Wunderkrebs oder: Krebs ist ein Arschloch

Drecksack auf ein Uhr

Drecksack auf ein Uhr

Da räumst Du jahrelang Dein Leben auf, befreist Dich aus widrigen Umständen, toxischen Beziehungen, von verschiedenen toten Pferden und nicht zuletzt vom Todesstern, ziehst entzückende Energiebällchen auf, bis sie endlich so groß sind, dass das Zusammenleben mit ihnen tatsächlich richtig Spaß macht, angelst Dir den Chéri Deiner Träume sowie den coolsten Job der Welt und hast es endlich so richtig, richtig schön – und dann – zack! – hast Du einen fetten fiesen Knoten in der linken Brust auf ein Uhr. Das Leben ist mal wieder eine Bitch.

„Schreiben Sie!“

Gespürt habe ich das Ding erstmals vor den Sommerferien bei Dehnübungen (Yoga kann Leben retten), am Ende der Ferien ist klar: Ich habe Brustkrebs, ein sogenanntes „Mammakarzinom“, welch Ironie. So werde ich vorstellig bei Professor Huhn am Lingendinger Brustzentrum, der mir nicht nur die Basics meines neuen Lebens in Absurdistan vermittelt, sondern mir auch tief in die Augen schaut und rät: „Schreiben Sie! Sie sehen so aus, als könnte Ihnen das helfen.“ Wie recht er hat! So habe ich auf Anraten meines Arztes beschlossen, Wunderbra wieder einmal zu reanimieren, unter der Rubrik „Wunderkrebs“ über dieses neue Universum zu berichten und meine werten Mitmenschen auf diese Weise zum einen auf dem Laufenden zu halten und zum anderen nach Möglichkeit zu unterhalten.

Wer noch nie Krebs hatte, weiß ja gar nicht, in welcher Maschinerie man sich plötzlich wiederfindet. Eben noch ein entspanntes Leben – und schwupps, hängst Du im MRT, CT, in der Nuklearmedizin und schließlich an der Chemo-Infusion. Da ich das alles vorher ebenso wenig kannte wie die meisten von Euch, werde ich hier einen aufklärerischen Ansatz verfolgen und Euch nach und nach mitnehmen in die Welt der onkologischen Abenteuer.

Ich und mein Port

Ich beginne mit meinem aktuellen Achterbahn-Mindsetting. Als ich erfahre, dass der Tumor groß, bösartig und schnellwachsend ist und dass ich daher erst eine monatelange Chemotherapie, dann eine OP und dann eine Bestrahlung bekommen werde, verbringe ich zunächst einige Tage in ungläubiger Schockstarre. Das kann nicht sein, das ist einfach zu absurd, DAS KANN EINFACH NICHT SEIN. Recht schnell bricht sich allerdings unbändiger Zorn Bahn – was, bitte, soll die Sch…? What the fuck??? Ich empfinde es – nach wie vor – als bodenlose Unverschämtheit, mir dermaßen an den echt gut rollenden Karren zu fahren. Ich fluche wie ein Fuhrknecht und stelle mir den Scheißknoten als Sandsack vor, auf den ich eindresche, als gebe es kein Morgen. Diese blöde Drecksau. Ich würge ihn, ich beschimpfe ihn und mehrmals täglich drehe ich ihm den Hals herum.

Was mir bei dieser Imaginationsarbeit helfend zur Seite steht, ist mein nagelneues Premium-Portsystem: ein Venenkatheter, der mir implantiert wurde und stark an einen Enterprise-Kommunikator erinnert („Computer!“). In dieses Ding unter meinem rechten Schlüsselbein wird jetzt, um meine „wunderschönen Venen“ (O-Ton Chirurgin) zu schonen, bei jeder Chemo-Runde die Infusion angeschlossen. Das bedeutet, dass der Good Guy rechts (Port) als mein buchstäblich leibeigener Cop jetzt regelmäßig den Bad Guy links auf ein Uhr (Tumor) mit fiesen Zytostatika beschießen wird, immer auf die zwölf. Gemeinsam werden der Port-Cop und ich dem miesen Drecksack den Garaus machen, aber sowas von. Der Tumor ist vielleicht aggressiv, der Port und ich sind aggressiver – nimm das, Schurke!

Am Abend vor der ersten Chemo geht es wieder abwärts in der Achterbahn und ich liege weinend in Chéris Armen und jammere, dass sich das anfühle, als gehe man zur eigenen Hinrichtung. Chéri tröstet: „Na ja, es sind ja viele kleine Hinrichtungen.“ Das stimmt auch wieder. Und als Horny Tawny mich später noch scharfsinnigerweise darauf hinweist, dass ja schließlich nicht ich, sondern der Dreckskrebs hingerichtet werde, bin ich ausgesöhnt und kann es schier nicht mehr erwarten.

To be continued!

Wenn Du nicht weißt, wovon Du redest …

DSC_0333Wohnung Balkönle.jpgWir kennen wahrscheinlich alle irgendwoher einen dieser eigenartigen Menschen, denen dauernd irgendetwas fehlt. Sie haben eine breite Palette an Beschwerden zu bieten: Da wären zunächst verschiedene Sorten von Schmerzen, die überall und auch manchmal nirgendwo sind. Dann sind diese Leute wegen jeder Kleinigkeit gleich am Rand ihrer Kapazität und sowohl körperlich als auch mental schnell von der Rolle, sobald es mal ein bisschen schwierig oder turbulent wird. Alles ist ihnen zu laut, zu schnell, zu gluten, zu welt und zu nah. Sie sagen dann Ach, das wird mir jetzt zuviel und müssen sich für die nächsten Stunden in ihre Höhle zurückziehen. Echt praktisch! Sie können nicht schlafen, sich schlecht konzentrieren und müssen ständig pinkeln, wenn ihnen nicht auch noch gerade übel ist. Zum Essen will man sie nicht wirklich einladen, weil man ja weiß, dass sie eigentlich nix vertragen, was irgendwie Spaß macht. Kein Alkohol, keine Milchprodukte, kein Weizen, keine Tomaten, kein Dies und kein Das und am Ende bleiben nur Dinkel und Alfalfa-Sprossen übrig. Und wer will schon ein Tiramisu mit Dinkelsahne, das dann doch schmeckt wie eine Scheibe Brot? Zu den Alfalfa-Sprossen fällt mir schon garnix ein – außer ein Alfalfa-Smoothie, der sich sowohl optisch als auch geschmacklich benimmt wie ein geschleuderter Frosch.

