewundert dann, was für ein Kerl ich bin?
– Mit einem Unimog kann man nicht reden!!!
– Ich hab die Brüste am Unimog noch nicht gefunden!
– Wer wischt dann die Kotze von den Kindern auf?

Danke, Jungs! Wir wissen um unsere Vorzüge im sexuellen und sozialen Bereich und bei der Kinderaufzucht. Darüber hinaus möchten wir noch ergänzen, dass es unter Umständen eine weibliche Stimme ist, die sagt:

„Jetzt lass doch die Matschpfütze und fahr einfach außenrum.“
Oder:
„In Zeiten der globalen Erwärmung in Mitteleuropa vielleicht statt der Schneefräse einen Rasensprinkler?“
Oder:
„110 Prozent Steigung is echt faszinierend, aber was will ich auf dem scheiß Berg?“

Was nicht heißen soll, dass Frauen nicht auch die Gelegenheit nutzen würden, mit einem Unimog in einer großer Staubwolke Richtung Horizont zu verschwinden.

Die Welt jenseits des Plans

Die Zeiten, in denen man einfach für mehrere Monate nach Indien, Costa Rica oder in die Uckermark verschwand, wenn einem die Wirren des Erwachsenwerdens zuviel wurden, sind irgendwie vorbei. Wir sind ja schon erwachsen. Auch, wenn die Schamanen uns gnädig bis zum stolzen Alter von 54 Jahren Zeit geben, um wirklich groß zu werden, ist es trotzdem eine Tatsache, dass wir uns zu alt dafür fühlen, im Urlaub tagelang in irgendeinem Bushäuschen zu sitzen oder, um Geld zu sparen, im Puff zu schlafen.

Inzwischen haben wir mehr Geld und weniger Zeit. Das schafft eine völlig neue Problemlage, mit der man erst umgehen muss. Mehr Geld eröffnet mehr Möglichkeiten, gleichzeitig müssen die aber in sehr viel weniger Zeit gefiltert, priorisiert, verfeinert und letztlich umgesetzt werden. Was bedeutet, man hat URLAUBSSTRESS!

Es gibt ambitionierte Versuche, dem vorzubeugen. Wir müssen an der Stelle gestehen, dass wir uns im Augenblick auf einer uns nicht unbekannten griechischen Insel befinden. Weil da war’s schön, also wieso nicht wiederholen? Der Repeat-Urlauber erliegt dem Irrtum, er könne sich, weil ja alles schon bekannt ist, die Entspannung anrühren wie einen Instantkaffee. Funktioniert genau solange, bis irgendeine scheiß Kleinigkeit einen Tick anders ist als das letzte Mal. Das Zimmer ist zum Beispiel nicht das gleiche, zwar alles hübsch, aber es riecht anders und die Lampen verbergen sich in überdimensional großen Blütenblättern aus Glas. Schon stehen wir beide belämmert da und brauchen mehrere Anläufe, um in der eigenartig riechenden Glasblumenlandschaft heimisch zu werden. Was dann aber gut funktioniert, indem wir die Lampen, die so gar nicht zu unserer hartnäckigen Erinnerung passen wollen, einfach aus lassen.

Schon fühlen wir uns wie die Tenkan-Master, da wartet bereits das nächste „NichtsowieletztesMal“ auf uns. Es ist Anfang September, nicht Anfang Mai. Für griechische Inseln bedeutet das, dass es heiß ist und man zwischen 12 und 16 Uhr eigentlich nichts tun kann, außer sich im Kühlschrank zu verstecken oder in der einzigen Kneipe, die nicht über Mittag zu macht, circa 5 Liter kalte Orangenlimonade in sich reinzuschütten. Man gewöhnt sich daran, auch an die überaus belustigten Blicke der Einheimischen, die sich wohl einfach damit arrangiert haben, dass deutsche Touristen nicht alle Latten am Zaun haben. Und man hört nach wenigen Tagen wirklich auf, nach dem Frühstück so gegen 11 Uhr wie ein Irrsinniger mit bepacktem Rucksack und Wanderstiefeln loszuziehen, um schon nach einer Stunde unter den fassungslosen Blicken der Eingeborenen in der Schnapsbar des nächsten Dorfes einfach zusammenzubrechen.

Auch hier ist also wieder Tenkan gefragt. Unser fest eingeprägter Tagesablauf, der für Mai super funktioniert hat, ist Anfang September voll der Bullshit. Nach einer Woche haben wir uns das eingestanden und machen jetzt nach dem Frühstück eine überaus anstrengende Wanderung zur schattigen Terrasse im zweiten Stock unserer Behausung hinauf. Dort packen wir unser Picknick aus und tun einfach so, als hätten wir heute schon voll was gerissen.

Das Erstellen von Plänen für den nächsten Tag ist für unseren Urlaub unerlässlich. Wir verbringen beide viel Zeit damit, angestrengt über dem Reiseführer zu brüten, uns gegenseitig die ohnehin schon sehr mitgenommene Karte aus der Hand zu reißen und unausgegorene Ideen in die Urlaubswelt hinauszuposaunen. Es gibt ihn ja, den Erlebnisdruck. Wir können ja nicht einfach nichts machen. Und vor allem MÜSSEN wir jeden Tag auch etwas machen, was wir noch nie gemacht haben. Das brauchen wir, um ausreichend Distanzierungsmöglichkeit zu den Leuten zu haben, die seit 40 Jahren immer ins gleiche Kaff nach Österreich fahren. Mit denen möchten wir nämlich nichts zu tun haben. Jeden Tag erschüttern also mehrere Innovationswellen unsere zufriedene Passivität.

