Gib mir 5!

5 gewinnt.

Hooray, Lotti ist 5! Das bedeutet einerseits, dass sie nun reifer, verständiger, selbstbewusster, frecher, widerspenstiger, bockiger und noch eigenwilliger ist als je zuvor; andererseits, dass es nur noch ca. 15 Jahre bis zu ihrem Auszug sind. Wenn man 5 wird, bekommt man einen Kindergeburtstag, und was für einen. Ich weiß nicht, was Lotti sich konkret vorstellte, als sie seit Ende November den Countdown bis zum Tag X runterzählte („Noch 32 Mal schlafen, noch 31 Mal schlafen, noch 30 Mal….“). Dass sie einen Abend vorher („Gell, Mama, nur noch EINMAL SCHLAFEN?!???!!!!“) nicht hyperventilierte, grenzt an ein Wunder.

Der Tag X ist da und fängt erstaunlich entspannt an. Zuerst kriechen Hotti und Lotti unter meine Decke zum Wachschnuckeln, dann gibt’s Bescherung, Hotti und ich schmettern „Heute kann es regnen, stürmen oder schnein“, Lotti strahlt rolfzuckowskimäßig wie der Sonnenschein, wir setzen die Geburtstagsqueen auf ihren mit Luftschlangen und Luftballons geschmückten Thron, diese packt Geschenke aus und ist im Rosaglitzermädchenglück (ein rosa Glitzerspiegel, ein rosa-lila Glitzereinhorn, eine rosa Glitzerperücke mit Blümchenhaarreif), alle stopfen noch im Schlafanzug Kuchen in sich rein. Später kommt der Hotti-Lotti-Papa, sogar fast pünktlich, bringt Muffins mit und verwandelt mit den beiden das Kinderzimmer in ein Girlanden-Luftballon-Luftschlangen-Paradies. Alles prima.

Ich setze „Schnaps“ auf meine innere Einkaufsliste

Und dann geht’s rund, die Gäste kommen, alle auf einmal, alle haben einen totalen Feiertagshaschmich, und kein Elternteil, das seinen Spross zwischen den Jahren bei mir abstellt, versäumt darauf hinzuweisen, wie großartig sie das finden, dass sie jetzt mal einen Nachmittag Pause haben und sie so unverhofft zum Shoppen / zum Friseur / zurück ins Bett gehen können. Juhu, ich komm‘ mit. Den Auftakt macht Paul, der in dem Moment, als er feststellt, dass seine Mutter das Geburtstagsgeschenk wieder mitgenommen hat, schlicht durchdreht. Auch als seine Mutter zwei Minuten später wieder auf der Matte steht, um das Geschenk abzuliefern, ist für Paul die Party gelaufen, er will heim und zwar sofort, und ich bange um meine Fensterscheiben. Währenddessen versucht ein Papa, sein Kind im Kinderzimmer bei den anderen Gästen zu parken, aber sein Kind will nicht, weil die anderen zu laut sind und das Kind eher leise. Nach langem Hin und Her kann der Papa gehen, und das Kind klebt nicht mehr an seiner Hand, sondern an meinem Bein. Nebenan flippen 7 überdrehte, feiertagsaufgestaute, mit Süßigkeiten vollgestopfte, partygeile Vorschulkinder komplett aus, ich bin froh, dass das Hochbett an der Wand festgeschraubt ist, und spiele mit dem Gedanken, einen Schnaps zu trinken, habe aber leider keinen da. Ich setze „Schnaps“ auf meine innere Einkaufsliste.