Das Diagnose-Potpourri bietet viele tolle Wörter: vegetative Dystonie, CFS, funktionelle Whatever-Beschwerden (funktionell soll einfach nur heißen, wir finden halt nix), Burn-Out, Fibromyalgie, alle möglichen Syndrome irgendwelcher Körperteile und als von Ärzten heißgeliebte Gallionsfigur schwebt über allem die DEPRESSION. Irgendwie ist alles, was nicht funktioniert, letztlich Depression. Und falls das wesentliche Symptom einer Depression, nämlich die niedergedrückte Stimmungslage zufällig nicht vorhanden ist, dann ist es eben eine atypische oder maskierte Depression.

Aber nicht nur die Schulmedizin hat viele schöne Etiketten parat. Sind wir doch mal ganz ehrlich: Wir wissen doch auch eine ganze Menge über solche Leute. Man beobachtet sie und scannt nach Ursachen für dieses ganze Gedöns. Und wird fündig. Es gibt tatsächlich Dinge, denen XY aus dem Weg geht – WOW! Und da ist auch etwas in XYs Leben, dem er sich eventuell noch nicht gestellt hat. Das sollte XY schnell mal tun – noch WOWER! Falls XY sich seinen seelischen Altlasten nicht effektiv genug stellt, dann scheint er sich ja wohl für seine Beschwerden entschieden zu haben – am WOWESTEN! Schließlich wissen wir ja alle, wie das so ist mit dem sekundären Krankheitsgewinn. Irgendwann macht es sich XY am Ende in seinen Beschwerden bequem wie in einem warmen Nest? Das muss verhindert werden!! Natürlich soll der arme XY erstmal schnell akzeptieren, dass gerade etwas nicht stimmt und er nicht richtig funktioniert. Das ist ja nicht so schwer. Also hurtig akzeptieren und dann aber husch husch wieder fleißig anstrengen, um trotz der vielen Einschränkungen doch beruflich durchzustarten oder irgendetwas anderes Großes zu reißen. Und dann gibt’s auch viel Anerkennung für den guten XY, weil er sich nicht entmutigen hat lassen und sich trotz Handicap durchgebissen hat.

Die anderen XYs, die gerade nicht durchstarten, weil sie ein paar Schwierigkeiten in der Akzeptanz-Phase haben, müssen es leider weiter ertragen, dass andere besser als sie wissen, wo ihr Hase im Pfeffer liegt.

Vielleicht halten mal alle, die nicht wissen wollen, wovon sie eigentlich reden, einfach den Mund?

 

 

 

 

Auf die Pferde!

Wichtige Information vorab

Da Wolverine aka Batman sich im Laufe der vergangenen 23 Monate zum Herzallerliebsten der aktuellen gefledermausert hat, wird er im vorliegenden Veröffentlichungsmedium hinfort nicht mehr als Wolverine auftreten, sondern nunmehr und für alle Zeiten als: Chéri (le vrai). Nur dass hier keine Missverständnisse aufkommen.

Aussichtsreiche Radtouren, herrliche Naturlandschaften

In den letzten drei Tagen machen es sich David Hasselhoff und Pamela Anderson an der Slipanlage gemütlich.

In den letzten drei Tagen machen es sich David Hasselhoff und Pamela Anderson an der Slipanlage gemütlich.

Für die Pfingstferien habe ich mir für unsere entzückende kleine Patchworkfamilie etwas ganz Besonderes ausgedacht: pädagogisch und sportlich wertvolle Radtour zum Podensee, schnuckeliger Bauernhof mit zauberhaften Tierchen (Ponyreiten), aussichtsreiche Touren in herrlichen Naturlandschaften. Mir schwebt ein Urlaub vor, an den vier alle noch im hohen Alter denken werden. Werden wir womöglich auch. Chéri, der bei uns für die Realität zuständig ist und als professioneller Familienhelfer mit der Lizenz zur Freizeitgestaltung glücklicherweise über einige Erfahrung in sozialer Gruppenarbeit verfügt, stutzt das von mir erstellte Programm auf Kindermaße zurecht, setzt ein Zugticket für die erste und schlimmste Etappe durch und verhindert so im Vorfeld womöglich den einen oder anderen Kreislaufzusammenbruch.

Radeln und maulen

Am Bahnhof wirft Lotti erst mal ihr Fahrradschloss auf die Gleise unter den Zug, und weil wir auf Reisegold verzichtet haben, muss sie sich aufgrund der Neigetechnik übergeben. Nach vier Minuten Radeln hat Lotti einen Stein im Schuh. Beide Damen klagen über Mückenstiche und darüber, dass das Kühlgel zu Hause vergessen wurde. Ich empfehle Spucke für die Stiche und verweise darauf, dass es „bei uns“ schließlich auch kein Kühlgel gegeben habe. Lotti kontert, dass sie und ihre Schwester „ja auch nicht aus dem 19. Jahrhundert“ kämen. Nach zwanzig Minuten haben sie keine Lust mehr auf Radfahren und fangen an zu maulen.

