Für die Maulfaulen

Menschen reden!
Über alles mögliche und nichts. Über Fußballergebnisse, Kindheitstraumatas, Menstruationsbeschwerden, das, was ihnen heute beim Einkaufen passiert ist, über ihre PartnerInnen oder darüber, dass sie keine(n) haben, über Agavensirup statt Zucker im Kaffee , darüber, dass Sojamilch in selbigem ausflockt und dann aussieht wie Kotze und darüber, dass es total gut ist, mit jemandem über all das zu sprechen.
Es gibt viele verschiedene Arten, zu reden. Mal blubbern die Wörter aus Menschen heraus wie aus einer lecken Wasserleitung, ein stetiges gleichförmiges Sprudeln ohne nennenswerte Höhen und Tiefen. Oder sie blubbern nicht, sondern spucken wie ein Vulkan Worteruptionen, unterbrochen von kurzen Momenten des Atemholens. Manchmal kommen Worte nur mühsam hervor, der Sprechende scheint sie vor die Tür beziehungsweise aus dem Mund prügeln zu müssen wie einen ungebeten Gast. Und selbst wenn sie schon draußen sind bleiben sie noch an einem kleben wie Kaugummi und ziehen schwerfällige Fäden.
Manchmal haben Wörter ein Echo, das wie etwas Fremdes zu uns zurück kommt. Man hört sich selber zu und fragt sich: Gott, was rede ich da eigentlich??? Und redet weiter.

auch ein Geblubber

Es gibt Menschen, deren Mitteilungsbedürfnis gleicht einem Tsunami. Sie fangen irgendwo an und hören nirgendwo auf. Nachdem man sich durch verschiedene Stufen der Höflichkeit gekämpft hat kapiert man vielleicht, dass es nicht um den Inhalt geht, sondern um den Akt des Sprechens ansich. Und kann dann nochmal neu entscheiden, ob man weiter tapfer lächelt, oder durch’s Klofenster abhaut.
Es ist beinahe unmöglich, sich der verbreiteten Kulturpraxis des Redens zu entziehen. Reden bedeutet Kontakt, Interesse, viele Freunde, Zuspruch, Lebensfreude und Eis am Stiel. Eine Beziehung ist glücklich, wenn man sich was zu sagen hat, wenn nicht, ist das Grund zur Besorgnis. Wer redet, ist mittendrin, hat Anteil, ist dynamisch und agil, witzig und normal. Wer gerne die Schnauze hält ist nichts dergleichen, sondern sonderbar, eine Art Vakuum im Wortuniversum und keiner weiß, was darin lauern könnte. Menschen mögen keine Vakuümmer.
Damit muß Schluß sein. Ich erkläre hiermit, dass ich dynamisch, lebensfreudig, wahnsinnig witzig, äußerst normal, interessiert sowie ein Eis am Stiel bin und trotzdem manchmal einfach total gerne und zufrieden meine Klappe halte.
Gleichgesinnte können sich mit mir gerne auf einem Schweigekaffee im Café Maulfaul verabreden.