Und dann werfe ich mich todesmutig ins Auge des Kinderpartytornados, zwinge die Berserker zum Flaschendrehen und strukturierten Geschenkeauspacken, verfrachte sie an den Kuchentisch, wo sie sich mit noch mehr Süßbapp vollstopfen, verbinde ihnen die Augen, drücke ihnen Kochlöffel in die Hand und zwinge sie auf den Boden: „LOS, TOPF SUCHEN, ALLE HELFEN MIT, WÄRMER, WÄRMER, KÄLTER, WÄRMER, HEEEEI???, JAAAAA!!!! LOS UND DER NÄCHSTE, HOPP!!!“ Das ist der Punkt, wo Hotti sich langweilt, nur noch doof im Weg rumsteht und ich sie entnervt in ihr Zimmer schicke, woraufhin das Geburtstagskind anfängt zu heulen und sagt, was das für ein blöder Geburtstag ist, und so hätte sie sich das alles überhaupt nicht vorgestellt. Innerlich kippe ich einen zweiten, dritten und vierten Schnaps. Und atmen. Unerwartet interveniert plötzlich der Hotti-Lotti-Papa und sediert für ein paar Minuten den ganzen Haufen mit seinem Phlegma und den neuen Plemo-Spielsachen.

Dann noch Schatzsuche in der eigenen Wohnung (und alle so yeah), Brezeln, und der Spuk ist vorbei, die Meute wird abgeholt, meine Hülle sinkt auf dem Küchenstuhl in sich zusammen. Für den nächsten Kinderwahnsinn notiere ich: 1. Auswandern in ein Kinder-Hüpf-und-Kreisch-Center. 2. Schnaps, viel.

Black Attack oder Herzgrippe III

In gewisser Hinsicht war 2010 das Jahr der großen Herzenslektionen. Nach Herzgrippe I (Sich verlieben) und Herzgrippe II (Sich aus Verliebtheit zum Deppen machen) schließen wir an dieser Stelle unsere launige Reihe folgerichtig mit Herzgrippe III (Vor die Hunde gehen vor Liebeskummer).

Eigentlich ist alles unerträglich

Man will seine Ruhe und auf keinen Fall alleine sein. Man möchte niemanden hören und sehen und befürchtet in den eigenen vier Wänden durchzudrehen. Man erträgt keine Stille, man erträgt keine anderen Leute und das Fernsehprogramm erträgt man auch nicht. Eigentlich erträgt man gar nichts. Man will keine Dramen sehen, Happy Ends noch viel weniger. Was man aber überhaupt nicht sehen will, sind Pärchen, erst recht keine glücklichen (streitende gehen gerade noch). Der selektiven Wahrnehmung entsprechend scheint die Welt allerdings nur noch aus strahlenden Katalogfamilien zu bestehen, wo die Rama-Frau morgens mit dem Fahrrad das Frühstück in den Garten fährt und auch ansonsten alles super läuft, so dass man selbst sich vorkommt wie der letzte Depp im Universum, der keine Beziehung auf die Reihe bekommt: Eine Aussätzige.

Man möchte niemandem unter die Augen treten. Man möchte zurück ins Tragetuch und eine Mama, die „Eiei“ macht und „Heileheilesegen“ singt. Man möchte schlafen, und zwar so lange, bis bitte endlich alles vorbei und wieder gut ist. Das Problem: Man kann nicht schlafen. Man möchte sich morgens um 7 ein Bier aufmachen und ein zweites gleich um 8. Man möchte saufen, heulen, zähneklappern. Mittleres tut man gerne, oft und unvermittelt, wenn man nicht gerade wie versteinert vor sich hinstarrt. Den Versuch an normalen Unterhaltungen zu partizipieren braucht man gar nicht erst zu unternehmen. Richtig super wird das Ganze gekoppelt mit einem ordentlichen Weihnachtsblues und der prämenstruellen Depressionsvorhölle – eine echte Traumkombination.

„Reanimieren!!“

Die Hoffnung, dass das eigene Herz sich möglicherweise eines schönen Tages nicht mehr anfühlen könnte wie gepfählt und tiefgefroren, existiert nicht. Stattdessen möchte man sein Herz in die Notaufnahme des städtischen Krankenhauses fahren und den Sanis ein panisches „Reanimieren!!“ zukreischen. Draußen ist Weiße Weihnacht und die Welt ist schwarz.

Sehr verbunden bin ich gegen Jahresende der ansonsten recht seltsamen neuen Synthiepoptruppe Hurts aus Großbritannien, die mir mit ihrem aktuellen Weihnachtsdepressionshit All I Want For Christmas Is New Year’s Day nicht mehr aus der Seele sprechen könnte: Happiness has never felt so far away.

die aktuelle

Hysterische Weihnachten!

