Weihnachten in Neukamerun

Um potenziellen innerfamiliären Spannungen zu entgehen, die ja zum Fest der Liebe gerne mal rund um die Nordmanntanne auftreten, packen Hotti, Lotti und ich dieses Jahr am Tag vor Heilig Abend unsere Siebensachen und fahren über die Feiertage zu Santa Fanta und ihren Sprösslingen Mulle, Rulle und Wulle nach Neukamerun. Und siehe da: Friede auf Erden, die Autobahnen 8, 5 und 656 sind frei, die Kinder verschwinden abgesehen von kurzen Unterbrechungen für drei Tage in ihren Zimmern und spielen harmonisch Polizistenraub und Laserlego, während Fanta und ich lesen, den Biomüll vor die Tür tragen, Radler trinken und so lange Tatort glotzen, bis wir Mordopfer, Kommissare und Verdächtige nicht mehr auseinanderhalten können.

Heilig Abend, Neukamerun: Das Krönchen sitzt

Am Morgen des 24. Dezember planen Fanta und ich die Choreografie des Tages: Frühstücken, einkaufen, Baum schmücken, kochen, die Kinder ablenken und zeitgleich die Geschenke ins Wohnzimmer zaubern, essen, musizieren, Geschenke auspacken, und dann machen wir es uns gemütlich! Ein guter Plan, in weiten Teilen geht er sogar auf: Wir schmücken den Baum, dieses Jahr nicht in Naturgrün und mit frischen Äpfeln, sondern in Pink und Glitzer. Wir schälen tonnenweise Kartoffeln für einen Gratin, den Fanta leider mit einem Stinkekäse überzieht, der nicht so wirklich zum Fisch passt, aber egal, in Bethlehem gab’s gar nichts, nicht mal Stinkekäse. Das Christkind beamt unbemerkt die Geschenke unter die Tanne, derweil trudeln Urmel und Elsa ein, Fantas Eltern, die leichtsinnigerweise den Abend mit uns verbringen möchten. Unser Krönchen sitzt, wir haben alles im Griff. Gemeinsam essen wir den halbrohen Stinkegratin, spielen Blockflöte und trällern Weihnachtslieder, und wider Erwarten platzt dabei auch keines der Kinder, weil es sich nicht bis zur Bescherung gedulden kann. Letztere verläuft recht hektisch, aber glimpflich, wir bekommen alle Schlittschuhe und sind glücklich, nur Lotti verliert vorübergehend die Fassung, weil das beim Christkind in Auftrag gegebene und so sehnlich erhoffte Freundebuch fehlt. Danach gibt Urmel noch ein selbstverfasstes Weihnachtsgedicht zum Besten, die Kinder schlafen reihenweise ein, und dann ist auch dieser Heilige Abend Geschichte.

Polizisten auf der Drehscheibe

Der 25. Dezember lässt sich ebenfalls unverhofft gediegen an. Zwar hat die Eislaufbahn geschlossen, auf der wir unsere neuen Kollektivgeschenke ausprobieren wollen, dafür kommt es in den Kinderzimmern zu recht ungewöhnlichen Konstellationen wie Konversationen. So spielen ausgerechnet Teenie-Hotti und Lego-Wulle Verbrecherjagd mit dem neuen „Polizeiauto mit Gefängnis hintendran“. Hotti erläutert die Vorgaben: „Die Polizisten verlieren immer, das ist die Regel. Die werden dann ausgeraubt, und das ist dann Pech.“ Ja, so ist das im Leben. Als nächstes will Hotti den Polizisten rauben, allerdings etwas vorschnell, Rulle weist sie zurecht: „Du musst erst mal die Autotür aufmachen, du Dödel!“ Nach vollzogenem Polizistenraub finden die zwei, der Gute müsse jetzt gefoltert werden, und zwar auf der Drehscheibe: „Wird dir schnell schwindelig?“ „Ja.“ „Super, dann setz‘ dich hier auf die Drehscheibe!“ Der Polizist fängt an zu heulen, doch die Gangster kennen kein Erbarmen: „Wenn du weiter so flennst, kommt auch noch die Bombe zu dir!“ Wulle befiehlt: „Gib mir das MASCHINENGEWEHR, die MASCHINENGEWEHRE kommen hierher, wir brauchen mehr MASCHINENGEWEHRE!!“ Und den Menschen ein Wohlgefallen. Als es schließlich hart auf hart kommt, kreischt der Polizist: „Du kannst mich nicht, ich bin Laser!“

Agenten auf der Terrasse

Fanta und ich machen es uns derweil auf dem Sofa gemütlich, ich lese mein neues Schneckenbuch vom Herrn Nachbarn und Fanta säuselt wohlig: „Man könnte fast vergessen, dass wir Kinder haben.“ Im selben Moment schlagen Mulle, Wulle und Hotti fast die Terrassentür ein: Sie sind als bis an die Zähne bewaffnete Agenten im Garten unterwegs, fordern Plätzchen und wollen Benjamin Blümchen hören, und zwar ein bisschen plötzlich. Gleichzeitig betreiben Rulle und Lotti im oberen Stockwerk ein Gruselzimmer: „Wir setzen uns in den Schrank und leuchten mit der Barbielampe, und wenn jemand kommt, werfen wir den Schwabbeltiger!“ Und wo wir schon beim Gruseln sind, wärmen wir abends lediglich die Reste des Stinkegratins auf, dessen Kartoffeln heute endlich durch sind.