So geht es weiter, tagelang. Wir radeln und sie maulen. Auf unserem Bauernhof in Daisydorf, der auf einem steilen Berg außerhalb der Zivilisation liegt, gibt es keine zauberhaften Tierchen, Ponyreiten auch nicht. Außerdem wollen die Grazien lieber eine Villa am See, von wo aus sie direkt zum Shoppen oder Schwimmen können. Als zutiefst überraschend und ungerecht wird zudem empfunden, dass man selbst im Urlaub seinen Teller abräumen muss. Halte ich anfangs gut gelaunt die Schaut-doch-mal-wie-schön-das-hier-alles-ist-Fahne hoch, werfe ich den Damen schließlich bar jeder Contenance vor, dass ich mir das alles aber echt anders vorgestellt hätte und dass ich dachte, sie würden sich freuen – über so einen tollen Radurlaub. Und so. Das Gewitter hilft kurzfristig und sie heucheln sportlichen Ehrgeiz sowie aufrichtiges Interesse an den herrlichen Naturlandschaften.

Freilaufende Riesengehirne

Horrorhasen im Haustierzoo: Streicheln, lachen, staunen.

Horrorhasen im Haustierzoo: Streicheln, lachen, staunen.

Aber es ist nicht alles schlecht. So radeln wir in Ermangelung putziger Tierchen auf dem eigenen Bauernhof in den nächsten Streichelzoo („Streicheln, lachen, staunen“), essen Schnitzel und Lotti entdeckt freilaufende Riesengehirne. Wir schaffen es, die hässlichsten Rastplätze der Welt auszumachen, und Chéri überrascht mich, indem er nicht nur den Radprofi und Routenplaner, sondern auch den Klugscheißer in sich auspackt: Bergauf, bergab referiert er über Höhenmeter, Kraftumsetzung, Hebelwirkung sowie diverse geografische Gegeben- und Besonderheiten („Rhein rein, Rhein raus!“). Wir beobachten Störche und Fledermäuse, zählen Kuhherden und Mückenstiche, überfahren die Schweizer Grenze und besuchen Horny Tawny in ihrer neuen Zwangsheimat.

In der zweiten Wochenhälfte macht dann endlich eine Hitzewelle alleine den Gedanken an jede größere Tour obsolet. Wir lassen uns drei Tage im Strandbad nieder, stopfen uns mit Eis und Pommes voll und bewachen als Baywatch-Team von der Slipanlage aus Hotti und Lotti, die stundenlang kreischend vom Sprungturm in den See hüpfen. David Hasselhoff lässt sich gar zu einer Runde Schweinchen-in-der-Mitte herab. Und am Ende der Woche treibt es mir nahezu die Tränen in die Augen, als Hotti und Lotti sagen: „So schlimm war es gar nicht.“

Nachklapp

Als uns nach unserem Urlaub Hottis Freundin Annika besucht und ich sie frage, ob sie und ihre Familie nicht auch mal mit den Rädern zum Podensee gefahren wären, antwortet sie mit Grabesstimme: „Ja, wir mussten das auch mal machen.“

Wow!

vierzig
Vor meinem vierzigsten Geburtstag drückt der Große Geist noch einmal richtig auf die Tube. Man könnte auch sagen, er legt sich mächtig ins Zeug, gibt ordentlich Gas, lässt nichts anbrennen, großes Kino, Pauken und Trompeten, vom Feinsten, think big, kurz: er gibt alles.

Als ich bockige fünfzehn Jahre alt war, waren gerade Perestroika und Wind of Change, und ich hatte ein Vorbild: Gabriele Krone-Schmalz, „die erste Frau im ARD-Studio Moskau“. Gabi erklärte uns Deutschen aber nicht nur allabendlich Gorbi und die Situation vor Ort, nein, sie war auch um die vierzig, hatte streichholzkurze graue Haare und wirkte unfassbar seriös, souverän, gelassen und abgeklärt. Wenigstens sie schien die Dinge, vermutlich nicht nur in Moskau, voll im Griff zu haben. Damit hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie frau mit vierzig Jahren so ist, und eben diese Zielmarke ließ ich in den letzten 25 Jahren keine Sekunde aus den Augen.

Wie Gabi in Moskau

So wurschtelte ich mich durch die Pubertät, die Adoleszenz, das Studium und wenn mich die Arbeit, schlaflose Babynächte, Trotzphasen und vorpubertäre oder andere irdische Unflätigkeiten mal wieder aus der Balance zu bringen drohten, stellte ich mir vor, wie ich eines Tages glorreich und mit wehenden Fahnen durch die 40er-Banderole stürmen und im selben Moment sämtliche Fallstricke, Widrigkeiten sowie die Vergangenheit hinter mir lassen würde, und ich wäre, so wie 1990 Gabi in Moskau, mit einem Schlag: unendlich seriös, souverän, gelassen und abgeklärt, kurz: auf der sicheren Seite. Soweit meine Vorstellung.

In der Realität spielt sich kurz vor dem großen Tag allerdings gerade folgender Showdown ab: Mit dem Hotti-Lotti-Papa könnte es, sagen wir mal, besser laufen, statt verfrühter Glückwunschkarten bekomme ich die Grippe und meine Mutter, mit der mich Zeit unseres Lebens eine doch recht unerquickliche karmische Verstrickung verband, segnet urplötzlich das Zeitliche und stirbt. Für den Großen Geist gibt es im Übrigen eine reelle Chance, dem Ganzen noch die Krone(-Schmalz) aufzusetzen, indem er die Bestattung meiner Mutter exakt an dem Tag stattfinden lässt, den ich mir ursprünglich zwar immer groß, pompös und frei von altem Ballast vorgestellt hatte, aber so dann irgendwie auch nicht. Nun gut, Contenance, wir sind schließlich quasi vierzig und nicht mehr fünfzehn, da sollte doch auch ein derartiger Unwahrscheinlichkeitsdrive in Würde zu schaffen sein. Und immer schön an Gabi denken.