Die Nerven liegen blank. Nikolausfressen hilft.

Ok, 48 Stunden vorm Showdown und die Nerven liegen blank. Während andere sich über das Festtagsmenü in die Haare kriegen („ICH wollte den Nachtisch machen!! Immer musst Du Dich in den Mittelpunkt drängeln!!!“), sich im Supermarkt um die letzten frischen Fische schlagen und sich Konserven aus den Händen reißen, rast Hotti schrille Töne ausstoßend durch die Wohnung und kreischt: „DIE GESCHENKE FÜR DEN PAPA SIND NOCH NICHT FEEEERTIIIIIIG!!!!!“. Lotti steigert sich beim Baumschmücken in einen Opferfilm hinein, weil sie „ALLES alleine“ machen muss („KEINER hilft mir!!“) und ich drohe in einer sich spontan materialisierenden Festtagsdepression zu versinken, die mir weismachen will, dass ich der einzige Mensch in der christlichen Galaxie sein werde, der über die Hoch- und Heiligtage nicht in einer Pärchen- oder Familienblase verschwindet („Ich bin SOOOO ALLEIN!!“), weil ich kinderfrei habe und ich Weihnachten eigentlich mit meinem Liebsten verbringen wollte, was jetzt allerdings Geschichte ist, weswegen ich netterweise zu Ma Baker und EDV-Schnucki eingeladen bin und dort eigentlich für den Nachtisch sorgen sollte, was mir aber, wie gesagt, von jemandem abgeluchst wurde.

Ich werfe mir ein: Ignatia D6 (gegen Liebeskummer), Sepia D12 (gegen Aggressionen), Rescuetrofen (als Hyperventilationsprophylaxe), drei Alnatura-Marzipantaler (geil) und schreibe mit zittrigen Fingern eine SMS an Ma Baker, sie möge mich bitte daran erinnern, dass das nur ein GANZ NORMALES WOCHENENDE sei und dass auch dieses vorübergehe. Ma schreibt zurück: „Hallo Vorhöllenaktuelle, es ist nur ein Tag und wir verbringen Zeit mit Essen, Trinken und Glitzern! Hohoho!“ Das beruhigt, gibt Stabilität und Sicherheit, Halt und Hoffnung. Mittlerweile fangen auch die Drogen an zu wirken. Gemeinsam richten Ma und ich eine exklusive Weihnachtsselbsthilfegruppenhotline ein (aktiv aus der Krise!), um die jeweils andere vorm psychischen Untergang zu bewahren. Darüber hinaus organisieren wir hysterische Partyspielchen für den Heiligen Abend (z.B. eine „Was war Dein schlimmstes Weihnachten“-Scharade), EDV-Schnucki möchte mit dem Nachtischklauer lieber Adorno lesen. Sollen sie. Wir werden uns nicht streiten. Wir werden uns alle vertragen, essen, trinken, unglaublich harmonisch sein und glitzern. Es steht wieder mal vor der Tür: Weihnachten. Sing Hallelujah!

santa aktuella

Wunschzettel II

Da Hotti und Lotti mich nicht nur haben ausschlafen lassen (abgesehen davon, dass sie um 7 Uhr auf Zehenspitzen zu meinem Bett geschlichen sind, um mir ganz vorsichtig ins Gesicht zu flüstern: „Mamaaaaa, wo ist die Schnur von meinem Baaademaaaaantellll?“), sondern auch seit geraumer Zeit ihre Barbies an- und ausziehen und Glitzernikoläuse in Serie herstellen, konnte ich heute Morgen ungestört meinen eigenen Wunschrecherchen nachgehen. Und nun, dear Ladies and Gentlemen, ist es so weit, wie lange haben wir auf diesen Augenblick gewartet, und hier ist er, we proudly present: den Wunschzettel der aktuellen. Dabei herausgekommen ist ein wildes Medley, das in etwa meine momentane Verfassung widerspiegelt.

