Jahresrückblick: Das war 2011

Der Spiegel tut es, die dpa tut es und Leute wie Günther Jauch tun es sowieso und alle Jahre wieder: Am Jahresende nostalgisch nach hinten blicken, um sich und anderen in Form einer Riesengala noch einmal die Breitseite sämtlicher Promibabies, Politstreits und anderer Katastrophen des vergangenen Jahres einzuschenken, nur um die Promibabies, Politstreits und Katastrophen, die schon wieder vor der Neujahrstür stehen, noch ein bisschen vor sich herzuschieben. Genug Anlass für die aktuelle, dieses Jahr genau das Gleiche zu tun, innezuhalten und zu fragen: Was war 2011, und wenn ja, wozu, und besteht möglicherweise 2012 die Möglichkeit, dass endlich die Rama-Frau mit Hollandrad und Brötchenkorb an meinem Balkon vorbeisegelt und die ultimative Idylle verbreitet? Was also waren die zentralen Themen der aktuellen 2011?

Sterben und sterben lassen
Die Hauptaufgabe 2011 bestand darin, Altes abzuschließen, Altes abzuschließen und Altes abzuschließen. Nicht ohne Stolz kann ich behaupten – und ich möchte das hier noch einmal in aller Deutlichkeit betonen – genau das, wenn auch nicht gerne, so doch pausenlos und immer wieder erfolgreich getan zu haben: Niemand ist das vergangene Jahr so oft gestorben wie ich, immer getreu dem Tarotkarten-Gerd-Bodhygan-Ziegler-Motto „Stirb bevor Du stirbst“, und niemand hat nachts, wenn andere Leute friedlich schlafen, so viele Leute und Goldfische um die Ecke gebracht wie ich. Ansonsten verließ Fanta Lingendingen, nicht ohne vorher noch mit mir nachts die eine oder andere Plazenta im Wald zu vergraben, und ich wurde plötzlich Scheidungskind. Auch der drei Jahre währende Rosenkrieg mit dem Hotti-Lotti-Papa konnte dieses Jahr erfolgreich befriedet werden.

Nikotin
Aufgrund widriger emotionaler Umstände habe ich nach elf Jahren Abstinenz wieder mit dem Rauchen angefangen, was wider Erwarten weder zu einer gesteigerten körperlichen Fitness noch zur Überwindung der widrigen emotionalen Umstände geführt hat. Immerhin schlage ich mir nicht mehr wie noch vor elf Jahren exzessive WG- und Kneipennächte um die Ohren, so dass 20 Kippen pro Tag schon mal wegfallen.

Wohnung
Meine Wohnsituation hat sich dramatisch verbessert, ich bin sowohl meine böse alte Vermieterhexe als auch die hausinterne Sex-Stasi los, und wohne jetzt mit Hotti und Lotti in der Grünen Hölle, wo satte 70% gegen das größte Bahnhofsidiotenprojekt aller Zeiten gestimmt haben, was leider nichts gebracht hat, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Urlaub
Ich habe mit Hotti, Lotti und Lancelot einen Patchworkfamilienurlaub an der Cote d’Azur absolviert, der seinesgleichen sucht, und der dazu führte, dass die doch etwas holprige Romanze zwischen meiner ersten großen Liebe und mir ein noch schnelleres Ende fand, als sie es vermutlich ohnehin getan hätte. Das Wetter war schön, das Essen gut.

Geld
Da ich dieses Jahr nicht nur umgezogen und in eine der teuersten Urlaubsregionen Europas gefahren bin, sondern mein Auto Molli Tüpp gleich zweimal die Grätsche machte, einmal vor und einmal nach dem TÜV, bin ich so pleite wie nie. Dass Hotti jetzt eine Zahnspange für 1000 Euro braucht, die die Krankenkasse dank der neuen gesetzlichen Regelungen nicht zahlt, und die Hotti niemals anziehen wird, macht es nicht besser. Aber Geld ist ja nur eine virtuelle Größe, und mit Hilfe des Jahresloses der Aktion Mensch, das ich mir gerade rausgelassen habe, beziehe ich nächstes Jahr mit Sicherheit eine monatliche Rente von 3000 Euro und eine Traumvilla.

Job
Der berufliche Sechser im Lotto hat dieses Jahr leider noch nicht funktioniert, aber da setze ich 2012 voll auf das oben erwähnte Jahreslos.

Liebe
Ich habe wegen Lancelot nicht nur irrtümlicherweise einen halben Nervenzusammenbruch am Stuttgarter Flughafen erlitten und daraufhin wieder mit dem Rauchen angefangen, bevor ich mit Dr. Sprite nach Berlin flog, die dort drei Tage lang mein Tourette-Syndrom ertragen musste, sondern auch erfolgreich die Beziehung mit selbigem zu etwa 50% in den Sand gesetzt. Da ich mich derzeit noch im akuten Entzug befinde, bitte ich weiterhin inständig darum, mich mit beziehungstechnischen Erfolgsgeschichten, Verlobungen, Hochzeiten, romantischen Liedermachern, Rosamunde-Pilcher-Filmen und „Mein/e Mann/Frau sagt/kocht/kann immer“-Gedöns zu verschonen. *)s. Kommentare

Leibesübungen
Neben meiner Beziehung haben auch meine fünfzehn Jahren alten Joggingschuhe im Traumurlaub an der südfranzösischen Küste das Zeitliche gesegnet, und da ich aus genannten Gründen kein Geld für neue Laufschuhe besitze, belege ich derzeit gemeinsam mit Ma Baker mehr oder weniger regelmäßig einen Yoga-Kurs der örtlichen Volkshochschule. Durch ihn habe ich gelernt, wie der Fisch geht, dass er gut ist für die Schilddrüsenregulation, dass man dabei schlecht oder nicht schlucken kann und dass einem davon die Arme einschlafen. Shantishanti.