Ma Baker

FREEZE – Nobody move

Die Frage, ob wir mit dem Jahr 2012 auf irgendeine apokalyptische Angelegenheit zusteuern, möchte ich gerne an die Kornfeldgucker outsourcen, denn wer in umgefallenem Getreide binäre Codes entdeckt, dem fällt sicher auch zum jüngsten Gericht direkt vor unserer Haustür irgendwas Lustiges ein. Während des unerschrockenen Mitschwimmens im großen Alltagsstrudel, beim engagierten Festhalten verschiedenster Gäule und Hochhalten diverser Fähnchen begegnet einem allerdings eine Art von Plage, die zwar nicht biblischen Ursprungs ist, aber Heuschrecken, Hagel und schwarzen Geschwüren in nichts nachsteht. Wir sprechen vom MULTI TASKING!!
In meinem Alltag als Vollzeitstudentin, Bibliotheksmitarbeiterin, Teilzeittherapeutin, gedanklicher Volkshochschuldozentin, Lebensgefährtin, Blogautorin, Kräuterhexe und Rockstar in spe jage ich diesen Softskill auf alle erdenklichen Arten, in der Hoffnung, ich hätte ihn irgendwann mal erlegt und dann würde hier Ruhe einkehren! Es muß doch diesen magischen Moment geben, wo mal das Gröbste erledigt ist und sich ein entspannendes doppelflügliges Zeitfenster in Gestalt eines flauschigen Wohlfühlkissen vor einem ausbreitet. Da will ich hin, es scheint ganz nah! Jetzt nur noch schnell die Wäsche in den Schleudergang, die Hausarbeit fertig schreiben, ein bißchen arbeiten gehen, das Klo putzen, ein wichtiges Gespräch mit einer Freundin führen und eine Lebendfalle für die Maus kaufen, die gerade überall in unserem Haus Hantaviren verteilt. Und dann darüber bloggen! Ist doch alles machbar! Und so beeile ich mich, schleudere meine Hausarbeit, blogge die Mausefalle und schreibe seitenweise Wäsche, während das Klo arbeiten geht und die Hantaviren mit der Freundin telefonieren. Auf das flauschige Kissen im doppelflügligen Zeitfenster, welches sich am Ende des Tunnels materialisieren sollte, warte ich vergebens.
Statt dessen zieht ein leerer Kühlschrank herauf, gefolgt von einem Referat zu einem unsäglichen Thema, einer Steuererklärung und Teilen eines fremden Gartenhäuschens, das der Sturm in meinem Blumenbeet platziert hat.
FREEZE, bedrohe ich mich gedanklich. Erst das Kissen, vorher wird hier garnix Neues angefangen! Dann kommt mir die schlaue Idee, dass ich zu meiner Entspannung ja genausogut nichtstuend im Garten rumstehen kann, vielleicht kommt mir ja beim Nichtstun eine schlaue Idee, wie ich das Gartenhauswrack aus meinem Blumenbeet kriegen kann. Oder ein lustiger Gag für einen Blogartikel?

Ma Baker

kleiner Anfall von Rührseligkeit

Lustige Bilder, lustige Videos und Witze
Mit Mitte 30 weiß man das ja. Frauen sind äußerst vielschichtige Wesen. Mal ist es ein bißchen mehr so, dann aber auch wieder nicht so ganz. Der Hormonspiegel steigt in den Himmel – und stürzt dann plötzlich ab, samt der Laune und den vielen Dingen, die grade eigentlich noch gar kein Problem waren, sich im Talflug aber flugs in eine fiese finstere Wolke verwandeln, die wahrscheinlich auch waffenscheinpflichtig wird, wenn man ihr zu nahe kommt.
Um diese Dinge weiß man als Frau. Das ist nicht das Problem. Manchmal wünscht man sich eine Reduktion auf on und off, weil es schon mal passieren kann, dass man sich selber zuviel ist. Man sehnt sich nach überschaubaren 3 Dimensionen anstatt einem Spiegelkabinett, wo es immer noch irgendwo um eine emotionale Ecke geht, die eine mehrstündige Erörterung der Gesamtsituation erforderlich macht. Aber dafür hat man ja Freundinnen. Wie gesagt, alles kein Problem. Ich komm damit klar.
Letzten Samstag abend hatte ich allerdings ein höchst beunruhigendes Erlebnis. Beim gelangweilten Versuch, eine Werbepause sinnfrei zu überbrücken stolperte ich über das Finale von „The voice of germany!“ Kein Thema, ich verabscheue Castingshows, egal wie wohlmeinend sie sich anstreichen. Mein Gehirn irgnoriert oder (falls das nicht geht) verpackt sie sofort unter der Kategorie „Nichtswürdiger Bockmist!“ Gerade als ich mich ans ignorieren machen wollte fingen 2 junge Männer mit 2 Gitarren an, ein Lied zu singen. Und ich mußte weinen!! Wie im Comic, 2 Gitarren, 2 junge Männer, 2 Sturzbäche, einer links, einer rechts! Etwas in einer doofen Castingshow bringt mich zum Weinen! Das ist ein Grund zur Beunruhigung! Es gibt natürlich viele große Momente der Filmgeschichte, die es wert sind, ein paar Tränen zu vergießen. Ein vom Zug überfahrener Buddy in „Grüne Tomaten“ zum Beispiel, oder eine sterbende Schwester in „Betty und ihre Schwestern!“ Ich hab auch geweint, als DATA in heroischer Mission samt einem feindlichen Raumschiff explodiert ist. Das ist Star Trek! Da geht das! Aber doch nicht bei einer Casting-Show!
Die Untersuchungen zu diesem Vorfall konnten leider wegen mentaler Tränenflut noch nicht abgeschlossen werden. Das zuständige Gremium befaßt sich allerdings mit der Frage, ob die Installation eines weiteren Reglers auf der Schalttafel angezeigt ist.
Und was bringt Euch so aus der Fassung und treibt Euren Taschentuchkonsum in die Höhe?
Ein paar kleine Geschichten zu fragwürdigen Anlässen würden mich ungemein beruhigen.