Ok, wir müssen leider kurz unterbrechen, ich bekomme von Hotti gerade einen weiteren Glitzernikolaus geschenkt, den es entsprechend zu würdigen gilt, und Lotti vermisst ihre 297. gerade gebogene Büroklammer, die sie zum Aufstechen ihrer zugeklebten Kleberflasche benötigt. Abgesehen davon langweilt sich Hotti gerade zu Tode, weil sie niemanden ihrer Klassenkameraden auftreiben kann, aber Besuch haben will, während Lotti den Boden um meinen Schreibtisch herum mit Überraschungseikrümeln übersät. Überraschung. So, und jetzt ist den beiden eingefallen, dass ihr Papa heute Geburtstag hat und sie ihm deswegen am Telefon ein Ständchen bringen wollen. Aber nicht irgendeines. Deswegen haben sie jetzt alle Liederbücher dieser Welt – vor meinem Schreibtisch – ausgebreitet und singen jetzt mal alles an, was sie so kennen und nicht kennen. Jetzt ist die Schokolade vom Ü-Ei aufgefressen, daher muss ich nur eben ganz kurz das gelbe Plastikding aufmachen, heraus kommt eine Schildkröte, zum Glück ist sie schon fertig und ich muss ihr nicht noch die Beine in den Panzer stecken. Und jetzt sind sie neugierig geworden, was ich da eigentlich mache, so dass ich ihnen kurz erkläre, dass ich sie gerade ins Internet stelle. Lotti kreischt: „Nein, Du sollst uns nicht ins Internet stecken!“ Vielleicht ist das die schwarze Weihnachtspädagogik des digitalen Zeitalters: Statt zu drohen „Wenn Du nicht mit xy aufhörst, kommt Knecht Ruprecht mit der Rute / bringt das Christkind nur Kartoffeln!“ kommt man den Kindern von heute mit „Wenn Du nicht Dein Kinderzimmer aufräumst, steck‘ ich Dich ins Internet! Oder ins Kindermedienland.“

Was zu beweisen war. Genau deswegen weiß ich nicht, was ich mir wünschen soll. Also nochmal von vorne:

„Liebes Christkind!
Ich wünsche mir dieses Jahr zu Weihnachten:

eine Haushaltshilfe (Perle)
eine Glitzerstrumpfhose
alle Staffeln von Scrubs
alle Staffeln von Sex and the City
alle Staffeln von Scrubs and the City
Drei Nüsse für Aschenbrödel-DVD
keine Bücher
Kinder, die nicht riechen, wenn man sich 5 Minuten ausklinken will und ganz viele Pralinen (von Reber)

Ich war meistens brav und kann auch ein Gedicht.
Deine
aktuelle (35 Jahre alt)“

Oh, da liegen ja ein Lebkuchen und ein Schokoherz auf meinem Schreibtisch, die haben wohl die Weihnachtswichtel hier platziert… Man bekommt ja so viel zurück!

Frohes Fest

Wenn es mit dem Liebsten, zumal in der Vorweihnachtszeit, in die Hecke geht, bietet das hinreichend Anlass für grenzenloses Selbstmitleid, exzessive Endzeitgedanken und eine gepflegte Depression. Vor allem möchte man sich übergeben, wird man unfreiwilliger Zeuge von Gesprächen über die kommenden Feiertage, die sich vor einem aufbäumen wie die Riesenschlange vorm Zwergkaninchen. Aber man muss ja nicht gleich alles so schwarz sehen, schließlich wohnt ja jedem Ende ein Zauber inne, oder war es der Anfang? Und endlich hat man ja vor allem auch wieder eins: Zeit, vor allem abends.

Endlich kann man abends wieder nach Strich und Faden Formulare ausfüllen und mehr als fristgerecht einreichen, Zeitschriften lesen, die man sich im Frühling gekauft hatte, weil es darin um die große Liebe ging, stundenlang Löcher in die Luft starren, Däumchen drehen, nach Herzenslust Zeit im Internet vergeuden oder selbstreferenziell über das eigene Elend bloggen. Hat man darüber hinaus noch ein paar handfeste Ordnungs- und Sortierneurosen, hat man gewonnen. Endlich kommt man mal wieder dazu, bis in die Puppen Stecknadeln im Nadelkissen nach Farbe und Teebeutel nach Farben, Geschmack oder Koffeingehalt zu sortieren. Man kann in Ruhe neue Klingen an die Spitzer der Kinder schrauben, deren 2193 Buntstifte sauber anspitzen, überprüfen, ob sich noch genügend Frostschutzwasser im Wischwassertank befindet und der Telefonstecker richtig in der Buchse sitzt, Listen schreiben oder auch mal wieder ganz gechillt die Unterlagen von der Krankenkasse durchsehen. Wahlweise auch die der Autoversicherung. Man kann das Telefonbuch lesen und früh schlafen gehen.

