Plazenta-Party

Kinder, wie die Zeit vergeht. Da bekommst Du ein Kind, Deine Freundin auch, dann ein zweites, Deine Freundin auch, die bekommt ein drittes, Du nicht, aber egal. Du kommst zwar zu nix mehr, aber als perfekte 1A-Alternativ-Supermutter schleppst Du nach der Geburt natürlich trotzdem die im Schweiße Deines Angesichts produzierte Plazenta aus dem Geburtshaus mit nach Hause, um sie angemessen würdevoll und rituell zu begraben und ein Lebensbäumchen für das Kind darauf zu pflanzen. Nur, vor lauter Stillen, Wickeln, Biobrei-Kochen, Bauernhofbilderbüchervorlesen, Babymassage und Schwimmkursen, Musikgarten und Pekipgruppe, durchzechten Kreischnächten, Windpocken, Streptokokken, Impfterminen, Kindergruppeneingewöhnungen, Wieder-in-den-Beruf-Einsteigen, Scheidungsschlachten und dem ganz normalen Überleben kommst Du leider nicht mehr zum rituellen Vergraben des heiligen Mutterkuchens, und eh Du Dich versiehst, wirfst Du ihn einfach in die Gefriere. Oder, wenn Du keine eigene Gefriere hast, in die einer guten Freundin. Du denkst nicht mehr groß daran, die Freundin auch nicht, und wenn, dann höchstens: Nicht jetzt. Die Jahre vergehen, und dann zieht Deine Freundin um und muss die Gefriere abtauen.

Wir glühen vor, die Plazenten tauen auf

In Fantas Kühltruhe lagern mittlerweile drei Plazenten, nämlich die von Lotti, Rulle und Wulle, die von Hotti und Mulle konnten wir anderweitig entsorgen. Nach 256 geplatzten Plazenta-Party-Terminen spielen wir mit dem Gedanken, die Dinger einfach in den Restmüll zu kippen, aber zwei Tage vor Fantas Umzug packt uns schließlich der Ehrgeiz. Wir sitzen auf meinem Balkon und warten, bis Hotti und Lotti eingeschlafen sind. Während wir mit Radler vorglühen, tauen im Eimer auf Fantas Gepäckträger die Plazenten auf. Als es dunkel wird, ziehen wir los Richtung Wald. Im Rucksack: eine Taschenlampe, eine kleine Gartenschaufel und eine große Flasche Gran Reserva. Im Eimer: drei halb aufgeweichte Mutterkuchen in Plastikbeuteln. Kaltblütig stolpern wir durchs Unterholz und suchen nach einer ebenso würdigen wie wurzelfreien Stelle, was im Wald nicht ganz einfach ist, außerdem hat es seit Tagen nicht geregnet, und der Boden ist furztrocken. Aber was ist ein nächtlicher Wald gegen zwei entschlossene Alternativmütter?

Fehlt nur noch die Polizei

Wir entscheiden uns schließlich für einen Platz im Irgendwo, und als mir irgendwann auch meine Taschenlampe wieder einfällt, wird es richtig lauschig. Wir zerteilen Regenwürmer, Spinnen kriechen durch die Erde, und auch ansonsten ist im Wald schwer was los. Fantas Handy klingelt, große wilde Tiere rascheln im Gebüsch, fehlt nur noch die Polizei. Nach zwanzig Minuten haben wir ein circa zehn Zentimeter tiefes Loch. Wir sind schweißgebadet, die Handgelenke schmerzen, ein Stück vom Schaufelgriff bricht ab, und wir fragen uns, wieviel Tage man wohl braucht, um eine Leiche zu verscharren. Plötzlich wird uns wird klar, warum so viele Leute ihre Leichen einfach in Betongruben werfen. Fanta schimpft: „Jaja: ‚Lebe wild und gefährlich!‘ Darunter habe ich mir sowas wie wilden Sex vorgestellt und nicht die Produkte von Sex im Wald zu vergraben!“ Ich denke, den Spaten von Dr. Sprite auszuleihen, hätte durchaus Sinn gehabt.

Aber es hilft ja nichts, da müssen wir jetzt durch, und die Vorstellung, irgendwelche Füchse oder andere räudige Waldbewohner könnten unsere schönen ehemaligen Körperteile ausgraben und auffressen, treibt uns weiter an. Nach gefühlten drei Nächten knieen wir schließlich vor einem Loch, in das unsere angetauten Ex-Organe, wenn man sie richtig hinein quetscht, gerade so passen müssten. Wir diskutieren kurz, ob es karmatechnisch zu verantworten ist, sie mit Plastikbeutel zu vergraben, entscheiden uns dann aber dagegen. In Ermangelung eines Taschenmessers reißt Fanta die Plazentatüten auf, eine ist gleich dreifach eingepackt, und die Soße läuft ihr über die Hände. Es ist nicht schön, und wir bringen die Sache schnell hinter uns. Als wir hinterher die große Flasche Gran Reserva kippen, sind wir uns einig, die Dinger in die Restmülltonne zu werfen, hätte nicht halb so viel Laune gemacht. Das kann ja jede 0815-Mutti.

die aktuelle

Horrorskop vom 31. August – 4. September

Trarira, der Spätsommer wäre jetzt dann VOLL da. Und damit auch Lady Blabla, die sich nach diversen kosmisch-karmischen Irrungen, Wirrungen und Verstrickungen in entlegensten Galaxien sowie einigen Wochen VOLL härtester Kinderbespaßung endlich wieder in unserem Universum eingefunden hat. Zumindest äußerlich, dafür aber schon VOLL an einem Mittwoch. Mitgebracht von ihren Abenteuern hat sie neben der Erkenntnis, dass es beim Ziegenbock VOLL keine Milch gibt und Familien VOLL Naturereignisse der dritten Art sind, eine nagelneue Glitzerglaskugel – Barbie würde VOLL blass vor Neid. Und Ken erst!