Ma Rührselig

Hier noch der Link zu den Gitarrenjungs für Interessierte zum Mitflennen oder Wundern:

http://www.youtube.com/watch?v=47zf7etZQNE

platsch und weg

eingefrorener Mühlbachwasserfall

Und dann, von einem Moment auf den anderen, bleibt alles stehen. Eine ewige Sanduhr auf dem Monitor. Die vielen Gedanken hören auf, hintereinander her zu rennen und sogar der Mühlbach hält einen Moment inne. Man atmet aus und lange Zeit nicht mehr ein.
Nach wochenlanger Dauerbefüllung meines Langzeitgedächtnisses mit Dingen, die offenbar zu einem Studium gehören ist jetzt ein großer Teil geschafft. Mein Gehirn gleicht einem riesigen Warenhaus, endlose Reihen von Regalen, bis zur Decke befüllt mit Gendertheorien, Bourdieu, PISA, didaktischen Modellen nach Otto, Hasi und Schatzi und vielem mehr.
Und jetzt sitz ich hier, völlig regungslos und schaue zu, wie ein Gelerntes nach dem anderen aus dem Regal fällt. Primäre und sekundäre Herkunftseffekte, multifaktorielle Intelligenzmodelle und natürlich die Janusgesichtigkeiten der sozialen Moderne, alles schlägt mit einem lauten Platsch am Boden auf. Abgrund Adorno und Pierre Bourdieu führen noch eine kurze hitzige Debatte über Mündigkeit, bis Pierre schließlich sauer wird, Abgrund kurzerhand über den Regalrand schubst und dann hinterspringt. Karl Marx jammert, dass er sich die Revolution so nicht vorgestellt hat, bis Max Weber ihm wieder klarmacht, dass wir uns unsere Wirklichkeit nun mal selber konstruieren und da Gejammer jetzt auch nicht sehr sinnstiftend ist, bevor beide von PISA mitgerissen werden und dann als kleine, vorerst nicht mehr benötigte Wissenswolke sanft entschweben, eine wohlige Leere hinterlassend.
Es wird leer – und still! Und ich werde jetzt mit der Voyager im Deltaquadranten verschwinden und erst in 70 Jahren zurückkommmen. Da krieg ich dann schon Rente.