Superpep und Reisegold

Was Ma Baker und der SysOp können, können wir schon lange und setzen sogar noch einen drauf: Wir haben uns nämlich nicht nur als Deutsche unter Deutschen im mediterranen Ausland herumgetrieben, nein, wir haben sogar noch die Patchwork-Nummer hingelegt. So bereiten mein persönlicher X-Man und ich Hotti und Lotti so früh wie nötig und so pädagogisch-wertvoll wie möglich auf die ersten gemeinsam zu verbringenden Ferien vor, was durchaus die eine oder andere Vertrauenskrise mit sich bringt. Als es Wolverine beispielsweise nicht auf Anhieb gelingen will, den Urlaubsort auf Google Maps zu lokalisieren und vorzuführen, meint Lotti: „Du musst schon wissen, wo du hinfährst, sonst fahre ich nicht mit.“ Auch dass man mit Google Street View zwar durch die angepeilte Ortschaft, jedoch (noch) nicht in die dortigen Häuser laufen kann, schreibt meine Zweitgeborene Wolvi höchstpersönlich zu und nicht den derzeitigen technischen Gegebenheiten.

Quickfix von der Heimatfront

Als die Reise näherrückt, lasse ich mich, geschult durch vergangene 15-stündige Autofahrten mit Lotti und mental unterstützt von Dr. Sprite, Horny Tawny und Mr. Matrix, in der Apotheke in Sachen Reiseübelkeit bei Kindern beraten. Die nette Apothekerin hat gleich zwei tolle Produkte auf Lager mit den klangvollen Namen Superpep und Reisegold, beide enthalten den gleichen Wirkstoff. Bei Superpep handelt es sich um ein Kaugummi, Reisegold hingegen ist eine teilbare Tablette mit der doppelten Dosis. Nachdem mir die Apothekerin glaubhaft versichert hat, dass beide Präparate durchaus legal und die jeweils sedierten Kinder noch immer wieder aufgewacht seien, entscheide ich mich für Reisegold, das passt auch viel besser in unseren royalen Haushalt.

Die Hinfahrt verläuft recht unspektakulär. Lotti beschimpft ihre große Schwester, bis ihr dank Reisetabletten die Augen wegrutschen und sie einschläft, und Hotti, die Bücher früher nicht mit der Pinzette angefasst hätte, verschlingt eine Vampirschnulze nach der anderen. Als wir ankommen, ist das ruhiggestellte Kind zwar schläfrig, aber lebendig. Die erste Woche verbringen wir mit 14 anderen netten Menschen in einem piemontesischen Haselnusshain (von wegen Piemontkirsche), und wider Erwarten dreht nicht Lotti durch, was sie hin und wieder ja recht gerne und ausgiebig tut, weil sie irgendetwas Unmögliches will bzw. Mögliches oder Gebotenes nicht will, sondern ich, weil Lagerkoller. Durch ein Quickfix per SMS von Ma und Fanta bekommen wir die Situation allerdings relativ zügig wieder in den Griff (ein herzliches Dankeschön noch einmal an dieser Stelle).

ALLES VOLLER SEEIGEL!!

In der zweiten Woche verlassen vier alle die Riesengruppe und fahren als neuer Stern am Patchwork-Himmel an die Blumenriviera in eine nette kleine Ferienwohnung in einer idyllischen abschließbaren Wohnanlage direkt an der Autobahn, unter unserem Balkon gähnt eine Baugrube. Stante pede fange ich an, mich zu entspannen, während nun Hotti und Lotti Gas geben und sich alles heißen, was ihnen den lieben langen Tag so einfällt („DU DUMMES KIND!!!“). Nichtsdestotrotz schmeißen wir uns gut gelaunt in unsere Badesachen und fahren raus aus der Schließanlage, runter ans Meer. Dort angekommen, stellen wir fest, dass wir unser gesamtes Strandequipment zu Hause vergessen haben. Also kaufen wir noch schnell einen Sonnenschirm, eine Schwimmbrille für Lotti und ein Kopftuch für mich, rollen zwischen unzähligen anderen deutschen Familien (sic!) routiniert unsere Badematten aus und machen es uns gemütlich. Hotti, Lotti und ich sind tatsächlich erst mal zufrieden, nur unser X-Man schaut jetzt etwas unglücklich aus der Badehose, konnte er diese Urlaubsform die letzten Jahrzehnte doch glücklich umschiffen. Und dass man mit uns drei Grazien nicht mal ohne ein Jenseitsgekreische („DA SIND SEEIGEL!!“ „SCHEIßE, DA IST JA ALLES VOLLER STEINE!!!“ „JETZT ZERRT NICHT DAUERND SO AN MIR RUM!!!!!“ „MAAAMMMAAAAAA, ICH HAB AAAAAANGST!!!!!!!!!!!!!!“) auch nur eine klitzekleine Runde durch eine harmlose Bucht im Mittelmeer schwimmen kann, macht es nicht so richtig besser.

Aber auch diese Hürde nehmen wir ebenso superpeppig wie würdevoll, schließlich haben wir schon ganz anderes gemeistert und Superhelden sind ja ohnehin so etwas wie Berufsoptimisten. Künftig schlagen wir unser Lager auf den Felsen im Meer auf, Hotti und Lotti beschimpfen sich zehn Meter entfernt von uns auf ihrem eigenen Stein, und ich gehe einfach nicht mehr mit ins Wasser. Farblich sortierte Bezahlliegeplätze, heruntergekommene Hotels, verfallene Gewächshäuser sowie pubertäre Unflätigkeiten („WARUM MÜSSEN WIR UNS SCHON WIEDER SO EINE BESCHEUERTE STADT ANGUCKEN????“) blenden wir aus und deeskalieren situationsadäquat mit Cappuccino, Eis, Bier und Pizza. Stellt sich nur noch eine Frage: Wohin geht es nächstes Jahr?