Hat man zudem in den vorangegangenen Monaten sein Sozialleben sträflichst vernachlässigt, droht auch nicht die Gefahr von anrufenden Freundinnen belästigt zu werden. Man kann entspannt vor sich hingammeln und froh sein, dass man Kinder hat, die einen davor bewahren, in der eigenen Wohnung zu Staub zu zerfallen.

die aktuelle

One of those days oder: Anna Chronismus

'Anachronism' von Gerhard Gepp, Lizenz: cc

Es fängt schon damit an, dass das Wochenende vorbei ist. Dann klingelt der Wecker und es liegen 10 Meter Tiefschnee, was zwar die bezaubernde Steilvorlage für einen romantischen Winterspaziergang mit dem Liebsten wäre, eine Autofahrt auf der 1234567 allerdings schlicht unmöglich macht, es sei denn, man hat 5 Thermoskannen Punsch, 13 Butterbrezeln, 4 Nusshörnchen, 25 Hörbücher, 30 Schlafsäcke und mindestens zwei Heizdecken dabei. Und einen Fernseher. Oder wenigstens mobiles Internet, was ich aber, als ich mir vor eineinhalb Jahren ein neues Handy kaufte, noch als völlig unnötigen Nerd-Schnickschnack erachtete und daher das einfachste und preisgünstigste Modell erwarb, mit dem man zwar ganz bodenständig telefonieren, Kurznachrichten verschicken und sich wecken lassen kann, dessen Unterhaltungsfaktor abgesehen von diversen Klingeltönen und Farbeinstellungen jedoch recht begrenzt ist, aber das führt jetzt zu weit.

Ich beschließe mit dem Fahrrad zum Bahnhof, von dort aus mit dem Zug in die Landeshauptstadt und von da weiter mit der U-Bahn zur Arbeit zu fahren, wobei es mich zunächst mitten auf der Straße aufs Glatteis legt und ich mir die Beine blau schlage, was mich nicht nur in Zeitnot, sondern auch in eine Riesenwut versetzt, ich DANN, nach 5 Minuten Schlangestehen, auf ein neues Fahrkartenautomatensystem stoße, bei dem ich mir in der Hektik dämlicherweise eine viel zu teure Fahrkarte rauslasse, aber immerhin, so dass ich es GERADE noch (7 Uhr 57!!!) auf das richtige Gleis schaffe. In dem Moment fährt der Zug ab. Ich bilde mir ein, die Leute hinter den Scheiben im davonfahrenden Zug über mich lachen zu sehen.

Wer war das?

Doch damit nicht genug, weil, wie wir spätestens seit dem letzten Silvester wissen, schlimmer geht immer. Auf der Arbeit angekommen möchte ich nur eins bzw. zwei: 1. Kaffee, 2. Arbeiten. In Ruhe. Ungestört. Ich möchte einfach nur meine Arbeit machen, aber aus irgendwelchen Gründen geht das seit Wochen schief, weil jedes Mal, wenn ich zu Wochenanfang mit dem bescheidenen Wunsch EINFACH NUR ZU ARBEITEN in mein Büro komme, eine andere Hiobsbotschaft auf mich lauert. Heute lauert sie in Form der Nachricht, dass aus dem Projekt, in das Frau Dr. Sprite, Mr. Sonic und ich seit elf Monaten Zeit, Energie und Herzblut pumpten und dessen Realisierung eigentlich zum Greifen nah war, schlicht: nichts wird. Schade Scheiße.