Ma Baker

Leaving the Dead Horse 2011

Das Jahr 2011 stand ganz im Zeichen des Toten Pferdes. So wie die aktuelle permanent Altes abgeschlossen hat, um dann noch Altes abzuschließen, bin ich etwa 5000 Mal vom Toten Pferd abgestiegen. Bereits am Anfang des Jahres war meine Arbeit als ausgebeuteter Gutmensch im Gesundheitswesen zu DEM Toten Pferd 2011 gekührt worden. Trotzdem bin ich noch ein Weilchen verbissen sitzen geblieben (man will ja nix überstürzen), hab ihm und mir wahrweise gut zugeredet, HüüüAAH geschrien oder auf uns beide eingeprügelt. Der Gaul hat sich einfach nicht mehr gerührt. Ein paar Mal bin ich fast abgestiegen. Doch jedes Mal, wenn ich kurz davor war, hätte ich schwören können, daß doch noch irgendwo ein Röcheln zu hören war. Ich habe eine wichtige Erfahrung mit toten Pferden gemacht, nämlich die, das schlimmer immer geht. Wer sich weigert, abzusteigen, der wird im Sattel keine Freude haben. Das Leben kreiert, was es fordert. Jedes Mal, wenn man den obersten Toleranzbereich der persönlichen Leidensfähigkeit noch ein Stückchen weiter ausgedehnt hat, damit sich bloß nichts verändert, wird einfach erbarmungslos noch eins draufgesetzt. Das Leben gibt alles, um einem die eigene Feigheit gründlich zu vermiesen und das Pferd fängt auch an zu stinken.
Bis man schließlich am Rande des 5. Nervenzusammenbruchs endlich aus dem Sattel rutscht und feststellt, daß eigentlich garnichts Schlimmes passiert, sondern es einfach irgendwo weitergeht. Grade noch handfeste Burnout-Kandidatin, jetzt schon auf unserer Showbühne!
Neben dem Wechsel von Schwester zu Studentin gab es auch noch einige andere interessante neue Dinge und Erfahrungen. Ich habe zum ersten Mal erfolgreich einen körpertherapeutischen Workshop an der VHS gegeben, OHNE vorher vor Angst zu sterben. Und ich werde das nächstes Jahr wieder tun. Interessierte Frauen dürfen hier klicken, ich habe nämlich ebenfalls gelernt, dass Werbung nichts Böses ist und überzogene Schüchternheit auch ein totes Pferd.
Ich bin barfuß über glühende Kohlen gelaufen, habe Adorno gelesen, täglich mit Materie gekämpft und meistens gesiegt, die hohe Kunst des Raframings erlernt, an zauberhaften Feuern mit der aktuellen Altes abgeschlossen. Ich habe begriffen, dass Scheiße, auch wenn man versucht, sie in Geschenkpapier einzuwickeln, trotzdem stinkt und dass ein Donner aus tiefem Herzen mehr nützt als harmonisches Gutgemeine. Und ich habe eine Riesenladung Neues eingeladen.
In diesem Sinne HÜÜÜAAAH