Am 26. Dezember schließlich verlassen uns nacheinander Contenance, Grammatik und Semantik. Fanta und ich bellen abwechselnd Kommandos wie: „Es wird nicht mit Dreckservietten geworfen!“, „Es wird nicht ums Sofa oder den Baum gejagt!!“ oder „Rulle egal, Du bist jetzt allein!!!“ Ein guter Zeitpunkt, um auf die Freilufteislaufbahn auszuweichen, die heute ein Einsehen mit uns hat. Zu den Charts 2012, die aus Lautsprechern durch die idyllische Landschaft Neukameruns dröhnen, ziehen wir mehr oder weniger elegant unsere Kreise, danach geht es zurück in Fantas schicke Doppelhaushälfte, wo wir die Kinder zwingen, Teil 3 des Stinkekäsegratins zu essen, und dann ist es Zeit Abschied zu nehmen. Fanta und ich gratulieren uns zu unseren mütterlichen Meisterleistungen und sind nach diesen drei Tagen um eine entscheidende Erkenntnis reicher: Entspannte Weihnachten sind möglich!

Hurra, wir heiraten!

"Stell Dir vor: Wir heiraten!!"

Es ist soweit, die Wunderbra-Redaktion heiratet, also nicht direkt Ma Baker und die aktuelle, sondern Ma Baker ihren SysOp, aber da man Freundinnen in derart existenziellen wie destabilisierenden Lebenslagen schlecht sich selbst überlassen kann, bin ich gewissermaßen mit im Boot. Bei eingefleischten Dauersingles allerdings, die man mit beziehungstechnischen Erfolgsgeschichten jagen kann und bei denen Hochzeiten maximale Beklemmungen auslösen, bewegt sich die Begeisterung angesichts derartiger Neuigkeiten im Minusbereich. Als sich jedoch herausstellt, dass außer mir noch einige Andere ihren geballten Beziehungsfrust bei der angehenden Braut abladen, tut sie mir leid, und ich sage, dass, wenn sie schon heiraten muss, sie dann aber dringend neue Stiefelchen, schicke Klamotten und Glitzerlidschatten braucht, und dass ich diejenige sein werde, die sie in diesen schweren Stunden durch Schuhgeschäfte, Boutiquen und den Drogeriemarkt führt. Ma ist glücklich, aber der Glitzerlidschatten geht ihr dann doch zu weit.

Rüschen? Spinnst Du??

Unser erster Gang führt uns in einen Hippie-Outlet-Schuppen mit dem vielversprechenden Namen Diva. Mehr ist bei ehemaligen Punkermädchen mental erst einmal nicht drin. Ich schlage ein braunes oder schwarzes Cordröckchen vor, Ma zeigt mir einen Vogel und sagt: „Ich will Farbe!! Wenn schon, denn schon!“ Ich eile mit Oberteilen in Flieder, Beere und Lila herbei, Ma motzt: „Viel zu tot, ich will so ein Hier-komm-ich-Teil!!“ Okay, denke ich, sie ist die Diva, und suche Kleider in Quietsch mit Walla. „Um Himmels Willen, keine Rüschen! Und so ein Esoterik-Walla-Walla, das geht gar nicht!!!“ Nach zwei schweißtreibenden Stunden erwerben wir einen pinken Fummel für obendrüber, einen lila Fummelschal und Stulpen in Beere. Die Accessoires sind eingetütet, fehlt nur noch ein Oberteil für untendrunter sowie ein schwarzer Rock, den Ma jetzt möchte, vielleicht in Cord, und da die Hippie-Boutique das nicht hergibt, machen wir uns auf zur Damenabteilung der nächsten Galeria Kaufhof am Fuße der Schwäbischen Alb.

Die Zeit arbeitet für mich

Dort angekommen, verschwindet Ma umgehend mit je einem braunen und einem schwarzen Cordröckchen, gesäumt von Wallawallarüschenspitze, in einer Umkleide und trägt mir währenddessen auf, ich solle doch mal nach so einem hübschen Shirt in Flieder schauen. Diese modische Zeitverzögerung mittlerweile einberechnend beginne ich, Ma mit paillettenübersäten Funkeloberteilen und Glitzerstrumpfhosen zu behelligen, die sie zwar erwartungsgemäß brüsk abschmettert, aber ich weiß, die Zeit arbeitet für mich. Wenn schon, denn schon! Nach einer weiteren Stunde wird der Rock gekauft. Vollkommen erschöpft von diesem rasanten Ritt durch die gesamte Evolution der Haute Couture an nur einem Nachmittag schleppen wir uns in eine Fischbude und bestellen riesige Portionen Dorsch, Pommes mit Mayo, Sahnesoßenbandnudeln und Cola.

Abgesehen vom folgenden Koffeinrausch, der die zukünftige Braut weitgehend abschießt, frage ich mich, wie man sich derart vollgestopft jetzt noch in irgendwelche Klamotten zwängen kann, aber Ma steuert entschieden den nächsten Laden an. Wir werden fündig, das Outfit steht. Entgegen meiner zeitlichen Berechnungen kann ich zwar mit dem Glitzer nicht mehr landen, aber schließlich heirate ja auch nicht ich, sondern sie. Tot, aber glücklich machen wir uns auf die Heimreise.

Drei Tage später erreicht mich folgende SMS: „Stehe in der Drogerie!! Wie heißt dein Glitzerlidschatten???“

Rampensau

Das Leben ist ja bekanntermaßen eines der absurdesten. Da verliebt man sich im Frühling Hals über Kopf in einen windigen Kommissar aus München (wir berichteten), der sich binnen weniger Wochen mehr oder weniger elegant in Luft auflöst (wir berichteten ebenfalls), verbringt einen Sommer, der an Geschwindigkeit und Madness wenig zu wünschen übrig lässt (keine Zeit zum Berichten), und schwupp, ist es Herbst, und man steht mit eben dem Frühlingskommissar auf ein und derselben Bühne und erntet unter verzweifelten Versuchen, den eigenen Adrenalinhaushalt unter Kontrolle zu bringen, gleichmäßig ein- und auszuatmen und möglichst nicht tot umzufallen, Applaus.