Wieder Zuhause: Rolladenschnur fatzt durch, Wohnzimmer jetzt halb dunkel, Lotti hat Halsschmerzen und kann morgen nicht in den Kindi (schwarzer Tag), Yoga fällt aus, Kehrwoche. Wer, zur Hölle, denkt sich solche Tage aus?

Halt ich’s aus?!

Hormonschwankungen kennt jeder von uns, in den Genuss des Prämenstruellen Syndroms (PMS) kommt allerdings nur die weibliche Hälfte der Weltbevölkerung, und auch von der nur eine Gruppe der Auserwählten. Mein Großer GU Kompass Homöopathie beschreibt einige der prickelndsten Symptome des PMS wie folgt:

Empfohlene Globoli: Sepia D12

„Sie würden am liebsten alles liegen lassen und abhauen; Abneigung gegen Beruf, Familie und Sex; Sie sind wütend, aggressiv und reizbar, aber auch sehr empfindlich, depressiv, weinerlich; schwach und müde; spannende Brüste, Akne, Kopfschmerzen und Sauberkeitsfimmel; Morgenübelkeit, Ekel vor Fett, aber Verlangen nach Saurem, Süßem oder Salzigem.“

Abgesehen von Kopfschmerzen, Morgenübelkeit und Ekel vor Fett kann ich persönlich in den drei Höllentagen vor den Tagen alles unterschreiben, würde die Aufzählung allerdings noch um zwei weitere Punkte ergänzen: 1. Wassereinlagerungen in sämtlichen nur denkbaren Problemzonenbereichen, 2. vorübergehende Hellsichtigkeit. Der Wunsch abzuhauen wird übermächtig, man ist froh und dankbar für jede gewaltfrei verbrachte Minute, möchte abwechselnd heulen und schlagen, man ist verpickelt, putzgeil und süchtig nach Nutella, Chips und Sherry. Mental ist man unterwegs in den Hades, physisch auf dem Weg zur Wassertonne. Nach drei Tagen hormoneller Talfahrt würde man für den sofortigen Eintritt in die Menopause jedem dahergelaufenen Scharlatan auf der Stelle seine Seele, seine Kinder und seine Großmutter verkaufen.

Die TOP FIVE meiner PMS-Shitlist

Auf die oben aufgeführte vorübergehende Hellsichtigkeit wurde ich aufmerksam durch einen buchstäblich sehr erhellenden Artikel („Drei Tage Klarsicht“) in meiner erklärten Lieblingszeitung Brigitte (ich habe nichts mehr zu verlieren). Darin beschrieb die Autorin, wie sie die Tod-und-Teufel-Zeit als Indikator nutzte für die Dinge, die ihr zwar unerträglich waren, die sie sonst jedoch erfolgreich verdrängte, und die ihr jetzt plötzlich mikroskopisch 1000fach vergrößert erschienen: Auseinandersetzungen mit der pubertierenden Tochter, Ärger mit dem Chef etc. Mit anderen Worten: Man hat vorübergehend einen glasklaren und unbestechlichen Blick dafür, was man wirklich nicht mehr aushält und womit man wirklich nicht mehr leben möchte. Die Konsequenz: Man merkt sich diese Dinge für die Zeit danach, in der man wieder in der Lage ist, Unerträgliches nicht mit der Axt, sondern mit Diplomatie und Verstand zu lösen.

Hier in Wunderbra nun exklusiv die Liste meiner bisherigen PMS-TOP 5:

1. Kindergetrödel im Badezimmer
2. Kindergesaue beim Essen
3. Kleiderdiskussionen mit Kindern
4. mein Ex
5. der Kapitalismus

Die Gliederung ist nicht hierarchisch.