Ma Baker

Lernen für’s Leben

Eine so vielschichtige Universität wie Tübingen bietet dem wissensdurstigen Studierenden beinahe unberenzte Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Sie ist eine Welt der Wunder, des Wissens und auch des Wahnsinns, und um sich in ihr zurecht zu finden sind verschiedene Tools von Nöten. Nach circa 2 Monaten kann ich sagen, daß diese Tools meiner Meinung nach der eigentliche Lernerfolg bei der ganzen Sache sind. Beruhigend wäre an dieser Stelle, wenn die Verantwortlichen das beabsichtigt hätten. Haben sie nicht, das Potpourri an Entwicklungschancen, das jeden Studientag neben einer halben Bibliothek um die Ecke kommt, ist sozusagen ein geniales und zufälliges Nebenprodukt. Aber das macht nichts, Albert Hofmann hat LSD ja auch entdeckt, als er eigentlich auf der Suche nach einem Mittel gegen Kreislaufprobleme war. Und wurde 102 Jahre alt! So ergeht es auch dem Standart-Bätschlerstudierenden. Er möchte erziehungswissenschaftlich vor sich hin bätschlern, Humboldt und Bordieu in sein Leben lassen und erwirbt statt dessen verschiedenste andere Kompetenzen, von denen er noch nicht mal geträumt hat. Der kompetente Studierende lernt zum Beispiel schon in den ersten Semesterwochen, 90 Minuten mit einem Minimum an Sauerstoff auszukommen, weil er es einfach satt hat, jede Vorlesung ohnmächtig zu werden. Falls es mit der Uni nix wird könnte man damit problemlos umsatteln auf Apnoetauchen und statt Bücher Muscheln erforschen. Man bekommt sozusagen ein zweites Standbein so ganz nebenher.
Darüber hinaus erwirbt man im Strudel der 20 aktuell geltenden Prüfungsordnungen einen unschätzbar wertvollen Pragmatismus. Seit JAHREN! hängt über meinem Bett der Serenity Prayer in der Hoffnung, dass sich etwas davon irgendwie im Schlaf implantiert und ich endlich aufhören kann, mich wie ein Berserker über genau die Sachen aufzuregen, die ich verdammt noch mal nicht ändern kann. Ohne Erfolg, bis ich angefangen habe, zu bätschlern. Jetzt entrollt sich vor mir jeden Tag eine Welt voller komischer Dinge, die ich nicht ändern kann und ich lerne, den Energiesparmodus anzuwerfen, bis es wieder etwas gibt, wofür es sich lohnt, eine Schlacht vom Zaun zu brechen, die auch eine Chance auf einen glorreichen Sieg hat. Ich glaube, man nennt das Anpassungsfähigkeit. Anpassungsfähigkeit ist wichtig, wenn man nicht jeden Tag sein ganzes Pulver schon vor der zweiten Zigarette in 5 inneren Duellen verschossen haben will, ohne, dass irgendwer irgendwas davon hat.
Damit hängt dann auch der meiner Meinung nach größte Gewinn eines Studiums zusammen. Man wird eine Meisterin des Reframings. Man lernt, das Gute in den Dingen zu sehen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht danach aussehen, als gäbe es auch nur ein einziges gutes Haar an ihnen. Komilitonen, denen nicht klar ist, dass sie nicht der Dozent sind und die deshalb 300 Leute mit einem zehnminütigen Monolog über die janusgesichtige Dialektik der sozialen Moderne beglücken, sind keine Plage, sondern eine liebevoll drapierte Aufforderung, sich einfach nicht alles bieten zu lassen. Humboldt war eigentlich ein Schamane und mit ein wenig gutem Willen findet man auch an 50 Seiten Theodor Abgrund Adorno etwas, das das eigene Leben auf eine Art bereichert.