Aber der Reihe nach. Nach der Schlappe mit Leitmayer verbrachte die aktuelle ihre Zeit vor allem damit, ihr Krönchen zu richten und mit stolz erhobenem Haupte, perfekt lackierten Fußnägeln und schicken neuen Pantoletten weiterzureiten, was sich zwar nicht immer so ganz einfach gestaltete, jedoch größtenteils gelang. So galt es beispielsweise im Rahmen des Lingendinger Straßenfestes eine erste Begegnung mit besagtem Kommissar zu überstehen, ohne a) einem Tourette-Anfall zu erliegen, b) heulend nach Hause zu laufen oder c) beim Tanzen direkt vor seiner Nase über die eigenen Füße zu stolpern. Mit Erfolg.

Leben, du Sau

Eine willkommene Ablenkung bot da die Anfrage meines werten Herrn Nachbarn, ob ich nicht Lust hätte, ein paar nette kleine Textchen für eine nette kleine Kindermusikveranstaltung zu schreiben, die im Herbst am Lingendinger Staatstheater aufgeführt werden sollte. Warum nicht, sehr gerne, er komponierte, ich schrieb, alles fein.

Und dann ist er da, der große Tag, an dem meine Lieder das Licht der Bühnenwelt erblicken werden, wie schön, ich freue mich, und mit Röckchen, Stiefelchen, Kinderchen und Madame Mistral geht es los ins Theater, und am Schlagzeug sitzt, Überraschung, niemand anders als Katastrophenkommissar Leitmayer. Leben, ich liebe dich. Und weil ja absurder immer geht, ruft mich am Ende der Veranstaltung der Herr Nachbar ohne Vorwarnung zur Band auf die Bühne, um sich bei mir zu bedanken und mich irgendwas zu fragen, und klatschnass geschwitzt habe ich keine Ahnung, was ich rede, weil zwei Meter neben mir mein Frühlingsdesaster steht und vielleicht hundert Menschen oder mehr vor mir sitzen und ich mich vor Mikrofonen und Präsentiertellern fürchte, und ich überlege, wie ich aus dieser Nummer nur wieder herauskomme und denke, dass das doch alles gar nicht wahr sein kann und ich jetzt leider sterben muss – auf der Bühne, welche Ironie, Willy Millowitsch wäre blass vor Neid. Lieber Herr Nachbar, dafür ist mindestens eine Pizza fällig! Wenn nicht zwei.

Inkassomüller

Wieder alles falsch gemacht.

Wieder alles falsch gemacht.

Es hätte so nett sein können. Eigentlich wollten wir, Dr. Sprite, Mr. Matrix und meine Wenigkeit, nur friedlich am jährlichen Betriebsausflug unserer Firma partizipieren. Das Ausflugsziel: Lingendingen, für mich ein Heimspiel mit angenehmen fünf Fahrradminuten Anreisezeit, und wann macht man schon mal eine professionelle Stadtführung in der eigenen Heimatstadt? Die Kollegen: Nett. Die Stocherkahnfahrt: Entspannt. Das Wetter: Strahlender Sonnenschein. Die Frisur: Sitzt.

Ein Tag so schön wie heute

Dass dann letzten Endes doch alles aus dem Ruder läuft, liegt diesmal aber wirklich nicht an uns, sondern an der völlig irren Schichtleiterin des Inkassomüller, einem idyllisch gelegenen Biergarten mit abgrundtief gruseliger Personalpolitik. Es geht so los, dass Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich zu spät zu unserem Mittagessen in eben diesem Biergarten einlaufen, weil wir zuvor noch dringend Sonnencreme für unsere Kinder und Belohnungsbrekkies für unsere Katzen im Drogeriemarkt unseres Vertrauens erwerben mussten, so dass alle Plätze bei den schon sitzenden KollegInnen bereits vergeben sind. Wir, ganz vernünftig, setzen uns an einen anderen Tisch, bestellen Weißwürste mit Brezeln und Salate, die dann auch bald kommen, und stoßen mit unseren semialkoholischen Kaltgetränken auf einen Tag so schön wie heute an. Pascal, unser Kellner, schaut noch kurz vorbei und fragt, ob alles in Ordnung sei, und wir strahlen: Ja, alles wunderbra, vielen Dank!

Kaum haben wir aufgegessen, steht Pascal allerdings erneut mit Weißwurstschüssel auf der Matte und fragt, ob wir noch mehr Weißwürste bestellt hätten, hier stünden noch welche auf der zuvor angekreuzten Betriebsausflugsessensliste. Wir sagen artig, nein, danke, wir hatten schon, aber Pascal und ein weiterer Kellner, der sich mittlerweile mit Knödeln und Pilzrahmsoße neben Pascal aufgebaut hat, insistieren: Doch, das wären unsere Würste und auch unsere Knödel, die hätten wir angekreuzt und die müssten wir jetzt auch essen, und außerdem hätten wir auch gleich sagen müssen, dass wir zur Betriebsausflugsgemeinde gehören. Wir beteuern, dass wir nichts von der Verbindlichkeit der Betriebsausflugsessensliste gewusst hätten, und dass wir auch nicht absichtlich die Zugehörigkeit zu unserer Peergroup verschwiegen hätten, aber das bringt die beiden nur noch mehr in Rage und zu dem Schluss, dass es jetzt Zeit für ein ernstes Wörtchen mit ihrer Schichtleiterin wird. Die zwei dampfen ab und wir denken an Kafka.