Anarcho-Platanen belästigen Anwohner und Autos

Aus aktuellem Anlass muss ich meine persönliche Shitlist leider um einen Punkt erweitern. Vor meinem Haus am schönen Sternplatz wurden just fünf von elf Platanen gefällt mit der Begründung, dass sie sich nicht an die vorgeschriebenen EU-Baumrichtlinien gehalten haben. Nein, das habe nicht ich mir in einem meiner ständigen Anfälle von Albernheit ausgedacht, sondern die Stadtverwaltung Lingendingen, und es ist ihr voller Ernst, so Ernst, dass die Bäume weg mussten: Selbst schuld, wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen. Ausgelöst hat diesen Schwachsinn ein Beschwerdeschreiben von Anwohnern, die sich bitter über die Vermüllung ihrer Regenrinnen durch die Anarcho-Platanen beklagt hatten, woraufhin die Stadt nicht nur aufhorchte, sondern auch gleich die Baumverordnungsrichtlinien auspackte, nachmaß und befand, dass die Bäume weder den ihnen vorgeschriebenen Abstand zu den umliegenden Häusern ein- noch sich von der Straße fernhielten, wo sie Busse und LKW behelligten. Ebenfalls echt nicht zum Aushalten: Verwaltungsirrsinn.

Oma-Saufen

Sherry, Schätzchen?

Nein, uns sind nicht etwa die Themen ausgegangen, im Gegenteil, die Dinge überschlagen sich dermaßen, dass wir als erklärte Entschleunigungs-Omas mit der Dokumentation einfach nicht mehr hinterher kommen. Zeit also zum Innehalten, Zusammenfassen, Updaten, Neudurchstarten und Oma-Saufen, die Zeiten des Koma-Saufens liegen ja, Göttinseidank, schon länger hinter uns.

Was also ist passiert? Während Ma Baker sich auf der Suche nach beruflicher Weiterentwicklung in den unendlichen Weiten der wunderbaren Online-Ausbildungsgalaxien buchstäblich die Lichter ausgeschossen hat, hat sich die aktuelle das Herz gebrochen und einen schicken Zweitwagen erworben (Fünftürer, Baujahr 2010, 2,5 Liter, rosa.) (Der war gut, was?). Nebenbei haben wir Kinder in den Schlaf gewiegt und ihnen den Hintern abgewischt, das Haus geputzt, Wäsche ohne Pulver gewaschen, Geschenke für Kindergeburtstage organisiert, Essen gejagt und verkocht, den Zoo heimgesucht, den Frühling und Blind Dates genossen, die Winterbeine rasiert, den Baumarkt erschlossen und Hormonschwankungen überstanden. Darüber hinaus sind wir selbstverständlich als stolze Leistungsträgerinnen dieser unserer super- bis spätkapitalistischen Gesellschaft einer geregelten Arbeit nachgegangen, wir wollen ja niemandem auf der Tasche liegen.

Gestern mussten wir dann noch ein bisschen neben uns stehen, bei einem gepflegten Gläschen Sherry, zwei ungepflegten Tüten Chips, einer klebrigen Tafel Schokolade und einem XXL-Beutel M&Ms wieder zu uns kommen, um dabei mental in Welten vorzustoßen, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat. Das tolle am Oma-Saufen ist ja, dass man nach drei Likörgläschen so drauf ist wie früher nach fünf Halben. Man muss auch nicht mehr bis morgens um acht durchhalten, um mit einem schicken Konterbier das Frühstück einzuleiten, nein, man darf schon um 22 Uhr 30 sagen: „Du – ich glaub, ich muss ins Bett!“ Ist das nicht großartig? Das spart Zeit, Geld und Leberzellen. Segen des Alters! Darauf einen Sherry.

die aktuelle

My bloody Valentine

Ist ja schön, wenn die Leute verliebt sind. Aber muss man denen gleich einen ganzen Tag widmen? Die haben doch sowieso schon den Mai. Und müssen die dann damit hausieren gehen und den ganzen Tag mit Rosen und Geschenkchen durch die Straßen latschen? Haben die kein Zuhause? Und haben die schon mal darüber nachgedacht, dass sie anderen Leuten damit vielleicht tierisch auf die Nerven gehen? Ist ja schon schlimm genug, dass man momentan nicht mal mehr zum Bäcker gehen kann, ohne von lustigen Clowns, wilden Katzen oder heißen Hexen bedient zu werden, das Nudelregal hat man mittlerweile auch den ewig Knutschenden überlassen – ich bin auf Reis umgestiegen – , jetzt wird man beim Brötchenkaufen auch noch von Torten in Herzform heimgesucht, verziert mit Marzipanherzchen und einem großen Schriftzug LOVE. Ist ja gut. Hysteriker. Diese Kombination aus Fasching UND Valentinstag, Narren UND Verliebte überall, das ist irgendwie zu viel. Entweder oder. Nächstes Jahr bitte zwei Wochen Abstand oder ich wandere aus. Happy Valentine.