Widder: Sie können den Staubsauger jetzt wieder vom Balkon reinholen. Nach zehn Tagen im Staubsaugerbeutel dürfte die Monsterspinne VOLL tot sein.


Stier: 10, 9, 8, 7, 6… Nein, Sie zählen nicht Schäfchen auf der Alb, sondern die Tage im Irrenhaus. Und die sind VOLL gezählt, und dann sind Sie Freifrau von und zu Sowasvon. Und wieder Ersti, das macht Sie um Jahre jünger.


Zwilling: Sie oszillieren zwischen Maschinengewehr und Motorsäge und können sich VOLL nicht entscheiden. Oder doch lieber die Machete? Irgendwas mit M. Medien?


Krebs: Sie hatten mir da mal ein sehr attraktives Angebot gemacht, dass ich aus persönlichem Ehrgeiz leider ausschlagen musste. Ich hätte da jetzt dieses andere Problemchen ohne persönlichen Ehrgeiz. Wären Sie VOLL so frei..?


Löwe: Ihre Mutter hat Sie vor die Tür gesetzt, dabei sind Sie doch erst zwanzig. Nur wegen der Küsche. VOLL ungerecht. Naja, kriegen Sie mal Kinder.


Jungfrau: Auch Sie sind mit so einer VOLL ungerechten Mutter geschlagen. Aber wer hat Ihnen eigentlich erzählt, dass die Welt gerecht sei? Attac?


Waage: Ein unbequemes Sofa, auf dem man nicht mal diagonal übernachten kann, wartet VOLL auf Sie. Und die aktuelle. Wie lange wollen Sie beide noch warten lassen?


Skorpion: Vom Urlaub gut erholt schlagen Sie hart im Büro auf. Dort ist alles wie immer. VOLL auf einem guten Weg.


Schütze: Sie lösen das Problem VOLL anders und schlagen erst gar nicht im Büro auf. Warum auch?


Steinbock: Sie sind stur bis zur Blödheit. Zur Strafe gehen Sie zurück in den Kindergarten. Mit ein bisschen Glück holt Ihr Papa Sie dort abends wieder ab. Wenn er nicht so VOLL ungerecht ist wie Ihre Mutter.


Wassermann: In welchen Sphären treiben Sie sich denn so rum? Wenn Sie mal an der Grünen Hölle vorbeischweben, bekommen Sie dort sogar ein Käffchen. Echt bio. Und VOLL fair.


Fische: Fische, wissenschaftlich Pisces (von lateinisch piscis = Fisch), ist eine VOLL verbreitete Bezeichnung für wechselwarme, immer oder fast immer im Wasser lebende Wirbeltiere. Sagt die Wikipedia. Und die muss es ja wissen.

Einen VOLL bezaubernden Wochenausklang (heute schon an morgen denken) wünscht
Lady Blabla

Won for you, Won for me

 
Da die ewig erholungsbedürftige Wunderbraredaktion sich natürlich nicht mit derart popeligen Kraftplätzen wie dem Georgenberg zufrieden gibt (ich beantrage an dieser Stelle die Umbenennung in Urselberg, die ihn uns schließlich in ihrem Spiriwanderführer als Ort der Auramassage verkauft hat), erobern Ma Baker und die aktuelle im Anschluss nicht nur den Wackerstein, nein, sondern auch noch gleich das Won, unter anderem, weil mir am Wackerstein aufgrund altersbedingt zunehmender Höhenangst schlecht wird und weil das Won im Spiri-Ursel-Buch als weiterer Ort der Kraft und Sammlung angepriesen wird. Vielleicht finden wir ja hier, wenn auch keine Kaffee kochenden Druiden, so doch Ruhe und Einklang. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Der Berg ruft, Schafe blöken

 
Mit Won meine ich im Übrigen nicht das World Opponent Network, ein „Client-Server-Netzwerk für Multiplayer-Spiele von Spielen des Publishers Sierra Entertainment“, und auch nicht die süd- oder nordkoreanische Währung, sondern eine entzückende sanfte Hügelwiese mit Blick auf die Schwäbische Albhochfläche, genau das richtige also für geschundene Irrenhausschwestern- und Alleinerziehendeberufstätigemutterseelen wie uns. Juhu, denken wir, der Berg ruft, nix wie rauf, ab auf die wasserdichte Picknickdecke, abflacken, Schokokekse essen. Auf dem Weg nach oben kommt uns eine Herde Schafe entgegen, auch sie brauchten wohl etwas Sammlung und Erbauung, haben jetzt aber genug und gehen gerade. Oben angekommen entrollen wir unsere Decke, entrollen uns darauf, stopfen uns mit Keksen voll und schließen entspannt die Augen. In der Ferne hören wir das leise Blöken der Schafherde, das sich immer weiter im Wald verliert. Die Alb, ein Idyll.