Born to fail

Als die Schichtleiterin Kurs auf uns nimmt, geht es buchstäblich um die Wurst. Ihr Schritt ist energisch, ihr Blick eisig, bedrohlich schüttelt sie schon von Weitem ihr Handy gegen uns. Sie wiederholt, was Pascal und der Knödelkellner uns schon haben wissen lassen, nämlich, dass das unsere Würste wären, die wir bezahlen müssten, weil wir die vorher angekreuzt hätten, und dass der Inkassomüller sie uns auch gerne einpacken könnte, weil noch mal aufwärmen geht ja schließlich nicht und bei ihnen würden die Weißwürste nicht eine halbe Stunde im Wasser liegen, dann wären die ja hin, und wenn das jeder machen würde, einfach irgendetwas Verbindliches ankreuzen und dann nicht essen wollen! Mittlerweile stehen auch schon wieder Pascal mit Weißwurstschüssel und der Knödelkellner neben der Schichthexe und versuchen, die Teller irgendwie auf unserem Tisch zu platzieren. Wir denken an Kafka und Weißwürste, die in einer Goldfischtüte schwimmen, beteuern erneut unsere Unschuld und sind inzwischen überzeugt, dass das Inkassomüllerpersonal für jede überflüssige und unbezahlte Weißwurst kollektiv in den hauseigenen Kerker wandert.

Das Ganze geht dann noch eine Weile hin und her, die Schichthexe schiebt uns die Schuld zu, wenn der Inkassomüller pleite macht, die Kellner tragen noch ein bisschen dämlich die Knödel und Würschtl durch die Gegend, bis letztere dann schließlich dem Herrn an unserem Nachbartisch serviert werden, der zuvor versichert hatte, dass er wirklich kein Fleisch esse. Hauptsache frisch. Nachdem wir hinreichend ausgeschimpft worden sind, ziehen Dr. Sprite, Mr. Matrix und ich von dannen, ohne die überschüssigen Würste und Knödel in einer Goldfischtüte heimtragen zu müssen, dafür mit dem Schwur, mindestens bis ins fünfte Glied unserer Nachkommen nie wieder auch nur einen Fuß in den Inkassomüller zu setzen.

die aktuelle

Aschenbrödel

Von Aschenbrödel lernen heißt fürs Leben lernen. Denn Aschenbrödel ist nicht nur ein großartiger 70er-Jahre-Weihnachtsschinken mit entzückender Klimpermusik, sondern auch echtes Vorbild in Sachen Lässigkeit und damit beinharte Lebenshilfe. Wir erinnern uns kurz: Die tschechische Cinderella reitet auf ihrem Schimmel Nikolaus immer wieder und verbotenerweise durch den weißen Winterwald und stößt dabei wiederholt auf den Prinzen, der dort ebenfalls unerlaubt unterwegs ist. Während der Prinz versucht, die Identität der schönen Unbekannten herauszubekommen und sich dabei zudem einigermaßen ungeschickt anstellt, entschwindet die angehende Prinzessin ein ums andere Mal erhobenen Hauptes auf weiter, weißer Winterflur, ohne mit der Wimper zu zucken. Außerdem hatte sie ja auch noch ein paar Zaubernüsse sowie eine weise Eule am Start, insofern konnte sie ohnehin unbesorgt ihrer Wege reiten. Der Rest ist Geschichte.

Doof vorm Schloss stehen ist auch keine Lösung

Allein: Was tut man, wenn der Prinz nicht tut, was im Skript steht? Wenn er, anstelle von Aschenbrödel, aus dem Ballsaal stürmt, nur um auf der Treppe seinen gläsernen Schuh zu verlieren und dann, ganz ladylike, auf dem Pferd der künftigen Prinzessin in die Nacht zu entfliehen? Und er sich nicht die Bohne dafür interessiert, wer da eigentlich im Ballkleid vor ihm steht? Dann steht man erst einmal ziemlich doof da, so allein vorm Schloss, mitten in der Nacht, im Ballkleid, ohne Gaul und fragt sich, wer hier eigentlich das Skript nicht gelesen hat. Und warum eigentlich immer alles so kompliziert sein muss, wo es doch, rein theoretisch, so einfach sein könnte. Wenn man dann noch zu einem halbwegs temperamentvollen Charakter neigt, fängt man ab einem bestimmten Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an, sich aufzuregen und ein Tourette-Syndrom zu entwickeln. In diesem emotionalen Bermuda-Dreieck ist vermutlich schon so manch eine von uns verlorengegangen.

Aber weil doof Dastehen, sinnlos Grübeln und Sichaufregen dauerhaft auch keine wirklich abendfüllenden Veranstaltungen sind, stellt sich noch einmal die Frage: Was macht man als herausgeputzte Küchenmagd, Mutter, Arbeitnehmerin und angehende Prinzessin ohne Zaubernüsse, wenn sich der Prinz als schnöder Pferdedieb entpuppt? Man erhebt sein Haupt, richtet, einmal mehr, sein Krönchen, macht sich ein Radler auf und gibt niemals (niemals!) den Gaul aus der Hand. Und dann reitet man lässig weiter.

die aktuelle

Feuerlauf

Zu meinem diesjährigen Geburtstag schenken mir Ma Baker und der Sysop eine Herausforderung in Form eines Feuerlaufs. Zuerst freue ich mich, dann fürchte ich mich, und dann geht es los, hoch auf einen kleinen Bauernhof auf der Alb. Als Ma und ich ankommen, drückt uns die leitende Oberhexe tonnenweise Lebensmittel in die Hand, die wir in die Kühl- und Küchenschränke sortieren dürfen, und ich bin beruhigt: Wir werden vielleicht verbrennen, aber nicht verhungern, und es gibt sogar jede Menge Waffelröllchen. Dann trommelt uns die Oberhexe zusammen, wir stellen uns vor, erhalten erste Instruktionen sowie die Ankündigung, dass sich der Bauer, dem der Hof gehört, nach getaner Arbeit zu uns gesellen wird, und bekommen Obst und Kekse. Danach schleppen wir ungezählte Holzscheite zu einem Scheiterhaufen auf der Wiese, legen mit Klappern, Klicken und Klacken unsere Ratio lahm, dann gibt es Kaffee und Kuchen, und nach weiteren Kopfausschaltspielchen und innerer Sammlung ist es auch schon wieder Zeit fürs Abendessen.