Urlaub in Zenhausen [1]

Würde und Magen-Darm-Infekte schließen sich aus.

Willkommen, welcome, bienvenue, ein neues Jahr [2] erwartet Sie, dessen Beginn Sie hoffentlich ebenso aufregend wie wir begangen und eingeläutet haben. Nachdem wir einen Tag vor Silvester noch geschwind und erfolgreich Lottis achten Geburtstag mit gefühlten anderen 500 Familien im Spaßbad abgefeiert haben (kein Kind ist abgesoffen), stürzen Wolverine und ich uns auch schon wieder in die Vorbereitungen des anstehenden Jahreswechsels. Monsieur installiert tolle bunte Blinklichter, die im Set mit der Discokugel unter dem Weihnachtsbaum lagen, auf meinem Buffetschrank, vom Einsatz des Stroboskops [3], ebenfalls im Discoset enthalten, rate ich angesichts des ohnehin schon recht erhöhten Adrenalinspiegels der Kinder allerdings eher ab. Ich verteile Luftschlangen überall, und dann kommt auch schon Frau Antje aus Holland [4], die meine frisch renovierte Küche derart „90er“ findet, dass sie darin direkt eine alternative Clubdisco eröffnen möchte, die „Mathilde 11“ zum Beispiel. Ich behalte das mal als Geschäftsidee im Hinterkopf.

Der Rest des Festes ist schnell erzählt: Wulle schläft auf der Stelle ein, Rulle bald danach, Boney M’s Zappel und Zuppel fallen beim „Dinner for One“-Schauen vor Lachen fast von den Stühlen, und Dark Lotti schafft es nicht nur, sich einen Knaller ins Auge zu schießen, sondern sich auch beim Bleigießen eine beachtliche Brandblase zuzulegen. Herzog Ullrich, der die amtierende und bislang ungeschlagene Verletzungskönigin noch nicht so lange kennt, fragt mich, ob ich es schon mal mit einen Schutzbann rund um das Kind probiert hätte. Auch das eine blendende Idee, auf die ich schon aus Zeitgründen sicher bald zurückkommen werde. [5]

Romantisches Wochenende zu zweit

Als dann Hotti und Lotti für drei Tage ihren Papa heimsuchen, will ich nur noch eins: raus aus meiner Wohnung und Urlaub in Zenhausen. Wolverine schlägt vor, bevor wir uns es in seinem Wellnesstempel so richtig gemütlich machen, doch noch „geschwind“ die Discokugel in meiner Badezimmerdecke anzudübeln. Ich schlage ihm dies ebenso geschwind wieder aus dem Kopf und packe meine Saunasachen. Was mir vorschwebt, sind maximale Bewegungslosigkeit sowie Verdrängung sämtlicher realer Anforderungen, und zwar sofort. Im Thermalbad bemerke ich, dass ich meinen Bikini vergessen habe, aber egal, ich erwerbe einen schicken schwarzen Omabadeanzug und falle nach der ersten Schwitz- und Schwimmrunde in einen tiefen Schlaf des Vergessens.

Der Urlaub wird super. Wir essen, schlafen, lesen, glotzen, und dann wir mir schlecht, so schlecht, dass ich Wolverine aus der Dusche scheuchen muss, um mich ganz dringend in seine Toilette zu übergeben. Das tue ich dann in stündlichen Abständen bis um sechs Uhr morgens, und dann lasse ich mich vom gleichmäßigen Schnarchen des X-Man in den Schlaf wiegen. [6] Als ich mittags aus dem Bett auferstehe, werde ich mit Wärmflasche und Kamillentee versorgt, und auf dem Rückweg nach Hause machen wir noch einen Schlenker über die Tankstelle und besorgen ein koffeinhaltiges Kaltgetränk mit Zitronensäure, Zwieback haben sie nicht mehr. Der krönende Abschluss eines romantischen Wochenendes.

[1] Die genaue Ortsbezeichnung geht auf Herzogin Fanta I. zurück. [zurück]

[2] 2014. [zurück]

[3] Ein Stroboskop (griechisch strhόbos ‚Wirbel, Sichdrehen‘, strhόmbos ‚Kreisel‘, skopeΐn ‚betrachten, beobachten‘) ist ein Lichtblitzgerät, das Lichtblitze in sehr regelmäßigen zeitlichen Abständen abgibt, wodurch bei dunkler Umgebung Bewegungen abgehackt als eine Abfolge von stehenden Bildern erscheinen. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Stroboskop) [zurück]

[4] Frau Antje kommt eigentlich aus dem Osten, aber Zonen-Gaby hätte sie womöglich leicht übelgenommen. [zurück]

[5] Zu erwähnen wären an dieser Stelle alleine im November 2013 zwei Kopfverletzungen, wegen derer Lotti aus der öffentlichen Lernanstalt abzuholen und in der Kinderklinik auf Gehirnerschütterungen zu untersuchen war. Einmal versteckte sie sich vor der Lehrkraft unter dem Tisch, um dann unkontrolliert in die Höhe zu schnellen, woraufhin ihr schlecht wurde und sie verschwommen sah. Ein anderes Mal nutzte sie die einzige auf dem Schulhof zugefrorene Pfütze, um gegen ein anderes Kind zu schlittern und auf dann auf den Hinterkopf zu stürzen. Als sie ein weiteres Mal (ebenfalls im November 2013) senkrecht mit dem Kopf zuerst von ihrem im Zimmer montierten Trapez auf den Boden knallte, blieb es lediglich bei einer Beule. Meine mehrfach ausgesprochene Drohung, Lotti künftig nur noch mit Fahrradhelm und Rugby-Ausrüstung aus dem Bett zu lassen, blieb bislang ohne Konsequenz. [zurück]

[6] Ich muss wieder einmal feststellen, dass Würde und Magen-Darm-Infekte sich grundsätzlich ausschließen. [zurück]

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Luxus, verdammt!