Selbstfindung
Ich habe dieses Jahr nicht nur meinen Papa gefunden, der mich regelmäßig ins Tragetuch packt, wenn die Welt gemein zu mir ist, sondern auch eine Mama mit wilden Röcken, die nachts energisch meine Wohnung von alten Hamsterkäfigen und anderem Unrat befreit. Wasser ist dicker als Blut. Ansonsten bin ich mit Soulsister Ma Baker auf den Spuren der heiligen Ursel über die Schwäbische Alb gewandelt und habe mit ihr – Ma, nicht Ursel – in rituellen Hexenfeuern so ziemlich alles verbrannt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Darüber hinaus habe ich bei einem eigens von Ma Baker geleiteten Frauenseminar an der VHS herausgefunden, was ich in meinem tiefsten Inneren bin: Ein Superman-Marienkäfer, der kleinen Ameisenkindern das Leben rettet.

Ausblick
Die Rama-Frau wird mit großer Gewissheit auch 2012 nicht in Erscheinung treten, Ma Baker und ich haben nämlich im Laufe dieses Jahres ein weiteres der letzten Geheimnisse gelüftet: Die Rama-Frau, die in den 70er Jahren des letzten Jahrtausends den heilen Werbefamilien ein üppiges Frühstück und die pure Idylle in den Garten radelte, gibt es gar nicht, zumindest nicht für uns Irdische. Genauer gesagt wird sie uns erst in unserer letzten Minute, exakt in dem Moment, in dem wir das Zeitliche segnen, als Skelettfrau mit holländischen Frau-Antje-Zöpfen erscheinen, mit frischen Brötchen, O-Saft und einer fetten Packung Rama beglücken, und sagen: Siehst Du das weiße Licht? Komm und folge mir, ich mach‘ Dir Frühstück!

Namasté
die aktuelle

Sneak Preview

Bild: Shhhhhh, Lizenz: cc

Ihr ahnt ja nicht, was nachts bei mir los ist, und wer sich da alles so herumtreibt. Ich gehöre zu den begnadeten oder verfluchten, je nachdem, Menschen, die pro Nacht mindestens einmal, gerne auch mehrmals träumen. Das Themenspektrum reicht dabei von schnöden Erziehungsthemen und magischen Hexeneinweihungsriten über spannende Spionagethriller und mehr oder weniger unterhaltsame Todesvariationen bis hin zu nicht jugendfreien Folterszenen oder gar den letzten Fragen des Universums. Jede Nacht Kopfkino und ganz ohne Drogen. Das macht das Einschlafen besonders spannend, man weiß nie, was heute Nacht gespielt wird, jede Nacht eine Sneak Preview sozusagen, und immer wieder überraschende personelle Besetzungen. Dass man dafür jeden Morgen wie geschreddert aufwacht, ist ein gewisser unangenehmer Nebeneffekt, dafür muss man dann aber auch wieder nicht so oft ins Kino und spart eine Menge Geld. Ich präsentiere an dieser Stelle mal ein paar meiner persönlichen cineastischen Highlights, die samt und sonders aus dem letzten Vierteljahr stammen:

Spionage-Theme
Ich, mein Mann (ich bin real unverheiratet) und ein dritter Mann sind Geheimagenten, haben eine Straftat gegen den Staat und für die Gesellschaft (ich gehöre immer zu den Guten) begangen und werden von der Polizei gesucht. Mein Mann und ich versuchen den Dritten in unserer Matratze zu verstecken, aber der Reißverschluss klemmt. Daraufhin schmuggeln wir den Mann zur Kellertür hinaus. In dem Moment klopft es an der Tür: „Aufmachen!! Polizei!!!“

Psychopathen-Theme
Norman Bates jagt mich durch ein dunkles Haus. Darth Vader jagt mich durch die Volkshochschule. Ein Terrorist jagt mich durch die Stadt und erschießt mich mit Dornapfelpfeilen (!). Frankenstein schleppt mich in einen riesigen Gitterkäfig im Jobcenter und foltert mich vier Nächte lang, womit ich mir meinen Anspruch auf Hartz IV sichere. Bushido überfällt Ma Baker und mich – just in dem Moment, als wir shoppen gehen wollen.

Hexen-Theme
Hexentreffen auf dem Blocksberg, ich bin endlich 137 Jahre alt, darf offiziell partizipieren und bin sehr gespannt. Die alten Hexen sitzen um ein Lagerfeuer und reden nur Stuss. Nach einer Weile sage ich: „Ihr redet nur Stuss!“, verlasse die Veranstaltung und gehe mit Dr. Sprite, Mr. Sonicer, Mr. Matrix und Frau Schnick Radler trinken.

Todes-Theme
Meine eine Oma stirbt (natürlicher Tod). Meine andere Oma stirbt (ich drücke ihr ein Kissen aufs Gesicht). Meine Mutter stirbt gleich dreimal hintereinander (damit habe ich nichts zu tun). Mein über alles geliebter Goldfisch stirbt (ich hatte nie einen und finde Fische eher öde). Johannes Heesters stirbt. Meine Tante Margot stirbt. Und immer muss ich hinterher den ganzen Kram aufräumen.

Erziehungs-Theme
Ich sitze vorm Computer und habe keine Lust, mit den Kindern zu spielen. Ich vergesse die Kinder abzuholen. Ich koche Reis für die Kinder, sie wollen Nudeln. Meine Kinder spielen ‚Mama geht arbeiten‘, und meine Mutter sagt mit hochgezogenen Augenbrauen: „Komisch, meine Kinder haben nie so viel ‚Mama geht arbeiten‘ gespielt!“ Ich vergesse die Kinder abzuholen. Ich vergesse die Kinder abzuholen. Ich erleide einen Schwächeanfall beim Kochen. Ich organisiere Plätzchenbacken mit anderen Eltern. Ich vergesse die Kinder abzuholen.