Ein anderes System übernimmt die Steuerung

Als es langsam dämmert, entzünden wir mit Zeitungsfackeln den Scheiterhaufen, gehen ein letztes Mal nach drinnen, bekommen finale Instruktionen, und dann wird es ganz still. Wir gehen nach draußen, stellen uns im Kreis um das Feuer, das mittlerweile nahezu heruntergebrannt ist. Wie angekündigt stößt der Bauer zu uns, er steht im Kreis neben mir, auf meiner anderen Seite steht eine kleine blonde Frau. Ein anderes System übernimmt die Steuerung, und ich will nur noch eins: ins Feuer, und zwar sofort. Vorher gilt es allerdings noch einen Holzpfeil mit dem Hals zu durchbrechen. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, und ich möchte auf der Stelle nach Hause. Was, wenn es bei mir nicht funktioniert und ich der volle Feuerlaufholzpfeildurchbrecherloser bin und alle schauen zu? Noch blöder wäre es allerdings, meinen Pfeil heimlich, still und leise anderweitig zu entsorgen und mir so meinen eigenen Feuerlauf zu versauen. Also klemme ich mir mit zitternden Händen den Pfeil zwischen mein Halsgrübchen und ein Holzbrett, das die Oberhexe hält, atme dreimal tief ein und aus und zersplittere das Ding sauber in der Mitte. Und alle schauen zu.

Respekt!

Danach verteilt die Oberhexe die glühenden Kohlen zu beiden Seiten der zu laufenden Bahn. Als wir nacheinander noch einmal mit einem Rechen durch die Glut haken, versengt mir die Hitze fast Gesicht und Jeans. Respekt. Und dann ist es soweit, wir stehen im Kreis und halten uns an den Händen. Der Erste löst sich aus dem Kreis, hält vorm Glutteppich kurz inne und läuft dann mit bloßen Füßen darüber, als wäre es nichts. Einer nach dem anderen läuft, und plötzlich spüre ich, wie der Bauer neben mir anfängt zu vibrieren wie eine Rakete vorm Start, und dann läuft auch er. Kurz darauf zündet die kleine blonde Frau auf meiner anderen Seite und läuft. Und dann laufe ich, laufe über 900 Grad heiße Glut, und es ist wunderschön. So wunderschön und leicht wie bisher weniges in meinem Leben. Mit festen Schritten laufe ich über die Bahn aus glühenden Kohlen, und als ich anschließend an Ma vorbeilaufe, schüttle ich fassungslos und glücklich den Kopf. Ich reihe mich wieder in den Kreis ein, schaue zu, wie wir alle übers Feuer laufen, einer nach dem anderen, wieder und wieder. Dann laufen wir zusammen, in Zweier- und Dreiergruppen, auch Ma und ich, wir laufen für uns, großartige Wunderbra-Artikel und das Leben als solches.

Wiiiuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu

Und dann ist es vorbei. Es ist mitten in der Nacht, es gibt beruhigenderweise noch einmal jede Menge zu essen, und ich bin nicht sicher, ob wir übers Feuer gelaufen sind oder LSD genommen haben. Ma und ich verabschieden uns, rauchen eine letzte Zigarette unter einem gigantischen klaren Nachthimmel, eine gestochen scharfe Mondsichel, eine riesige Venus und unzählige andere Sterne leuchten strahlend hell über unserem Bauernhof, und es herrscht unendliche Stille. Die äußere Welt dagegen gestaltet sich als maximal materieproblematisch und sperrig. Nach drei Anläufen gelingt es mir, die Autotür zu öffnen und meinen Rucksack auf der Rückbank zu verstauen, und ich bin sehr froh, dass Ma die Straßenverkehrsordnung im Griff hat und in der Lage ist, unser kleines Raumschiff sicher nach Hause zu fliegen. Als auf der Schnellstraße nach Lingendingen ein anderes Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit und einem pfeifenden Wiiiuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu an uns vorbeirast, realisieren wir, dass sich unser Fahrtempo quasi im Minusbereich befindet.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich nicht sicher, ob das alles nur ein Wahnsinnstraum war. Und dann schaue ich mir meine Füße an, und sie sind kohlpechrabenschwarz. Ohne eine einzige Brandblase. Eins steht nach diesem Abend fest: Wir können mehr.

Kreissparkasse

Es ist ja alles nicht so einfach. Da lernt man einen netten, jungen Mann kennen, nennen wir ihn spaßeshalber Leitmayer, der, wie sich herausstellt, ebenfalls im letzten Jahr aufgrund emotional widriger Umstände das Laster des Rauchens wieder aufgenommen hat, und mit dem man prima plauschen kann, weil er ungefähr ebenso alberne Dinge erzählt wie man selbst. Dann trifft man ihn zufällig noch einmal und noch einmal und noch einmal, nur um irgendwann festzustellen, dass man denselben netten, jungen Mann (immer noch Leitmayer) gerne mal nicht zufällig, sondern eher so ganz gezielt treffen würde. Und, schwupps, hat man ein Problem.