Schade scheiße eigentlich, wenn sich die Realität mal wieder um Klassen schnöder gestaltet als das eigene rosaglitzer Wunschdenken und sich Superhelden bei näherer Betrachtung als Otto-Normal-Frösche mit allzu menschlichen Pferdefüßen entpuppen. Nun gut, man selbst ist zugegebenermaßen auch nicht Hello Kitty, und was ist schon normal, denn, wie die weise Whoopi Goldberg bereits anmerkte: „Normalität liegt im Auge des Betrachters.“ Jetzt sind sie also weg (WEG!) und ich bin wieder allein, allein, denn wir sind hier leider noch immer nicht bei Wünsch Dir was, sondern weiterhin bei So isses. Als entscheidenden Vorteil bei wiederholter Herzscheiße gilt es festzuhalten, dass die einstige Angst, auf der Stelle zu verrecken, sich im Laufe der Jahre als unbegründet erwiesen hat, denn Herzen kann man erstens reparieren, und zweitens verfügt man mittlerweile neben einer gewissen Routine auch über ein nicht unerhebliches Repertoire an Gegenmaßnahmen. Wir machen das hier ja nicht zum ersten Mal.

Kopf hoch, sonst fällt die Krone runter

So ist es einmal mehr an der Zeit, die Contenance zu wahren, sich mit Bergen von Schnapspralinen vollzustopfen, tonnenweise Schmuck zu shoppen, den ortsansässigen Baumarkt leerzukaufen, das eigene Schlösschen mit Brimborium aufzuhübschen, Abende lang stupide Glitzerkringel an die Klowände zu pinseln, dabei viel ABBA, Bier und Zigaretten zu konsumieren und mit Freundinnen kilometerlange Youtube-Playlists zu erstellen, schließlich ist Liebeskummer immer noch Luxus und großes Kino, verdammt. In diesem Zusammenhang sind Horny Tawny, Mr. Matrix und ich im Supermarkt unseres Vertrauens übrigens auf, jawohl, die Pralinenedition von Harald Glööckler gestoßen, die folgerichtig den Namen „Pralinöös“ trägt mit dem Untertitel „Jede Frau ist eine Prinzessin. Und so sollten Sie sich auch fühlen“. Stilblüten des Kapitalismus. Unbedingt Erwähnung finden sollten an dieser Stelle nicht zuletzt auch der Elektroswinger Parov Stelar, sein extrem hotter Catgroove sowie ein sehr begabter junger Mann mit Gummibeinen, welche Dr. Sprite, Horny und ich inzwischen als musikalisches Koffein in Reinform einsetzen und die Horny im Übrigen ekstatisch Britney Spears‘ Zeilen „Don’t you wanna dance upon me?“ zitieren ließen. Und danach bitte auf mir!

Wie gesagt, Herzscheiße gilt es zu zelebrieren, und zwar nach Strich und Faden und mit dem gebührenden Pathos und Glamour. Ebenso arschcool wie konsequent wäre es in diesem Kontext auch beispielsweise, sein Ehebett in mannshohen Lagerfeuern zu verbrennen oder das Schaufenster im eigenen Haus an einen Leichenbestatter zu vermieten. Aber wer macht schon so was?

Der König der Scheißtage

Was bisher geschah: Nach einem psychosozial mehr als herausforderndem Sommer gelang es Hotti, Lotti und mir, uns gerade noch rechtzeitig in die Mutter-Kind-Kur nach Kloßburg abzusetzen. Oma Highspeed flog uns mit ihrem Silberpfeil direkt vor die Pforten des Müttergenesungswerkes, wobei wir lediglich einmal geblitzt wurden, und bevor Lotti Highspeeds neues Fluggefährt in den Serpentinen des Schwarzwaldes bis oben hin vollkotzten konnte, gelang es uns in letzter Sekunde, links ranzufliegen und die Tür zu öffnen, eine glückliche Fügung jagte quasi die nächste. Im Erholungsparadies angekommen, taten wir drei Wochen mit wenigen Ausnahmen von morgens bis abends wenig anderes als zu schlafen, zu essen, im Wald herumzuturnen und unsere sechzig Finger- und Fußnägel rauf- und runterzulackieren.

Entsprechend hart gestaltet sich nun der Aufschlag in der Realität. Seit geschlagenen zwei Wochen ringen wir in der irdischen Welt mehr oder weniger erfolgreich mit Weckern, Stundenplänen, Jahresberichten, Supermärkten, GEZ-Gebühren und Sitzungen. So ende ich nach einem Tag in der Öffentlichen Anstalt mit beeindruckenden 18 Tagesordnungspunkten auf einem dreieinhalbstündigen Hotti-Elternabend. Angesichts der uns bevorstehenden 15 TOPs raune ich Hanutas Mutter ins Ohr, dass wir uns unbedingt ein Radler hätten mitnehmen sollen, woraufhin ich einen leicht irritierten Blick ernte.