Wir entdecken eine weitere Problemquelle. Unser Auto. Autos gaukeln einem vor, dass man maximal flexibel ist und praktisch überall hin kann. Als wir das erste Mal ernsthaft einen Plan verfolgen, der uns nach dreistündiger Autofahrt zu einer 17 Kilometer langen Schlucht im Süden Kretas bringen soll, welche wir dann durchwandern würden, um dann wieder drei Stunden zurückzufahren, gestehen wir uns ein, dass auch griechische Inseln größer sind als man so denkt und schießen diesen Plan in den Wind.

Um solchen Eskapaden in Zukunft vorzubeugen ziehen wir eine dicke rote Linie im Umkreis von 40 Kilometern um unsere Homebase und beschließen, dass alles außerhalb des magischen Kreises einfach nicht existiert. Und schon ist die Welt wieder klein und handlebar.
Pläne machen wir weiterhin. Pläne sind überaus wichtig, weil, wer keinen Plan hat, der kann auch keinen in den Wind schießen. Nichts ist schöner, als viel zu spät irgendwo ’nen Kaffee zu trinken und dabei festzustellen, dass man eigentlich schon längst wieder irgendwo sein wollte, um irgendwas zu erleben. Und dann nach kurzem Hochschrecken mit einem einträchtigen „Scheiß drauf“ wieder in Urlaubsatonie zu versinken.

Wir haben versucht, auch dabei Energie zu sparen und nur noch halbherzige Pläne zu machen, bei denen von vorneherein klar ist, dass wir sie nicht ernst meinen. Das funktioniert jedoch nicht. Halbernster Plan produziert auch nur halbgare Entspannung bei Abschuß. Man braucht einen richtigen, toternst gemeinten Wahnsinnsplan. Es ist diese Ernsthaftigkeit, welche dem Moment, in dem man beschließt „Nee, ich bleib‘ einfach hier sitzen und trinke Orangenlimonade“ zu seiner kosmischen Größe verhilft.

Für die Maulfaulen

Menschen reden!
Über alles mögliche und nichts. Über Fußballergebnisse, Kindheitstraumatas, Menstruationsbeschwerden, das, was ihnen heute beim Einkaufen passiert ist, über ihre PartnerInnen oder darüber, dass sie keine(n) haben, über Agavensirup statt Zucker im Kaffee , darüber, dass Sojamilch in selbigem ausflockt und dann aussieht wie Kotze und darüber, dass es total gut ist, mit jemandem über all das zu sprechen.
Es gibt viele verschiedene Arten, zu reden. Mal blubbern die Wörter aus Menschen heraus wie aus einer lecken Wasserleitung, ein stetiges gleichförmiges Sprudeln ohne nennenswerte Höhen und Tiefen. Oder sie blubbern nicht, sondern spucken wie ein Vulkan Worteruptionen, unterbrochen von kurzen Momenten des Atemholens. Manchmal kommen Worte nur mühsam hervor, der Sprechende scheint sie vor die Tür beziehungsweise aus dem Mund prügeln zu müssen wie einen ungebeten Gast. Und selbst wenn sie schon draußen sind bleiben sie noch an einem kleben wie Kaugummi und ziehen schwerfällige Fäden.
Manchmal haben Wörter ein Echo, das wie etwas Fremdes zu uns zurück kommt. Man hört sich selber zu und fragt sich: Gott, was rede ich da eigentlich??? Und redet weiter.

auch ein Geblubber

Es gibt Menschen, deren Mitteilungsbedürfnis gleicht einem Tsunami. Sie fangen irgendwo an und hören nirgendwo auf. Nachdem man sich durch verschiedene Stufen der Höflichkeit gekämpft hat kapiert man vielleicht, dass es nicht um den Inhalt geht, sondern um den Akt des Sprechens ansich. Und kann dann nochmal neu entscheiden, ob man weiter tapfer lächelt, oder durch’s Klofenster abhaut.
Es ist beinahe unmöglich, sich der verbreiteten Kulturpraxis des Redens zu entziehen. Reden bedeutet Kontakt, Interesse, viele Freunde, Zuspruch, Lebensfreude und Eis am Stiel. Eine Beziehung ist glücklich, wenn man sich was zu sagen hat, wenn nicht, ist das Grund zur Besorgnis. Wer redet, ist mittendrin, hat Anteil, ist dynamisch und agil, witzig und normal. Wer gerne die Schnauze hält ist nichts dergleichen, sondern sonderbar, eine Art Vakuum im Wortuniversum und keiner weiß, was darin lauern könnte. Menschen mögen keine Vakuümmer.
Damit muß Schluß sein. Ich erkläre hiermit, dass ich dynamisch, lebensfreudig, wahnsinnig witzig, äußerst normal, interessiert sowie ein Eis am Stiel bin und trotzdem manchmal einfach total gerne und zufrieden meine Klappe halte.
Gleichgesinnte können sich mit mir gerne auf einem Schweigekaffee im Café Maulfaul verabreden.

Ma Baker