Eine Schafphalanx materialisiert sich aus dem Nichts

 
Zwanzig Minuten später stößt mir Ma Baker aufgeregt ihren Zeigefinger in den Oberarm. „Du, aktuelle„, haucht sie, „schau mal!“ Als ich mich unwillig hochrolle und die Augen aufschlage, starre ich in zweihundert Augenpaare, die wiederum mich anstarren. In etwa zehn Metern Entfernung hat sich eine Schafphalanx aus dem Nichts materialisert, die uns fixiert und sich ebenso lautlos wie unaufhaltsam den Berg hinauf schiebt. Ich überlege kurz, was der Edeka neuerdings für Kekse verkauft, und starre ungläubig erst die Schafe an und dann Ma. Die starrt zurück, und nach eingehender Beratung einigen wir uns auf die passive Defensive. Die Schaffront dagegen hat sich für die aktive Offensive entschieden, sie rückt geschlossen näher und beginnt, einen Kreis um uns zu bilden. Zwei Meter vor unserer Decke bleibt die Huftiere stehen. Dort scheinen sie ihre Sprache wiedergefunden zu haben, sie blöken und starren. Und blöken. Und starren. Und blöken. Ma und ich schwanken zwischen Hysterie und Scheiße-warum-haben-wir-keine-Kamera-dabei-wären-wir-Jungs-hätten-wir-sogar-mobiles-Internet-das-glaubt-uns-doch-kein-Mensch und starren zurück. Und blöken.

Das Kollektiv umspült unsere Picknickdecke

 
Albtips.de schreibt über das Won: „Es lohnt sich, zum höchsten Punkt der Wiese hinaufzugehen, denn von dort hat man einen herrlichen Rumdumblick vom Wackerstein bis hin zum Lichtenstein.“ Möglicherweise haben die Schafe mobiles Internet und wollten endlich mal vom Gipfel aus den herrlichen Panoramablick genießen, und jetzt liegen wir ihnen im Weg und sie wissen nicht so recht, wie weiter. Vielleicht wollen sie auch nur unsere Schokokekse, sie wirken unentschlossen. Nach einer gefühlten Ewigkeit stampft schließlich die Schafchefin zweimal energisch mit dem Huf auf, blökt und gibt damit das Kommando zur weiteren Wonbesteigung. Das Kollektiv setzt sich in Bewegung, umspült unsere Decke, glotzt, blökt, spült an uns vorbei und erreicht schließlich den Gipfel. Heureka. Was für ein Stress für alle Beteiligten, darauf ein paar Kekse und Kippen für uns, Gras und Magerblumen für die Schafe und etwas Wonlicht für eventuell vorhandene Elementargeister.

 
Um das Ganze abzukürzen: Zwanzig Minuten später spielt sich alles von vorne ab, nur umgekehrt. Die Schafe spülen die sanfte Hügelwiese wieder hinunter, blöken, starren, blöken, starren, bis sie nach weiteren dreißig Minuten das Fußende des Berges erreicht haben. „Schafgezeiten“, meint Ma. Fragend schaue ich sie an. „Na ja“, meint sie, „Schafflut, Schafebbe, sie spülen rauf, sie spülen runter.“ Das ist natürlich eine Möglichkeit, aber wechseln die Mondphasen am Won so schnell? Oder haben Schafe eine andere Zeitrechnung? Und was war in den Keksen? Als die nächste Schafflut den Berg heraufrollt, packen wir zügig unsere Sachen und verlassen den geheimen Kraftort der Schafe.
 

Stresstest Sommerferien

Sommerferien sind, ebenso wie ein Großbahnhof, nichts für schwache Nerven. Nicht allein deswegen, weil diese üblicherweise sechs Wochen dauern, einer als orthodoxen Arbeitnehmerin aber lediglich sechs Wochen Gesamturlaub pro Jahr zur Verfügung stehen, es kinderbetreuungsmäßig jedoch noch weitere sechs Wochen Schulferien (Herbst, Winter, Fasching, Ostern, Pfingsten) zu bestreiten gilt, einer also nach Adam Riese sechs Wochen Urlaub fehlen. Ein gordischer Knoten, der jedes Jahr aufs neue vor elterlichen Türen steht, und den der super Kapitalismus trotz seiner Allmächtigkeit, Herrlichkeit und Heiligkeit bis jetzt nicht gelöst hat. Schade, aber egal, nur ein weiteres weites Feld.

Im August nach Anatolien

Dieses Jahr haben der Hotti-Lotti-Papa und ich uns dafür entschieden, die schönste Zeit des Jahres betreuungsmäßig exakt in zwei Hälften aufzuteilen: Drei Wochen sind die lieben Kleinen bei mir, drei Wochen bei ihm. Nicht weil wir so wahnsinnig innovativ sind und wir uns nicht jedes Jahr mit dem gleichen Betreuungsmodell langweilen wollen, nein, sondern weil der HPL die ersten drei Wochen zum Arbeiten nach Südostanatolien will. Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen und wirken. Prima, denke ich, dann melde ich Hotti und Lotti dieses Jahr doch gleich beide im Adlernest an, dem lokalen und von der evangelischen Kirche gesponserten Waldheim, wo die Kinder von morgens bis abends ohne elterliche Sorge und Ermahnungen basteln, schreien, toben, werkeln, Spaghetti mit Tomatensoße ohne Hände essen und sich die Rippen brechen können. Von morgens bis abends allerdings nur, sofern die Kinder das hohe Alter von sechs Jahren erreicht haben, Fünfjährige dürfen zwar immerhin partizipieren, aber nur in der Halbtagsgruppe, die geht dann bis um 13 Uhr, und die Eltern müssen sie täglich abholen.

3,5 Stunden für die Selbstverwirklichung: VOLL ungerecht

Egal, denke ich, Supersache, beide anmelden, parallel Urlaub haben, da habe ich ja morgens satte 3,5 Stunden, in denen ich mich total erholen, entspannen und selbst verwirklichen sowie voll die Sachen auf die Reihe bekommen kann wie z.B. joggen, schwimmen, gärtnern, Käffchen trinken, die Reste vom Umzug beseitigen, Geldanträge stellen, putzen, waschen, einkaufen und pausenlos Blogartikel ausspucken. Mittags hole ich dann total entspannt mein fünfjähriges Halbtagskind aus dem Adlernest und bespaße es als total entspannte Supermami mit pädagogisch wertvollen Dingen wie Basteln, Vorlesen und Eis essen, bis die Große aus der Ganztagsgruppe abends schlammverschmiert aus dem Bus fällt. HA!

Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag

An meinem letzten Arbeitstag zähle ich die Minuten, bis endlich die gemeinsamen Ferien mit den Kindern anfangen. Strahlend nehme ich sie abends beim HPL in Empfang, wünsche ihm eine gute Reise nach Südostanatolien und breche auf in eine glorreiche Ferienzukunft. Nach zwanzig Minuten allein zu Hause mit Hotti und Lotti möchte ich zurück ins Büro. Hotti: „Mama, die Lotti hat meinen lila Glitzer VOLL alle gemacht, OHNE zu fragen!!!“ Lotti: „Ich HAB‘ halt keinen Glitzer, und die Hotti hat VOLL viel und…“ die aktuelle: „Aber Kinder, ihr könnt den Glitzer doch TEILEN, und morgen hole ich neu…“ Hotti: „Mama, das ist VOLL ungerecht, IMMER hältst Du zu Lotti, und NIE zu mir, das ist SO GEMEIN!!“ die aktuelle: „Schaut mal, ich hab‘ Abendessen gem…“ Hotti und Lotti: „Wir haben keinen Hunger.“ Lotti: „Ich will fernsehen.“ Hotti: „Kann ich wen anrufen?“ Theorie und Praxis, Ideal und Wirklichkeit, Hirnfurz und Alltag.

Große, fette Spinnen im Haustürschlüsselloch

Die Nachmittage mit Lotti alleine gestalten sich ähnlich unideal, nach jedem Vormittag mit 300 anderen Kindern ist sie zwar kurz vorm social Overkill und reif für einen fünfstündigen Mittagsschlaf (finde ich), braucht aber zu Hause angekommen sofort mindestens drei Verabredungen (findet sie). Vorlesen ist was für Babies (außer Prinzessinnengeschichten), Blümchen pflanzen öde („Na gut, Mama, wenn Dir langweilig ist, kann ich Dir dabei helfen.“), Barbie-Spielen will ich nicht („Ich wär‘ halt die schöne Glitzerbraut, und Du wärst dann halt Ken.“) und Eis essen ist auch keine Nachmittag füllende Veranstaltung. Ansonsten ist es „VOLL ungerecht“, dass Hotti den ganzen Tag im Adlernest bleiben darf, und Lotti nicht, und wann sind endlich die nächsten Sommerferien, wenn sie dann sechs ist?? Ich pflichte ihr bei und verweise sie auf die evangelische Kirche, die für derartige Zustände verantwortlich zeichnet.

Und sogar die Nächte sind dermaßen unentspannt, dass ich anfange, die Tage bis zu HPLs Rückkehr (maximal 15) und die Jahre bis zu Lottis Auszug (ebenfalls maximal 15) zu zählen. Hotti kreischt, weil nachts eine Wespe über ihren Hals kriecht. Bei Licht ist die Wespe eine Mücke, aber egal, das hindert Lotti nicht daran, nachts um zwei hysterisch die sofortige Schließung sämtlicher Wohnungsfenster und -türen einzufordern („Kommen Mücken auch durchs Haustürschlüsselloch?“ – „Natürlich, Liebes, und GANZ GROẞE FETTE SPINNEN AUCH!!!“). Mücken, Wespen, Alpträume, Übelkeit und Fieber, nach drei Scheißnächten in Folge will ich nur noch eins: Pauschalurlaub auf den Kanaren, kinderlos, mit Vollpension.

die aktuelle

Plötzlich Scheidungskind

Man soll die Leute ja nicht unterschätzen, am wenigsten die eigenen Eltern. Als ich am Samstagmorgen nach einigen Wochen mal wieder meine Mutter anrufen wollte, um mich aus einem unsäglichen Urlaub an der französischen blauen Küste zurückzumelden, war da unter der alten Nummer plötzlich nicht mehr der normale Telefonanschluss eben meiner Mutter, sondern die Mailbox meines Vaters. Weil ich den schon seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen habe, legte ich auf, leicht irritiert, aber nicht alarmiert. Als ich dann eine Stunde später zum Briefkasten schlappte, lag da ein blauer Brief meiner Mutter, in dem sie mir mitteilte, dass sie vor einigen Wochen bei meinem Vater ausgezogen sei und dass sie nun in der Kurzstr. 88 wohne, die aber immer noch die gleiche Postleitzahl habe. Ah ja. Ich meine, die Nichtänderung der Postleitzahl finde ich jetzt nicht ganz so gravierend, den Auszug meiner Mutter dann schon eher, zumal es bei unserem letzten Gespräch wenige Wochen zuvor zwar um Hotti, Lotti, den Garten, Autos und das Leben als solches ging, nicht aber um neue Wohnungen und größere Lebensveränderungen.