Absurdistan-Theme
Ich habe Ärger mit meiner Vermieterin, verwandle mich in eine Muschel und werde ins Meer gespült. Auf dem Meer treiben riesige Erpel, die in Menschensprache sprechen. Ich sitze plötzlich auf einem Stuhl (wir sind immer noch auf dem Meer), Leonardo di Caprio kommt und küsst mich wach (ich schwöre, dass ich Leonardo di Caprio unerträglich finde). Ich bin in Portugal, esse ein Sandwich mit Würstchen und Banane und denke: „Ich sollte mehr auf meine Ernährung achten.“ Ich schaue Axel Prahl bei einer Bootsfahrt zu. Ich organisiere einen Photoshop-Kurs, alles läuft aus dem Ruder. Ich versehe Blumentöpfe mit Kategorien (Erdsorte/gegossen/nicht gegossen…), pdf-Dokumente fliegen an meinem Balkon vorbei. Ich bewerbe mich als Automechanikerin, gleichzeitig stellt sich heraus, dass Dr. Sprite früher ein Hörspiel-Kinderstar war. Ich schlage unserem Mittagstisch-Türken bei der Arbeit vor, seine Öffentlichkeitsarbeit zu machen, Luke Skywalker rät dringend zu. Ich verköstige die kaiserliche eritreische Gemeinde von Filderstadt mit Mirabellenmus.

Die-letzten-Fragen-des-Universums-Theme
Das Leben ist ein riesiger Walfisch, der gemütlich wie Raumschiff Enterprise durchs Weltall treibt. Ringsherum hängen winzige angeseilte Menschen und versuchen, den Walfisch zu ergründen. Überall sind Sterne, alles hängt mit allem zusammen, und ich habe auch in dieser Nacht keine Drogen genommen.

Sollte irgendjemand Interpretationen loswerden oder diesen Artikel als Skript für ein psychedelisches Spacemovie verwenden wollen, nur zu!

Gute Nacht
die aktuelle

Karte rein, glücklich sein

Wenn man innerhalb von 21 Monaten die 89. Runde unerquicklichsten Liebeskummers wegen dem gleichen Typen dreht, gibt es fast nichts Besseres als einen Abend mit Wärmflasche, Stricksocken, Schlabberhose, Plüschdecken, Ignatia D6, einer halben Flasche Wein und dem Programm von Sixx, auch wenn man normalerweise weder trinkt noch fernsieht. Liebeskummer ist Luxus, und man entwickelt ja eine gewisse Routine. Glücklicherweise laufen vier Folgen Sex and the City am Stück, unglücklicherweise läuft dazwischen ein Haufen dämlicher Werbung. Frauenwerbung, schließlich ist Sixx der einzige autorisierte Frauensender, zumindest hierzulande.

Jedenfalls, die Werbung. Da hätten wir als erstes windeln.de mit einer „Riesenauswahl an Babyartikeln“, als nächstes irgendeine Schokolade, direkt gefolgt von einem Mittel gegen „Dehnungsstreifen“ (nie gehört). meinmuesli.de verspricht „das perfekte Müsli“, Edeka mobil dagegen „Karte rein, glücklich sein“. Dazwischen eine erfrischende Vorschau für das Halloween-Programm: Scary Movie I+II und der Serienmontag mit vier Folgen Vampire Diaries, prima, da falle ich wenigstens nicht auf. Dann irgendwas mit „Mode, Styling, Wellness – einfach alles, was uns Frauen interessiert, spannend und bunt wie wir“ (ich distanziere mich) und schließlich Chance Chanel. Elitepartner.de für „Akademiker und Singles mit Niveau“ gibt mir den Rest. Und dann sind es auch noch die letzten vier Folgen der letzten SATC-Staffel, und alle entdecken die Liebe, und Big holt Carrie nach New York zurück. Gott, was für ein Dreck.

die aktuelle

Won for you, Won for me

 
Da die ewig erholungsbedürftige Wunderbraredaktion sich natürlich nicht mit derart popeligen Kraftplätzen wie dem Georgenberg zufrieden gibt (ich beantrage an dieser Stelle die Umbenennung in Urselberg, die ihn uns schließlich in ihrem Spiriwanderführer als Ort der Auramassage verkauft hat), erobern Ma Baker und die aktuelle im Anschluss nicht nur den Wackerstein, nein, sondern auch noch gleich das Won, unter anderem, weil mir am Wackerstein aufgrund altersbedingt zunehmender Höhenangst schlecht wird und weil das Won im Spiri-Ursel-Buch als weiterer Ort der Kraft und Sammlung angepriesen wird. Vielleicht finden wir ja hier, wenn auch keine Kaffee kochenden Druiden, so doch Ruhe und Einklang. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Der Berg ruft, Schafe blöken

 
Mit Won meine ich im Übrigen nicht das World Opponent Network, ein „Client-Server-Netzwerk für Multiplayer-Spiele von Spielen des Publishers Sierra Entertainment“, und auch nicht die süd- oder nordkoreanische Währung, sondern eine entzückende sanfte Hügelwiese mit Blick auf die Schwäbische Albhochfläche, genau das richtige also für geschundene Irrenhausschwestern- und Alleinerziehendeberufstätigemutterseelen wie uns. Juhu, denken wir, der Berg ruft, nix wie rauf, ab auf die wasserdichte Picknickdecke, abflacken, Schokokekse essen. Auf dem Weg nach oben kommt uns eine Herde Schafe entgegen, auch sie brauchten wohl etwas Sammlung und Erbauung, haben jetzt aber genug und gehen gerade. Oben angekommen entrollen wir unsere Decke, entrollen uns darauf, stopfen uns mit Keksen voll und schließen entspannt die Augen. In der Ferne hören wir das leise Blöken der Schafherde, das sich immer weiter im Wald verliert. Die Alb, ein Idyll.