Lebendig an der Forschung teilnehmen

Zunächst stellt sich kurz und knackig der neue Konrektor vor, nachdem die alte Schulleitung sich zum vorigen Schuljahresende überraschenderweise quasi selbst abgeschossen hat. Anschließend stellt sich eine sehr junge und motivierte Frau vor, die sich dem „Analysieren der Prozesse im Rahmen der Entwicklung / Implementierung zur Gemeinschaftsschule“ verschrieben hat, Begleitforschung heißt das Zauberwort, das sie Eltern- und Lehrerschaft nun in einer ausschweifenden Powerpoint-Präsentation unterbreitet inklusive Phasen, Dauer, Zielsetzung, Maßstäben und Teilprojekten ihres Forschungsvorhabens. Zusätzlich erfahren wir, was die junge Motivierte alles nicht untersucht, nämlich Leistung, Kompetenzentwicklung sowie die SchülerInnen und Lehrkräfte als solche, schließlich gehe es ihr um pädagogische Professionalität, Unterrichtsorganisation und -kultur und natürlich Inklusion. Ihre gebündelten Ergebnisse werde sie als verschriftlichtes Reflexionsinstrument an die Politik weiterleiten, der damit wiederum fundiertes Steuerungswissen für die laufende Schulreform zur Verfügung stehe. Ein Vater meldet sich und bekundet, dass er es schön und besonders finde, so „lebendig an der Forschung teilzunehmen.“ Ich denke an den heutigen Facebook-Post von Horny Tawny „Heute regiert der König der Scheißtage.“, behalte dieses Bonmot jedoch für mich.

Be prepared!

Es folgt ein spontan eingeschobener Tagesordnungspunkt, in dem es um schulpolitische Interna der Vergangenheit geht, die laut referierendem Vater allerdings in schlappen fünf Minuten abgehandelt werden können. In der 14. Minute erinnert mich Hanutas Mutter daran, dass wir beim nächsten Mal keinesfalls das Radler vergessen dürfen, am besten zwei für jede. In der 20. Minute, in der es noch immer um das schulpolitische Inferno geht, beginnt mein Auge zu zucken. In Minute 30 wird auf Seiten der Elternschaft massiv der Wunsch nach mehr Transparenz und Demokratie laut, ich versenke mich innerlich in Felsen, Wasserfälle, esoterische Meditationsmusik und mein Bett. Nach diesem die Gemüter erhitzenden Punkt geht es im wilden Ritt weiter durch Schullandheimausflüge, Projektwochen, Elternvertreterwahlen, Herbstfeste sowie Rückmeldungen der Lehrerschaft über die allgemeine Verfassung von Hottis Klasse, die die Englischlehrerin euphemistisch als „diskussionsfreudig und interessant“ bezeichnet. In diesem Zusammenhang zeigen sich die Lehrkräfte in diesem Schuljahr extrem gut vorbereitet. Haben die lieben Kleinen beim Schwimmunterricht beispielsweise zufällig ihre Badehose vergessen, wird mit einer ebenso zufällig vorhandenen Tasche mit alter Bademode gekontert. Und auch dem Ungemach, das in Form zahlreicher Baustellen rund um das Schulgelände droht, begegnet die Klassenleitung mit gänzlich neuer Gelassenheit: Sie werde künftig mit dem Hubschrauber einfliegen. Nur mit dem Besen anreisen wäre cooler.

Two princes

Der kosmischen Scherze gibt es ja bekanntlich viele, allein der Themenkomplex „die aktuelle und die Männerwelt“ bildet mittlerweile ein ganzes Genre. Der neueste geht so: Während sich jahrelang kein männliches Wesen so richtig für mich und meine Special Effects erwärmen konnte und ich auf meiner To-do-Liste für die kommenden Jahre erst einmal die Kinder, die neue Wohnung sowie den Hagelschaden meines Autos priorisierte, stehen da jetzt plötzlich zwei Prinzen auf meiner Matte, und zwar sowas von gleichzeitig. Und während der eine, nennen wir ihn spaßeshalber Batman, in mir die tollste Frau des Universums sieht, bin ich für den anderen, nennen wir ihn ebenso spaßeshalber Superman, Hello Kitty und Queen Cola Bitch I. in Personalunion. Nicht, dass ich mich nicht freuen würde ob dieser meiner neuen Beliebtheit in der Welt der Superhelden, man ist ja nicht undankbar. Aber man fragt sich schon auch, was zum Teufel sich der Große Geist bei einem derart miserablen Timing eigentlich gedacht hat. Mutmaßlich zeigt sie mit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich und mein frisch gestrichenes Krönchen und kichert irre.

Gemüse versus Stifteköcher

So legt mir derzeit Batman entschlossen die Erträge seines Gemüsegartens in Gotham City vor die Tür, während der Man of Steel in Smallville todesmutig Hello Kitty-Stifteköcher für mich jagt, und beides ist ebenso entzückend wie großartig. Mit Blumen beglücken meine Superhelden mich im Übrigen beide. Und während ich noch Lancelot, der es wagte, mich an meinem 35. Geburtstag mit 35 orangenen Rosen zu bedenken, leider mit einer Kettensäge in seine Einzelteile zerlegen musste, weil mir eine derartige Zuneigungsbekundung definitiv zu weit ging und in meinen Augen an schamloser Übergriffigkeit nicht zu überbieten war, bin ich mittlerweile in der Lage, eine vergleichbar herausfordernde Situation souverän zu meistern. Steht heute ein Prinz, Ritter oder Superheld mit Blumen vor meiner Tür, setze ich mein strahlendstes Lächeln auf, bedanke mich artig und sage: „Ich hol‘ mal eben eine Vase!“ Ein kleiner Schritt für die Otto-Normal-Frau, ein großer Schritt für die aktuelle. Entwicklung ist möglich.