Das Ganze traf mich auch insofern ein bisschen unvermittelt, weil ich mir seit 36 Jahren den Mund fusselig rede, dass Trennungen unter gewissen Umständen durchaus von Vorteil, und zwar für alle Beteiligten, sein könnten, und ich mir mit meinem altklugen Dahergequassel in dieser Familie nicht besonders viele FreundInnen gemacht habe. Und dann, mal eben so ein kleiner blauer Brief, Kurzstr. 88, gleiche Postleitzahl, soso, nach 38 Jahren das elterliche Ehe-Aus. Da wird man ja als Kind plötzlich stockkonservativ und superegoistisch und denkt Sachen wie: Nach all den Jahren?? Oder: Und ICH?! Nicht, dass man sich als 36jähriges Scheidungskind noch Sorgen macht, ob man jetzt alle zwei Wochenenden beim Papa ist, den Hamster behalten darf und am Ende noch die Schuld an der Scheidung trägt oder so, nein, aber wenn man sein Leben lang hart an einer Identität als schwarzem Familienschaf mit notorischem Hang zum Therapieren und Rebellieren gearbeitet hat, dann steht man auf einmal doof da, so ohne Aufgabe. Man braucht nicht mehr zu sagen, dass die Eltern sich nicht guttun, dass man heutzutage doch als Frau in unseren Breitengraden für eine Scheidung nicht mehr gesteinigt wird, dass die Kinder (ich) jetzt schließlich groß seien, mehr oder weniger, und dass man das Ganze anstrengend finde, wollte ja eh noch niemand hören. Man braucht nichts mehr besserzuwissen, man muss niemandem mehr auf die Nerven gehen, man kann einfach die Klappe halten und die Leute machen lassen. Ganz in Ruhe. Vielleicht wissen sie ja am Ende doch, was sie tun. Und wenn man mich hier als Berufstrotzkopf und Schwarzschaf nicht mehr braucht, dann suche ich mir halt einen anderen Job. Nur welchen? Vorschläge gerne wie immer an die wunderbra-Redaktion.

die aktuelle

Miteinander spielen, singen, essen und trinken

Nein, ich habe weder völlig überraschend die Freuden des unkomplizierten zwischenmenschlichen Beisammenseins entdeckt noch bin ich endlich in der grünen Hölle angekommen. Es ist auch keine Auflistung meiner ständigen Tätigkeiten mit meinen Kindern. Die Überschrift ist vielmehr der Titel der Einladung, die ich heute Morgen aus Lottis Postklorolle im Kindergarten ziehen durfte. Der Inhalt dieser Einladung hat mich derart aufgewühlt, dass ich ihn gerne mit der ganzen Welt teilen möchte:

Miteinander spielen, singen, essen und trinken

In diesem Jahr wollen wir anstatt des österlichen Bastelnachmittages einen Eltern-Kind-Spielenachmittag anbieten. Dazu laden wir sie ganz herzlich ein. An diesem Nachmittag sollen Sie Gelegenheit bekommen, den Kindergarten Ihres Kindes „von innen“ zu erleben. Sie können mit Ihrem und anderen Kindergartenkindern spielen, sich mit anderen Eltern austauschen, oder mit einer Erzieherin ins Gespräch kommen. […] Um ca. 15.30 Uhr treffen sich alle Kinder nach dem Aufräumen zum gemeinsamen Essen. Hierfür sollten Sie und Ihr Kind eine Kleinigkeit zum Essen dabei haben. Anschließend gehen wir mit den Kindern in den Garten. […] Zum Abschluss wollen wir um 16.40 Uhr mit allen Kindern und Eltern gemeinsam noch ein paar Kindergarten-Hits singen.

Auf ein fröhliches Miteinander freuen wir uns sehr.
Ihr KIGA-Team

Im Büro muss ich niemanden in sein Zimmer schicken

Alles in Comic Sans MS, der gutgelaunten Kinder- und Familienschrift. Drei Fragen drängen sich mir angesichts eines derartigen Angebotes spontan auf: 1. Wer will das? 2. Bin ich eine Rabenmutter, wenn ich so etwas nicht will, weil ich genau diese Dinge sowieso dauernd mit meinen Kindern mache, und froh bin, wenn ich mit erwachsenen Menschen in meinem Büro sitzen und mit ihnen zum Essen beim Chinesen/Türken/Griechen gehen darf? Ohne dass ich jemandem die Finger abwischen, Essen aus den Haaren fummeln, vom Boden aufsammeln oder in sein Zimmer schicken muss? Und vor allem: 3. Wer kann sich das zeitlich leisten? Ich ziehe meine entzückende Brut überwiegend alleine groß, arbeite 50% in der fern entlegenen Landeshauptstadt und verbringe wöchentlich ca. acht Stunden auf der B1234567. Alleine dieser relativ gewöhnliche Umstand löst bei mir bereits morgens im Bad Tobsuchtsanfälle aus, auf der Bundesstraße Herzrasen, vor der Stechuhr Schweißausbrüche, weil Hotti zwar mittlerweile – hallelujah – in einer Ganztagsschule mit Spätbetreuung bis immerhin 17 Uhr untergebracht ist, Lottis Kindergarten allerdings noch immer vorsintflutliche Öffnungszeiten vorweist: dreimal die Woche muss man seinen Nachwuchs um 13 Uhr abholen, zweimal um 17 Uhr. Wenn Lotti nächstes Jahr in die Schule kommt, ist dann zwar sie ganztagsbetreut, allerdings wechselt Hotti zeitgleich auf die weiterführende Schule, wo sie dann wieder um 12 Uhr auf der Matte steht. (Darüber denke ich bereits seit zwei Jahren nach.)

Zurück zum Ausgangsproblem: Um meine Jüngstgeborene glücklich zu machen, habe ich die Wahl zwischen exakt zwei Möglichkeiten: a) Ich nehme mir einen Tag frei, um den Kindergarten meines Kindes „von innen“ zu erleben (Pest). b) Ich übe mich in Übergriffigkeit und schicke den Hotti-Lotti-Papa hin (Cholera). Option a) fällt flach, weil ich bei sechs Wochen Urlaub pro Jahr bei gleichzeitg zwölf abzudeckenden Wochen Schulferien pro selbem Jahr ohnehin, jetzt bereits im dritten Jahr, das Unmögliche vollbringen muss. Option b) finde ich etwas unangenehm, weil ich den HLP vorhin schon um sein handwerkliches Know-how anbetteln musste, da ich meine neue Wohnungstür mit Nagellackentferner ruiniert habe. Darüber hinaus hallt bereits im Vorfeld Lottis nichtamüsiertes „NIEkommstduzumeinenbastelnachmittagen!“ in meinem schlechten Gewissen nach.