Eine Schafphalanx materialisiert sich aus dem Nichts

 
Zwanzig Minuten später stößt mir Ma Baker aufgeregt ihren Zeigefinger in den Oberarm. „Du, aktuelle„, haucht sie, „schau mal!“ Als ich mich unwillig hochrolle und die Augen aufschlage, starre ich in zweihundert Augenpaare, die wiederum mich anstarren. In etwa zehn Metern Entfernung hat sich eine Schafphalanx aus dem Nichts materialisert, die uns fixiert und sich ebenso lautlos wie unaufhaltsam den Berg hinauf schiebt. Ich überlege kurz, was der Edeka neuerdings für Kekse verkauft, und starre ungläubig erst die Schafe an und dann Ma. Die starrt zurück, und nach eingehender Beratung einigen wir uns auf die passive Defensive. Die Schaffront dagegen hat sich für die aktive Offensive entschieden, sie rückt geschlossen näher und beginnt, einen Kreis um uns zu bilden. Zwei Meter vor unserer Decke bleibt die Huftiere stehen. Dort scheinen sie ihre Sprache wiedergefunden zu haben, sie blöken und starren. Und blöken. Und starren. Und blöken. Ma und ich schwanken zwischen Hysterie und Scheiße-warum-haben-wir-keine-Kamera-dabei-wären-wir-Jungs-hätten-wir-sogar-mobiles-Internet-das-glaubt-uns-doch-kein-Mensch und starren zurück. Und blöken.

Das Kollektiv umspült unsere Picknickdecke

 
Albtips.de schreibt über das Won: „Es lohnt sich, zum höchsten Punkt der Wiese hinaufzugehen, denn von dort hat man einen herrlichen Rumdumblick vom Wackerstein bis hin zum Lichtenstein.“ Möglicherweise haben die Schafe mobiles Internet und wollten endlich mal vom Gipfel aus den herrlichen Panoramablick genießen, und jetzt liegen wir ihnen im Weg und sie wissen nicht so recht, wie weiter. Vielleicht wollen sie auch nur unsere Schokokekse, sie wirken unentschlossen. Nach einer gefühlten Ewigkeit stampft schließlich die Schafchefin zweimal energisch mit dem Huf auf, blökt und gibt damit das Kommando zur weiteren Wonbesteigung. Das Kollektiv setzt sich in Bewegung, umspült unsere Decke, glotzt, blökt, spült an uns vorbei und erreicht schließlich den Gipfel. Heureka. Was für ein Stress für alle Beteiligten, darauf ein paar Kekse und Kippen für uns, Gras und Magerblumen für die Schafe und etwas Wonlicht für eventuell vorhandene Elementargeister.

 
Um das Ganze abzukürzen: Zwanzig Minuten später spielt sich alles von vorne ab, nur umgekehrt. Die Schafe spülen die sanfte Hügelwiese wieder hinunter, blöken, starren, blöken, starren, bis sie nach weiteren dreißig Minuten das Fußende des Berges erreicht haben. „Schafgezeiten“, meint Ma. Fragend schaue ich sie an. „Na ja“, meint sie, „Schafflut, Schafebbe, sie spülen rauf, sie spülen runter.“ Das ist natürlich eine Möglichkeit, aber wechseln die Mondphasen am Won so schnell? Oder haben Schafe eine andere Zeitrechnung? Und was war in den Keksen? Als die nächste Schafflut den Berg heraufrollt, packen wir zügig unsere Sachen und verlassen den geheimen Kraftort der Schafe.
 

Stresstest Sommerferien

Sommerferien sind, ebenso wie ein Großbahnhof, nichts für schwache Nerven. Nicht allein deswegen, weil diese üblicherweise sechs Wochen dauern, einer als orthodoxen Arbeitnehmerin aber lediglich sechs Wochen Gesamturlaub pro Jahr zur Verfügung stehen, es kinderbetreuungsmäßig jedoch noch weitere sechs Wochen Schulferien (Herbst, Winter, Fasching, Ostern, Pfingsten) zu bestreiten gilt, einer also nach Adam Riese sechs Wochen Urlaub fehlen. Ein gordischer Knoten, der jedes Jahr aufs neue vor elterlichen Türen steht, und den der super Kapitalismus trotz seiner Allmächtigkeit, Herrlichkeit und Heiligkeit bis jetzt nicht gelöst hat. Schade, aber egal, nur ein weiteres weites Feld.

Im August nach Anatolien

Dieses Jahr haben der Hotti-Lotti-Papa und ich uns dafür entschieden, die schönste Zeit des Jahres betreuungsmäßig exakt in zwei Hälften aufzuteilen: Drei Wochen sind die lieben Kleinen bei mir, drei Wochen bei ihm. Nicht weil wir so wahnsinnig innovativ sind und wir uns nicht jedes Jahr mit dem gleichen Betreuungsmodell langweilen wollen, nein, sondern weil der HPL die ersten drei Wochen zum Arbeiten nach Südostanatolien will. Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen und wirken. Prima, denke ich, dann melde ich Hotti und Lotti dieses Jahr doch gleich beide im Adlernest an, dem lokalen und von der evangelischen Kirche gesponserten Waldheim, wo die Kinder von morgens bis abends ohne elterliche Sorge und Ermahnungen basteln, schreien, toben, werkeln, Spaghetti mit Tomatensoße ohne Hände essen und sich die Rippen brechen können. Von morgens bis abends allerdings nur, sofern die Kinder das hohe Alter von sechs Jahren erreicht haben, Fünfjährige dürfen zwar immerhin partizipieren, aber nur in der Halbtagsgruppe, die geht dann bis um 13 Uhr, und die Eltern müssen sie täglich abholen.

3,5 Stunden für die Selbstverwirklichung: VOLL ungerecht

Egal, denke ich, Supersache, beide anmelden, parallel Urlaub haben, da habe ich ja morgens satte 3,5 Stunden, in denen ich mich total erholen, entspannen und selbst verwirklichen sowie voll die Sachen auf die Reihe bekommen kann wie z.B. joggen, schwimmen, gärtnern, Käffchen trinken, die Reste vom Umzug beseitigen, Geldanträge stellen, putzen, waschen, einkaufen und pausenlos Blogartikel ausspucken. Mittags hole ich dann total entspannt mein fünfjähriges Halbtagskind aus dem Adlernest und bespaße es als total entspannte Supermami mit pädagogisch wertvollen Dingen wie Basteln, Vorlesen und Eis essen, bis die Große aus der Ganztagsgruppe abends schlammverschmiert aus dem Bus fällt. HA!

Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag

An meinem letzten Arbeitstag zähle ich die Minuten, bis endlich die gemeinsamen Ferien mit den Kindern anfangen. Strahlend nehme ich sie abends beim HPL in Empfang, wünsche ihm eine gute Reise nach Südostanatolien und breche auf in eine glorreiche Ferienzukunft. Nach zwanzig Minuten allein zu Hause mit Hotti und Lotti möchte ich zurück ins Büro. Hotti: „Mama, die Lotti hat meinen lila Glitzer VOLL alle gemacht, OHNE zu fragen!!!“ Lotti: „Ich HAB‘ halt keinen Glitzer, und die Hotti hat VOLL viel und…“ die aktuelle: „Aber Kinder, ihr könnt den Glitzer doch TEILEN, und morgen hole ich neu…“ Hotti: „Mama, das ist VOLL ungerecht, IMMER hältst Du zu Lotti, und NIE zu mir, das ist SO GEMEIN!!“ die aktuelle: „Schaut mal, ich hab‘ Abendessen gem…“ Hotti und Lotti: „Wir haben keinen Hunger.“ Lotti: „Ich will fernsehen.“ Hotti: „Kann ich wen anrufen?“ Theorie und Praxis, Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag.

Große, fette Spinnen im Haustürschlüsselloch

Die Nachmittage mit Lotti alleine gestalten sich ähnlich unideal, nach jedem Vormittag mit 300 anderen Kindern ist sie zwar kurz vorm social Overkill und reif für einen fünfstündigen Mittagsschlaf (finde ich), braucht aber zu Hause angekommen sofort mindestens drei Verabredungen (findet sie). Vorlesen ist was für Babies (außer Prinzessinnengeschichten), Blümchen pflanzen öde („Na gut, Mama, wenn Dir langweilig ist, kann ich Dir dabei helfen.“), Barbie-Spielen will ich nicht („Ich wär‘ halt die schöne Glitzerbraut, und Du wärst dann halt Ken.“) und Eis essen ist auch keine Nachmittag füllende Veranstaltung. Ansonsten ist es „VOLL ungerecht“, dass Hotti den ganzen Tag im Adlernest bleiben darf, und Lotti nicht, und wann sind endlich die nächsten Sommerferien, wenn sie dann sechs ist?? Ich pflichte ihr bei und verweise sie auf die evangelische Kirche, die für derartige Zustände verantwortlich zeichnet.

Und sogar die Nächte sind dermaßen unentspannt, dass ich anfange, die Tage bis zu HPLs Rückkehr (maximal 15) und die Jahre bis zu Lottis Auszug (ebenfalls maximal 15) zu zählen. Hotti kreischt, weil nachts eine Wespe über ihren Hals kriecht. Bei Licht ist die Wespe eine Mücke, aber egal, das hindert Lotti nicht daran, nachts um zwei hysterisch die sofortige Schließung sämtlicher Wohnungsfenster und -türen einzufordern („Kommen Mücken auch durchs Haustürschlüsselloch?“ – „Natürlich, Liebes, und GANZ GROẞE FETTE SPINNEN AUCH!!!“). Mücken, Wespen, Alpträume, Übelkeit und Fieber, nach drei Scheißnächten in Folge will ich nur noch eins: Pauschalurlaub auf den Kanaren, kinderlos, mit Vollpension.

die aktuelle

Plötzlich Scheidungskind

Man soll die Leute ja nicht unterschätzen, am wenigsten die eigenen Eltern. Als ich am Samstagmorgen nach einigen Wochen mal wieder meine Mutter anrufen wollte, um mich aus einem unsäglichen Urlaub an der französischen blauen Küste zurückzumelden, war da unter der alten Nummer plötzlich nicht mehr der normale Telefonanschluss eben meiner Mutter, sondern die Mailbox meines Vaters. Weil ich den schon seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen habe, legte ich auf, leicht irritiert, aber nicht alarmiert. Als ich dann eine Stunde später zum Briefkasten schlappte, lag da ein blauer Brief meiner Mutter, in dem sie mir mitteilte, dass sie vor einigen Wochen bei meinem Vater ausgezogen sei und dass sie nun in der Kurzstr. 88 wohne, die aber immer noch die gleiche Postleitzahl habe. Ah ja. Ich meine, die Nichtänderung der Postleitzahl finde ich jetzt nicht ganz so gravierend, den Auszug meiner Mutter dann schon eher, zumal es bei unserem letzten Gespräch wenige Wochen zuvor zwar um Hotti, Lotti, den Garten, Autos und das Leben als solches ging, nicht aber um neue Wohnungen und größere Lebensveränderungen.

Das Ganze traf mich auch insofern ein bisschen unvermittelt, weil ich mir seit 36 Jahren den Mund fusselig rede, dass Trennungen unter gewissen Umständen durchaus von Vorteil, und zwar für alle Beteiligten, sein könnten, und ich mir mit meinem altklugen Dahergequassel in dieser Familie nicht besonders viele FreundInnen gemacht habe. Und dann, mal eben so ein kleiner blauer Brief, Kurzstr. 88, gleiche Postleitzahl, soso, nach 38 Jahren das elterliche Ehe-Aus. Da wird man ja als Kind plötzlich stockkonservativ und superegoistisch und denkt Sachen wie: Nach all den Jahren?? Oder: Und ICH?! Nicht, dass man sich als 36jähriges Scheidungskind noch Sorgen macht, ob man jetzt alle zwei Wochenenden beim Papa ist, den Hamster behalten darf und am Ende noch die Schuld an der Scheidung trägt oder so, nein, aber wenn man sein Leben lang hart an einer Identität als schwarzem Familienschaf mit notorischem Hang zum Therapieren und Rebellieren gearbeitet hat, dann steht man auf einmal doof da, so ohne Aufgabe. Man braucht nicht mehr zu sagen, dass die Eltern sich nicht guttun, dass man heutzutage doch als Frau in unseren Breitengraden für eine Scheidung nicht mehr gesteinigt wird, dass die Kinder (ich) jetzt schließlich groß seien, mehr oder weniger, und dass man das Ganze anstrengend finde, wollte ja eh noch niemand hören. Man braucht nichts mehr besserzuwissen, man muss niemandem mehr auf die Nerven gehen, man kann einfach die Klappe halten und die Leute machen lassen. Ganz in Ruhe. Vielleicht wissen sie ja am Ende doch, was sie tun. Und wenn man mich hier als Berufstrotzkopf und Schwarzschaf nicht mehr braucht, dann suche ich mir halt einen anderen Job. Nur welchen? Vorschläge gerne wie immer an die wunderbra-Redaktion.