Ich studiere gern 🙂

Ma Baker

Highway to Neues

Das monotone Brummen läßt mich in eine Art Halbschlaf zurücksinken, während das Getriebe unter mir den Gang wechselt und ich sanft hin und her geschüttelt werde. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster mitten ins Morgengrauen, das gerade anfängt, die Alb mit orangenem Gold zu überziehen. Es ist halb acht und ich fahre mit dem Bus, so wie ungefähr 150 andere mehr oder weniger ausgeschlafene Mitmenschen, die sich in dasselbe öffentliche Nahverkehrsmittel quetschen. Es ist eng, stickig und laut. Die charmante Männerstimme vom Band verkündet den nächsten Halt: Kliniken Berg! Erstaunt stelle ich fest, daß ich nicht aufspringe und mir den Weg zur Tür freikämpfe. Nein, ich lehne mich nochmal entspannt zurück und atme aus, während die Bergklinik Richtung Morgengrauen hinter mir zurück bleibt. Und mit ihr die Waschlappen, Sauerstoffmasken, Blasenkatheter in 40 verschiedenen Größen, die Flächendesinfektionsmittel, die verschwundenen Akten und DAS OPFER! Jenes langatmige, facettenreiche Klagelied über miserable Bezahlung, Burnout, Rückenschmerzen, kaputte Topfspülen (man trägt AA in der Schüssel gerne wochenlang über das halbe Stockwerk:-)), Hilflosigkeit, Überforderung, schwachsinnige Hirarchien und TROTZDEM unermüdliches Weiterarbeiten. Man war jemand – ein Opfer dieses Systems, eine Ausgebeutete, die aber doch mit einer so wichtigen Aufgabe betraut war. Das Opfer ist wie ein sicheres stabiles Netz, in das man jederzeit getrost zurückfallen kann, wenn man mit anderen Entwürfen der eigenen Identität scheitert. Das Opfer ist sicher, es ist immer da und es nimmt einen jederzeit wieder freudig auf wie die verlorene Tochter. Und es ist geschickt darin, zu verschleiern, daß man einen verdammt hohen Preis für die Dauerkarte in die warme vertraute Höhle zahlt, in der es immer ein wenig nach alten Socken riecht.
Mit einem Ruck wechselt der Bus wieder den Gang und kämpft sich tapfer weiter den Berg hinauf Richtung Hörsaalzentrum Morgenstelle, in eine neue, unvertraute Welt. Ich kann sie riechen. Sie riecht nach Vielfalt und Möglichkeiten, nach Mensaessen, nach Freiheit, zweifelhaftem Automatenkaffee, nach Eigenverantwortung und nach Computern, die samt der fast fertigen Hausarbeit abstürzen. Sie riecht fremd, sie ist ein anderer Mikrokosmos mit eigenen Gesetzen und vielen Unbekannten. Sie macht Angst. Der schützende Opferanzug funktioniert nicht mehr und dort, wo er gewohnt hat, klafft jetzt ein unschönes Loch in der eigenen Identität. Und die Natur mag keine Löcher, genauso wenig wie mein Unk, der ein solches Vakuum sofort mit vielfältigsten Befürchtungen flutet. Wenn ich kein Opfer mehr bin, was zum Geier bin ich dann? Ein erwachsener Mensch mit Möglichkeiten? Eine Privilegierte? Und wie bin ich so, wenn ich privilegiert bin und mir Möglichkeiten offenstehen? Was für eine Frau kommt da am Ende raus? Mag ich die dann noch?
Das Beruhigende ist: Ich hab satte 3 Jahre, um das rauszufinden.