„Reden Sie doch bitte vor der Tür weiter!“

Mich regen solche Einladungen, gelinde gesagt, auf, weil sie mir neben veritablen Schuldgefühlen einen unglaublichen Stress verursachen. Neulich, zwei Tage vor meinem glorreichen Umzug, habe ich mich in die Schule meiner Erstgeborenen gezwungen, um an einem ähnlich gearteten Angebot zu partizipieren, es hieß, soweit meine Verdrängung mich nicht trügt, Eltern-Kind-Spiele-Lernnachmittag. Da durfte man sich dann in gefühlten 2000 Stationen die Lernmaterialien seiner Kinder von seinen Kindern erklären lassen (wer will das??). Ich schleppte mich hin, um mir nicht hinterher nachsagen zu lassen „AllewarendanurDUwiedernicht!!“, und da saßen dann tatsächlich ganze ElternPAARE. Und ich will gerade nicht darauf hinaus, dass ich momentan nicht besonders gut auf traute Zweisamkeit zu sprechen bin, sondern ich frage mich vielmehr: Wie schaffen es gleich ZWEI Leute aus einer Familienfirma, ihrem Sprössling in der Schule über die Schulter zu schauen? Und vor allen Dingen: Wozu überhaupt? Das Dilemma konnte ich immerhin so lösen, dass ich so lange und laut mit einer ebenfalls kurz vor Umzug und Ohmacht stehenden Mutter über die Strapazen des Alltags klagte, bis uns Hottis Klassenlehrerin bat, doch bitte vor der Tür weiterzureden. Geil, wie früher.

Ich will, wieder mal, ein Double, vielleicht sollte ich mal beim Jobcenter nachfragen. Schließlich kann es doch nicht so schwer sein, eine ähnlich gestresste, genervte, erschöpfte Mutter am Rande des Zusammenbruchs aufzutreiben, die sich mit bloßem Authentischsein ein bis zwei Euro die Stunde dazuverdient. Bei meinem nächsten Kundengespräch mit meiner Sachbearbeiterin werde ich mich mal informieren. Bewerbungen werden auch auf wunderbra.org entgegengenommen.

die aktuelle

Bombenstimmung

Sonntagmorgen, 7 Uhr, die Sonne scheint durch die Rollladenritzen, ich habe kinderfrei, ich kann nicht mehr schlafen, mir ist schlecht, alles tut weh, ich mag nicht aufstehen, und ich will auch sonst nichts machen und „schöne Sachen“ schon gar nicht, nicht joggen, nicht Kaffee trinken, nicht Zeitung lesen, nicht Verabreden, keinen Spaziergang, keine Radtour und erst recht nicht „in die Sonne“. Ich bin: alt, böse, hässlich, leer, taub, stumpf, schwarz, krank, tot. Reicht das, um sich die nächsten 70 Jahre krank schreiben zu lassen und die Außenwelt nicht mehr betreten zu müssen? Den Rolladen ganz herunterzulassen schaffe ich nicht, also verschwinde ich unter der Decke. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, wann ich beim nächsten Sonnenstrahl zu Staub zerfalle und doch noch von Bier auf Blut umsteigen muss.

Isolierte Irre mit 32 Katzen

Wenn es einem dauerhaft, sagen wir mal ganz euphemistisch, nicht so prickelnd geht, fragt man sich ja schon, wie lange das Umfeld das so mitmacht. Oder um es mit einem sehr treffenden Tweet zu sagen: Da ist man mal zwei, drei Jahre mies drauf, und schon ist man die mit der schlechten Laune. (aufgeschnappt auf der re:publica, Verfasserin mir leider unbekannt) Abgesehen davon will man sich ja bei seinen FreundInnen auch überhaupt nicht mehr blicken lassen, weil man befürchtet, dass einem Kröten, Spinnen, Schlangen und andere hässliche Dinge aus dem Mund fallen, sobald man ihn aufmacht. Man will auch keine glücklichen Familien sehen, die sich sonntags nicht verabreden, weil sie da „immer was als Familie“ machen, oder engagierte Väter, die die lieben Kleinen auf dem Weg zur Arbeit im Kindergarten absetzen („sonst sehen wir uns den ganzen Tag nicht“), man will nichts hören von Großeltern, die einspringen, wenn’s „finanziell oder zeitlich eng“ wird, und beziehungstechnische Erfolgsgeschichten („mein Mann sagt/macht/kann ja immer…“) sind das Allerletzte, was man hören will (Probleme und Katastrophen gerne). Gut, das schränkt dann den Gesprächsradius schon etwas ein, und weder in der neuen Heimat, die aus lauter Rama-Familien zu bestehen scheint, noch auf der Arbeit, wo Kollegen heiraten und zusammenziehen, macht man sich mit einer solchen Haltung dauerhafte Freunde. Man wird zur kommunikativen Zumutung. Mit viel Glück behält man seinen Arbeitsplatz und endet nicht als isolierte Irre mit 32 Katzen in der Wohnung, die ein Jahr nach ihrem Tod verwest in ihrer Wohnung aufgefunden wird, weil die Nachbarn plötzlich gemerkt haben, dass es etwas streng riecht.