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Von Schimmel und der Freiheit, einfach immer wieder den gleichen Mist zu machen

Beim Blick in den Kühlschrank heute morgen starrte mich eine sich langsam grünlich verfärbende Masse vorwurfsvoll aus dem obersten Regal an. “Mein Gott, was bist du denn,” fragte ich erschrocken. Die Antwort kam schnell und mit einem zutiefst beleidigten Unterton. “Ich bin der Käse!” Ein dicker Kloß formte sich in meinem Hals und bevor ich diesen erfolgreich hinunterschlucken konnte fuhr die Stimme aus dem Kühlschrank fort: ” Der VERDAMMT – TEURE – KÄSE!” Jedes einzelne Wort kam angeschossen wie ein Kreuzigungsnagel und traf einen verwundbaren Punkt irgendwo tief in meinem Stimmungsgefüge. Einer meiner zahlreichen Verdrängungsgeneratoren ging in die Knie und ich erinnerte mich. Wir hatten den wirklich teuren Käse (und zwar ziemlich viel davon) am Ende unseres Urlaubs gekauft, um verschiedenen Leuten etwas davon mitzubringen. Weil wir ja so nett sind. Bedauerlicherweise hat nicht ein Stück davon unseren Kühlschrank seit 2 Wochen verlassen. Es blieb bei der hübschen Idee. Gut gemeint, aber echt mal nicht gut gemacht. Soviel zum Faktor Mensch Teil eins: Käse vergammelt – echt blöde Sache – fertig. Richtig spannend wird es dann bei Teil zwei: Schlechtes Gewissen und der absurde Versuch der Wiedergutmachung! Weil der Käse ja so teuer war kann man ihn jetzt unmöglich wegwerfen. Also läßt man ihn, wo er ist und schaut ihm jeden Tag beim Grünerwerden zu. Und fühlt sich ein bißchen schlecht und dann auch wieder ein bißchen gut, weil man ihn ja noch nicht weggeworfen hat und damit noch keinerlei endgültige Tatsachen geschaffen sind. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht geht der Schimmel ja in eine spontane Remission, das tun Tumore hin und wieder auch, weiß die Krankenschwester. Doch eine unheilvolle Parallele zieht sich von der Käsesituation zu der Sache mit den Hühnerherzen letzten Sommer (Wunderbra berichtete). Es wird keine Wunderheilung geben, ich weiß es. Trotzdem lasse ich den Käse nochmal  für ne Woche weitersiechen. Wir sind damit endgültig in der schrägen Welt des schlechten Gewissens angekommen. Um mit meiner Scham über dieVerschwendung von Lebensmitteln (in Uganda verhungern immerhin Kinder) irgendwie klarzukommen, vollziehe ich einfach einen Akt der

Bild: Hühnerauge, Lizenz: CC

Selbstquälerei. Ich lasse es zu, daß der Schimmel gewordene moralische Zeigefinger jeden Tag mehrmals anklagend auf mich zeigt und dann fühl ich mich wieder ein bißchen schlecht und je besser das mit dem Schlechtfühlen klappt, desto erleichterter  bin ich hinterher. Früher gab es für solche Gelegenheiten Bußgürtel, mit denen man sich Schmerzen zufügen konnte, wann immer das innere Gleichgewicht danach verlangte. Heute quälen wir uns mit dem Gestank von vergammeltem Käse. Und es geht uns wunderbar schlecht damit und wir können es sogar ein wenig genießen. Schuldgefühle sind die überflüssigsten Gefühle, die es auf dieser Welt gibt, aber sie haben einen Vorteil. Ein richtig gut zelebriertes schlechtes Gewissen hält zuverlässigdie Hintertür auf, und auf der steht groß:

Das nächste Mal mach ich’s vielleicht einfach wieder!

Ma Baker

Miteinander spielen, singen, essen und trinken

Nein, ich habe weder völlig überraschend die Freuden des unkomplizierten zwischenmenschlichen Beisammenseins entdeckt noch bin ich endlich in der grünen Hölle angekommen. Es ist auch keine Auflistung meiner ständigen Tätigkeiten mit meinen Kindern. Die Überschrift ist vielmehr der Titel der Einladung, die ich heute Morgen aus Lottis Postklorolle im Kindergarten ziehen durfte. Der Inhalt dieser Einladung hat mich derart aufgewühlt, dass ich ihn gerne mit der ganzen Welt teilen möchte:

Miteinander spielen, singen, essen und trinken

In diesem Jahr wollen wir anstatt des österlichen Bastelnachmittages einen Eltern-Kind-Spielenachmittag anbieten. Dazu laden wir sie ganz herzlich ein. An diesem Nachmittag sollen Sie Gelegenheit bekommen, den Kindergarten Ihres Kindes „von innen“ zu erleben. Sie können mit Ihrem und anderen Kindergartenkindern spielen, sich mit anderen Eltern austauschen, oder mit einer Erzieherin ins Gespräch kommen. […] Um ca. 15.30 Uhr treffen sich alle Kinder nach dem Aufräumen zum gemeinsamen Essen. Hierfür sollten Sie und Ihr Kind eine Kleinigkeit zum Essen dabei haben. Anschließend gehen wir mit den Kindern in den Garten. […] Zum Abschluss wollen wir um 16.40 Uhr mit allen Kindern und Eltern gemeinsam noch ein paar Kindergarten-Hits singen.