Ma Baker

3-2-1-0 Ein notwendiger Abgesang

Bild: DoctorWho, Lizenz: CC

Schon seit Anfang September lief der Countdown langsam aber sicher Richtung Krankenhaus-Glastür, die sich bald für immer hinter mir schließen sollte – ich draußen und der Rest bitte DRINNEN!! Die Schwester war angezählt, ein totes Pferd. Agent Elliot Panty hat ihre letzte Mission erfüllt – sie hat nach ausgiebigem Bebrüten des Eis, wie das so ihre Art ist, kühn und präzise zugeschlagen und gekündigt. Eigentlich sollte dies ein Artikel in bekannter Wunderbramanier werden, ein humoristisch aufbereiteter Abgesang auf 11 Jahre Fencheltee, Schichtwechsel, Kreuzschmerzen, Waschlappen, Lebenretten und Paradiespunkte. Seit meinem finalen Spätdienst letzten Dienstag warte ich darauf, daß sich irgendein wuchtiges Gefühl einstellt – riesengroße Erleichterung, Wehmut wegen den Kollegen, neue Freiheit – irgendwas muß doch jetzt von mir abfallen wie eine Geröllawine. Oder? Die Wahrheit ist eine sehr verhaltene Mischung aus allem gleichzeitig, die auch nach lägerem Nachdenken keinen lustigen roten Faden hergeben will. Also heute mal weniger witzig, dafür mehr wahr.
Hier ein kleiner Blick in meinen Kopf, den seit Tagen Erinnerungen durchwandern. Der Backstagebereich eines Krankenhauses ist eine sehr eigene Welt, die sich von Serien wie Emergency Room im Wesentlichen dadurch unterscheidet, daß man sich in der Realität immer fragt, wo denn die ganzen Leute mit der kleinen Rolle sind, die auf Abruf bereit stehen und ständig rufen: Ich kümmer mich drum! Um die Anlage einer Thoraxdrainage (weil der Patient keine Luft mehr kriegt), oder um eine Notfallcomputertomographie (weil alles den Anschein hat, als wären mal eben einige Liter Blut irgendwo im Patient verloren gegangen, die man dringend wiederfinden sollte, oder zumindest das Loch, durch das sie entwischt sind). Dort, wo in der Glotze einfühldsame Ärzte einfühlsame Gespräche mit Angehörigen führen findet sich in der Realität oft niemand, und der hat für sowas auch keine Zeit. Was hätten wir für einen aufblasbaren George Clooney gegeben, der immer im richtigen Moment mit seinen Rehaugen zur Stelle gewesen wäre und die richtigen Worte gefunden hätte.
Es ist eine Welt, in der einem Seiten des Menschseins begegnen, die man im Leben draußen nicht zu Gesicht bekommt. Vor allem ältere Menschen produzieren nach einer Narkose oftmals einen vorübergehenden Verwirrungszustand. Man bekommt Teetassen an den Kopf und im nächsten Moment eindeutige Avancen, man wird vergöttert, verflucht, gestreichelt, angespukt und dann wieder von vorn.
Und egal, ob sie nun verwirrt sind, Schmerzen haben, bei jedem Handgriff auf Hilfe angewiesen sind oder im Sterben liegen, den meisten Patienten kommt man sehr nahe – so nah, wie man ihnen im normalen Leben nie kommen würde. Man erfährt etwas über das Menschsein an seinen Grenzen. Und über das Sterben, den Tod, den man dann hastig in Kühlfächern verschließt oder versucht, wegzudesinfizieren, obwohl er einfach in der Luft liegt. Manchmal begegnet man ihm in Frieden, winkt mit einem weißen Taschentuch, welches sagt: Du darfst kommen! Aber meistens zieht man in eine Schlacht, bewaffnet mit Beatmungsgeräten, Defibrillator und allem, was pharmazeutisch gut und teuer ist, und erst nach Wochen wird endlich kapituliert. Man fühlt sich wie der Weihnachtsmann und der Osterhase gleichzeitig, der jemandem nach 3 Tagen Nüchternsein den ersten Schluck Wasser anbietet oder ist die gute Fee mit dem hochpotenten Morphinderivat im Anschlag, das grausige Schmerzen in einer weichen weißen Wolke auflöst. Man erfährt tiefe Dankbarkeit und weiß, daß einem etwas sehr Wichtiges anvertraut ist.
Neben dem jahrelangen berechtigten Klagen und Schimpfen wollte ich das nochmal ausdrücklich erwähnen.
Und jetzt bye bye Schwester, es war auch schön mit Dir!

Ma Baker

Defäkation in Achtsamkeit

Es wird Herbst, der Schwesternrücken tut weh und Ma wollte sich deshalb heute mal umschauen, ob man denn irgendwo einen Yogakurs machen kann. Hatten wir vor ein paar Jahren schon mal und war an sich echt gut. Habe also recht unbedarft die Tür zu den vielen Möglichkeiten geöffnet und bin seitdem auf der Flucht. Auch diese Zeilen hacke ich im Laufen in irgendeine Tastatur und man möge mir die Flüchtigkeitsfehler verzeihen, die sich in einer solch bedrohlichen Situation einschleichen werden. SIE sind hinter mir her wie eine wollene Armee, die tausend dicken Socken, die man mitbringen muß, während die Decken wild flatternd versuchen, mir den Weg abzuschneiden, um mich in einen Mantel aus vermeintlicher Gemütsruhe einzuhüllen. Sind wir nicht alle ein bißchen A.C.H.T.S.A.M?? Im Herzen, im Ohrschmalz und auch im großen Zeh, dem wir auch gleich einen dicken Knutschi geben, weil er uns so gut durch’s Leben trägt (wofür dann ja wohl ein Yogakurs erforderlich ist, denn wer kriegt schon einfach so seine Flosse an den Mund?) Entdecken wir doch unseren inneren Kraftquell beim Sitzen auf selbstgehäkelten und aufgeladenen Meditationskissen und tönen uns in die nächste Dimension der Erleuchtung für Anfänger. Wellbalanced beim Zähneputzen, Einkaufen, Kinderanschreien, in der Scheidung und wenn das Klopapier alle ist.
Mit letzter Kraft schaffe ich es, mich vor meinen Verfolgern in ein einsames Klohäuschen zu retten und die Tür zu verrammeln.
Aufatmend setze ich mich, um in Ruhe über meine Situation nachzudenken. Da ertönt ein dunkler Gong, der irgendetwas in meinem Inneren zum Schwingen bringt. Und dann eine sanfte Stimme, die sagt:

Danke, daß sie die achtsame Toilette benutzen. Schließen Sie jetzt Ihre Augen und spüren Sie die Teile Ihres Hinterns, die auf der Klobrille aufsitzten. Dann wandern sie mit Ihrer Aufmerksamkeit einmal von oben nach unten durch Ihren Gastrointestinaltrakt – vom Mund durch die Speiseröhre – sie sind sich ihres Magens voll bewußt, sie passieren dann den Übergang in den Dünndarm und gelangen von dort in den Dickdarm, der in der Medizin den klangvollen Namen Colon trägt. Tönen sie nun in einer für sie angenehmen Tonhöhe mehrfach laut das Wort Colon und spüren Sie, wie Ihr Dickdarm zum Leben erwacht. Lassen Sie sich von seinen geschmeidigen Bewegungen weitertragen, bis Sie dann nach langer Dunkelheit wieder Licht am Ende des Tunnels erblicken. Lassen Sie ganz los und sich einfach fallen in diesen wunderschönen Moment der Ausgeglichenheit.

Ma Baker

Kraftplatzen für Anfänger

Die ewig erholungsbedürftige Wunderbraredaktion machte sich letzten Donnerstag zum Zwecke von Erkundung, harmloser Horizonterweiterung und vor allem Entspannung auf Richtung schwäbische Alb. Weil bei uns isses ja soo scheee, des denkt mer garnet! Natürlich will man an so einem Tag dann auch keine halben Sachen machen und so entdeckten wir im Wanderführer den Georgenberg in Pfullingen – ein ehemaliger Vulkan, angepriesen als Ort der Kraft und Stille, trotzdem die feurige Energie von Mutter Erde immernoch im Anschlag, ideal für Entscheidungfindung und Innenschau – und wahrscheinlich kann er auch Kaffekochen und Füße massieren. Derartig angefixt machten wir uns mit entsprechend hohen Erwartungen auf den Weg. Nach ein bißchen Gegurke Albtrauf rauf und wieder runter hatten wir den Georgenberg dann gefunden, und er ist nun mal verglichen mit dem Gehügel ringsrum ein bißchen putzig geraten. Aber jetzt waren wir schon mal da. Der Weg durch leidlich hübsche Schrebergärten trug nun auch nicht unbedingt zu unserer Horizonterweiterung bei. Wir hatten schon gehofft, an so einem Platz von einem Druiden hereingebeten zu werden – oder wenigstens auf ein paar Spalier stehende Elementargeister. Ein paar wirklich schöne Baumriesen verhinderten, daß wir auf halbem Weg kehrtmachten. Wird ja vielleicht noch! Immer wieder warfen wir uns verstohlene Blicke zu, begleitet von der stummen Frage: Spürst du schon was? Ein bißchen Frieden oder ein kleines Kräftchen? Kaffee? Ja, hätt ich auch gern. Als wir oben auf das Plateau traten waren wir bereit, der ganzen Sache nochmal eine richtige Chance zu geben. Wir postierten uns auf dem Gipfel, bereit, all die feurige Energie der Erdmutter in uns aufzunehmen, alle Entscheidungen zu fällen, die es jemals in unserem Leben zu fällen gab und geben würde, bereit für unser Innerstes, bereit für Zauberkaffee und Auramassage. Wir hörten ein dumpfes Rumoren, das schnell näher kam. Es passiert was, jubelten wir innerlich und im nächsten Moment fielen mehrere Schwärme ziemlich feuriger Schmeißfliegen über uns her und trieben uns in einer Mischung aus Ekel und Panik wieder den Hang hinunter.
Bis heute diskutieren wir hartnäckig darüber, welche von uns beiden mit ihrem miesen Karma diesen göttlichen Moment ruiniert hat.

Ma Baker