Aber jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, immer schön im Hier und Jetzt bleiben. Aber jetzt ist verdammt lang, wenn es einem schlecht geht, und die Zeit vergeht ja irgendwie auch gar nicht, wenn man darauf wartet, dass alles endlich besser wird. Stellt sich also die Frage: How long is now? Und draußen toben der Frühling, das Leben und eine Million widerliche Verliebte. Pfui Teufel, kann man da nur sagen. Naja, Kopf hoch, der nächste Winter kommt bestimmt, und dann bin ich die mit der Bombenlaune.

re:publica 2011 and beyond

Tag 1
Berlin, Berlin, wir (Dr. Sprite und ich) fahren nach Berlin, und zwar zur großen Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft, die re:publica 2011. Auf dem Weg zum Flughafen bricht allerdings mein Herz endgültig auseinander, weil der Bus plötzlich und unerwartet in den Unwahrscheinlichkeitsdrive gerät und fünfzig Minuten durch die Hölle statt durch den Schönbuch fährt, und ich versteinere. Mein tiefster Dank gilt an dieser Stelle Dr. Sprite, die meine Überreste an Terminal 2 zusammenkratzt, souverän die Führung übernimmt und mich im weiteren Verlauf des Tages mit Tabak und Alkoholika versorgt. Die erste Zigarette nach elf Jahren schießt mir fast die Lichter aus, und wir steigen in den Flieger. Angekommen in der Hauptstadt schlägt meine Versteinerung um in ein ausgewachsenes Tourette-Syndrom, und ich bekämpfe den Drang wild um mich zu schlagen sowie unkontrolliert Kraftausdrücke und wüste Beschimpfungen auszustoßen.

Aber ich bin ja nicht zum Spaß hier, sondern in höherer Mission. Daher hier mein persönliches inhaltliches Highlight in Form eines Franzosen namens Jérémie Zimmermann, der das ebenso reaktionäre wie internationale ACTA-Abkommen, das das bestehende Urheberrecht zementiert statt weiterzuentwickeln, folgendermaßen quittiert: „Wir Geeks und Hacker haben das Internet einmal erfunden, wir können das auch ein zweites Mal!“ Ganz im Sinne von Das Leben ist nicht totzukriegen oder May the coolest minds prevail. Das gibt Hoffnung, in jeder Hinsicht.

Tag 2
Zwischen zwei Sessions laufe ich an einem Spiegel vorbei und kann mein Spiegelbild nicht sehen. Beunruhigt zerre ich Dr. Sprite vor den Spiegel und stelle fest, dass auch sie nicht erscheint: Der Spiegel ist verschachtelt, und ich darf weiter Bier statt Blut trinken.

Tag 3
Habe einen Kreativen-Koller und kann keine Glatzköpfe mit Hornbrille mehr sehen.

Wer (noch) mehr Inhaltliches lesen möchte, darf dies gerne in den folgenden Tagen auf dem medienpädagogischen Portal ihres/seines Vertrauens tun (Verlinkung folgt).

Abschließend noch ein paar nette Element of Crime-Zeilen. Ein Zusammenhang mit jedweden toten oder lebenden Personen oder Begebenheiten ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Frag mich nicht, ob ich Dich noch liebe.
Das Herz endlich gebrochen, und Spaß dabei.
Und alles geht immer irgendwie weiter.
Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei.

Die Postkarte des Monats: Ich kann auch ohne Spaß Alkohol haben.
die aktuelle

New Mom in Town

Da wäre ich dann also wieder, mitten in der Grünen Hölle, wie der Spiegel ebenso schön wie nicht ganz unwahr meine neue alte Heimat jüngst betitelte. Die Kisten sind fast alle ausgepackt, bis auf einige wenige im Kinderzimmer, die ich mich nicht getraue aufzumachen, weil in ihnen die Feng-Shui-Hölle tobt: angefangene Bastelarbeiten, auf der Straße gefundene Dinge und andere Kostbarkeiten, Hottis Stiftespitzen-Sammlung (ja, sie sammelt abgebrochene Buntstiftspitzen, die Gute), Lottis Schießmunition-Sammlung (kleine gelbe Plastikkügelchen, die Jungs mit Plastikknarren im Park verschießen) und ca. 50 Millionen Kuscheltiere. Ich dagegen habe mir anlässlich der neuen Gegebenheiten ein eigenes Zimmer (Feng-Shui-Himmel) rausgelassen und mich von jedwedem irdischen Kram befreit, der bei 3 nicht auf den Bäumen war. (Dearest Fangemeinde, wenn Ihr mich wirklich liebt, dann schenkt Ihr mir ab jetzt nur noch Dinge, die verwelken oder essbar sind.)

Der Volkspark heißt jetzt Panzerhalle

Der Volkspark (Grünfläche mit 2 Spielplätzen, in der alten Heimat unser zweites Wohnzimmer) heißt jetzt Panzerhalle (Panzerhalle inmitten einer spielplatzähnlichen Grünfläche, in der neuen Heimat vermutlich mein dritter Balkon), Volkspark für Fortgeschrittene sozusagen, und da hänge ich jetzt mit den ganzen LOHAS-Eltern herum, die sich zehn Tage nach dem Spiegel-Verriss noch vor die Haustür trauen: jung, dynamisch, ökologisch, nachhaltig, schick (mutig: weiße Blusen), ausgerüstet mit elektrolytischer Apfelschorle und zahnschonenden Reiswaffeln für den alternativen Nachwuchs sowie einer gepflegten Latte Macchiato für sich selbst. Bei der Recherche nach der richtigen Schreibweise bin ich gerade über das sehr netten Abschnitt der „Kulturellen Bedeutung“ dieses koffeinhaltigen Heißgetränks in der Wikipedia gestolpert, das ich an dieser Stelle kurz anbringen möchte:

„Latte macchiato wird, ähnlich wie auch auch Bionade, häufig als Symbol für trendbewusste Neu-Großstädter der kreativen Mittelschicht und jungen Elterngeneration in Szenebezirken verwendet und demzufolge auch abwertend als Modegetränk der Yuppies und sarkastisch als Symbol und begleitendes Getränk von Gentrifizierungsprozessen betrachtet; Stereotype die unter anderem auch von Kabarettisten wie Rainald Grebe und Philip Tägert oder in dem Musical Mama Macchiato karikiert werden. Betroffene Bezirke werden in diesem Zusammenhang häufig als „Latte-macchiato-Viertel“, beziehungsweise „Latte-macchiato-Kiez“ bezeichnet. Unter der Bezeichnung „Latte-macchiato-Eltern“ oder auch speziell „Latte-macchiato-Mütter“ definieren Trend- und Zukunftsforscher eine marktwirtschaftlich relevante Zielgruppe, die einen bewusst urbanen Lebensstil in das Familienleben integrieren möchte.“ (Wikipedia)

Hat Dieter Thomas Kuhn seinen Porsche schon verkauft?