Denn: Man hat weder eine amtlich autorisierte Handynummer noch einen offiziellen Anlass für eine Verabredungsoffensive, dafür jedoch umso mehr Klöße im Hals und Steine im Bauch. Das Problem eröffnet an dieser Stelle mehrere Lösungsmöglichkeiten: Entweder man veranstaltet ein Riesengehampel, um zufällige Begegnungen herbeizuführen, oder man wartet darauf, dass der andere sich möglicherweise erbarmt, was aber dauern kann, bis man Spinnweben ansetzt oder auch gar nicht passiert, oder man geht in die Dateoffensive und riskiert, mit einer Abfuhr emotional geschreddert zu werden, oder aber: Man bleibt auf der sicheren Seite und lässt das Ganze bleiben. Da wir von der Wunderbra-Redaktion jedoch bekanntermaßen fast nichts auslassen, um auch die letzten menschlichen Abgründe auszuloten und die finalen Fragen des Universums zu klären, haben wir uns in den vergangenen Wochen intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt: Wer meldet sich wann bei wem, und wenn ja, unter welchem Vorwand? Die Ergebnisse möchten wir der werten LeserInnenschaft, wie immer, natürlich auf gar keinen Fall vorenthalten.

Lässig wie Aschenbrödel

In meiner stets heroischen und aufopferungsvollen Art habe ich mich als Testperson zur Verfügung gestellt und mich der Problematik folgendermaßen genähert: Nach diversen Wahnsinnsaktionen, die zu gar nichts führten, sondern lediglich Zeit, Energie und Freundinnen verschlissen, und die ich auch nicht wirklich im Detail vertiefen möchte, berief ich schließlich den Hexenrat ein, der einen geschlagenen Nachmittag auf verschiedenen Kanälen damit verbrachte, Chancen und Risiken abzuwägen, um endlich einstimmig zu beschließen: Handynummer von Leitmayer recherchieren, per Kurznachricht Date anfragen, auf „Senden“ drücken und anschließend lässig wie Aschenbrödel über schneebedeckte Ebenen reiten, als wäre nichts passiert.

Und da es gegen die Beschlüsse des Hexenrats recht wenige Vetomöglichkeiten gibt, recherchiere ich gehorsam Leitmayers Handynummer, tippe eine SMS, drücke auf „Senden“, unterdrücke den Impuls, mein Handy auf der Stelle in der Toilette hinunterzuspülen und beneide Aschenbrödel um ihre Lässigkeit. Ich rechne mit Antworten von „Wie, bitte, kommst Du auf das schmale Brett?“ über „Noch eine SMS und ich ruf‘ die Polizei!“ bis hin zu einem schlichten „Nein danke, ich treffe mich nicht mit Stalkerinnen.“ oder einfach: Nichts. Eine Stunde passiert dann auch wirklich nichts. Dann kommt Leitmayers Antwort, und ich bin nicht sicher, ob ich sie lesen oder löschen will. Und dann ist plötzlich alles recht einfach. Per SMS, Gott segne den Erfinder, überlegen wir, was „Freitag“ oder „Samstag“ auf türkisch heißt, und ob wir uns lieber in der Kreissparkasse oder in der Volksbank treffen, entscheiden uns dann aber für erstere, denn da wohnt Leitmayer.

Abspann

Es wurde dann im Übrigen noch ein sehr netter Abend. Leitmayer und ich versackten in der Kreissparkassenküche, plauschten über Prinzessinnen, Halbmonde, Langeweile in der Badewanne sowie das Leben als solches, leerten dabei zwei Flaschen Wein und rauchten geschätzte 200 Zigaretten. Fazit: Die Dateoffensive habe ich überlebt, bei dem Jenseitsschädel am Morgen danach bin ich noch nicht ganz sicher.

die aktuelle

Wiesbaden-Biebrich

Deutschland ist schön – wir zeigen es! Andere Leute fliegen mit dem Flugzeug für mehrere Wochen nach Ibiza, Kenia oder Istanbul, Hotti, Lotti und ich fahren mit der Deutschen Bahn nach Wiesbaden-Biebrich und genießen unser Wochenende in vollen Zügen. Wir müssen dreimal umsteigen, im Gang sitzen, Leute mit Koffern und Kaffee schieben sich an uns vorbei, ein fetter Mann schiebt sich pausenlos auf die Bordtoilette, vor der ich es mir gemütlich gemacht habe, aber egal, wir sind auf dem Weg zu Tante Janeway und Onkel Kirk und freuen uns auf Sightseeing in der hessischen Landeshauptstadt.

Spaßkämpfe im ÖPNV

Im Zug haben Hotti und Lotti sich noch recht gut im Griff, angekommen am Wiesbadener Hauptbahnhof und im Angesicht der Tante lassen sie sämtliche Hemmungen fallen und fangen an, sich gegenseitig auf stark befahrene Straßenkreuzungen zu schubsen und geschwisterliche Spaßkämpfe im Öffentlichen Personennahverkehr auszutragen. Der erste Programmpunkt unserer hessischen Reiseleitung besteht in der Besichtigung der ortsansässigen Fasanerie, wir bewundern Hasen, Ziegen, Schweine, Wisente und Wölfe, Hotti und Lotti prügeln sich um Onkel Kirks Fernglas, das er letzte Weihnachten von seinen Schwiegereltern geschenkt bekommen hat. Am integrierten Wolfs- und Bärengehege informiert eine Tafel, dass die Bären sich zur Zeit noch im Winterschlaf befinden, fünf Minuten später schlappt ein schlecht gelaunter Bär am Zaun vorbei, sicher haben die Horden kreischender Kinder ihn frühzeitig aus dem wohlverdienten Schlaf gerissen. Das werden die Wölfe vermutlich büßen müssen. Lotti fragt, ob wir ihm jetzt ein Schaf reinwerfen, Hotti fängt an, ihn mit dem restlichen Trockenfutter für die Ziegen zu bewerfen.