Auf ein fröhliches Miteinander freuen wir uns sehr.
Ihr KIGA-Team

Im Büro muss ich niemanden in sein Zimmer schicken

Alles in Comic Sans MS, der gutgelaunten Kinder- und Familienschrift. Drei Fragen drängen sich mir angesichts eines derartigen Angebotes spontan auf: 1. Wer will das? 2. Bin ich eine Rabenmutter, wenn ich so etwas nicht will, weil ich genau diese Dinge sowieso dauernd mit meinen Kindern mache, und froh bin, wenn ich mit erwachsenen Menschen in meinem Büro sitzen und mit ihnen zum Essen beim Chinesen/Türken/Griechen gehen darf? Ohne dass ich jemandem die Finger abwischen, Essen aus den Haaren fummeln, vom Boden aufsammeln oder in sein Zimmer schicken muss? Und vor allem: 3. Wer kann sich das zeitlich leisten? Ich ziehe meine entzückende Brut überwiegend alleine groß, arbeite 50% in der fern entlegenen Landeshauptstadt und verbringe wöchentlich ca. acht Stunden auf der B1234567. Alleine dieser relativ gewöhnliche Umstand löst bei mir bereits morgens im Bad Tobsuchtsanfälle aus, auf der Bundesstraße Herzrasen, vor der Stechuhr Schweißausbrüche, weil Hotti zwar mittlerweile – hallelujah – in einer Ganztagsschule mit Spätbetreuung bis immerhin 17 Uhr untergebracht ist, Lottis Kindergarten allerdings noch immer vorsintflutliche Öffnungszeiten vorweist: dreimal die Woche muss man seinen Nachwuchs um 13 Uhr abholen, zweimal um 17 Uhr. Wenn Lotti nächstes Jahr in die Schule kommt, ist dann zwar sie ganztagsbetreut, allerdings wechselt Hotti zeitgleich auf die weiterführende Schule, wo sie dann wieder um 12 Uhr auf der Matte steht. (Darüber denke ich bereits seit zwei Jahren nach.)

Zurück zum Ausgangsproblem: Um meine Jüngstgeborene glücklich zu machen, habe ich die Wahl zwischen exakt zwei Möglichkeiten: a) Ich nehme mir einen Tag frei, um den Kindergarten meines Kindes „von innen“ zu erleben (Pest). b) Ich übe mich in Übergriffigkeit und schicke den Hotti-Lotti-Papa hin (Cholera). Option a) fällt flach, weil ich bei sechs Wochen Urlaub pro Jahr bei gleichzeitg zwölf abzudeckenden Wochen Schulferien pro selbem Jahr ohnehin, jetzt bereits im dritten Jahr, das Unmögliche vollbringen muss. Option b) finde ich etwas unangenehm, weil ich den HLP vorhin schon um sein handwerkliches Know-how anbetteln musste, da ich meine neue Wohnungstür mit Nagellackentferner ruiniert habe. Darüber hinaus hallt bereits im Vorfeld Lottis nichtamüsiertes „NIEkommstduzumeinenbastelnachmittagen!“ in meinem schlechten Gewissen nach.

„Reden Sie doch bitte vor der Tür weiter!“

Mich regen solche Einladungen, gelinde gesagt, auf, weil sie mir neben veritablen Schuldgefühlen einen unglaublichen Stress verursachen. Neulich, zwei Tage vor meinem glorreichen Umzug, habe ich mich in die Schule meiner Erstgeborenen gezwungen, um an einem ähnlich gearteten Angebot zu partizipieren, es hieß, soweit meine Verdrängung mich nicht trügt, Eltern-Kind-Spiele-Lernnachmittag. Da durfte man sich dann in gefühlten 2000 Stationen die Lernmaterialien seiner Kinder von seinen Kindern erklären lassen (wer will das??). Ich schleppte mich hin, um mir nicht hinterher nachsagen zu lassen „AllewarendanurDUwiedernicht!!“, und da saßen dann tatsächlich ganze ElternPAARE. Und ich will gerade nicht darauf hinaus, dass ich momentan nicht besonders gut auf traute Zweisamkeit zu sprechen bin, sondern ich frage mich vielmehr: Wie schaffen es gleich ZWEI Leute aus einer Familienfirma, ihrem Sprössling in der Schule über die Schulter zu schauen? Und vor allen Dingen: Wozu überhaupt? Das Dilemma konnte ich immerhin so lösen, dass ich so lange und laut mit einer ebenfalls kurz vor Umzug und Ohmacht stehenden Mutter über die Strapazen des Alltags klagte, bis uns Hottis Klassenlehrerin bat, doch bitte vor der Tür weiterzureden. Geil, wie früher.

Ich will, wieder mal, ein Double, vielleicht sollte ich mal beim Jobcenter nachfragen. Schließlich kann es doch nicht so schwer sein, eine ähnlich gestresste, genervte, erschöpfte Mutter am Rande des Zusammenbruchs aufzutreiben, die sich mit bloßem Authentischsein ein bis zwei Euro die Stunde dazuverdient. Bei meinem nächsten Kundengespräch mit meiner Sachbearbeiterin werde ich mich mal informieren. Bewerbungen werden auch auf wunderbra.org entgegengenommen.

die aktuelle

Bombenstimmung

Sonntagmorgen, 7 Uhr, die Sonne scheint durch die Rollladenritzen, ich habe kinderfrei, ich kann nicht mehr schlafen, mir ist schlecht, alles tut weh, ich mag nicht aufstehen, und ich will auch sonst nichts machen und „schöne Sachen“ schon gar nicht, nicht joggen, nicht Kaffee trinken, nicht Zeitung lesen, nicht Verabreden, keinen Spaziergang, keine Radtour und erst recht nicht „in die Sonne“. Ich bin: alt, böse, hässlich, leer, taub, stumpf, schwarz, krank, tot. Reicht das, um sich die nächsten 70 Jahre krank schreiben zu lassen und die Außenwelt nicht mehr betreten zu müssen? Den Rolladen ganz herunterzulassen schaffe ich nicht, also verschwinde ich unter der Decke. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, wann ich beim nächsten Sonnenstrahl zu Staub zerfalle und doch noch von Bier auf Blut umsteigen muss.