Ich lasse das jetzt mal so stehen, man muss es sich ja nicht gleich in der dritten Woche nach dem Umzug mit dem neuen Sozialgefüge verscherzen, zumal der Spiegel-Artikel hier nicht wirklich auf begeisterte Anhänger spieß, äh, stieß, und die meisten Leute hier sind ja auch wirklich nett. Gell! Bin heute übrigens an Dieter Thomas Kuhn beim nachmittäglichen Drink mit seinen Kumpels vorbeigelaufen, habe leider ganz vergessen ihn zu fragen, ob er seinen Porsche schon verkauft hat.

Hotti und Lotti sind völlig im Glück, sie ahnen noch nichts von Gentrifizierungsprozessen und Schlagermusik, sondern rennen den ganzen Tag durchs Treppenhaus, um andere Kinder einzusammeln, schwingen sich an Lianenschaukeln durch die grüne Hölle oder stürzen sich todesmutig in die Blaulach, den reißenden, an seiner breitesten Stelle ca. 50 cm fassenden Strom, der vor unserem Haus dahinplätschert.

Ich persönlich stehe noch ein bisschen unter dem Nachbeben des Umzugs, der mich physisch, mental und ökonomisch an meine Grenzen und darüber hinaus gebracht hat (wo nie ein Mensch zuvor gewesen…). Die Bilanz: Rückenschmerzen, entzündete Sehnen und Handgelenke, ein zerrüttetes Nervenkostüm und Schulden bei der Bank. Ansonsten versuche ich mich gerade an 5 Meter gegenüberliegende Häuser mit riesigen Fensterfronten zu gewöhnen, in denen Katalogfamilien zu Abend essen und an deren Dachterrassen Muschelketten hängen, und auch dass die mir plötzlich alle beim Ausziehen – Schlafen – Nasebohren zuschauen können, finde ich noch leicht grenzwertig. Aber sicher nicht mehr lang, schließlich sind wir ja alle eine grüne Familie.

Höllische Grüße
die aktuelle

Mehr über LOHAS finden Sie hier und hier.

Time for a Change!

Der Balkon gehört mir und potenziellen Zwergkaninchen.

Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein radikaler Umbruch her, der geschwind Dein Leben auf den Kopf stellt. Dieser alten Lebensweisheit entsprechend wurde mir letzte Woche nicht nur meine Traumwohnung, sondern auch gleich mein Traumjob angetragen. Aber mein Tarot hat’s ja gleich gesagt.

Gerade noch rechtzeitig, bevor die hausinterne Sex-Stasi den Deutschen Mieterverein auf den Plan rufen konnte, ruft mich die Mutter von Hottis bester Freundin an und fragt, ob ich nicht in ihren Wohnblock ziehen wolle, da werde gerade eine bezahlbare Dreizimmerwohnung frei und zwar im Prinzip sofort. In diesem Wohnblock wohnt im Übrigen auch Lottis beste Freundin, auch wenn die ein Junge ist, das macht aber nichts, Lotti sagt immer: „Der Dino ist meine beste Freundin.“

Jedenfalls: 3 Zimmer, 2 (!) Balkone (einer für Kräuter und potenzielle Raucherbesucher, einer für mich und potenzielle Zwergkaninchen), 1 nette Hausgemeinschaft mit ca. 972 Kindern, 1 obercooler Innenhof mit Spielplatz, in den sich die Kinder während der Sommermonate bequem ausquartieren lassen, 1 Hausmeister, der meinen Müll rausträgt und Kehrwoche macht (!!), 1 Bach, der idyllisch vor meinen 2 (2!) Balkonen dahinplätschert, und 1 Waldrand, in dem Hotti und Lotti Bären jagen und sich die Klamotten zerfetzen können. Darüber hinaus ein paar supernette Vermieter, die mir nicht nur eine neue Küche passgenau um meine Spülmaschine herum einbauen, sondern auch noch sämtliche Wände streichen, die Böden abschleifen und einen sozial verträglichen Mietpreis verlangen. Wunder gibt es immer wieder.

Und weil das noch nicht cool und krass genug ist, ruft als nächstes der SysOp an und fragt mal eben, ob ich vielleicht Interesse daran hätte, meinen Traumjob auszuüben, er könne ja mal ein Vorstellungsgespräch organisieren. Och, weißt Du…

Meine To-Dos für die nächsten Wochen gestalten sich dementsprechend folgendermaßen:

1. Geld auftreiben für ganz viele tolle schicke Möbel, 1 Umzugswagen und 2 doppelte Monatsmieten (Kleinigkeit)

2. Menschen auftreiben, die meine vielen tollen schicken Möbel schleppen, meine Kinder sitten und das Catering organisieren (keine Sorge, Ihr bekommt rechtzeitig Bescheid!)

3. eine Plastiktüte auftreiben, in die ich beim Vorstellungsgesprächsessen mit meinem zukünftigen Chef atmen kann.

Das ist überschaubar.

die aktuelle