Ihr seht: Es bleibt wie immer spannend, die aktuelle Queen Kitty Cola Bitch of the Universe I. wird Euch auf dem Laufenden halten. Mein besonderer Dank und spezieller Artikel gehen in diesem Fall im Übrigen aufs Herzlichste nach Rothenburg ob der Tauber, genauer an Markus, einen unserer offensichtlich treuesten Fans, der mich gestern Abend auf Ma Bakers Hochzeit dringend dazu aufforderte, ihn doch wieder an unserem Privatleben teilhaben zu lassen. Nichts lieber als das!

Der Albtraum nach Weihnachten

Nach maximal lässigen Feiertagen in Neukamerun streckt uns die Realität zurück in Lingendingen erbarmungslos zu Boden. Als erstes geben die Wasserrohre in unserem Mehrfamilienhaus den Geist auf, literweise ergießt sich über die einst von Dr. Sprite und Santa Claus geerbte Traditionsspülmaschine Dreckbrühe in Küche und Wohnzimmer. Ich organisiere den zuständigen Klempnernotdienst, der Retter naht bald, ich schicke ihn unter die Spüle. Als nächstes gibt Hotti den Geist auf, sie läuft zwar nicht aus, dafür klappt ihr Kreislauf zusammen, sie bekommt hohes Fieber und klagt über Halsschmerzen und Übelkeit. Ich schicke sie mit dem neuen MP3-Payer aufs Sofa, Lotti schreit, ihr sei langweilig und sie wolle jetzt The Nightmare before Christmas schauen, gedanklich schicke ich sie auf den Mond. Für meinen Geschmack ist der Albtraum nach Weihnachten schon jetzt perfekt, aber Kinder haben ja eine ganz eigene Vorstellung von Wahnsinn.

Ölverklebte Wasservögel verenden in meiner Küche

Jetzt meldet sich der Heilsbringer in der Küche mit seiner Diagnose zu Wort. Er verkündet, dass über all die Jahre Öl, Fett, Essensreste und sonstiger Schlonz die Wasserrohre im Haus verstopft haben, so dass sich das Abwasser der oberen vier Stockwerke ab heute aufgrund des Rückstaus durch meine Spülmaschine Bahn bricht. Mit einer sieben Meter langen Metallspirale bohrt der Gute den Schlonz aus den Leitungen, allerdings ohne einen Eimer unterzustellen, schwallartig schießt die klebrige, teerähnliche Masse aus dem Rohr in meine Küche. Vor meinem inneren Auge erscheinen sterbende Wasservögel, die einer Ölpest zum Opfer gefallen sind. Lotti schreit, sie wolle jetzt den Film sehen.

Das Gerät ist zu kurz

Nach zwei Stunden jammert der Klempner, sein Gerät sei leider zu kurz, er schicke morgen den Kollegen mit dem längeren Gerät vorbei. Er tut mir leid, ich denke, für einen Mann und Handwerker ist es nicht schön, Derartiges einzugestehen. Deprimiert zieht er ab. Lotti schreit, sie wolle verdammt noch mal jetzt den Film sehen, Hottis Fieber überschreitet mittlerweile die 39°-Celsius-Marke, sie sieht inzwischen selbst aus wie die Hauptfigur in Tim Burtons Weihnachtsgruselfilm. Da wir uns jedoch im infrastrukturellen Vakuum zwischen den Jahren befinden, haben sämtliche Lingendinger Kinderarztpraxen geschlossen, und die diensthabende Notärztin ist derart mit kollabierenden Erwachsenen überlastet, dass sie uns unmöglich konsultieren kann. Also lagere ich Lotti zu einer Freundin aus und fahre zwanzig Kilometer über Land zum nächsten Kindernotdienst, wo wir uns während zwei Stunden Wartezeit etwa fünfzig neue Krankheitserreger einkaufen. Wir tauschen mit Streptokokken, Hotti hat Scharlach. Damit sind Lottis Kindergeburtstag übermorgen sowie die geplante Silvesterparty gestorben. Als ich spätabends Lotti von der vermutlich nun ebenfalls infizierten Gastfamilie abhole, schreit sie, sie wolle noch heute Abend den Film sehen. Ich traue mich nicht, sie über die gestrichenen Festivitäten zu informieren.

Endlich: Praxisgebühr entfällt!

Am nächsten Tag habe ich Hals- und Kopfschmerzen und bin schlapp, Lotti ist übel. Der Klempnerkollege mit dem längeren Gerät kommt und veranstaltet eine neuerliche Ölpest in meiner Küche. Als er geht, ist das Wasserrohr wieder frei und die Spülmaschine kaputt. Dafür tropft es nun auch unter der Spüle. Hotti vegetiert weiter mit dem MP3-Payer auf dem Sofa vor sich hin und verteilt Streptokokken, Lotti ist bleich, will aber trotzdem den Film sehen und ich weiß nicht, ob ich töten oder sterben will. Ich entscheide mich für einen Kompromiss und verdonnere den Hotti-Lotti-Papa dazu, gefälligst den Geburtstagskuchen für seine Zweitgeborene zu übernehmen. Abends schauen wir den Film, Lotti findet ihn doof.

Am Tag vor Silvester sitzt ein in Tränen aufgelöstes Geburtstagskind vor einem geschmückten Tisch ohne Kuchen, Vater und Gäste. Lotti wird süße sieben, der HLP hat mit dem Kuchen verschlafen, wir alle sind krank, so einen bescheuerten Geburtstag hat es im Hause aktuelle selten gegeben. Und am letzten Tag dieses glorreichen Jahres hat dann schließlich doch noch die diensthabende Notärztin ihren großen Auftritt bei uns, sie überreicht uns zwei Rezepte für Antibiotika und sagt, dass es ihr herzlich leid tue, aber heute müsse sie uns noch die zehn Euro extra Notarzt-Praxisgebühr berechnen. Ab nächstem Jahr komme sie dann kostenfrei. Da bin ich aber froh.