Gegen Abend fahren wir zurück an den Rhein, wir bewundern die schöne alte Sandsteinbrücke, die zur gegenüberliegenden Bischofsstadt Mainz führt, die Kinder bewundern den alten Kutter, auf dem es ein holländisches, auf Pfannkuchen spezialisiertes Lokal gibt, und finden Brücke und Mainz hammerslangweilig. Nach mehrfachen ins Leere laufenden Bemühungen der Erwachsenen, den deutschen Nachwuchs für die kulturellen, geschichtlichen und föderalen Highlights zu begeistern („Schaut mal, da drüben fängt Rheinland-Pfalz an!“), gehen wir auf dem Holländerkutter Pfannkuchen essen. Hotti setzt für sich für einen großen Pfannkuchen mit Käse und Zwiebeln durch, den sie niemals schaffen wird, Lotti erleidet eine Niederlage und bekommt eine Kinderportion Spaghetti, die sie ebenfalls nicht schaffen wird, und als das Essen nicht direkt nach der Bestellung auf dem Tisch steht, wird einfach wieder ein bisschen gestritten, man ist ja schließlich im Urlaub.

Ein Bild des Grauens

Das Essen kommt, Hotti macht nach nicht mal einem Viertel des radgroßen Käse-Zwiebel-Pfannkuchens schlapp und lässt ihn sich fürs Frühstück einpacken, Lotti will noch mehr Käse über die Kinderspaghetti und noch mehr Fanta. Als Janeway, Kirk und ich eine weitere Erwachsenengesprächsoffensive starten, reißt Hotti kurz entschlossen mit einer schwungvollen Geste Janeways Wasserglas um, und Lotti verteilt vor lauter Langeweile das Bauernhofquartett auf und unter dem Tisch. Ich spiele mit dem Gedanken, die zwei den Rheinfischen zum Fraß vorzuwerfen, Janeway und Kirk schicken sie stattdessen nachsichtig lächelnd spielen, so sind halt Kinder. Beim nächsten Versuch einer gepflegten Konversation taucht Lotti wieder auf und flüstert mir eindringlich ins Ohr, ich solle mal mitkommen. Ich will nicht, sie insistiert, ich folge. Es geht zur Toilette, wo sich mir ein Bild des Grauens darbietet: Meine Kinder haben es geschafft, zeitgleich beide Kloschüsseln mit großen Geschäften zu verstopfen. Darauf einen Obstler.

Der zweite Tag verläuft verhältnismäßig zwischenfallsfrei, alles ist relativ, es wird sich nur ein bisschen liebevoll am Frühstückstisch geknufft und anschließend über die Möbel der kinderfreien Wohnung gejagt. Wir besichtigen den Biebricher Park mit Schlösschen, Eichhörnchen und Papageien und gehen noch einmal an den Rhein, wo wir Enten bestimmen, Muscheln sammeln und Kirk durch energisches Zupacken an Lottis Kapuze deren Hineinfallen in die Fluten verhindert. Selbst bei einer Steilvorlage wie dem abschließenden Eisessen gelingt es Hotti und Lotti, größere Katastrophen zu vermeiden, und wir machen uns auf den Heimweg, wo sich Lotti nur beinahe von einer vier Meter hohen Mauer stürzt.

Tot, aber glücklich

Die Rückfahrt gestaltet sich ebenfalls recht gediegen, abgesehen von einem Schaffner, dessen Ring ich küssen muss, damit wir nicht extra zahlen müssen, weil wir im falschen Zug sitzen und ich mit meinem Sparticket schließlich an die Zugbindung gebunden bin. Er sagt so etwas wie: „Diesmal lasse ich Sie noch mal davon kommen, Lady, aber wenn ich Sie Kriminelle noch einmal mit Ihren Rotzgören in meinem Zug erwische, steck‘ ich Sie sofort in den Frauenknast, ist das klar?“, aber auf den Sitzen hinter mir spielen Hotti und Lotti gerade dermaßen einträchtig Uno, dass ich nur erwidere: „Is‘ klar, Officer!“

Zurück in Lindendingen schleppen wir uns tot, aber glücklich in die Grüne Hölle, ergattern unterwegs noch zwei fette Blumenkästen vom Sperrmüll und fallen ins Bett. Vorm Einschlafen riecht Lotti an ihrem Schlafanzug und strahlt: „Der riecht nach Wiesbaden!“

die aktuelle

kleiner Anfall von Rührseligkeit

Lustige Bilder, lustige Videos und Witze
Mit Mitte 30 weiß man das ja. Frauen sind äußerst vielschichtige Wesen. Mal ist es ein bißchen mehr so, dann aber auch wieder nicht so ganz. Der Hormonspiegel steigt in den Himmel – und stürzt dann plötzlich ab, samt der Laune und den vielen Dingen, die grade eigentlich noch gar kein Problem waren, sich im Talflug aber flugs in eine fiese finstere Wolke verwandeln, die wahrscheinlich auch waffenscheinpflichtig wird, wenn man ihr zu nahe kommt.
Um diese Dinge weiß man als Frau. Das ist nicht das Problem. Manchmal wünscht man sich eine Reduktion auf on und off, weil es schon mal passieren kann, dass man sich selber zuviel ist. Man sehnt sich nach überschaubaren 3 Dimensionen anstatt einem Spiegelkabinett, wo es immer noch irgendwo um eine emotionale Ecke geht, die eine mehrstündige Erörterung der Gesamtsituation erforderlich macht. Aber dafür hat man ja Freundinnen. Wie gesagt, alles kein Problem. Ich komm damit klar.
Letzten Samstag abend hatte ich allerdings ein höchst beunruhigendes Erlebnis. Beim gelangweilten Versuch, eine Werbepause sinnfrei zu überbrücken stolperte ich über das Finale von „The voice of germany!“ Kein Thema, ich verabscheue Castingshows, egal wie wohlmeinend sie sich anstreichen. Mein Gehirn irgnoriert oder (falls das nicht geht) verpackt sie sofort unter der Kategorie „Nichtswürdiger Bockmist!“ Gerade als ich mich ans ignorieren machen wollte fingen 2 junge Männer mit 2 Gitarren an, ein Lied zu singen. Und ich mußte weinen!! Wie im Comic, 2 Gitarren, 2 junge Männer, 2 Sturzbäche, einer links, einer rechts! Etwas in einer doofen Castingshow bringt mich zum Weinen! Das ist ein Grund zur Beunruhigung! Es gibt natürlich viele große Momente der Filmgeschichte, die es wert sind, ein paar Tränen zu vergießen. Ein vom Zug überfahrener Buddy in „Grüne Tomaten“ zum Beispiel, oder eine sterbende Schwester in „Betty und ihre Schwestern!“ Ich hab auch geweint, als DATA in heroischer Mission samt einem feindlichen Raumschiff explodiert ist. Das ist Star Trek! Da geht das! Aber doch nicht bei einer Casting-Show!
Die Untersuchungen zu diesem Vorfall konnten leider wegen mentaler Tränenflut noch nicht abgeschlossen werden. Das zuständige Gremium befaßt sich allerdings mit der Frage, ob die Installation eines weiteren Reglers auf der Schalttafel angezeigt ist.
Und was bringt Euch so aus der Fassung und treibt Euren Taschentuchkonsum in die Höhe?
Ein paar kleine Geschichten zu fragwürdigen Anlässen würden mich ungemein beruhigen.