Isolierte Irre mit 32 Katzen

Wenn es einem dauerhaft, sagen wir mal ganz euphemistisch, nicht so prickelnd geht, fragt man sich ja schon, wie lange das Umfeld das so mitmacht. Oder um es mit einem sehr treffenden Tweet zu sagen: Da ist man mal zwei, drei Jahre mies drauf, und schon ist man die mit der schlechten Laune. (aufgeschnappt auf der re:publica, Verfasserin mir leider unbekannt) Abgesehen davon will man sich ja bei seinen FreundInnen auch überhaupt nicht mehr blicken lassen, weil man befürchtet, dass einem Kröten, Spinnen, Schlangen und andere hässliche Dinge aus dem Mund fallen, sobald man ihn aufmacht. Man will auch keine glücklichen Familien sehen, die sich sonntags nicht verabreden, weil sie da „immer was als Familie“ machen, oder engagierte Väter, die die lieben Kleinen auf dem Weg zur Arbeit im Kindergarten absetzen („sonst sehen wir uns den ganzen Tag nicht“), man will nichts hören von Großeltern, die einspringen, wenn’s „finanziell oder zeitlich eng“ wird, und beziehungstechnische Erfolgsgeschichten („mein Mann sagt/macht/kann ja immer…“) sind das Allerletzte, was man hören will (Probleme und Katastrophen gerne). Gut, das schränkt dann den Gesprächsradius schon etwas ein, und weder in der neuen Heimat, die aus lauter Rama-Familien zu bestehen scheint, noch auf der Arbeit, wo Kollegen heiraten und zusammenziehen, macht man sich mit einer solchen Haltung dauerhafte Freunde. Man wird zur kommunikativen Zumutung. Mit viel Glück behält man seinen Arbeitsplatz und endet nicht als isolierte Irre mit 32 Katzen in der Wohnung, die ein Jahr nach ihrem Tod verwest in ihrer Wohnung aufgefunden wird, weil die Nachbarn plötzlich gemerkt haben, dass es etwas streng riecht.

Aber jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, immer schön im Hier und Jetzt bleiben. Aber jetzt ist verdammt lang, wenn es einem schlecht geht, und die Zeit vergeht ja irgendwie auch gar nicht, wenn man darauf wartet, dass alles endlich besser wird. Stellt sich also die Frage: How long is now? Und draußen toben der Frühling, das Leben und eine Million widerliche Verliebte. Pfui Teufel, kann man da nur sagen. Naja, Kopf hoch, der nächste Winter kommt bestimmt, und dann bin ich die mit der Bombenlaune.

Time for a Change!

Der Balkon gehört mir und potenziellen Zwergkaninchen.

Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein radikaler Umbruch her, der geschwind Dein Leben auf den Kopf stellt. Dieser alten Lebensweisheit entsprechend wurde mir letzte Woche nicht nur meine Traumwohnung, sondern auch gleich mein Traumjob angetragen. Aber mein Tarot hat’s ja gleich gesagt.

Gerade noch rechtzeitig, bevor die hausinterne Sex-Stasi den Deutschen Mieterverein auf den Plan rufen konnte, ruft mich die Mutter von Hottis bester Freundin an und fragt, ob ich nicht in ihren Wohnblock ziehen wolle, da werde gerade eine bezahlbare Dreizimmerwohnung frei und zwar im Prinzip sofort. In diesem Wohnblock wohnt im Übrigen auch Lottis beste Freundin, auch wenn die ein Junge ist, das macht aber nichts, Lotti sagt immer: „Der Dino ist meine beste Freundin.“

Jedenfalls: 3 Zimmer, 2 (!) Balkone (einer für Kräuter und potenzielle Raucherbesucher, einer für mich und potenzielle Zwergkaninchen), 1 nette Hausgemeinschaft mit ca. 972 Kindern, 1 obercooler Innenhof mit Spielplatz, in den sich die Kinder während der Sommermonate bequem ausquartieren lassen, 1 Hausmeister, der meinen Müll rausträgt und Kehrwoche macht (!!), 1 Bach, der idyllisch vor meinen 2 (2!) Balkonen dahinplätschert, und 1 Waldrand, in dem Hotti und Lotti Bären jagen und sich die Klamotten zerfetzen können. Darüber hinaus ein paar supernette Vermieter, die mir nicht nur eine neue Küche passgenau um meine Spülmaschine herum einbauen, sondern auch noch sämtliche Wände streichen, die Böden abschleifen und einen sozial verträglichen Mietpreis verlangen. Wunder gibt es immer wieder.

Und weil das noch nicht cool und krass genug ist, ruft als nächstes der SysOp an und fragt mal eben, ob ich vielleicht Interesse daran hätte, meinen Traumjob auszuüben, er könne ja mal ein Vorstellungsgespräch organisieren. Och, weißt Du…

Meine To-Dos für die nächsten Wochen gestalten sich dementsprechend folgendermaßen:

1. Geld auftreiben für ganz viele tolle schicke Möbel, 1 Umzugswagen und 2 doppelte Monatsmieten (Kleinigkeit)

2. Menschen auftreiben, die meine vielen tollen schicken Möbel schleppen, meine Kinder sitten und das Catering organisieren (keine Sorge, Ihr bekommt rechtzeitig Bescheid!)

3. eine Plastiktüte auftreiben, in die ich beim Vorstellungsgesprächsessen mit meinem zukünftigen Chef atmen kann.

Das ist überschaubar.

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