die aktuelle

Herzgrippe I

Verliebtsein ist ja nicht zwangsläufig lustig. Mit hormonellen Höhenflügen, mentalen Grenzerfahrungen, dramatischen Fehleinschätzungen, einer erhöhten Risikobereitschaft und entsprechenden emotionalen Bruchlandungen erfüllt Verliebtsein, wie übrigens auch das Leben als solches, im Prinzip sämtliche Kriterien sehr gefährlicher Extremsportarten. Die offizielle Definition von Extremsportart in der Wikipedia lautet folgendermaßen:

„Unter Extremsport versteht man das Herangehen an sportliche Grenzen. Extremsport bedeutet für den Sportler eine besondere technische oder logistische und körperlich-psychische Herausforderung und ist oft mit hohem Risiko verbunden. Extremsport wird einzeln oder in kleinen Gruppen, manchmal fernab der Öffentlichkeit, manchmal mit großer Medienpräsenz durchgeführt und ist in einigen Formen auch illegal. Die Ausschüttung von Endorphinen kann Glücksempfindungen hervorrufen, aber auch zu Missachtung von Warnsignalen führen, die Unfälle verursachen können.“

Auch beim Verliebtsein überschreitet man Grenzen, es kickt, man macht es alleine, zu zweit, in Gruppen oder vor Publikum, manchmal ist es verboten, immer riskant, und bisweilen handelt man sich nicht unerhebliche Blessuren ein, vom Highsein über blaue Flecken bis hin zum Genickbruch ist alles drin. Eine körperlich-psychische Herausforderung ist es allemal. Nichts für schwache Nerven.

Saufen, Heulen, Zähneklappern

Als gemeiner Single wirft man knutschenden Pärchen im Supermarktnudelregal gerne böse Blicke zu, wünscht knutschenden Pärchen auf karierten wetterfesten Wolldecken im Park die Pest an die Hälse und ist versucht, knutschenden Pärchen auf Rolltreppen einen dezenten Tritt zu verpassen. Bis es einen selbst erwischt und man den lieben langen Tag in Nudelregalen, auf Karodecken oder Rolltreppen herumknutschen möchte. Im selben Moment verabschiedet sich das Gehirn quasi mit den Worten Ichbindannmalweg und taucht mit etwas Glück möglicherweise zwei Jahre später oder im nächsten Leben wieder auf. Statt dessen: Schmetterlinge, Moskitos, Hornissen, Flugzeuge, Achterbahn, Geisterbahn, Feuerwerk, Explosionen, kognitive Ausfälle, kommunikative Aussetzer, Fettnäpfchen, Kontrollverlust, die totale Verblödung. Schlafen und Essen werden zur Nebensache, man redet wirres Zeug, und zwar derart besessen, pausenlos und penetrant, bis selbst die letzte beste Freundin nicht mehr ans Telefon geht.

Man ist krank: Schweißausbrüche, Panikattacken, Herzrasen, Schüttelfrost, Schläge in die Magengrube mit der Rückstoßkraft einer Panzerfaust, Kreislaufschwäche, Kopfschmerzen, 50° Fieber, Augenringe, bei denen selbst der beste Abdeckstift versagt. Herzgrippe. Man ist benommen, zerschlagen, gerädert, geliefert, fertig, erledigt, müde, matt, das war’s. Man möchte einen meterlangen Schal um sein Herz wickeln, ein Fieberthermometer hineinstecken, sich einen Socken über den Kopf ziehen, unter der Bettdecke verschwinden und der Außenwelt, wenn möglich, nie wieder gegenübertreten. Man möchte mindestens Medikamente nehmen. Saufen, Heulen, Zähneklappern.

Vielleicht doch eher Golfen?

die aktuelle