Ma Rührselig

Hier noch der Link zu den Gitarrenjungs für Interessierte zum Mitflennen oder Wundern:

http://www.youtube.com/watch?v=47zf7etZQNE

Teenietusse

Es begann vor einem halben Jahr mit fettigen Haaren und zartem Müffelgeruch. Es folgten Kicheranfälle bei jeder passenden oder auch unpassenden Gelegenheit, extrem unkomische Witze und leichte Stimmungsschwankungen. Dann wanderten Rolf Zuckowski und seine CDs in die Flohmarktkiste, Rock und Pop mussten her, meine Lieblings-CDs fand ich im Kinderzimmer wieder. Um Weihnachten herum wurde es existenziell zu wissen, wie man Amy Macdonald schreibt, und die neue Katzenjammer zu haben. Seit zwei Monaten ist plötzlich morgens um sieben schon alles, inklusive mir, „VOLL UNGERECHT!!!“, im überfüllten Kleiderschrank „nichts anzuziehen“, und meine Order, bei Minusgraden Mütze und Handschuhe anzuziehen „HAMMERSGEMEIN!!!!“. Und vor zwei Wochen fing sie an, sich meine Handcreme ins Gesicht zu schmieren. Als sie sich dann heute Morgen nach einer halben Stunde mit meiner feuchtigkeitsspendenen Tagescreme mit Lotusblüte für normale und Mischhaut in der Hand aus der Badezimmertür hängt und „Wofür ist das? Kann ich das benutzen?“ fragt, habe ich die Gewissheit: Hotti, meine Erstgeborene, pubertiert.

Hammerscool

Das heißt erstens: Wir haben eine neue Entwicklungsstufe erreicht (heureka!), zweitens: Sie dringt in meinen Kosmetikbereich vor, und drittens: Lachen, solange es noch lustig ist. So will Hotti beispielsweise nicht mehr die bis vor Kurzem noch geliebte Bravo-Hits Nr. 13 aus dem Jahre 1996 zum Einschlafen hören, weil sie jetzt bei Lied Nr. 5 immer Angst bekommt. Auf dem Cover lese ich Mutter, der Mann mit dem Koks ist da von T>>MA A.K.A Falco. Fragend schaue ich Hotti an. Hotti, entrüstet: „Das ist doch was mit Drogen!!“

Ebenfalls recht unterhaltsam ist die Entdeckung der aktuellen Charts: „Mama, wie heißt das Lied von Usher mit Baddabing, baddabumm? Das ist nämlich hammerscool, das Baddabing, baddabumm!“ Der gesuchte Titel lautet übrigens DJ Got Us Fallin‘ In Love. Oder: „Von wem ist ‚Money – money – money – sobollse – money – money – money‘?“ Der Rhythmus passt nicht, sobollse auch nicht, ich schlage trotzdem ABBA vor. Die angehende Teenietusse verdreht die Augen, schüttelt genervt den Kopf und insistiert wippend: „Nein, das geht so: ‚Money – money – money – sobollse – money – money – money‘!“ Beim dritten sobollse löse ich: Der gesuchte Titel lautet Price Tag von Jessie J. Ich wusste, eines Tages würde mein konsequentes SWR3-Hören sich auszahlen.

Payback

Gestern Abend hatten Hotti und ich einen recht unschönen Streit, den ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen möchte, nur so viel: Wir waren beide nicht so richtig nett. Nach meiner heutigen Erkenntnis sehe ich den Vorfall um Klassen gelassener, neue Entwicklungsstufe und so, das Ding hat einen Namen, alles händelbar, ich aufgeklärte Mutter und so, und zum Glück ist sie ja meistens auch echt noch putzig. Als Hotti heute aus der Schule nach Hause kommt, entschuldigt sie sich bei mir „wegen gestern Abend, das war blöd von mir!“. Ich sage das Gleiche, denke „Inneres Fest!!“ und klopfe mir ob meiner mütterlichen Abgeklärtheit innerlich ausgiebig auf die Schulter. Zwei Minuten später baut sie sich wieder vor mir auf und faucht: „Weißt Du, und wenn Du mich früher angemeckert hast, dann hab‘ ich nix gesagt, aber jetzt lass‘ ich mir das nicht mehr gefallen, jetzt schrei‘ ich zurück!!“

Nach dem Abendessen braucht Hotti heute besonders lang im Bad. Als ich schon denke, sie ist beim Haarekämmen eingeschlafen, öffnet sich endlich die Tür: „Kann ich was von der Körpermilch nehmen?“

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